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Energie & Management > Gasnetz - Schwindender Rückhalt für Gasverband?
Quelle: Fotolia / zozzzzo
Gasnetz

Schwindender Rückhalt für Gasverband?

Die Organisation Lobbycontrol appelliert an Stadtwerke, die Mitgliedschaft beim Gasverband Zukunft Gas zu beenden. Wie sehen kommunale Versorger den Verband?
Susanna Zapreva zog prompt den Schlussstrich. Als sie im Jahr 2016 Vorstandsvorsitzende von Enercity wurde, kündigte sie die Mitgliedschaft des Kommunalversorgers im Verband Zukunft Gas. Sie setzte in Hannover den Ausbau der erneuerbaren Energien oben auf die Agenda. Im Jahr darauf, als sie bekannt gab, dass Enercity das Gasnetz langfristig zurückbauen werde, rief das „Zukunft Gas“ auf den Plan. „Ich bekam sieben Anrufe aus dem Verband, um mich davon zu überzeugen, doch bei Gas zu bleiben“, sagte Zapreva kürzlich dem Recherchezentrum Correctiv. Die promovierte Elektrotechnikerin ließ sich nicht umstimmen.

Ginge es nach Lobbycontrol, sollte kein kommunaler Versorger den Gasverband mehr mittragen. Seit Juli 2021 kritisiert die Organisation den Verband, seit diesem April appelliert die Organisation an Stadtwerke, die Mitgliedschaft zu beenden. „Zukunft Gas bremst mit seiner Lobbyarbeit die Wärmewende aus“, sagt Lobbycontrol-Mitarbeiterin Christina Deckwirth gegenüber unserer Redaktion. Der Verband inszeniere sich als Fürsprecher grüner Gase und tue so, als sei Wasserstoff die Lösung für fast alle Bereiche. Klimaneutraler Wasserstoff stehe in Deutschland noch kaum zur Verfügung, mehr als 99 Prozent der weltweiten Produktion stamme aus Erdgas oder anderen fossilen Rohstoffen.

„Zukunft Gas suggeriert“, so Deckwirth, „die Gasinfrastruktur würde benötigt wie bisher, und treibt so Stadtwerke in eine Kostenfalle.“ Sie weist darauf hin, dass „die Gasverteilnetze laut Expertenmeinung perspektivisch weniger genutzt werden“. Die Kosten für Kommunen würden steigen. Dem Verband gehe es darum, „in den kommenden Jahren noch möglichst viel Erdgas zu verkaufen“.

Kritik an Verband „völlig widersinnig“

In Ravensburg im südlichen Oberschwaben (Baden-Württemberg) sieht man das anders. „Da geht es darum, die Gasindustrie schlecht zu machen“, sagt Andreas Thiel-Böhm über das Vorgehen von Lobbycontrol. Der Geschäftsführer der Technischen Werke Schussental nennt die Forderungen „völlig widersinnig“. Ob flüssiger oder gasförmiger Wasserstoff, Biomethan, Ammoniak oder Methanol – „wir brauchen Moleküle aus regenerativer Erzeugung, sonst schaffen wir die Energiewende in Deutschland nicht.“

Das kommunale Energieversorgungsunternehmen unterstützt den Verband Zukunft Gas seit seiner Gründung. Früher sei es um Themen wie die Ablösung von Kohle und Öl durch Erdgas gegangen. „Jetzt macht der Verband Lobbyarbeit für den Umstieg auf erneuerbare Gase – Lobbyarbeit, die dringend nötig ist“, sagt Thiel-Böhm.

Die Behauptung, der Verband wolle die Gasinfrastruktur möglichst lange so wie bisher erhalten, sei „Unsinn“. Thiel-Böhm: „Jedem in der Branche ist doch klar, dass 2045 ein Großteil der Netze nicht mehr in Betrieb sein wird, dann wird es nur noch ein Kernnetz geben.“ Die Warnung von Lobbycontrol, Zukunft Gas treibe kommunale Versorger in eine Kostenfalle, kommentiert der Energiemanager lapidar: „Ich bin herzlich dankbar, wenn sich andere Leute für mich den Kopf zerbrechen.“

Reaktion von Zukunft Gas

Zukunft Gas selbst hält den Kritikern entgegen: Das Ziel, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll, unterstütze man „bedingungslos“. Die Gaswirtschaft entwickle daher die „bisher um Erdgas zentrierten Geschäftsmodelle für eine klimaneutrale Zukunft weiter“, sagt Verbandschef Timm Kehler.

Der Transformationsprozess innerhalb der Branche, aber auch innerhalb des Verbandes habe „auch zu einer gewissen Veränderung innerhalb unserer Mitgliederstruktur geführt“, schildert Kehler. So seien unter anderem einige Stadtwerke ausgetreten, die wegen vergangener Vertriebsaktionen, Mitglied geworden seien und ihr Interesse nun im Verband nicht mehr vertreten gesehen hätten. „Gleichzeitig durften wir aber in den letzten Monaten auch einige neue Mitglieder begrüßen.“ Die Zahl der Mitglieder beziffert der Verband aktuell auf 131, darunter „mehr als 70 Stadtwerke“. Das Finanzvolumen von Zukunft Gas lag 2021 laut Lobbyregister des Deutschen Bundestages bei knapp 4,3 Millionen Euro.

Nachgefragt nach den Gründen für Verbandsaustritt

Nach Zählung von Lobbycontrol sind seit Juli vergangenen Jahres 15 Stadtwerke von der Mitgliederliste verschwunden. So zum Beispiel die Stadtwerke Rastatt, südlich von Karlsruhe. „Unsere seinerzeitige Motivation für die nun ausgelaufene Mitgliedschaft gründete sich schlichtweg auf die Informationsangebote des Verbands“, erklärt Volker Bunte, Abteilungsleiter Vertrieb und Energiebeschaffung bei dem kommunalen Versorger. Die Mitgliedschaft sei bereits Ende 2021 mit Wirkung zum 1. Januar dieses Jahres gekündigt worden, der Austritt stehe „in keinerlei Verbindung“ mit der Kritik von Lobbycontrol.

Die Stadtwerke Elmshorn und Pinneberg (Schleswig-Holstein) schieden 2022 aus dem Verband aus. Sören Schuhknecht, Geschäftsführer in Elmshorn, begründete den Schritt in der Barmstedter Zeitung so: „Eine Zeit lang hat uns die Mitgliedschaft genutzt, insbesondere, als es darum ging, Ölheizungen zu ersetzen“. Infolge des Ukraine-Krieges und der Energiekrise habe man den Energieträger Gas neu bewerten müssen.

Gekündigt haben auch die Stadtwerke in Tornesch (ebenfalls Kreis Pinneberg), deren Kündigung greift zum Jahresende. Geschäftsführer Falk-Wilhelm Schulz verortet den Verband auf einem falschen Weg. Der Lokalzeitung sagte er: „Wir müssen aus dem Gas aussteigen – was soll ich da mit einem Lobbyverband, der für Gas aus erneuerbaren Energien wirbt?“ Wasserstoff-Heizungen, für die sich Zukunft Gas starkmache, seien „der totale Quatsch“ und viel zu teuer.

Montag, 19.06.2023, 11:46 Uhr
Manfred Fischer
Energie & Management > Gasnetz - Schwindender Rückhalt für Gasverband?
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Gasnetz
Schwindender Rückhalt für Gasverband?
Die Organisation Lobbycontrol appelliert an Stadtwerke, die Mitgliedschaft beim Gasverband Zukunft Gas zu beenden. Wie sehen kommunale Versorger den Verband?
Susanna Zapreva zog prompt den Schlussstrich. Als sie im Jahr 2016 Vorstandsvorsitzende von Enercity wurde, kündigte sie die Mitgliedschaft des Kommunalversorgers im Verband Zukunft Gas. Sie setzte in Hannover den Ausbau der erneuerbaren Energien oben auf die Agenda. Im Jahr darauf, als sie bekannt gab, dass Enercity das Gasnetz langfristig zurückbauen werde, rief das „Zukunft Gas“ auf den Plan. „Ich bekam sieben Anrufe aus dem Verband, um mich davon zu überzeugen, doch bei Gas zu bleiben“, sagte Zapreva kürzlich dem Recherchezentrum Correctiv. Die promovierte Elektrotechnikerin ließ sich nicht umstimmen.

Ginge es nach Lobbycontrol, sollte kein kommunaler Versorger den Gasverband mehr mittragen. Seit Juli 2021 kritisiert die Organisation den Verband, seit diesem April appelliert die Organisation an Stadtwerke, die Mitgliedschaft zu beenden. „Zukunft Gas bremst mit seiner Lobbyarbeit die Wärmewende aus“, sagt Lobbycontrol-Mitarbeiterin Christina Deckwirth gegenüber unserer Redaktion. Der Verband inszeniere sich als Fürsprecher grüner Gase und tue so, als sei Wasserstoff die Lösung für fast alle Bereiche. Klimaneutraler Wasserstoff stehe in Deutschland noch kaum zur Verfügung, mehr als 99 Prozent der weltweiten Produktion stamme aus Erdgas oder anderen fossilen Rohstoffen.

„Zukunft Gas suggeriert“, so Deckwirth, „die Gasinfrastruktur würde benötigt wie bisher, und treibt so Stadtwerke in eine Kostenfalle.“ Sie weist darauf hin, dass „die Gasverteilnetze laut Expertenmeinung perspektivisch weniger genutzt werden“. Die Kosten für Kommunen würden steigen. Dem Verband gehe es darum, „in den kommenden Jahren noch möglichst viel Erdgas zu verkaufen“.

Kritik an Verband „völlig widersinnig“

In Ravensburg im südlichen Oberschwaben (Baden-Württemberg) sieht man das anders. „Da geht es darum, die Gasindustrie schlecht zu machen“, sagt Andreas Thiel-Böhm über das Vorgehen von Lobbycontrol. Der Geschäftsführer der Technischen Werke Schussental nennt die Forderungen „völlig widersinnig“. Ob flüssiger oder gasförmiger Wasserstoff, Biomethan, Ammoniak oder Methanol – „wir brauchen Moleküle aus regenerativer Erzeugung, sonst schaffen wir die Energiewende in Deutschland nicht.“

Das kommunale Energieversorgungsunternehmen unterstützt den Verband Zukunft Gas seit seiner Gründung. Früher sei es um Themen wie die Ablösung von Kohle und Öl durch Erdgas gegangen. „Jetzt macht der Verband Lobbyarbeit für den Umstieg auf erneuerbare Gase – Lobbyarbeit, die dringend nötig ist“, sagt Thiel-Böhm.

Die Behauptung, der Verband wolle die Gasinfrastruktur möglichst lange so wie bisher erhalten, sei „Unsinn“. Thiel-Böhm: „Jedem in der Branche ist doch klar, dass 2045 ein Großteil der Netze nicht mehr in Betrieb sein wird, dann wird es nur noch ein Kernnetz geben.“ Die Warnung von Lobbycontrol, Zukunft Gas treibe kommunale Versorger in eine Kostenfalle, kommentiert der Energiemanager lapidar: „Ich bin herzlich dankbar, wenn sich andere Leute für mich den Kopf zerbrechen.“

Reaktion von Zukunft Gas

Zukunft Gas selbst hält den Kritikern entgegen: Das Ziel, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral werden soll, unterstütze man „bedingungslos“. Die Gaswirtschaft entwickle daher die „bisher um Erdgas zentrierten Geschäftsmodelle für eine klimaneutrale Zukunft weiter“, sagt Verbandschef Timm Kehler.

Der Transformationsprozess innerhalb der Branche, aber auch innerhalb des Verbandes habe „auch zu einer gewissen Veränderung innerhalb unserer Mitgliederstruktur geführt“, schildert Kehler. So seien unter anderem einige Stadtwerke ausgetreten, die wegen vergangener Vertriebsaktionen, Mitglied geworden seien und ihr Interesse nun im Verband nicht mehr vertreten gesehen hätten. „Gleichzeitig durften wir aber in den letzten Monaten auch einige neue Mitglieder begrüßen.“ Die Zahl der Mitglieder beziffert der Verband aktuell auf 131, darunter „mehr als 70 Stadtwerke“. Das Finanzvolumen von Zukunft Gas lag 2021 laut Lobbyregister des Deutschen Bundestages bei knapp 4,3 Millionen Euro.

Nachgefragt nach den Gründen für Verbandsaustritt

Nach Zählung von Lobbycontrol sind seit Juli vergangenen Jahres 15 Stadtwerke von der Mitgliederliste verschwunden. So zum Beispiel die Stadtwerke Rastatt, südlich von Karlsruhe. „Unsere seinerzeitige Motivation für die nun ausgelaufene Mitgliedschaft gründete sich schlichtweg auf die Informationsangebote des Verbands“, erklärt Volker Bunte, Abteilungsleiter Vertrieb und Energiebeschaffung bei dem kommunalen Versorger. Die Mitgliedschaft sei bereits Ende 2021 mit Wirkung zum 1. Januar dieses Jahres gekündigt worden, der Austritt stehe „in keinerlei Verbindung“ mit der Kritik von Lobbycontrol.

Die Stadtwerke Elmshorn und Pinneberg (Schleswig-Holstein) schieden 2022 aus dem Verband aus. Sören Schuhknecht, Geschäftsführer in Elmshorn, begründete den Schritt in der Barmstedter Zeitung so: „Eine Zeit lang hat uns die Mitgliedschaft genutzt, insbesondere, als es darum ging, Ölheizungen zu ersetzen“. Infolge des Ukraine-Krieges und der Energiekrise habe man den Energieträger Gas neu bewerten müssen.

Gekündigt haben auch die Stadtwerke in Tornesch (ebenfalls Kreis Pinneberg), deren Kündigung greift zum Jahresende. Geschäftsführer Falk-Wilhelm Schulz verortet den Verband auf einem falschen Weg. Der Lokalzeitung sagte er: „Wir müssen aus dem Gas aussteigen – was soll ich da mit einem Lobbyverband, der für Gas aus erneuerbaren Energien wirbt?“ Wasserstoff-Heizungen, für die sich Zukunft Gas starkmache, seien „der totale Quatsch“ und viel zu teuer.

Montag, 19.06.2023, 11:46 Uhr
Manfred Fischer

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