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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Managen statt abschalten
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

Managen statt abschalten

Über intelligente Netze wird schon lange diskutiert. Um bei der Energiewende nicht ins Stocken zu geraten, müssen sie rasch realisiert werden. Im Südwesten weist eine Roadmap den Weg.
Alles muss schneller gehen. Dieser Gedanke treibt nicht nur Florian Stegmann (Bündnis 90/Die Grünen), den Chef der baden-württembergischen Staatskanzlei, um, der im Rahmen der Fachmesse Volta-X in Stuttgart die „Länd-Geschwindigkeit“ − das Bundesland will sich mit der Dachmarkenkampagne „The Länd“ profilieren − bei der Umsetzung der Energiewende beschwor. Auch Heiko Lünser sieht allen Grund dafür, Verfahren und Prozesse deutlich zu beschleunigen. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, reicht nach Überzeugung des Ministerialrats ein Blick in den aktuellen Netzentwicklungsplan der deutschen Übertragungsnetzbetreiber.

Das Zieljahr für die bundesweite Klimaneutralität scheint mit 2045 noch weit weg zu sein und das um fünf Jahre ehrgeizigere Ziel der baden-württembergischen Landesregierung dürfte genauso wenig die Vorstellung hektischer Betriebsamkeit hervorrufen. Doch die Netzbetreiber-Szenarien lassen nach Ansicht des Leiters des Referats Netze und Speicher im baden-württembergischen Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft nur einen Schluss zu: „Wir müssen schneller vorankommen.“ Die Stromnetze müssen darauf vorbereitet sein, die Energie für einen gegenüber heute verdoppelten Strombedarf zu transportieren und zu verteilen, eine um das Fünffache höhere installierte Leistung der Erneuerbaren zu integrieren und die zunehmende Volatilität von Einspeisern und Verbrauchern auszubalancieren.

Was für diese Mammutaufgabe notwendig ist, bringt Lünser auf den Punkt: „Wir brauchen eine Gelingenshaltung.“ Die Taskforce zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien und die kürzlich geschlossene Branchenvereinbarung zur Netzintegration der Ladeinfrastruktur sollen davon zeugen, wie sehr allen Stakeholdern im Ländle am Gelingen der Energie- und Verkehrswende gelegen ist.
 
Zielmarke: 15 Millionen E-Autos
 
Wie smart das Netz sein muss, um die Herausforderungen zu meistern, die gerade mit der Integration der Elektromobilität einhergehen, kann man erahnen, wenn man die verschiedenen Parameter ihres Hochlaufs betrachtet. Dieser Hochlauf muss rasch erfolgen beziehungsweise erheblich beschleunigt werden, sollen die politisch vorgegebenen Klimaziele im Verkehrssektor auch tatsächlich erreicht werden.

Anfang 2023 waren etwa 1 Million batterieelektrische Fahrzeuge in Deutschland zugelassen, hinzu kamen noch rund 860.000 Plug-in-Hybride. Bis 2030 sollen mindestens 15 Millionen Elektroautos hierzulande fahren, wie die Bundesregierung nach dem sogenannten Mobilitätsgipfel im Januar bekräftigte. „Dieses Ziel sehen wir als gesetzt an“, sagte Markus Wunsch im Rahmen der Smart-Grid-Gespräche bei der Volta-X. Die Frage sei nur, mit welcher Dynamik dieser Wert erreicht wird, so der Leiter Netzintegration der E-Mobilität bei Netze BW.

Einen ersten Eindruck, was auf die Verteilnetzbetreiber zukommen kann, bekamen er und seine Kollegen im Jahr 2021. Damals wuchs die Zahl der monatlichen Anmeldungen von Ladeinfrastruktur exponentiell und erreichte im Dezember fast den Wert 3.000. Die anstehende Änderung des Förderregimes hat nach Wunschs Einschätzung da wohl eine Rolle gespielt. Die Situation habe sich zwar beruhigt. Doch im Hinblick auf die Zielmarke von 15 Millionen Fahrzeugen 2030 müsse man wieder auf einen „heftigen Anstieg“ gefasst sein. „Wir wollen handlungsfähig bleiben und die Versorgungssicherheit gewährleisten“, stellte Wunsch klar und verwies auf vier Ziele, die er und seine Kollegen als zentrale Grundlagen eines Smart Grids berücksichtigen müssen. „Wenn wir diese umsetzen, klappt es auch mit der E-Mobilität“, ist er sich sicher.

Zunächst einmal − aus Kundensicht ein ganz wesentlicher Treiber − müsse das Netzanschlussverfahren smart, einfach und mit maximaler Geschwindigkeit erfolgen. Darüber hinaus müsse Transparenz bis in den letzten Niederspannungsstrang gewährleistet sein. Steuerungstechnik sei notwendig, um das bestehende Netz stabil zu halten. Schließlich sei ein vorausschauender und bedarfsgerechter Netzausbau erforderlich.
 
Niederspannung keine Blackbox mehr
 
Bedarfsgerecht ist das Schlüsselwort, das in vielen Diskussionen um den Netzausbau hervorsticht. Jahrzehntelang wurden die Verteilnetze auf eine angenommene Maximallast ausgelegt und dann als Blackbox betrieben. Die Digitalisierung kann Licht in das Dunkel bringen und den Netzausbaubedarf verringern. Zumindest kann sie den Netzbetreibern für die künftigen Herausforderungen eine Planungsgrundlage liefern. Ohnehin ist der Netzausbau im Vergleich zur Digitalisierung eine teure Lösung − und ein langwieriges Unterfangen obendrein.

Doch die E-Mobilität soll schnell an Fahrt gewinnen. Dafür muss sie attraktiv sein. Diese Attraktivität hängt maßgeblich vom Ladeerlebnis ab. „Laden wie Tanken“ war das Credo von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bei der Vorstellung des Masterplans Ladeinfrastruktur im Sommer 2022, der 1 Million öffentlich zugängliche Ladepunkte bis 2030 vorsieht. Ungewiss ist allerdings, wie die tatsächliche Rollenverteilung zwischen öffentlichem und privatem Laden in acht, zehn oder 20 Jahren aussehen wird.

Beim öffentlichen Laden, das beispielsweise an Autobahnraststätten mit Ultraschnellladern stattfindet, sieht Wunsch weniger ein „Leistungsproblem“, da die Anlagen und die Netzanschlüsse ganz anderen Anforderungen unterliegen als ein Hausanschluss. Die Herausforderung sei eher die Geschwindigkeit des Ausbaus der Infrastruktur. Anders sieht es bei der Wallbox am Eigenheim aus. Leistungen von 11 oder sogar 22 kW waren bei der Dimensionierung der Niederspannungsnetze in der Vergangenheit kein Thema. Diese könnten für die einzelnen Stränge durchaus zum Problem werden.

Derzeit gehen zahlreiche Studien noch davon aus, dass der überwiegende Teil der Ladevorgänge im privaten Umfeld stattfinden wird. Auch Markus Wunsch und seine Kollegen bei Netze BW sind dieser Auffassung und stellen sich auf künftige Lasten in der Niederspannung ein, für die das Netz bisher nicht ausgelegt ist.

Deshalb seien intelligente Netzoptimierung und netzdienliches Lademanagement von großer Bedeutung. Denn nur mit solchen Maßnahmen könne die Aufnahmekapazität des bestehenden Netzes mit einem schnellen Hochlaufen der E-Mobilität und dem Ausbau der Ladeinfrastruktur mithalten. Flexibilität sei aber nicht gleich Flexibilität, auch wenn alle ihre Formen die Energie- und Verkehrswende grundsätzlich unterstützen. Bestimmte Anreize zur Flexibilisierung können den Netzbetreibern durchaus auch Kopfzerbrechen bereiten.

So könnten das durch variable Tarife incentivierte Laden sowie das systemdienliche Laden durchaus zu herausfordernden Situationen im Verteilnetz führen. Marktliche Anreize erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass eine große Zahl von Ladevorgängen gleichzeitige stattfindet und damit das Netz stark belastet. Und auch die Vehicle-to-Grid-Szenarien, bei denen die Fahrzeuge zu Einspeisern werden und ihr Strom in einer Regelzone für Systemdienstleistungen genutzt wird, können den Verteilnetzbetreibern Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Denn auch wenn Aggregatoren die Flexibilität von E-Auto-Pools den Übertragungsnetzbetreibern zur Verfügung stellen, muss der Strom zunächst einmal vom Verteilnetz aufgenommen werden.

Dagegen stehen beim netzdienlichen Laden die Belange des Verteilnetzbetreibers im Fokus. Hier geht es darum, Ladevorgänge gegebenenfalls zeitlich zu verschieben oder die Ladeleistung zu verringern − und damit die Ladezeit zu verlängern, sofern die Gefahr von Netzengpässen besteht. „Wir schalten niemals Ladevorgänge ab“, betonte Wunsch. Lediglich ein statisches Steuern, also eine Reduktion der Ladeleistung in definierten Hochlastzeitfenstern oder ein dynamisches Lastmanagement mit einer Echtzeitanpassung der Ladeleistung je nach Bedarf in bestimmten Strängen stünden zur Debatte.

Der Netze-BW-Manager rechnete vor, dass mit einem netzdienlichen Lademanagement im Gegensatz zum natürlichen ungesteuerten Ladeverhalten die Aufnahmekapazität des bestehenden Netzes verdoppelt werden könne. Statt 20 könnten dann bis zu 40 Fahrzeuge pro Niederspannungsabgang versorgt werden. Deshalb betonte er: „Das schaffen wir, wenn wir nicht auf den Netzausbau warten, sondern Intelligenz ins Netz bringen.“ In verschiedenen Pilotprojekten, bei Netze BW heißen sie „Netzlabore“, haben er und seine Kollegen das netzdienliche Lademanagement getestet. In ihrer Souveränität eingeschränkt hätten sich die Kunden dabei nicht gefühlt.

Vom netzdienlichen Lademanagement zu unterscheiden ist das netzverträgliche Laden. Dessen Herzstück ist in der Regel ein Energiemanagementsystem, das hinter dem Netzanschlusspunkt eines Hauses dafür sorgt, dass dieser optimal aus-, aber nicht überlastet wird. Geladen wird dann beispielsweise unter der Prämisse der Eigenverbrauchsoptimierung, wenn Strom aus der eigenen Photovoltaikanlage den Speicher im Keller aufgeladen hat. Genauso ist die Vehicle-to-Home-Variante denkbar, bei der Strom aus dem Fahrzeug das Haus versorgt. Wie auch immer hinter dem Hausanschluss optimiert wird, die Netzbetreiber sehen es gelassen.
 
Verdopplung der Aufnahmekapazität
 
Damit es letztlich nicht nur mit der E-Mobilität klappt, sondern die steigende Zahl anderer volatiler Verbraucher und erneuerbarer Einspeiser ebenfalls ein gut präpariertes Netz vorfindet, haben die Mitglieder des Netzwerks „SmartGridsBW“ in einer Roadmap vier Handlungsfelder beschrieben, die dem netzdienlichen Einsatz von Flexibilitäten den Weg ebnen sollen.

Das erste Handlungsfeld ist mit „Netz und Markt verbünden“ überschrieben. Das zweite steht unter der Maxime „Sektorkopplung konsequent denken“. Das dritte Handlungsfeld fokussiert auf die Forschung und den Austausch zwischen Wissenschaft und Industrie. Die wesentliche Forderung der Autoren steht gleich in der Überschrift des Kapitels: „Reallabore in den wirtschaftlichen Dauerbetrieb überführen“. Eine Klärung der Voraussetzungen für den Weiterbetrieb bereits bei Projektstart wäre dabei von großem Wert. Im vierten Handlungsfeld geht es schließlich um die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger, um die Energiewende auf eine breite Basis zu stellen und so die Akzeptanz für Ziele und Maßnahmen zu sichern.

Mehrfach mahnen die Verfasser der Roadmap zu integriertem Denken, vor allem zu einer sektorübergreifenden Betrachtung. Diese müsse auch in einer funktionalen Regulierung zum Tragen kommen und schon als Leitplanke in der Planungsphase von Projekten dienen. Schließlich, so der Appell der an der Roadmap-Erstellung Beteiligten, liege es an der Politik, die Rolle des „Enablers“ einzunehmen, um den Dialog zwischen Energiewirtschaft, Industrie und Forschung zu fördern. 

 
Quelle: Netze BW
 

An einem Strang

Der Verband für Energie- und Wasserwirtschaft Baden-Württemberg, die Landesgruppe des Verbands der kommunalen Unternehmen, die EnBW AG, deren regionale Tochtergesellschaft Netze BW sowie das baden-württembergische Umwelt- und Energieministerium haben Ende März eine Branchenvereinbarung zur „Netzintegration von Ladeinfrastruktur in Baden-Württemberg“ geschlossen.
Wichtig war den Partnern zunächst einmal, dass sich Netzbetreiber, Ladeinfrastrukturbetreiber sowie die politischen Entscheidungsträger auf die Ziele, die Aufgaben und die Rollenverteilung beim Auf- und Ausbau der Ladeinfrastruktur verständigen.
Erklärtes Ziel ist es, den Hochlauf der Elektromobilität und den Ausbau der Ladeinfrastruktur weiter zu beschleunigen. Verzögerungen sollen vermieden und Hürden abgebaut werden. Der Informationsaustausch zwischen Automobilherstellern und Energieversorgern bildet die Basis, um frühzeitig eine Einschätzung zu den zu erwartenden Leistungsanforderungen an das Stromnetz treffen und eine realitätsnahe Bedarfsanalyse erstellen zu können. Ausdrücklich wollen sich die Unterzeichner der Vereinbarungen dafür einsetzen, das Netzanschlussverfahren zu verschlanken, zu standardisieren und zu digitalisieren.
Die Netzbetreiber bekennen sich zur Notwendigkeit einer beschleunigten Netzintegration der Ladeinfrastruktur, heißt es in dem zwölfseitigen Dokument. Gleichzeitig begrüßen sie die vom Gesetzgeber geschaffene Ermächtigungsgrundlage zum §14a EnWG für eine Festlegung der Bundesnetzagentur zum netzdienlichen Lademanagement. Durch den Einsatz von Flexibilitäten in der Niederspannung könnten schnell sehr viele Elektrofahrzeuge aus dem bestehenden Netz versorgt werden. Dafür müssten aber bundeseinheitliche Regelungen getroffen werden, so die Partner.
Während die Ladeinfrastrukturbetreiber im gesamten Genehmigungsprozess eine maximale Transparenz gegenüber den Netzbetreibern zusichern, hat das Umwelt- und Energieministerium angekündigt, die Landesagentur „e-mobil BW“ werde einen Anforderungskatalog für Ladeinfrastrukturbetreiber definieren als konkrete Hilfestellung für die beschleunigte Netzintegration der Ladeinfrastruktur.
 
 

Auf dem Weg zu mehr Flexibilität

Bereits 2013 hatte die Smart-Grids-Plattform Baden-Württemberg eine Roadmap veröffentlicht. Die Erfahrungen aus den Projekten der vergangenen zehn Jahre sind nun in die Version 2.0 eingeflossen und weisen über das Bundesland hinaus. Denn die angesprochenen Themen stehen „weitgehend exemplarisch für die Herausforderungen bei der Gestaltung intelligenter Energienetze in ganz Deutschland“, heißt es in der Einführung.
Vier Kapitel umfasst die „Smart Grids-Roadmap Baden-Württemberg 2.0“. Sie ist das Resultat eines 13-monatigen Stakeholder-Dialogprozesses mit mehr als 140 teilnehmenden Personen und Institutionen, die sich in sechs Workshops über die einzelnen Handlungsfelder ausgetauscht haben. Am Ende des 52-seitigen Papiers werden sie alle namentlich genannt.
Die Roadmap zeigt auf, wo Herausforderungen für die Umsetzung von intelligenten Netzen liegen, formuliert Ziele und ordnet ihnen bestimmte Maßnahmen zu. Sie soll sich zwar in die weiteren Energiewende-Aktivitäten des Landes Baden-Württemberg einfügen, gleichzeitig verstehen die Verfasser sie aber auch als „Handreichung“ für die Landesregierung, um sich in die bundespolitische Debatte um den Umbau des Energiesystems einzubringen.
Einen relativ breiten Raum nehmen die beiden Handlungsfelder „Netz und Markt verbünden“ sowie „Sektorkopplung konsequent denken“ ein. Die verschiedenen Aspekte der Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch im Stromsystem ziehen sich als roter Faden durch die Kapitel. Dabei wird deutlich, dass die Transparenz im Verteilnetz eines der entscheidenden, wenn nicht sogar das entscheidende Ziel ist. Die bisher auf eine angenommene Maximallast ausgelegten Netze müssen ihren Blackbox-Charakter verlieren.
Dass auf dem Weg zu einem intelligenten Netz auch verschiedene Herausforderungen lauern und durchaus Hindernisse aus dem Weg zu räumen sind, machen die Verfasser von Smart Grids BW gleich am Anfang deutlich, und nicht, wie in vielen Studien üblich, erst im Schlusskapitel. Sie thematisieren unter anderem den Fachkräftemangel, den Mangel an Bauteilen für IT-Komponenten, die regulatorischen Hürden und die begrenzte Verfügbarkeit finanzieller Mittel. Doch ganz an die Spitze der limitierenden Faktoren stellen sie die nach ihrer Überzeugung kritischste aller Ressourcen: die Zeit.
 

 

Donnerstag, 25.05.2023, 09:30 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Managen statt abschalten
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
Managen statt abschalten
Über intelligente Netze wird schon lange diskutiert. Um bei der Energiewende nicht ins Stocken zu geraten, müssen sie rasch realisiert werden. Im Südwesten weist eine Roadmap den Weg.
Alles muss schneller gehen. Dieser Gedanke treibt nicht nur Florian Stegmann (Bündnis 90/Die Grünen), den Chef der baden-württembergischen Staatskanzlei, um, der im Rahmen der Fachmesse Volta-X in Stuttgart die „Länd-Geschwindigkeit“ − das Bundesland will sich mit der Dachmarkenkampagne „The Länd“ profilieren − bei der Umsetzung der Energiewende beschwor. Auch Heiko Lünser sieht allen Grund dafür, Verfahren und Prozesse deutlich zu beschleunigen. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, reicht nach Überzeugung des Ministerialrats ein Blick in den aktuellen Netzentwicklungsplan der deutschen Übertragungsnetzbetreiber.

Das Zieljahr für die bundesweite Klimaneutralität scheint mit 2045 noch weit weg zu sein und das um fünf Jahre ehrgeizigere Ziel der baden-württembergischen Landesregierung dürfte genauso wenig die Vorstellung hektischer Betriebsamkeit hervorrufen. Doch die Netzbetreiber-Szenarien lassen nach Ansicht des Leiters des Referats Netze und Speicher im baden-württembergischen Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft nur einen Schluss zu: „Wir müssen schneller vorankommen.“ Die Stromnetze müssen darauf vorbereitet sein, die Energie für einen gegenüber heute verdoppelten Strombedarf zu transportieren und zu verteilen, eine um das Fünffache höhere installierte Leistung der Erneuerbaren zu integrieren und die zunehmende Volatilität von Einspeisern und Verbrauchern auszubalancieren.

Was für diese Mammutaufgabe notwendig ist, bringt Lünser auf den Punkt: „Wir brauchen eine Gelingenshaltung.“ Die Taskforce zur Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien und die kürzlich geschlossene Branchenvereinbarung zur Netzintegration der Ladeinfrastruktur sollen davon zeugen, wie sehr allen Stakeholdern im Ländle am Gelingen der Energie- und Verkehrswende gelegen ist.
 
Zielmarke: 15 Millionen E-Autos
 
Wie smart das Netz sein muss, um die Herausforderungen zu meistern, die gerade mit der Integration der Elektromobilität einhergehen, kann man erahnen, wenn man die verschiedenen Parameter ihres Hochlaufs betrachtet. Dieser Hochlauf muss rasch erfolgen beziehungsweise erheblich beschleunigt werden, sollen die politisch vorgegebenen Klimaziele im Verkehrssektor auch tatsächlich erreicht werden.

Anfang 2023 waren etwa 1 Million batterieelektrische Fahrzeuge in Deutschland zugelassen, hinzu kamen noch rund 860.000 Plug-in-Hybride. Bis 2030 sollen mindestens 15 Millionen Elektroautos hierzulande fahren, wie die Bundesregierung nach dem sogenannten Mobilitätsgipfel im Januar bekräftigte. „Dieses Ziel sehen wir als gesetzt an“, sagte Markus Wunsch im Rahmen der Smart-Grid-Gespräche bei der Volta-X. Die Frage sei nur, mit welcher Dynamik dieser Wert erreicht wird, so der Leiter Netzintegration der E-Mobilität bei Netze BW.

Einen ersten Eindruck, was auf die Verteilnetzbetreiber zukommen kann, bekamen er und seine Kollegen im Jahr 2021. Damals wuchs die Zahl der monatlichen Anmeldungen von Ladeinfrastruktur exponentiell und erreichte im Dezember fast den Wert 3.000. Die anstehende Änderung des Förderregimes hat nach Wunschs Einschätzung da wohl eine Rolle gespielt. Die Situation habe sich zwar beruhigt. Doch im Hinblick auf die Zielmarke von 15 Millionen Fahrzeugen 2030 müsse man wieder auf einen „heftigen Anstieg“ gefasst sein. „Wir wollen handlungsfähig bleiben und die Versorgungssicherheit gewährleisten“, stellte Wunsch klar und verwies auf vier Ziele, die er und seine Kollegen als zentrale Grundlagen eines Smart Grids berücksichtigen müssen. „Wenn wir diese umsetzen, klappt es auch mit der E-Mobilität“, ist er sich sicher.

Zunächst einmal − aus Kundensicht ein ganz wesentlicher Treiber − müsse das Netzanschlussverfahren smart, einfach und mit maximaler Geschwindigkeit erfolgen. Darüber hinaus müsse Transparenz bis in den letzten Niederspannungsstrang gewährleistet sein. Steuerungstechnik sei notwendig, um das bestehende Netz stabil zu halten. Schließlich sei ein vorausschauender und bedarfsgerechter Netzausbau erforderlich.
 
Niederspannung keine Blackbox mehr
 
Bedarfsgerecht ist das Schlüsselwort, das in vielen Diskussionen um den Netzausbau hervorsticht. Jahrzehntelang wurden die Verteilnetze auf eine angenommene Maximallast ausgelegt und dann als Blackbox betrieben. Die Digitalisierung kann Licht in das Dunkel bringen und den Netzausbaubedarf verringern. Zumindest kann sie den Netzbetreibern für die künftigen Herausforderungen eine Planungsgrundlage liefern. Ohnehin ist der Netzausbau im Vergleich zur Digitalisierung eine teure Lösung − und ein langwieriges Unterfangen obendrein.

Doch die E-Mobilität soll schnell an Fahrt gewinnen. Dafür muss sie attraktiv sein. Diese Attraktivität hängt maßgeblich vom Ladeerlebnis ab. „Laden wie Tanken“ war das Credo von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bei der Vorstellung des Masterplans Ladeinfrastruktur im Sommer 2022, der 1 Million öffentlich zugängliche Ladepunkte bis 2030 vorsieht. Ungewiss ist allerdings, wie die tatsächliche Rollenverteilung zwischen öffentlichem und privatem Laden in acht, zehn oder 20 Jahren aussehen wird.

Beim öffentlichen Laden, das beispielsweise an Autobahnraststätten mit Ultraschnellladern stattfindet, sieht Wunsch weniger ein „Leistungsproblem“, da die Anlagen und die Netzanschlüsse ganz anderen Anforderungen unterliegen als ein Hausanschluss. Die Herausforderung sei eher die Geschwindigkeit des Ausbaus der Infrastruktur. Anders sieht es bei der Wallbox am Eigenheim aus. Leistungen von 11 oder sogar 22 kW waren bei der Dimensionierung der Niederspannungsnetze in der Vergangenheit kein Thema. Diese könnten für die einzelnen Stränge durchaus zum Problem werden.

Derzeit gehen zahlreiche Studien noch davon aus, dass der überwiegende Teil der Ladevorgänge im privaten Umfeld stattfinden wird. Auch Markus Wunsch und seine Kollegen bei Netze BW sind dieser Auffassung und stellen sich auf künftige Lasten in der Niederspannung ein, für die das Netz bisher nicht ausgelegt ist.

Deshalb seien intelligente Netzoptimierung und netzdienliches Lademanagement von großer Bedeutung. Denn nur mit solchen Maßnahmen könne die Aufnahmekapazität des bestehenden Netzes mit einem schnellen Hochlaufen der E-Mobilität und dem Ausbau der Ladeinfrastruktur mithalten. Flexibilität sei aber nicht gleich Flexibilität, auch wenn alle ihre Formen die Energie- und Verkehrswende grundsätzlich unterstützen. Bestimmte Anreize zur Flexibilisierung können den Netzbetreibern durchaus auch Kopfzerbrechen bereiten.

So könnten das durch variable Tarife incentivierte Laden sowie das systemdienliche Laden durchaus zu herausfordernden Situationen im Verteilnetz führen. Marktliche Anreize erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass eine große Zahl von Ladevorgängen gleichzeitige stattfindet und damit das Netz stark belastet. Und auch die Vehicle-to-Grid-Szenarien, bei denen die Fahrzeuge zu Einspeisern werden und ihr Strom in einer Regelzone für Systemdienstleistungen genutzt wird, können den Verteilnetzbetreibern Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Denn auch wenn Aggregatoren die Flexibilität von E-Auto-Pools den Übertragungsnetzbetreibern zur Verfügung stellen, muss der Strom zunächst einmal vom Verteilnetz aufgenommen werden.

Dagegen stehen beim netzdienlichen Laden die Belange des Verteilnetzbetreibers im Fokus. Hier geht es darum, Ladevorgänge gegebenenfalls zeitlich zu verschieben oder die Ladeleistung zu verringern − und damit die Ladezeit zu verlängern, sofern die Gefahr von Netzengpässen besteht. „Wir schalten niemals Ladevorgänge ab“, betonte Wunsch. Lediglich ein statisches Steuern, also eine Reduktion der Ladeleistung in definierten Hochlastzeitfenstern oder ein dynamisches Lastmanagement mit einer Echtzeitanpassung der Ladeleistung je nach Bedarf in bestimmten Strängen stünden zur Debatte.

Der Netze-BW-Manager rechnete vor, dass mit einem netzdienlichen Lademanagement im Gegensatz zum natürlichen ungesteuerten Ladeverhalten die Aufnahmekapazität des bestehenden Netzes verdoppelt werden könne. Statt 20 könnten dann bis zu 40 Fahrzeuge pro Niederspannungsabgang versorgt werden. Deshalb betonte er: „Das schaffen wir, wenn wir nicht auf den Netzausbau warten, sondern Intelligenz ins Netz bringen.“ In verschiedenen Pilotprojekten, bei Netze BW heißen sie „Netzlabore“, haben er und seine Kollegen das netzdienliche Lademanagement getestet. In ihrer Souveränität eingeschränkt hätten sich die Kunden dabei nicht gefühlt.

Vom netzdienlichen Lademanagement zu unterscheiden ist das netzverträgliche Laden. Dessen Herzstück ist in der Regel ein Energiemanagementsystem, das hinter dem Netzanschlusspunkt eines Hauses dafür sorgt, dass dieser optimal aus-, aber nicht überlastet wird. Geladen wird dann beispielsweise unter der Prämisse der Eigenverbrauchsoptimierung, wenn Strom aus der eigenen Photovoltaikanlage den Speicher im Keller aufgeladen hat. Genauso ist die Vehicle-to-Home-Variante denkbar, bei der Strom aus dem Fahrzeug das Haus versorgt. Wie auch immer hinter dem Hausanschluss optimiert wird, die Netzbetreiber sehen es gelassen.
 
Verdopplung der Aufnahmekapazität
 
Damit es letztlich nicht nur mit der E-Mobilität klappt, sondern die steigende Zahl anderer volatiler Verbraucher und erneuerbarer Einspeiser ebenfalls ein gut präpariertes Netz vorfindet, haben die Mitglieder des Netzwerks „SmartGridsBW“ in einer Roadmap vier Handlungsfelder beschrieben, die dem netzdienlichen Einsatz von Flexibilitäten den Weg ebnen sollen.

Das erste Handlungsfeld ist mit „Netz und Markt verbünden“ überschrieben. Das zweite steht unter der Maxime „Sektorkopplung konsequent denken“. Das dritte Handlungsfeld fokussiert auf die Forschung und den Austausch zwischen Wissenschaft und Industrie. Die wesentliche Forderung der Autoren steht gleich in der Überschrift des Kapitels: „Reallabore in den wirtschaftlichen Dauerbetrieb überführen“. Eine Klärung der Voraussetzungen für den Weiterbetrieb bereits bei Projektstart wäre dabei von großem Wert. Im vierten Handlungsfeld geht es schließlich um die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger, um die Energiewende auf eine breite Basis zu stellen und so die Akzeptanz für Ziele und Maßnahmen zu sichern.

Mehrfach mahnen die Verfasser der Roadmap zu integriertem Denken, vor allem zu einer sektorübergreifenden Betrachtung. Diese müsse auch in einer funktionalen Regulierung zum Tragen kommen und schon als Leitplanke in der Planungsphase von Projekten dienen. Schließlich, so der Appell der an der Roadmap-Erstellung Beteiligten, liege es an der Politik, die Rolle des „Enablers“ einzunehmen, um den Dialog zwischen Energiewirtschaft, Industrie und Forschung zu fördern. 

 
Quelle: Netze BW
 

An einem Strang

Der Verband für Energie- und Wasserwirtschaft Baden-Württemberg, die Landesgruppe des Verbands der kommunalen Unternehmen, die EnBW AG, deren regionale Tochtergesellschaft Netze BW sowie das baden-württembergische Umwelt- und Energieministerium haben Ende März eine Branchenvereinbarung zur „Netzintegration von Ladeinfrastruktur in Baden-Württemberg“ geschlossen.
Wichtig war den Partnern zunächst einmal, dass sich Netzbetreiber, Ladeinfrastrukturbetreiber sowie die politischen Entscheidungsträger auf die Ziele, die Aufgaben und die Rollenverteilung beim Auf- und Ausbau der Ladeinfrastruktur verständigen.
Erklärtes Ziel ist es, den Hochlauf der Elektromobilität und den Ausbau der Ladeinfrastruktur weiter zu beschleunigen. Verzögerungen sollen vermieden und Hürden abgebaut werden. Der Informationsaustausch zwischen Automobilherstellern und Energieversorgern bildet die Basis, um frühzeitig eine Einschätzung zu den zu erwartenden Leistungsanforderungen an das Stromnetz treffen und eine realitätsnahe Bedarfsanalyse erstellen zu können. Ausdrücklich wollen sich die Unterzeichner der Vereinbarungen dafür einsetzen, das Netzanschlussverfahren zu verschlanken, zu standardisieren und zu digitalisieren.
Die Netzbetreiber bekennen sich zur Notwendigkeit einer beschleunigten Netzintegration der Ladeinfrastruktur, heißt es in dem zwölfseitigen Dokument. Gleichzeitig begrüßen sie die vom Gesetzgeber geschaffene Ermächtigungsgrundlage zum §14a EnWG für eine Festlegung der Bundesnetzagentur zum netzdienlichen Lademanagement. Durch den Einsatz von Flexibilitäten in der Niederspannung könnten schnell sehr viele Elektrofahrzeuge aus dem bestehenden Netz versorgt werden. Dafür müssten aber bundeseinheitliche Regelungen getroffen werden, so die Partner.
Während die Ladeinfrastrukturbetreiber im gesamten Genehmigungsprozess eine maximale Transparenz gegenüber den Netzbetreibern zusichern, hat das Umwelt- und Energieministerium angekündigt, die Landesagentur „e-mobil BW“ werde einen Anforderungskatalog für Ladeinfrastrukturbetreiber definieren als konkrete Hilfestellung für die beschleunigte Netzintegration der Ladeinfrastruktur.
 
 

Auf dem Weg zu mehr Flexibilität

Bereits 2013 hatte die Smart-Grids-Plattform Baden-Württemberg eine Roadmap veröffentlicht. Die Erfahrungen aus den Projekten der vergangenen zehn Jahre sind nun in die Version 2.0 eingeflossen und weisen über das Bundesland hinaus. Denn die angesprochenen Themen stehen „weitgehend exemplarisch für die Herausforderungen bei der Gestaltung intelligenter Energienetze in ganz Deutschland“, heißt es in der Einführung.
Vier Kapitel umfasst die „Smart Grids-Roadmap Baden-Württemberg 2.0“. Sie ist das Resultat eines 13-monatigen Stakeholder-Dialogprozesses mit mehr als 140 teilnehmenden Personen und Institutionen, die sich in sechs Workshops über die einzelnen Handlungsfelder ausgetauscht haben. Am Ende des 52-seitigen Papiers werden sie alle namentlich genannt.
Die Roadmap zeigt auf, wo Herausforderungen für die Umsetzung von intelligenten Netzen liegen, formuliert Ziele und ordnet ihnen bestimmte Maßnahmen zu. Sie soll sich zwar in die weiteren Energiewende-Aktivitäten des Landes Baden-Württemberg einfügen, gleichzeitig verstehen die Verfasser sie aber auch als „Handreichung“ für die Landesregierung, um sich in die bundespolitische Debatte um den Umbau des Energiesystems einzubringen.
Einen relativ breiten Raum nehmen die beiden Handlungsfelder „Netz und Markt verbünden“ sowie „Sektorkopplung konsequent denken“ ein. Die verschiedenen Aspekte der Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch im Stromsystem ziehen sich als roter Faden durch die Kapitel. Dabei wird deutlich, dass die Transparenz im Verteilnetz eines der entscheidenden, wenn nicht sogar das entscheidende Ziel ist. Die bisher auf eine angenommene Maximallast ausgelegten Netze müssen ihren Blackbox-Charakter verlieren.
Dass auf dem Weg zu einem intelligenten Netz auch verschiedene Herausforderungen lauern und durchaus Hindernisse aus dem Weg zu räumen sind, machen die Verfasser von Smart Grids BW gleich am Anfang deutlich, und nicht, wie in vielen Studien üblich, erst im Schlusskapitel. Sie thematisieren unter anderem den Fachkräftemangel, den Mangel an Bauteilen für IT-Komponenten, die regulatorischen Hürden und die begrenzte Verfügbarkeit finanzieller Mittel. Doch ganz an die Spitze der limitierenden Faktoren stellen sie die nach ihrer Überzeugung kritischste aller Ressourcen: die Zeit.
 

 

Donnerstag, 25.05.2023, 09:30 Uhr
Fritz Wilhelm

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