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Energie & Management > Europaeische Union - EU weitet Emissionshandel massiv aus
Quelle: Shutterstock / jorisvo
Europaeische Union

EU weitet Emissionshandel massiv aus

Das Europäische Parlament hat die Kernelemente des europäischen Klimaschutzprogramms „Fit for 55“ endgültig beschlossen.
 Die Abgeordneten bestätigten mit großer Mehrheit in Straßburg eine Reform des bestehenden Emissionhandels (ETS1), eine Ausweitung des Emissionshandels auf die Bereiche Gebäude und Verkehr (ETS2), die Einführung eines am ETS1 orientierten Kohlenstoffzolls (CBAM) sowie die Einrichtung eines Klima-Sozial-Fonds (SCF) zur Bekämpfung der Energiearmut.

In den letzten Monaten hatten sich die Verhandlungsführer des Parlamentes und des Ministerrates auf Kompromisse über die einzelnen Richtlinien und Verordnungen verständigt (wir berichteten). Die Reform des ETS1 sieht vor, die CO2-Emissionen der Industrie und der Energiewirtschaft schneller zu senken. Das Gesamtvolumen („cap“) der Emissionsrechte soll 2030 um 62 Prozent unter dem Niveau von 2005 liegen. Der jährliche Reduktionsfaktor wird vom nächsten Jahr an auf 4,3 Prozent und ab 2028 auf 4,4 Prozent p.a. angehoben. Zusätzlich wird die Gesamtmenge 2024 um 90 und 2026 um 27 Millionen Tonnen gekürzt. Die Zahl der Gratiszertifikate für die Industrie wird schrittweise gekürzt. Ab 2035 müssen auch Industriebetriebe alle notwendigen Zertifikate ersteigern.

Um die Abwanderung der Industrie zu verhindern, werden CO2-intensive Importe von Aluminium, Düngemittel, Stahl, Strom, Wasserstoff und Zement ab 2026 mit einer Abgabe belastet. Der CBAM soll die Differenz zwischen den Kosten der Hersteller in Drittstaaten, die keine Klimaabgaben bezahlen, und den europäischen Herstellern ausgleichen. Die Höhe der Abgaben wird zu einem späteren Zeitpunkt von der Kommission festgelegt. Auch hier erfolgt die Einführung schrittweise zwischen 2026 und 2034.

Der Emissionshandel für Gebäude (einschließlich Kleingewerbe) und Verkehr ETS2- tritt 2027 in Kraft. Eine Verschiebung um ein Jahr ist dann möglich, wenn die Energiepreise weiter hoch bleiben. Der Preis pro Tonne CO2 soll zunächst auf 45 Euro begrenzt werden. Um dieses Preisniveau zu erreichen, können 20 Millionen Zertifikate zusätzlich versteigert werden. Das Parlament habe damit der Lage auf den Energiemärkten Rechnung getragen, die sich seit dem Vorschlag der Kommission dramatisch verändert habe, sagte die Berichterstatterin des Parlamentes, Esther de Lange, am Rande der Plenartagung.

Der Klimasozialfonds SCF wird 2026 eingeführt und soll „vulnerablen Haushalten“ und kleinen Gewerbebetrieben helfen, die zusätzlichen finanziellen Belastungen, die sich aus dem Klimapaket ergeben, zu finanzieren. Die Mittel sollen vor allem verwendet werden, um ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zurückzuführen. Die Mitgliedsstaaten entscheiden zwar, welche Haushalte und Unternehmen genau davon profitieren, sie müssen darüber aber genau berichten. Der Fonds erhält 65 Mrd. Euro aus den Erlösen des ETS2. Seine Ausgaben müssen von den Mitgliedsstaaten um 25 Prozent aufgestockt werden.

Europa als erster klimaneutraler Kontinent

Mit dem Paket „Fit for 55“ werde Europa der erste klimaneutrale Kontinent, sagte Parlamentspräsidentin, Roberta Metsola, nach der Abstimmung in Straßburg. Es mache die europäische Wirtschaft wettbewerbsfähiger und erschließe neue Wachstumspotentiale. Der Berichterstatter des Parlamentes für den Emissionshandel, Peter Liese (CDU), unterstrich den Beitrag des Paktes zur Finanzierung der Energiewende. Erstmals sei es gelungen, dass ein großer Teil der Einnahmen aus dem Emissionshandel, etwa 700 Milliarden Euro, für den Klimaschutz eingesetzt würden. Große Teile der Industrie unterstützten die gefundenen Kompromisse und seien zuversichtlich die Umsetzung des Klimapaketes zu überleben.

Für die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher bringe das ETS2 „keine zusätzliche Belastung“, weil die europäischen Vorgaben durch den deutschen Emissionshandel für den Verkehr und den Gebäudesektor bereits abgedeckt seien. Das ETS2 schaffe aber „mehr Fairness, weil sich jetzt alle Europäer gleichermaßen am Klimaschutz beteiligen“. Für den deutschen Mittelstand bedeute das mehr Wettbewerbsfähigkeit gegenüber polnischen oder französischen Unternehmen. Für die Verwendung der Mittel aus dem deutschen ETS2 brächten die europäischen Vorschriften mehr soziale Gerechtigkeit, sagte Liese weiter.

Dieser Aspekt spiele gegenwärtig in Deutschland keine Rolle, müsse in Zukunft bei der Mittelverwendung aber stärker beachtet werden. Der energiepolitische Sprecher der Grünen, Michael Bloss, hält den CSF nur für einen ersten Schritt: „Er muss massiv aufgestockt werden, um einkommensschwache Haushalte wirklich zu entlasten. Wir brauchen ein europäisches Klimageld, um die soziale Schieflage gerade zu rücken.“ Vorbehaltlos begrüßen die Grünen die Einführung des CBAM: „Zukünftig erhalten die Unternehmen eine Rechnung, wenn sie weiter CO2-intensive Produkte in unseren Markt einführen wollen“, sagte die grüne Abgeordnete Manuela Ripa.

Der sozialdemokratische Berichterstatter des Parlamentes, Mohammed Chahim, geht davon aus, dass die EU mit ihrem Klimazoll nicht alleine bleibt: „CBAM wird in einigen Jahren der Normalfall sein. Wenn die Amerikaner Milliarden investieren, um ihre Industrie zu dekarbonisieren, müssen sie etwas für gleiche Wettbewerbsbedingungen unternehmen. Und dann brauchen sie so einen Mechanismus. Das ist die Zukunft.“

Dienstag, 18.04.2023, 16:26 Uhr
Tom Weingärtner
Energie & Management > Europaeische Union - EU weitet Emissionshandel massiv aus
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Europaeische Union
EU weitet Emissionshandel massiv aus
Das Europäische Parlament hat die Kernelemente des europäischen Klimaschutzprogramms „Fit for 55“ endgültig beschlossen.
 Die Abgeordneten bestätigten mit großer Mehrheit in Straßburg eine Reform des bestehenden Emissionhandels (ETS1), eine Ausweitung des Emissionshandels auf die Bereiche Gebäude und Verkehr (ETS2), die Einführung eines am ETS1 orientierten Kohlenstoffzolls (CBAM) sowie die Einrichtung eines Klima-Sozial-Fonds (SCF) zur Bekämpfung der Energiearmut.

In den letzten Monaten hatten sich die Verhandlungsführer des Parlamentes und des Ministerrates auf Kompromisse über die einzelnen Richtlinien und Verordnungen verständigt (wir berichteten). Die Reform des ETS1 sieht vor, die CO2-Emissionen der Industrie und der Energiewirtschaft schneller zu senken. Das Gesamtvolumen („cap“) der Emissionsrechte soll 2030 um 62 Prozent unter dem Niveau von 2005 liegen. Der jährliche Reduktionsfaktor wird vom nächsten Jahr an auf 4,3 Prozent und ab 2028 auf 4,4 Prozent p.a. angehoben. Zusätzlich wird die Gesamtmenge 2024 um 90 und 2026 um 27 Millionen Tonnen gekürzt. Die Zahl der Gratiszertifikate für die Industrie wird schrittweise gekürzt. Ab 2035 müssen auch Industriebetriebe alle notwendigen Zertifikate ersteigern.

Um die Abwanderung der Industrie zu verhindern, werden CO2-intensive Importe von Aluminium, Düngemittel, Stahl, Strom, Wasserstoff und Zement ab 2026 mit einer Abgabe belastet. Der CBAM soll die Differenz zwischen den Kosten der Hersteller in Drittstaaten, die keine Klimaabgaben bezahlen, und den europäischen Herstellern ausgleichen. Die Höhe der Abgaben wird zu einem späteren Zeitpunkt von der Kommission festgelegt. Auch hier erfolgt die Einführung schrittweise zwischen 2026 und 2034.

Der Emissionshandel für Gebäude (einschließlich Kleingewerbe) und Verkehr ETS2- tritt 2027 in Kraft. Eine Verschiebung um ein Jahr ist dann möglich, wenn die Energiepreise weiter hoch bleiben. Der Preis pro Tonne CO2 soll zunächst auf 45 Euro begrenzt werden. Um dieses Preisniveau zu erreichen, können 20 Millionen Zertifikate zusätzlich versteigert werden. Das Parlament habe damit der Lage auf den Energiemärkten Rechnung getragen, die sich seit dem Vorschlag der Kommission dramatisch verändert habe, sagte die Berichterstatterin des Parlamentes, Esther de Lange, am Rande der Plenartagung.

Der Klimasozialfonds SCF wird 2026 eingeführt und soll „vulnerablen Haushalten“ und kleinen Gewerbebetrieben helfen, die zusätzlichen finanziellen Belastungen, die sich aus dem Klimapaket ergeben, zu finanzieren. Die Mittel sollen vor allem verwendet werden, um ihre Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zurückzuführen. Die Mitgliedsstaaten entscheiden zwar, welche Haushalte und Unternehmen genau davon profitieren, sie müssen darüber aber genau berichten. Der Fonds erhält 65 Mrd. Euro aus den Erlösen des ETS2. Seine Ausgaben müssen von den Mitgliedsstaaten um 25 Prozent aufgestockt werden.

Europa als erster klimaneutraler Kontinent

Mit dem Paket „Fit for 55“ werde Europa der erste klimaneutrale Kontinent, sagte Parlamentspräsidentin, Roberta Metsola, nach der Abstimmung in Straßburg. Es mache die europäische Wirtschaft wettbewerbsfähiger und erschließe neue Wachstumspotentiale. Der Berichterstatter des Parlamentes für den Emissionshandel, Peter Liese (CDU), unterstrich den Beitrag des Paktes zur Finanzierung der Energiewende. Erstmals sei es gelungen, dass ein großer Teil der Einnahmen aus dem Emissionshandel, etwa 700 Milliarden Euro, für den Klimaschutz eingesetzt würden. Große Teile der Industrie unterstützten die gefundenen Kompromisse und seien zuversichtlich die Umsetzung des Klimapaketes zu überleben.

Für die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher bringe das ETS2 „keine zusätzliche Belastung“, weil die europäischen Vorgaben durch den deutschen Emissionshandel für den Verkehr und den Gebäudesektor bereits abgedeckt seien. Das ETS2 schaffe aber „mehr Fairness, weil sich jetzt alle Europäer gleichermaßen am Klimaschutz beteiligen“. Für den deutschen Mittelstand bedeute das mehr Wettbewerbsfähigkeit gegenüber polnischen oder französischen Unternehmen. Für die Verwendung der Mittel aus dem deutschen ETS2 brächten die europäischen Vorschriften mehr soziale Gerechtigkeit, sagte Liese weiter.

Dieser Aspekt spiele gegenwärtig in Deutschland keine Rolle, müsse in Zukunft bei der Mittelverwendung aber stärker beachtet werden. Der energiepolitische Sprecher der Grünen, Michael Bloss, hält den CSF nur für einen ersten Schritt: „Er muss massiv aufgestockt werden, um einkommensschwache Haushalte wirklich zu entlasten. Wir brauchen ein europäisches Klimageld, um die soziale Schieflage gerade zu rücken.“ Vorbehaltlos begrüßen die Grünen die Einführung des CBAM: „Zukünftig erhalten die Unternehmen eine Rechnung, wenn sie weiter CO2-intensive Produkte in unseren Markt einführen wollen“, sagte die grüne Abgeordnete Manuela Ripa.

Der sozialdemokratische Berichterstatter des Parlamentes, Mohammed Chahim, geht davon aus, dass die EU mit ihrem Klimazoll nicht alleine bleibt: „CBAM wird in einigen Jahren der Normalfall sein. Wenn die Amerikaner Milliarden investieren, um ihre Industrie zu dekarbonisieren, müssen sie etwas für gleiche Wettbewerbsbedingungen unternehmen. Und dann brauchen sie so einen Mechanismus. Das ist die Zukunft.“

Dienstag, 18.04.2023, 16:26 Uhr
Tom Weingärtner

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