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Eine Fessel für den Ausbau der Windenergie scheint gelöst. Das Bundesverfassungsgericht hat Bundesländern untersagt, Wälder generell zur Tabuzone für Windturbinen zu erklären.
Einen halbseidenen politischen Kompromiss in Thüringen hat das Bundesverfassungsgericht kassiert. Die Karlsruher Richter erklärten das von Minderheitsregierung und Opposition 2020 mühsam ausgehandelte Gesetz, Windkraftanlagen in Wäldern grundsätzlich zu verbieten, für verfassungswidrig.
Karlsruhe spricht Thüringen die Kompetenz für solch eine weitreichende Gesetzgebung im Bodenrecht ab. Der Bund, heißt es in der Begründung, habe hier die Hoheit und davon bereits mit der Privilegierung von Windkraft im Außenbereich „abschließend Gebrauch gemacht“. Das Gericht öffnet nun nicht sämtliche Wälder für Windkraft. Es verweist ausdrücklich auf die gängige Praxis, schützenswerte Forstflächen von der Windkraft auszunehmen.
Thüringer Gesetz ein Kuhhandel mit oppositioneller CDUDer Tabuzonen-Passus hatte nur deswegen Eingang ins Thüringer Waldgesetz gefunden, weil die Windkraft-kritische CDU davon ihre Zustimmung zum Haushaltsplan der Koalition abhängig gemacht hatte. Die Konservativen befinden sich in der Opposition unter Druck, weil in Konkurrenz mit der AfD. Diese versucht bei den Themen Klimakrise und Energiewende häufig mit Positionen zu punkten, die extrem von wissenschaftlichen Standards abweichen.
Der am 10.
November veröffentlichte Spruch ist weit über das für seine Windkraft-kritische Haltung bekannte Thüringen hinaus von Bedeutung. Denn mit Sachsen-Anhalt verfügt ein weiteres Bundesland seit 2016 über ein entsprechendes Verbotsgesetz für Waldgebiete. Auch in Sachsen ist eine Regierung (CDU, Grüne und SPD) im Amt, deren im Koalitionsvertrag hinterlegte Maxime („Windenergieanlagen im Wald schließen wir aus.“) nun nicht mehr haltbar ist.
Die Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) registrierte zur Mitte des laufenden Jahres nur sechs Bundesländer, die Windräder auf Waldflächen überhaupt erlauben. Das klingt wenig, allerdings sind die Stadtstaaten mangels Waldmasse weitgehend zu vernachlässigen. Demgegenüber regeln – und beschränken – viele Länder häufig auf Regionalplan-Ebene die Möglichkeiten für den Ausbau der Windenergie im Forst.
Auch das Windkraft-freundliche Schleswig-Holstein hat Wald als Ausschlussgebiet festgelegt. Ob hier die Begründung der Seltenheit − nur 11
Prozent der Landesfläche sind bewaldet − mit dem Karlsruher Beschluss konform geht, ist zu klären. Womöglich geschieht dies auf dem Klageweg, sofern ein Windkraftprojektierer sich in seinen Möglichkeiten eingeschränkt fühlt. Dies war Hintergrund der jetzt erfolgreich beschiedenen Verfassungsbeschwerde. Hier wollten Thüringer Waldeigentümer ihre stark von Schädlingen befallenen Flächen, bereits gerodet, mit Windturbinen bestücken.
Verband fordert Ende für "de-facto-Verbot" auch in NRWDas Argument der Wald-Seltenheit würde der Landesverband Erneuerbare Energien in Nordrhein-Westfalen (LEE NRW) unter bestimmten Bedingungen gelten lassen, so Vorstandsmitglied Thomas Griese. „Waldarme Kommunen könnten hier mit dem Forst als Schutzgut argumentieren“, sagte er auf Anfrage unserer Redaktion.
Grundsätzlich werde der Karlsruher Spruch auch zwischen Rhein und Weser erhebliche Folgen haben, so Griese. Denn in NRW hatte die abgewählte Regierung aus CDU und FDP einen restriktiven Landesentwicklungsplan (LEP) eingeführt, der Windkraft nur in Ausnahmefällen im Wald zulässt. Ein „de-facto-Verbot“ nennt Griese dies. Die aktuell regierende Koalition aus CDU und Grünen hat noch keinen Nachfolger für den LEP vorgelegt, aber angekündigt, die Novelle zeitgleich mit den Regionalplänen der sechs NRW-Regionen zu erarbeiten.
Der LEE NRW erwartet nach dem Karlsruher Spruch nun von der Düsseldorfer Regierung, neben geschädigten Wäldern (Kalamitätsflächen) grundsätzlich auch Wirtschaftswälder, etwa Fichtenmonokulturen, für die Windkraft zu öffnen. Dies würde dazu führen, dass etwa 500 Turbinen bis 2026 in nordrhein-westfälischen Wäldern entstehen könnten. Es wäre die Hälfte jener 1.000 Anlagen, die Schwarz-Grün laut Ankündigung im Laufe der Legislaturperiode in NRW zubauen will.
Das vom Karlsruher Entscheid direkt betroffene Thüringen stellt auf der gesamten Landesfläche seit 2018 keine 20 Anlagen pro Jahr mehr auf. 2021 nahm die installierte Leistung sogar erstmals ab und sank von 1.926
MW (2020) auf 1.694
MW. Im Thüringer Wald stehen nach Angaben der FA Wind überhaupt nur vier Anlagen mit 14
MW Leistung.
Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) reagierte gegenüber dem MDR erleichtert auf die Meldung aus Karlsruhe, der Windkraftzubau werde aber maßvoll erfolgen. Der grüne Koalitionspartner lederte in Person von Umweltministerin Anja Siegesmund gegen die CDU, die sich mit dem Pauschalverbot in der „destruktiven Ecke verschanzt“ habe. Sie wolle das Waldgesetz nun schnell ändern. CDU-Fraktionschef Mario Voigt teilte mit, Windkraft weiter nur an „akzeptablen“ Orten zulassen zu wollen.
Donnerstag, 10.11.2022, 14:41 Uhr
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