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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Wo die Zukunft der Verteilnetze schon Realität ist
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

Wo die Zukunft der Verteilnetze schon Realität ist

Westnetz simuliert in der Sauerland-Region Arnsberg/Sundern, wie das Stromverteilnetz der Zukunft aussieht: digital und automatisiert. Ein Blick ins Herz kritischer Infrastruktur.
Das Sauerland, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2030, in dem die Besatzung der Westnetz-Leitstelle Arnsberg die digitale Zukunft der Stromverteilnetze erforscht. So futuristisch − und in Anlehnung an das berühmte Star-Trek-Intro − ließe sich einleiten, was die Eon-Tochtergesellschaft aktuell im Modellprojekt „Smarte Energieregion Arnsberg und Sundern“ unternimmt.

Hier in Südwestfalen erprobt Deutschlands größter Verteilnetz-Betreiber bereits jetzt, welche Aufgaben die Leitungsnetze 2030 zu bewältigen haben. Wenn nicht mehr 60, sondern 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen durch die Kabel strömen. Für Westnetz-Geschäftsführer Patrick Wittenberg ist es wichtig, der Zeit voraus zu sein, weil die Energiewende bis hinunter auf die unterste Verteilebene „einem Mammutprojekt, einer Jahrhundertaufgabe“ gleichkomme.

Gut 100.000 Menschen bevölkern die sauerländische Netzregion, in der das Projekt ebenso läuft wie in einem Westnetz-Gebiet rund um das niedersächsische Lüneburg. Hier wie dort wäre alles so viel leichter, würde mit der Energiewende nicht das Erzeugerprinzip, also die alte Energie-Welt, auf den Kopf gestellt. Früher speisten ausschließlich Großkraftwerke in die Höchstspannungsnetze ein, der Rest war Transformation auf die unteren Ebenen und das Durchleiten bis in die Steckdosen.
Im digitalen Datenreich von Linien, Balken und Kurven: Jörg Brand, Leiter Spezialservice Strom von Westnetz
Quelle: Volker Stephan
 
„Die erneuerbaren Energien werden aber im Wesentlichen an das Verteilnetz angeschlossen“, sagt Jörg Brand, Leiter Spezialservice Strom von Westnetz. 95 Prozent der Leistung stammen künftig von dezentralen Kraftwerken auf der untersten Ebene, die Sonne und Wind zu Strom für den Verbrauch oder für flexibel einsetzbare Speicher nutzbar machen.

Osterpaket als ultimativer Stresstest für Verteilnetzbetreiber

Aus den wenigen Kohle- und Atommeilern der Vergangenheit sind längst zu einem beachtlichen Teil Solaranlagen und Windturbinen, Biogasanlagen oder andere Kleinkraftwerke geworden. Ins Gesamtnetz der Westenergie-Gruppe, die Leitungen von Meppen im Emsland bis nach Koblenz in Rheinland-Pfalz verantwortet, hat das Unternehmen zum Beispiel seit 2009 rund 265.000 Solaranlagen integriert. Bis 2030, also in nur sechs Jahren, sollen weitere 675.000 Sonnenkraftwerke hinzukommen.

Allein diese Zahl verdeutlicht, dass mit den Netzen der Vergangenheit die Zukunft nicht zu meistern ist. Das Osterpaket der Bundesregierung nennt Patrick Wittenberg „den ultimativen Stresstest für uns Verteilnetzbetreiber“. Denn die Energiewendepläne sehen bis 2030 etwa 9 Millionen mit Strom zu betreibende Wärmepumpen vor, nahezu zwei Millionen Elektrofahrzeuge mit privaten und öffentlichen Ladepunkten und, und, und.

„Wir brauchen intelligente Netze, Smart Grids, die wir jederzeit beobachten und steuern können“, sagt Patrick Wittenberg mit Nachdruck. In der Modellregion Sauerland sind die dafür nötigen Zutaten bereits in größerer Anzahl vorhanden als anderswo. Es gibt erstens 70 digitale Ortsnetzstationen, die moderne Variante der blassen Verteilerkästen. Sie wandeln als Koppelpunkte die Mittelspannung in Niederspannung für die Haushalte um. In der digitalen Version der Zukunft können sie mehr: Sie senden dann auch Live-Daten der Energieströme über Mobilfunk oder Glasfaser und erlauben dazu den Eingriff auf der Mittelspannungsebene von der Leitstelle aus.

Zweitens gibt es aktuell mehr als 2.200 Smart Meter, die so viel mehr können, als Stromverbrauch zu zählen, und drittens zwei smarte und nachhaltige Umspannanlagen, die per Glasfaserkabel die nötigen Daten erhalten und ihren Strom für den Eigenbedarf aus Solarmodulen und grünen Gasen beziehen. Sie zusammen ergeben das System, das jederzeit wahrnimmt, welche Erzeugungsanlagen gerade Strom einspeisen und welche Verbraucher Saft aus den Netzen pressen. „Wir benötigen Automatisierung und die digitale Infrastruktur, um die Energieflüsse in Ausgleich zu bringen“, so Wittenberg. Netzstabilität ist das Zauberwort.

Netzstabilität ist unter den Bedingungen der launischen Energiespender Sonne und Wind nicht nur ein Gebot im Sinne verlässlicher Stromversorgung. Wenn Betreiber wie Westnetz Engpässe und überlaufende Netze vermeiden können, macht das die Energiewende zudem schlicht günstiger. Der Westnetz-Geschäftsführer ruft in Erinnerung, dass Eingriffe bei Netzengpässen (Redispatch) 2021 noch zu Kosten in Höhe von 214 Millionen Euro geführt hätten, ein Jahr später war die Summe schon auf 4,2 Milliarden Euro geklettert.
 
 Im Gehirn des Arnsberger Verteilnetzes: Kilian Henke (Systemführer Schaltleitung) mit Ministerin Mona Neubaur (Grüne)
Quelle: Volker Stephan
 
Nicht umsonst setzt auch Mona Neubaur (Grüne), die Wirtschaftsministerin des Landes NRW, große Hoffnungen in die digitalisierten Verteilnetze der Zukunft. Bei einem Besuch in Arnsberg verwies sie auf eine Studie, die die Investitionskosten für die Verteilnetze in NRW kalkuliert. Bis 2030 sollen sie an die 6 Milliarden Euro betragen, bis 2040 sogar bis zu 15,4 Milliarden Euro. „Diese Kosten lassen sich senken, wenn Flexibilitäten in Form steuernder Eingriffe genutzt werden“, so die Ministerin.

In permanentem Austausch mit Daten, Sensoren und Algorithmen

Steuern und eingreifen. Das lenkt den Blick zurück in die Arnsberger Netzleitstelle, in das Gehirn des schier unendlichen Leitungswirrwarrs. Sie erinnert mit ihren vielen Bildschirmen, blinkenden Balken, bunten Linien und Diagrammen entfernt an die Kommandozentrale des Raumschiffs Enterprise. Für gewöhnlich herrscht hier kein Publikumsverkehr, kritische Infrastruktur ist grundsätzlich zu schützen, nicht nur vor Hackern.

Einer aus dem Team, das hier regelmäßig Zutritt hat, in Schichten rund um die Uhr den Überblick behält und auf Störungen im Netz reagiert, ist nicht Lieutenant Uhura, sondern Kilian Henke. Der Systemführer Schaltleitung bewegt sich an Maus und Tastatur traumwandlerisch sicher durch die Sensoren, die aus den Ortsnetzstationen permanent Daten senden, durch die ständig aktualisierten Wetterprognosen, aus denen Algorithmen Einspeisemengen für bis zu vier Stunden im Voraus berechnen, und durch die Daten, die übergeordnete Spannungsnetze etwa des Übertragungsnetzbetreibers Amprion liefern.

Kilian Henke ist einer, über den der Kollege Jörg Brand sagt: „Die schwitzen hier bei viel Wind.“ Er meint damit, dass die Kollegen der Netzsteuerung besonders dann ins Rotieren kommen, wenn Rotoren von Windturbinen aus dem System zu nehmen sind. Denn zu viel eingespeiste Windenergie kann die Leitungen überlasten. So lange die Netze nicht ausreichend ausgebaut und zu wenige Speicher vorhanden sind für die Aufnahme von Produktionsspitzen, müssen Westnetz und Co. dann die Erneuerbaren abregeln.

Die alten Kohlemeiler bleiben davor verschont, weil sie viel zu träge für schnelle Reaktionen sind. Weil Verteilnetzbetreiber aus regulatorischen Gründen nicht zugleich Speicheranbieter sein dürfen, fehlt es bei intensivem Sonnenschein oder starken Winden an passenden Umleitungen für die Überkapazitäten. „Das ist schade, weil wir ungern Energie vergeuden“, sagt Brand.

Es gibt also in etlichen Bereichen noch viel zu tun. Auch im sauerländischen Modellprojekt. Aus 70 digitalen Ortsnetzstationen sollen binnen kürzerer Zeit einige Hundert werden. Die intelligenten Strommessinstrumente (Smart Meter) sollen sich von derzeit 2.200 etwa verzehnfachen. Dann, glaubt Westnetz, laufe das Modell auf dem Niveau, wie es dem Stand der Energiewende im Jahr 2030 entspricht.

Im Sauerland und rund um Lüneburg der Zeit voraus zu sein, bedeutet für Westnetz, „die Übertragbarkeit auf andere Regionen sicherzustellen“, so Projektleiter Thomas Pollok. Westnetz-weit gibt es etwa 60.000 Ortsnetzstationen, von denen der Netzbetreiber etwa 12.000 (20 Prozent) für Eingriffe steuerbar machen will. Digitale Daten sollen künftig rund 20.000 Stationen (30 %) übermitteln können. „Nicht jeder abgelegene Hof ist für die Netzsteuerung wichtig“, erklärt Jörg Brand.

Der lange Arm der Verteilnetzbetreiber war zuletzt ein spannendes Thema auch im politischen Raum. Im Laboratorium Arnsberg/Sundern erlaubt Westnetz sich bereits jetzt, was Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes seit Neuestem zulässt: das „Dimmen“ von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen.

Das bedeutet: Wenn Netze instabil zu werden drohen, greift der Verteilnetzbetreiber ein und reguliert Ladevorgänge von privaten Elektromobilen, drosselt Wärmepumpen oder bedient sich bei Stromspeichern, um entweder überschüssige Energie auszulagern oder benötigten Strom ins Netz zu saugen. Mit einer Teststrecke im Sauerland übt Westnetz auch hier die technischen Abläufe und „beamt“ die Region so in die digitale Zukunft der Verteilnetze. 
 
Einer aus dem Team, das rund um die Uhr über die Netze im Sauerland wacht: Kilian Henke, Systemführer Schaltleitung bei Westnetz in Arnsberg Quelle: Volker Stephan

 

Montag, 18.03.2024, 08:42 Uhr
Volker Stephan
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Wo die Zukunft der Verteilnetze schon Realität ist
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
Wo die Zukunft der Verteilnetze schon Realität ist
Westnetz simuliert in der Sauerland-Region Arnsberg/Sundern, wie das Stromverteilnetz der Zukunft aussieht: digital und automatisiert. Ein Blick ins Herz kritischer Infrastruktur.
Das Sauerland, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2030, in dem die Besatzung der Westnetz-Leitstelle Arnsberg die digitale Zukunft der Stromverteilnetze erforscht. So futuristisch − und in Anlehnung an das berühmte Star-Trek-Intro − ließe sich einleiten, was die Eon-Tochtergesellschaft aktuell im Modellprojekt „Smarte Energieregion Arnsberg und Sundern“ unternimmt.

Hier in Südwestfalen erprobt Deutschlands größter Verteilnetz-Betreiber bereits jetzt, welche Aufgaben die Leitungsnetze 2030 zu bewältigen haben. Wenn nicht mehr 60, sondern 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen durch die Kabel strömen. Für Westnetz-Geschäftsführer Patrick Wittenberg ist es wichtig, der Zeit voraus zu sein, weil die Energiewende bis hinunter auf die unterste Verteilebene „einem Mammutprojekt, einer Jahrhundertaufgabe“ gleichkomme.

Gut 100.000 Menschen bevölkern die sauerländische Netzregion, in der das Projekt ebenso läuft wie in einem Westnetz-Gebiet rund um das niedersächsische Lüneburg. Hier wie dort wäre alles so viel leichter, würde mit der Energiewende nicht das Erzeugerprinzip, also die alte Energie-Welt, auf den Kopf gestellt. Früher speisten ausschließlich Großkraftwerke in die Höchstspannungsnetze ein, der Rest war Transformation auf die unteren Ebenen und das Durchleiten bis in die Steckdosen.
Im digitalen Datenreich von Linien, Balken und Kurven: Jörg Brand, Leiter Spezialservice Strom von Westnetz
Quelle: Volker Stephan
 
„Die erneuerbaren Energien werden aber im Wesentlichen an das Verteilnetz angeschlossen“, sagt Jörg Brand, Leiter Spezialservice Strom von Westnetz. 95 Prozent der Leistung stammen künftig von dezentralen Kraftwerken auf der untersten Ebene, die Sonne und Wind zu Strom für den Verbrauch oder für flexibel einsetzbare Speicher nutzbar machen.

Osterpaket als ultimativer Stresstest für Verteilnetzbetreiber

Aus den wenigen Kohle- und Atommeilern der Vergangenheit sind längst zu einem beachtlichen Teil Solaranlagen und Windturbinen, Biogasanlagen oder andere Kleinkraftwerke geworden. Ins Gesamtnetz der Westenergie-Gruppe, die Leitungen von Meppen im Emsland bis nach Koblenz in Rheinland-Pfalz verantwortet, hat das Unternehmen zum Beispiel seit 2009 rund 265.000 Solaranlagen integriert. Bis 2030, also in nur sechs Jahren, sollen weitere 675.000 Sonnenkraftwerke hinzukommen.

Allein diese Zahl verdeutlicht, dass mit den Netzen der Vergangenheit die Zukunft nicht zu meistern ist. Das Osterpaket der Bundesregierung nennt Patrick Wittenberg „den ultimativen Stresstest für uns Verteilnetzbetreiber“. Denn die Energiewendepläne sehen bis 2030 etwa 9 Millionen mit Strom zu betreibende Wärmepumpen vor, nahezu zwei Millionen Elektrofahrzeuge mit privaten und öffentlichen Ladepunkten und, und, und.

„Wir brauchen intelligente Netze, Smart Grids, die wir jederzeit beobachten und steuern können“, sagt Patrick Wittenberg mit Nachdruck. In der Modellregion Sauerland sind die dafür nötigen Zutaten bereits in größerer Anzahl vorhanden als anderswo. Es gibt erstens 70 digitale Ortsnetzstationen, die moderne Variante der blassen Verteilerkästen. Sie wandeln als Koppelpunkte die Mittelspannung in Niederspannung für die Haushalte um. In der digitalen Version der Zukunft können sie mehr: Sie senden dann auch Live-Daten der Energieströme über Mobilfunk oder Glasfaser und erlauben dazu den Eingriff auf der Mittelspannungsebene von der Leitstelle aus.

Zweitens gibt es aktuell mehr als 2.200 Smart Meter, die so viel mehr können, als Stromverbrauch zu zählen, und drittens zwei smarte und nachhaltige Umspannanlagen, die per Glasfaserkabel die nötigen Daten erhalten und ihren Strom für den Eigenbedarf aus Solarmodulen und grünen Gasen beziehen. Sie zusammen ergeben das System, das jederzeit wahrnimmt, welche Erzeugungsanlagen gerade Strom einspeisen und welche Verbraucher Saft aus den Netzen pressen. „Wir benötigen Automatisierung und die digitale Infrastruktur, um die Energieflüsse in Ausgleich zu bringen“, so Wittenberg. Netzstabilität ist das Zauberwort.

Netzstabilität ist unter den Bedingungen der launischen Energiespender Sonne und Wind nicht nur ein Gebot im Sinne verlässlicher Stromversorgung. Wenn Betreiber wie Westnetz Engpässe und überlaufende Netze vermeiden können, macht das die Energiewende zudem schlicht günstiger. Der Westnetz-Geschäftsführer ruft in Erinnerung, dass Eingriffe bei Netzengpässen (Redispatch) 2021 noch zu Kosten in Höhe von 214 Millionen Euro geführt hätten, ein Jahr später war die Summe schon auf 4,2 Milliarden Euro geklettert.
 
 Im Gehirn des Arnsberger Verteilnetzes: Kilian Henke (Systemführer Schaltleitung) mit Ministerin Mona Neubaur (Grüne)
Quelle: Volker Stephan
 
Nicht umsonst setzt auch Mona Neubaur (Grüne), die Wirtschaftsministerin des Landes NRW, große Hoffnungen in die digitalisierten Verteilnetze der Zukunft. Bei einem Besuch in Arnsberg verwies sie auf eine Studie, die die Investitionskosten für die Verteilnetze in NRW kalkuliert. Bis 2030 sollen sie an die 6 Milliarden Euro betragen, bis 2040 sogar bis zu 15,4 Milliarden Euro. „Diese Kosten lassen sich senken, wenn Flexibilitäten in Form steuernder Eingriffe genutzt werden“, so die Ministerin.

In permanentem Austausch mit Daten, Sensoren und Algorithmen

Steuern und eingreifen. Das lenkt den Blick zurück in die Arnsberger Netzleitstelle, in das Gehirn des schier unendlichen Leitungswirrwarrs. Sie erinnert mit ihren vielen Bildschirmen, blinkenden Balken, bunten Linien und Diagrammen entfernt an die Kommandozentrale des Raumschiffs Enterprise. Für gewöhnlich herrscht hier kein Publikumsverkehr, kritische Infrastruktur ist grundsätzlich zu schützen, nicht nur vor Hackern.

Einer aus dem Team, das hier regelmäßig Zutritt hat, in Schichten rund um die Uhr den Überblick behält und auf Störungen im Netz reagiert, ist nicht Lieutenant Uhura, sondern Kilian Henke. Der Systemführer Schaltleitung bewegt sich an Maus und Tastatur traumwandlerisch sicher durch die Sensoren, die aus den Ortsnetzstationen permanent Daten senden, durch die ständig aktualisierten Wetterprognosen, aus denen Algorithmen Einspeisemengen für bis zu vier Stunden im Voraus berechnen, und durch die Daten, die übergeordnete Spannungsnetze etwa des Übertragungsnetzbetreibers Amprion liefern.

Kilian Henke ist einer, über den der Kollege Jörg Brand sagt: „Die schwitzen hier bei viel Wind.“ Er meint damit, dass die Kollegen der Netzsteuerung besonders dann ins Rotieren kommen, wenn Rotoren von Windturbinen aus dem System zu nehmen sind. Denn zu viel eingespeiste Windenergie kann die Leitungen überlasten. So lange die Netze nicht ausreichend ausgebaut und zu wenige Speicher vorhanden sind für die Aufnahme von Produktionsspitzen, müssen Westnetz und Co. dann die Erneuerbaren abregeln.

Die alten Kohlemeiler bleiben davor verschont, weil sie viel zu träge für schnelle Reaktionen sind. Weil Verteilnetzbetreiber aus regulatorischen Gründen nicht zugleich Speicheranbieter sein dürfen, fehlt es bei intensivem Sonnenschein oder starken Winden an passenden Umleitungen für die Überkapazitäten. „Das ist schade, weil wir ungern Energie vergeuden“, sagt Brand.

Es gibt also in etlichen Bereichen noch viel zu tun. Auch im sauerländischen Modellprojekt. Aus 70 digitalen Ortsnetzstationen sollen binnen kürzerer Zeit einige Hundert werden. Die intelligenten Strommessinstrumente (Smart Meter) sollen sich von derzeit 2.200 etwa verzehnfachen. Dann, glaubt Westnetz, laufe das Modell auf dem Niveau, wie es dem Stand der Energiewende im Jahr 2030 entspricht.

Im Sauerland und rund um Lüneburg der Zeit voraus zu sein, bedeutet für Westnetz, „die Übertragbarkeit auf andere Regionen sicherzustellen“, so Projektleiter Thomas Pollok. Westnetz-weit gibt es etwa 60.000 Ortsnetzstationen, von denen der Netzbetreiber etwa 12.000 (20 Prozent) für Eingriffe steuerbar machen will. Digitale Daten sollen künftig rund 20.000 Stationen (30 %) übermitteln können. „Nicht jeder abgelegene Hof ist für die Netzsteuerung wichtig“, erklärt Jörg Brand.

Der lange Arm der Verteilnetzbetreiber war zuletzt ein spannendes Thema auch im politischen Raum. Im Laboratorium Arnsberg/Sundern erlaubt Westnetz sich bereits jetzt, was Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes seit Neuestem zulässt: das „Dimmen“ von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen.

Das bedeutet: Wenn Netze instabil zu werden drohen, greift der Verteilnetzbetreiber ein und reguliert Ladevorgänge von privaten Elektromobilen, drosselt Wärmepumpen oder bedient sich bei Stromspeichern, um entweder überschüssige Energie auszulagern oder benötigten Strom ins Netz zu saugen. Mit einer Teststrecke im Sauerland übt Westnetz auch hier die technischen Abläufe und „beamt“ die Region so in die digitale Zukunft der Verteilnetze. 
 
Einer aus dem Team, das rund um die Uhr über die Netze im Sauerland wacht: Kilian Henke, Systemführer Schaltleitung bei Westnetz in Arnsberg Quelle: Volker Stephan

 

Montag, 18.03.2024, 08:42 Uhr
Volker Stephan

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