E&M exklusiv Newsletter:
E&M gratis testen:
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Die Rücknahme der Rücknahme
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe

Die Rücknahme der Rücknahme

Selbst absolute Fachleute sind derzeit verunsichert. Gilt sie nun oder gilt sie nicht, die Markterklärung des BSI? Hier die Auffassungen von Juristen.
Am 31. Januar 2020 hatte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die Allgemeinverfügung zur Feststellung der Möglichkeit zum Einbau intelligenter Messsysteme veröffentlicht. Diese sogenannte Markterklärung hatte den offiziellen Startschuss für den Smart Meter Rollout markiert, indem sie für verschiedene energiewirtschaftliche Anwendungen ein zertifiziertes Smart Meter Gateway verpflichtend machte. Wie Anna von Bremen erläutert, hatte die Behörde den Sofortvollzug angeordnet. „Sofortvollzug bedeutet, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Verfügung keine aufschiebende Wirkung haben, die Allgemeinverfügung also trotz dieser Rechtsbehelfe weiterhin ‚in der Welt‘ ist“, so die Rechtsanwältin von der Kanzlei Raue in Berlin.

Zunächst hatte eine Reihe von grundzuständigen und wettbewerblichen Messstellenbetreibern, die von der Kanzlei Becker Büttner Held (BBH) vertreten wurden, vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Allgemeinverfügung geklagt.

Zwischenzeitlich hatte das Oberverwaltungsgericht für Nordrhein-Westfalen in Münster im Zuge einer Eilentscheidung den ursprünglichen Sofortvollzug des Verwaltungsakts ausgesetzt, weil es die Markterklärung für rechtswidrig hielt. Es ging unter anderem um die Frage, ob eine Einbaupflicht auch dann besteht, wenn nicht schon bei der Installation alle Funktionen verfügbar sind und der vom Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) in § 21 vorgegebene Funktionsumfang erst stufenweise durch Software-Updates erreicht wird. Auf dieses Vorgehen hatten sich das Bundeswirtschaftsministerium, das BSI und Teile der Energiewirtschaft verständigt. Es liegt auch der „Standardisierungsstrategie zur sektorübergreifenden Digitalisierung nach dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende“ des Bundes zugrunde.

Außerdem hatten die Richter in Münster moniert, das Interoperabilitätsmodell und seine Anwendung auf die Technische Richtlinie TR-03109-1 seien formal nicht ordnungsgemäß zustande gekommen.
 
„Widerspruch lässt Markterklärung wieder aufleben“
 
Kurz vor der mündlichen Verhandlung Ende Mai vor dem Verwaltungsgericht Köln nahm das BSI dann die Markterklärung zurück. Dabei habe sich die Behörde auf § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes gestützt, der die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte regelt, erläutert von Bremen. „Anders als bei der ursprünglichen Markterklärung wurde die Rücknahme aber nicht mit Sofortvollzug angeordnet. Das wiederum bedeutet, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Rücknahme aufschiebende Wirkung haben“, so die Juristin.

Am 8. Juli hat die Hausheld AG einen solchen Widerspruch gegen die Rücknahme der Markterklärung eingelegt. „Das heißt, dass die Rücknahme suspendiert wurde, also derzeit nicht wirksam ist“, erklärt von Bremen. Der Widerspruch habe so zum Wiederaufleben der ursprünglichen Markterklärung geführt. Allerdings, so betont die Rechtsanwältin, gelte dies nicht nur für die Hausheld AG als Widerspruchsführerin, sondern für die gesamte Branche. Denn die Markterklärung sei eine sogenannte unteilbare Allgemeinverfügung, ähnlich wie beispielsweise ein Verkehrsschild. Auch das ergebe sich aus der Entscheidung des OVG Münster, die explizit auf die „Dosenpfand“-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Bezug nehme, in der von einer „bundesweiten“ Wirkung des dort verhandelten Verwaltungsakts die Rede sei. „Damit bleibt es bei der Rollout-Pflicht der grundzuständigen Messstellenbetreiber“, sagt von Bremen.

Die Entscheidung des OVG vom 4. März 2021 sei an sich nun auch wieder aus der Welt, weil die Kläger im Hauptsacheverfahren − das Verfahren in Münster bildete dazu das einstweilige Rechtsschutzverfahren − den Rechtsstreit nach der Rücknahme der Markterklärung für erledigt erklärt haben. „Aus der Entscheidung ergeben sich aber dennoch die geschilderten Hinweise, wie Widersprüche und Klagen gegen die Markterklärung wirken“, betont von Bremen und fügt hinzu, „nämlich erga omnes, also für und gegen alle.“

Jost Eder sieht die Diskussion über die Gültigkeit der Allgemeinverfügung sehr kritisch. Zwar habe das BSI mit der Rücknahme der Allgemeinverfügung den Weg frei gemacht für eine rechtskonforme, zeitgerechte und an der vollen Funktionsfähigkeit der Gateways ausgerichteten Marktverfügbarkeitserklärung − für alle Unternehmen und alle Kundinnen und Kunden, sagt der Rechtsanwalt der Kanzlei BBH. Bedauerlicherweise habe die Behörde diese Gelegenheit bisher jedoch noch nicht ergriffen. Aber die Branche brauche dringend eine solide rechtliche Grundlage für die Fortsetzung des Rollouts intelligenter Messsysteme.
Dazu gehören auch angepasste Rollout-Fristen im Messstellenbetriebsgesetz“, so der Jurist, der einen „massiven Zeitverzug aufgrund der handwerklich bisher unzureichenden rechtlichen Regelungen und auch aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit der erforderlichen Geräte“ beklagt. Deshalb müsse der Gesetzgeber handeln und solle am besten auch gleich eine Harmonisierung mit dem angepassten EEG beim Thema Steuerbarkeit auf den Weg bringen.
 
„Widerspruchsführerin voraussichtlich nicht widerspruchsbefugt“
 
An der Rücknahme der Marktverfügbarkeitserklärung ändere auch der Widerspruch der Hausheld AG nichts. „Da die Hausheld AG nach unserer Kenntnis − und dem Marktstammdatenregister − nicht selbst Messstellenbetreiber ist, ist sie voraussichtlich nicht widerspruchsbefugt“, vermutet Eder. Im Übrigen sei die personelle Reichweite der Rücknahme der Marktverfügbarkeitserklärung erkennbar teilbar. Von einer Widerspruchswirkung für die gesamte Branche könne keine Rede sein.

„Am Ende entscheidend ist aber, dass der Widerspruch ohnehin inhaltlich keine Aussicht auf Erfolg hat: Das OVG Nordrhein-Westfalen hat die Rechtswidrigkeit der Marktverfügbarkeitserklärung auf 40 Seiten begründet“, erklärt der Rechtsanwalt. Die Initiative von Hausheld ändere nichts an der Wirksamkeit der Rücknahme der rechtswidrigen Allgemeinverfügung für die gesamte Branche. „Das ist nicht mehr als ein Sturm im Wasserglas und führt nur zu einer Verunsicherung der Branche“, sagt Eder.

Weitere negative Folgen für den Ausbau intelligenter Messtechnik ergeben sich nach Einschätzung von BBH aus der Rücknahme nicht, denn inhaltlich sei der Rollout nicht gestoppt. Die bisher zertifizierten Geräte könnten ausdrücklich weiter genutzt und auch installiert werden. „Wichtig ist allerdings, dass es möglichst zeitnah Klarheit über den weiteren Zeitplan, idealerweise auch eine inhaltliche Roadmap gibt“, betont Eder.

Freitag, 7.10.2022, 12:59 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Die Rücknahme der Rücknahme
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe
Die Rücknahme der Rücknahme
Selbst absolute Fachleute sind derzeit verunsichert. Gilt sie nun oder gilt sie nicht, die Markterklärung des BSI? Hier die Auffassungen von Juristen.
Am 31. Januar 2020 hatte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die Allgemeinverfügung zur Feststellung der Möglichkeit zum Einbau intelligenter Messsysteme veröffentlicht. Diese sogenannte Markterklärung hatte den offiziellen Startschuss für den Smart Meter Rollout markiert, indem sie für verschiedene energiewirtschaftliche Anwendungen ein zertifiziertes Smart Meter Gateway verpflichtend machte. Wie Anna von Bremen erläutert, hatte die Behörde den Sofortvollzug angeordnet. „Sofortvollzug bedeutet, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Verfügung keine aufschiebende Wirkung haben, die Allgemeinverfügung also trotz dieser Rechtsbehelfe weiterhin ‚in der Welt‘ ist“, so die Rechtsanwältin von der Kanzlei Raue in Berlin.

Zunächst hatte eine Reihe von grundzuständigen und wettbewerblichen Messstellenbetreibern, die von der Kanzlei Becker Büttner Held (BBH) vertreten wurden, vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Allgemeinverfügung geklagt.

Zwischenzeitlich hatte das Oberverwaltungsgericht für Nordrhein-Westfalen in Münster im Zuge einer Eilentscheidung den ursprünglichen Sofortvollzug des Verwaltungsakts ausgesetzt, weil es die Markterklärung für rechtswidrig hielt. Es ging unter anderem um die Frage, ob eine Einbaupflicht auch dann besteht, wenn nicht schon bei der Installation alle Funktionen verfügbar sind und der vom Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) in § 21 vorgegebene Funktionsumfang erst stufenweise durch Software-Updates erreicht wird. Auf dieses Vorgehen hatten sich das Bundeswirtschaftsministerium, das BSI und Teile der Energiewirtschaft verständigt. Es liegt auch der „Standardisierungsstrategie zur sektorübergreifenden Digitalisierung nach dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende“ des Bundes zugrunde.

Außerdem hatten die Richter in Münster moniert, das Interoperabilitätsmodell und seine Anwendung auf die Technische Richtlinie TR-03109-1 seien formal nicht ordnungsgemäß zustande gekommen.
 
„Widerspruch lässt Markterklärung wieder aufleben“
 
Kurz vor der mündlichen Verhandlung Ende Mai vor dem Verwaltungsgericht Köln nahm das BSI dann die Markterklärung zurück. Dabei habe sich die Behörde auf § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes gestützt, der die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte regelt, erläutert von Bremen. „Anders als bei der ursprünglichen Markterklärung wurde die Rücknahme aber nicht mit Sofortvollzug angeordnet. Das wiederum bedeutet, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Rücknahme aufschiebende Wirkung haben“, so die Juristin.

Am 8. Juli hat die Hausheld AG einen solchen Widerspruch gegen die Rücknahme der Markterklärung eingelegt. „Das heißt, dass die Rücknahme suspendiert wurde, also derzeit nicht wirksam ist“, erklärt von Bremen. Der Widerspruch habe so zum Wiederaufleben der ursprünglichen Markterklärung geführt. Allerdings, so betont die Rechtsanwältin, gelte dies nicht nur für die Hausheld AG als Widerspruchsführerin, sondern für die gesamte Branche. Denn die Markterklärung sei eine sogenannte unteilbare Allgemeinverfügung, ähnlich wie beispielsweise ein Verkehrsschild. Auch das ergebe sich aus der Entscheidung des OVG Münster, die explizit auf die „Dosenpfand“-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Bezug nehme, in der von einer „bundesweiten“ Wirkung des dort verhandelten Verwaltungsakts die Rede sei. „Damit bleibt es bei der Rollout-Pflicht der grundzuständigen Messstellenbetreiber“, sagt von Bremen.

Die Entscheidung des OVG vom 4. März 2021 sei an sich nun auch wieder aus der Welt, weil die Kläger im Hauptsacheverfahren − das Verfahren in Münster bildete dazu das einstweilige Rechtsschutzverfahren − den Rechtsstreit nach der Rücknahme der Markterklärung für erledigt erklärt haben. „Aus der Entscheidung ergeben sich aber dennoch die geschilderten Hinweise, wie Widersprüche und Klagen gegen die Markterklärung wirken“, betont von Bremen und fügt hinzu, „nämlich erga omnes, also für und gegen alle.“

Jost Eder sieht die Diskussion über die Gültigkeit der Allgemeinverfügung sehr kritisch. Zwar habe das BSI mit der Rücknahme der Allgemeinverfügung den Weg frei gemacht für eine rechtskonforme, zeitgerechte und an der vollen Funktionsfähigkeit der Gateways ausgerichteten Marktverfügbarkeitserklärung − für alle Unternehmen und alle Kundinnen und Kunden, sagt der Rechtsanwalt der Kanzlei BBH. Bedauerlicherweise habe die Behörde diese Gelegenheit bisher jedoch noch nicht ergriffen. Aber die Branche brauche dringend eine solide rechtliche Grundlage für die Fortsetzung des Rollouts intelligenter Messsysteme.
Dazu gehören auch angepasste Rollout-Fristen im Messstellenbetriebsgesetz“, so der Jurist, der einen „massiven Zeitverzug aufgrund der handwerklich bisher unzureichenden rechtlichen Regelungen und auch aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit der erforderlichen Geräte“ beklagt. Deshalb müsse der Gesetzgeber handeln und solle am besten auch gleich eine Harmonisierung mit dem angepassten EEG beim Thema Steuerbarkeit auf den Weg bringen.
 
„Widerspruchsführerin voraussichtlich nicht widerspruchsbefugt“
 
An der Rücknahme der Marktverfügbarkeitserklärung ändere auch der Widerspruch der Hausheld AG nichts. „Da die Hausheld AG nach unserer Kenntnis − und dem Marktstammdatenregister − nicht selbst Messstellenbetreiber ist, ist sie voraussichtlich nicht widerspruchsbefugt“, vermutet Eder. Im Übrigen sei die personelle Reichweite der Rücknahme der Marktverfügbarkeitserklärung erkennbar teilbar. Von einer Widerspruchswirkung für die gesamte Branche könne keine Rede sein.

„Am Ende entscheidend ist aber, dass der Widerspruch ohnehin inhaltlich keine Aussicht auf Erfolg hat: Das OVG Nordrhein-Westfalen hat die Rechtswidrigkeit der Marktverfügbarkeitserklärung auf 40 Seiten begründet“, erklärt der Rechtsanwalt. Die Initiative von Hausheld ändere nichts an der Wirksamkeit der Rücknahme der rechtswidrigen Allgemeinverfügung für die gesamte Branche. „Das ist nicht mehr als ein Sturm im Wasserglas und führt nur zu einer Verunsicherung der Branche“, sagt Eder.

Weitere negative Folgen für den Ausbau intelligenter Messtechnik ergeben sich nach Einschätzung von BBH aus der Rücknahme nicht, denn inhaltlich sei der Rollout nicht gestoppt. Die bisher zertifizierten Geräte könnten ausdrücklich weiter genutzt und auch installiert werden. „Wichtig ist allerdings, dass es möglichst zeitnah Klarheit über den weiteren Zeitplan, idealerweise auch eine inhaltliche Roadmap gibt“, betont Eder.

Freitag, 7.10.2022, 12:59 Uhr
Fritz Wilhelm

Haben Sie Interesse an Content oder Mehrfachzugängen für Ihr Unternehmen?

Sprechen Sie uns an, wenn Sie Fragen zur Nutzung von E&M-Inhalten oder den verschiedenen Abonnement-Paketen haben.
Das E&M-Vertriebsteam freut sich unter Tel. 08152 / 93 11-77 oder unter vertrieb@energie-und-management.de über Ihre Anfrage.