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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - Deutschlands Strom wird europäisch
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Aus Der Aktuellen Ausgabe

Deutschlands Strom wird europäisch

Erstmals seit 17 Jahren importierte Deutschland 2023 mehr Strom, als es exportierte. Einige befürchten Engpässe, andere erhoffen sich sinkende Preise durch den Stromaustausch.
Über das vergangene Jahr hinweg verkaufte Deutschland rund 58 Milliarden kWh heimisch erzeugten Strom ins Ausland und importierte 69 Milliarden kWh. Damit wurden wir zum ersten Mal seit 2002 wieder zum Nettoimporteur von Strom. Stimmen aus dem konservativen Lager von CDU und CSU sowie von der AfD sehen darin eine Gefahr für die deutsche „Energiesouveränität“.

Lindsey Walter, Mitbegründerin der Initiative Carbon-Free Europe, sagte, Deutschland habe seinen Strombedarf und die Dekarbonisierung aufgrund von Kapazitätsengpässen im eigenen Land weitgehend an seine Nachbarländer ausgelagert. „Dadurch wird das Land in einer Zeit zunehmend globaler Instabilität viel abhängiger von Energieimporten“, warnte sie.

Betrachtet man die Quellen des importierten Stroms, so stammt er zu 49 Prozent aus erneuerbaren Energien, vor allem Wasserkraft aus Norwegen und der Schweiz oder Windkraft aus Dänemark. Hinzu kommen 24 Prozent aus zumeist französischen Kernkraftwerken. Nur ein Drittel stammte aus fossilen Quellen, die Treibhausgase verursachen. Hätte Deutschland den Strom selbst produziert, wären vor allem Braun- und Steinkohlekraftwerke zum Einsatz gekommen. Die Importe ermöglichten also zum Teil eine enorme Senkung der CO2-Emissionen in der deutschen Stromproduktion um 46 Millionen Tonnen 2023. Außerdem wurden auch hierzulande aus erneuerbaren Anlagen 5 Prozent mehr Strom als 2022 gewonnen.

In der Summe über das Jahr ist Deutschland zu etwa 10 Prozent von europäischen Stromexporten abhängig, berechnete das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Abgesehen vom Klimaschutz lohnen sich die Stromimporte auch finanziell. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Diversifizierung der deutschen Energieversorgung haben die Stromgroßhandelspreise wieder auf das Niveau des Sommers 2021 gesenkt“, hieß es aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) Anfang des Jahres.

Die Entscheidung, woher Deutschland in jeder Minute seinen Strom bezieht, fällt längst am EU-Strommarkt. Die Gestehungskosten deutscher Kohlekraftwerke liegen um 3 bis 4 Prozent über denen der Importe − auch wegen der CO2-Bepreisung. Philipp Eggert, Teamleiter Analyse der Trianel GmbH, erläutert, „dass grenzüberschreitender Stromhandel zu sinkenden Preisen und zu einer höheren Integration der erneuerbaren Energien in die Märkte führt“. Denn damit könnten Ungleichgewichte zwischen Erzeugung und Verbrauch effektiver ausgeglichen werden.

Er illustrierte dies gegenüber E&M am Beispiel der zweiten Kalenderwoche 2024. In Deutschland war es kalt bei wenig Windstromerzeugung, was für eine hohe Nachfrage nach Residuallast sorgte. In Frankreich hingegen waren die Witterungsbedingungen deutlich milder und der Bedarf nach Heizstrom entsprechend geringer. Frankreich war somit in der Lage, viel Strom exportieren zu können. „Ohne eine entsprechende Koppelung der Märkte wäre das nicht möglich gewesen“, sagt Eggert. Der grenzüberschreitende Handel hatte in diesem Fall einen preisdämpfenden Effekt auf den deutschen Markt durch einen Durchschnittspreis aus beiden Märkten. „Wären alle Märkte Europas in ausreichendem Umfang miteinander gekoppelt, entstünde sogar ein einheitlicher europäischer Preis“, so der Trianel-Experte.

Was für den internationalen Stromhandel und die Vermeidung von Preisspitzen aber noch fehlt, sind die Netzkapazitäten für den Transport des Stroms. Voraussetzung für den Import der fast 6 Milliarden kWh Wasser- und Windstrom aus Norwegen im vergangenen Jahr war die Fertigstellung des Nordlink-Kabels. Es verbindet seit 2021 mit einer Kapazität von 1400 MW unsere Länder. Das Bundeswirtschaftsministerium verweist zudem auf Alegro, das uns mit Belgien koppelt, und die Westküstenleitung nach Dänemark.

Nordlink kostete rund 2 Milliarden Euro

Dafür sind hohe Investitionen nötig. Der genannte Nordlink kostete rund 2 Milliarden Euro. Innerhalb Deutschlands rechnet die Denkfabrik Agora Energiewende für die Vorhaben im Netzentwicklungsplan Strom bis 2045 mit etwa 310 Milliarden Euro. Darin sind laut Bundesnetzagentur auch neue Erweiterungen zu den Nachbarn enthalten. Der Netzausbau müsse allerdings schneller werden, sagt Agora-Deutschland-Direktor Simon Müller: „Im ersten Halbjahr 2023 wurden nur 127 Kilometer Stromleitungen in Betrieb genommen.“ Im selben Zeitraum wurden Genehmigungsverfahren für Vorhaben mit einer Gesamtlänge von 1.950 Kilometern gestartet, gegenüber lediglich 114 Kilometern im Halbjahr zuvor, lobt er zugleich.
Auch europaweit werden die Netze weiter ausgebaut. Der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (Entsoe) plant in einem Zehnjahresrahmen.

Darin enthalten ist ein Plan für Netzerweiterungen bis 2030, die aus Sicht der Netzbetreiber ökonomisch vorteilhaft sind. Der Vorschlag umfasst etwas mehr als 10.000 MW an zusätzlichen Grenzkuppelleitungen Deutschlands zu seinen Nachbarländern, 64.000 MW in Europa insgesamt. Ein Fokus hierzulande liegt dabei auf der stärkeren Anbindung von Österreich, der Schweiz sowie Frankreichs.

Der europäische Stromhandel ermögliche ein effizientes Bewältigen ungleichmäßiger, wetterbedingter Erzeugungs- und Nachfragespitzen in Europa. „So wird insgesamt weniger Erzeugungskapazität zur Deckung des Strombedarfs benötigt“, hofft Müller. Wandere zum Beispiel ein typisches Tiefdruckgebiet von Westen über Europa, entstünden Windspitzen erst in Frankreich, später in Deutschland. Es mache also Sinn, den Nachbarn am zeitlich versetzten hohen Stromertrag teilhaben zu lassen.

„Der gemeinsame Handel stärkt die Versorgungssicherheit, reduziert den Einsatz fossiler Kraftwerke und senkt damit die Kosten und Emissionen der europäischen Stromerzeugung“, resümiert Müller. Die europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Acer) schätzt die Wohlfahrtsgewinne durch den grenzüberschreitenden Stromhandel in der EU allein für 2021 auf rund 34 Milliarden Euro.

Auch die Nachbarn haben große Pläne für den Ausbau erneuerbarer Energien. Nach Angaben des Branchenverbands Wind Europe entstanden im vergangenen Jahr EU-weit neue Windkraftanlagen mit einer Leistung von 17.000 MW. Das ist mehr als je zuvor in einem Jahr. Allerdings liegen sie noch deutlich unter den jährlich 30.000 MW, die die EU zubauen muss, um ihre neuen Klima- und Energiesicherheitsziele für 2030 zu erreichen, schränkt der Verband ein. Immerhin stammt ein Fünftel des Stroms in der EU damit aus Windkraft. Der Weg zur klimaneutralen Stromsouveränität ist also abgesteckt, nun muss er Schritt für Schritt bewältigt werden.

Freitag, 9.02.2024, 08:50 Uhr
Susanne Harmsen
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Deutschlands Strom wird europäisch
Erstmals seit 17 Jahren importierte Deutschland 2023 mehr Strom, als es exportierte. Einige befürchten Engpässe, andere erhoffen sich sinkende Preise durch den Stromaustausch.
Über das vergangene Jahr hinweg verkaufte Deutschland rund 58 Milliarden kWh heimisch erzeugten Strom ins Ausland und importierte 69 Milliarden kWh. Damit wurden wir zum ersten Mal seit 2002 wieder zum Nettoimporteur von Strom. Stimmen aus dem konservativen Lager von CDU und CSU sowie von der AfD sehen darin eine Gefahr für die deutsche „Energiesouveränität“.

Lindsey Walter, Mitbegründerin der Initiative Carbon-Free Europe, sagte, Deutschland habe seinen Strombedarf und die Dekarbonisierung aufgrund von Kapazitätsengpässen im eigenen Land weitgehend an seine Nachbarländer ausgelagert. „Dadurch wird das Land in einer Zeit zunehmend globaler Instabilität viel abhängiger von Energieimporten“, warnte sie.

Betrachtet man die Quellen des importierten Stroms, so stammt er zu 49 Prozent aus erneuerbaren Energien, vor allem Wasserkraft aus Norwegen und der Schweiz oder Windkraft aus Dänemark. Hinzu kommen 24 Prozent aus zumeist französischen Kernkraftwerken. Nur ein Drittel stammte aus fossilen Quellen, die Treibhausgase verursachen. Hätte Deutschland den Strom selbst produziert, wären vor allem Braun- und Steinkohlekraftwerke zum Einsatz gekommen. Die Importe ermöglichten also zum Teil eine enorme Senkung der CO2-Emissionen in der deutschen Stromproduktion um 46 Millionen Tonnen 2023. Außerdem wurden auch hierzulande aus erneuerbaren Anlagen 5 Prozent mehr Strom als 2022 gewonnen.

In der Summe über das Jahr ist Deutschland zu etwa 10 Prozent von europäischen Stromexporten abhängig, berechnete das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Abgesehen vom Klimaschutz lohnen sich die Stromimporte auch finanziell. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Diversifizierung der deutschen Energieversorgung haben die Stromgroßhandelspreise wieder auf das Niveau des Sommers 2021 gesenkt“, hieß es aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) Anfang des Jahres.

Die Entscheidung, woher Deutschland in jeder Minute seinen Strom bezieht, fällt längst am EU-Strommarkt. Die Gestehungskosten deutscher Kohlekraftwerke liegen um 3 bis 4 Prozent über denen der Importe − auch wegen der CO2-Bepreisung. Philipp Eggert, Teamleiter Analyse der Trianel GmbH, erläutert, „dass grenzüberschreitender Stromhandel zu sinkenden Preisen und zu einer höheren Integration der erneuerbaren Energien in die Märkte führt“. Denn damit könnten Ungleichgewichte zwischen Erzeugung und Verbrauch effektiver ausgeglichen werden.

Er illustrierte dies gegenüber E&M am Beispiel der zweiten Kalenderwoche 2024. In Deutschland war es kalt bei wenig Windstromerzeugung, was für eine hohe Nachfrage nach Residuallast sorgte. In Frankreich hingegen waren die Witterungsbedingungen deutlich milder und der Bedarf nach Heizstrom entsprechend geringer. Frankreich war somit in der Lage, viel Strom exportieren zu können. „Ohne eine entsprechende Koppelung der Märkte wäre das nicht möglich gewesen“, sagt Eggert. Der grenzüberschreitende Handel hatte in diesem Fall einen preisdämpfenden Effekt auf den deutschen Markt durch einen Durchschnittspreis aus beiden Märkten. „Wären alle Märkte Europas in ausreichendem Umfang miteinander gekoppelt, entstünde sogar ein einheitlicher europäischer Preis“, so der Trianel-Experte.

Was für den internationalen Stromhandel und die Vermeidung von Preisspitzen aber noch fehlt, sind die Netzkapazitäten für den Transport des Stroms. Voraussetzung für den Import der fast 6 Milliarden kWh Wasser- und Windstrom aus Norwegen im vergangenen Jahr war die Fertigstellung des Nordlink-Kabels. Es verbindet seit 2021 mit einer Kapazität von 1400 MW unsere Länder. Das Bundeswirtschaftsministerium verweist zudem auf Alegro, das uns mit Belgien koppelt, und die Westküstenleitung nach Dänemark.

Nordlink kostete rund 2 Milliarden Euro

Dafür sind hohe Investitionen nötig. Der genannte Nordlink kostete rund 2 Milliarden Euro. Innerhalb Deutschlands rechnet die Denkfabrik Agora Energiewende für die Vorhaben im Netzentwicklungsplan Strom bis 2045 mit etwa 310 Milliarden Euro. Darin sind laut Bundesnetzagentur auch neue Erweiterungen zu den Nachbarn enthalten. Der Netzausbau müsse allerdings schneller werden, sagt Agora-Deutschland-Direktor Simon Müller: „Im ersten Halbjahr 2023 wurden nur 127 Kilometer Stromleitungen in Betrieb genommen.“ Im selben Zeitraum wurden Genehmigungsverfahren für Vorhaben mit einer Gesamtlänge von 1.950 Kilometern gestartet, gegenüber lediglich 114 Kilometern im Halbjahr zuvor, lobt er zugleich.
Auch europaweit werden die Netze weiter ausgebaut. Der Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (Entsoe) plant in einem Zehnjahresrahmen.

Darin enthalten ist ein Plan für Netzerweiterungen bis 2030, die aus Sicht der Netzbetreiber ökonomisch vorteilhaft sind. Der Vorschlag umfasst etwas mehr als 10.000 MW an zusätzlichen Grenzkuppelleitungen Deutschlands zu seinen Nachbarländern, 64.000 MW in Europa insgesamt. Ein Fokus hierzulande liegt dabei auf der stärkeren Anbindung von Österreich, der Schweiz sowie Frankreichs.

Der europäische Stromhandel ermögliche ein effizientes Bewältigen ungleichmäßiger, wetterbedingter Erzeugungs- und Nachfragespitzen in Europa. „So wird insgesamt weniger Erzeugungskapazität zur Deckung des Strombedarfs benötigt“, hofft Müller. Wandere zum Beispiel ein typisches Tiefdruckgebiet von Westen über Europa, entstünden Windspitzen erst in Frankreich, später in Deutschland. Es mache also Sinn, den Nachbarn am zeitlich versetzten hohen Stromertrag teilhaben zu lassen.

„Der gemeinsame Handel stärkt die Versorgungssicherheit, reduziert den Einsatz fossiler Kraftwerke und senkt damit die Kosten und Emissionen der europäischen Stromerzeugung“, resümiert Müller. Die europäische Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Acer) schätzt die Wohlfahrtsgewinne durch den grenzüberschreitenden Stromhandel in der EU allein für 2021 auf rund 34 Milliarden Euro.

Auch die Nachbarn haben große Pläne für den Ausbau erneuerbarer Energien. Nach Angaben des Branchenverbands Wind Europe entstanden im vergangenen Jahr EU-weit neue Windkraftanlagen mit einer Leistung von 17.000 MW. Das ist mehr als je zuvor in einem Jahr. Allerdings liegen sie noch deutlich unter den jährlich 30.000 MW, die die EU zubauen muss, um ihre neuen Klima- und Energiesicherheitsziele für 2030 zu erreichen, schränkt der Verband ein. Immerhin stammt ein Fünftel des Stroms in der EU damit aus Windkraft. Der Weg zur klimaneutralen Stromsouveränität ist also abgesteckt, nun muss er Schritt für Schritt bewältigt werden.

Freitag, 9.02.2024, 08:50 Uhr
Susanne Harmsen

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