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Das Rathaus von Hamminkeln will Stadtwerke gründen und die Mehrheit an den Verteilnetzen übernehmen: Im regulierten Netzbereich bekomme man mehr für sein Kapital als am Markt, hieß es.
Der Streit der Netzbetreiber mit dem Regulierer darüber, welche Zinsen sie aufs investierte Kapital aufschlagen dürfen, wenn sie die Netzentgelte berechnen, ist alt. Sie klagen, die Bundesnetzagentur lege die Zinssätze so niedrig fest, dass es attraktiver sei, sein Geld woanders zu investieren.
Jetzt gibt es aber einen Beleg dafür, dass die zugestandenen Eigenkapital-Zinssätze so weit über dem Marktniveau liegen, dass eine Stadt genau aus diesem Grund ihren Einstieg in das bisher private Strom- und Gasverteilnetz für lukrativ hält.
Die niederrheinische 27.000-Einwohner-Stadt Hamminkeln (NRW) konkretisiert derzeit Überlegungen, eigene Stadtwerke zu gründen und sich maßgeblich am Verteilnetz im Stadtgebiet zu beteiligen. Der Anlass dazu rückt derweil näher: Die extern vergebenen Netzkonzessionen enden. Das Stromnetz gehört noch bis 2028 der Eon-Konzerngesellschaft Westnetz, das Gasnetz bis 2034 der kommunalen Gelsenwasser Energienetze aus Gelsenkirchen.
Kämmerer Robert Graaf will nicht nur den kommunalen Daumen auf die Netze bekommen, sondern den großen Wurf: die Gründung von Stadtwerken. Dabei heißt es in einer Vorlage an den Bauausschuss, der am 1.
Februar die ersten Schritte dem Plenum empfehlen soll, welches wiederum zwei Wochen später entscheidet: Der „Vorteil“ etwa einer mehrheitlichen Übernahme des Gasnetzes liege „darin, dass die kalkulatorische Eigenkapital-Verzinsung gesetzlich reguliert und festgeschrieben ist. Aktuell betragen die Zinssätze 5,07
Prozent vor Körperschaftsteuer für Neuanlagen und 3,51
Prozent vor Körperschaftsteuer für Altanlagen“. (Gemeint ist die Gewerbesteuer, Anmerkung der Redaktion).
„Sogar“ auf Pump „vorteilhaft“Diese Zinssätze liegen nach Meinung Graafs sowohl „oberhalb der am Kapitalmarkt zu erwirtschaftenden Eigenkapital-Verzinsung“ als auch oberhalb der Fremdkapital-Zinssätze. Daher sei der Erwerb von mindestens 51
Prozent des Gasnetzes in einer neu zu gründenden KG, die es dann an den Altkonzessionär Gelsenwasser Energienetze verpachtet, „sogar“ dann „vorteilhaft, wenn Kreditnotwendigkeiten für das Anlagevermögen bestehen“.
Auf gut Deutsch: Mit dem regulierten Eigenkapital-Zinssatz, der bei 40
Prozent der Netzinvestitionen und der Instandhaltung des Bestandsnetzes anerkannt wird, lassen sich die Netzentgelte künstlich hochhalten, der designierte Netzbetreiber zahlt sogar bei 100
Prozent Kreditaufnahme weniger Zinsen, als er kalkulieren darf, und die Differenz treibt mit dem Entgeltumsatz auch den Gewinn hoch. Personalaufwand falle praktisch nicht an, da die bisherigen Konzessionäre die Netze weiter betreiben sollen.
Aber warum noch ein Gasnetz? Wegen WasserstoffsWarum sich die Stadt Hamminkeln überhaupt noch für das 120
Kilometer lange Gasnetz mit 4.600 Zählpunkten interessiert, wenn Deutschland 2045 klimaneutral sein soll, beantwortet die Vorlage unter Berufung auf Gelsenwasser so: Die Lage des Netzes in der Nähe des „Wasserstoff-Startnetzes 2030“ sei „stark privilegiert“, fast alle Gasleitungen in Hamminkeln seien sowohl wasserstoff- als auch biogastauglich, und schon 2028 werde die erste Ferngasleitung in der Nähe auf Wasserstoff umgestellt. Gelsenwasser Energienetze steht laut einer Präsentation „im engen Austausch“ mit seinen vorgelagerten Netzbetreibern, um dann vorrangig den Industrie- und Gewerbebedarf bedienen zu können.
Gelsenwasser hat der Stadt angeboten, einen kommunalen Wärmeplan aufzustellen, und erwartet die Antwort in diesem Monat. Der Kommunalkonzern hat in den vergangenen zehn Jahren 20
Strom- und Gasnetze übernommen und betreibt in NRW und Niedersachsen 50 Netze.
Der große kommunalwirtschaftliche Wurf in Hamminkeln, der noch in diesem Jahr umgesetzt werden soll, wird nach den Vorstellungen im Rathaus folgendermaßen aussehen:
- Die Stadt gründet eine „Hamminkeln Holding GmbH“ und als 51-Prozent-Tochter davon die „Stadtwerke Hamminkeln GmbH“. Strategischer Partner des Stadtwerks mit 49 Prozent wird Gelsenwasser, die bei der Betriebsführung des Abwasser-Eigenbetriebs maßgeblich hilft.
- Gelsenwasser veräußert sein Gasnetz an eine 100-prozentige Stadtwerke-Tochter, pachtet es und macht den Netzbetrieb.
- An einer neuen lokalen Stromnetz-KG behält die Westnetz-Mutter Westenergie 49 Prozent, sonst läuft alles wie beim Gas.
- In Kooperation mit einer ungenannten Vertriebsgesellschaft, mit der es „vielversprechende Gespräche“ gab, wird auf Holdingebene ein Stromvertrieb aufgebaut. Geschäftsmodell: den Strom aus ausgeförderten PV- und Biogasanlagen in der Region, an denen die Stadt teilweise schon beteiligt ist, oberhalb des Börsenpreises einzukaufen und den Stadtbürgern unterhalb des Marktpreises anzubieten.
Montag, 22.01.2024, 17:11 Uhr
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