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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Wilhelmshavens graublaugrüne Zukunft
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

Wilhelmshavens graublaugrüne Zukunft

In Rekordzeit entstand in Wilhelmshaven das erste schwimmende LNG-Terminal Deutschlands. Doch der Import des flüssigen Erdgases ist erst der Anfang. 
Das Salz der Nordsee auf der Zunge, den stürmischen Wind um die Ohren, im Blick den Bug der Esperanza, der ersten FSRU (Floating Storage and Regasification Unit), die an der deutschen Nordküste festgemacht hat. Just daneben hat an diesem Morgen der LNG-Tanker Golar Seal angedockt. Keine zwei Tage wird es dauern, bis er sich weiter auf den Weg machen wird nach Brest, Frankreich. Aber jetzt erst mal pumpt die Golar Seal flüssiges Erdgas auf die Esperanza, das dort regasifiziert und ins deutsche Erdgasnetz eingeleitet wird. Rund drei Dutzend Beschäftigte verschiedener Nationen kümmern sich auf der Esperanza im Schichtbetrieb darum, dass diese Prozesse innerhalb von 20 Stunden abgeschlossen sind. Dann kann der nächste Tanker kommen. Einer pro Woche landet inzwischen in der niedersächsischen Küstenstadt an, wie Journalisten auf einer Pressereise Ende März in Wilhelmshaven erfuhren.

Von Grau … 

Mindestens 5 Milliarden Kubikmeter Erdgas sind es, die pro Jahr von Wilhelmshaven aus ins deutsche Erdgasnetz strömen und damit 6 Prozent des deutschen Gasbedarfs abdecken. Mit den schwimmenden Terminals in Brunsbüttel, Lubmin und Stade sollen zusammen über 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Deutschland kommen − etwa die Hälfte der Menge, die zuvor über die Pipeline Nord Stream 1 aus Russland nach Deutschland importiert worden ist.

Bei der weiteren Versorgung mit Gas plädiert der Verband Zukunft Gas, der die Pressereise organisierte, für Technologieoffenheit und Pragmatismus. Anders als zu Beginn des vergangenen Winters stünde im kommenden kein russisches Pipeline-Gas mehr bereit. Zumindest zu Anfang der Heizperiode 2022/2023 habe das fossile Gas noch mitgeholfen, die deutschen Gasspeicher zu füllen, wie Timm Kehler ausführte. "Wir wissen weiterhin nicht, wie sich der Gasverbrauch und die Temperaturen entwickeln werden", sagte der Vorstand von Zukunft Gas. Daher sei es "klug und richtig", sorgfältig beim Gasverbrauch zu sein und die Offenheit zu haben, "solche Krisen schnell und wirkungsvoll zu meistern", so Kehler mit Verweis auf das im Mai vergangenen Jahres verabschiedete LNG-Beschleunigungsgesetz − kurz LNGG. 
 
Das erste schwimmende LNG-Terminal Deutschlands im Blick:
Journalisten auf einer Pressereise in Wilhelmshaven
Quelle: Zukunft Gas / Bjoern Lubbe

Laut Kehler zeigen die Pläne in Wilhelmshaven deutlich, dass die Energiekrise auch Chancen beinhalte, die in der Stadt an der Waterkant gut genutzt werden. Nicht nur die Perspektive der kurzfristigen Versorgung sei hier sichtbar, auch der Schritt Richtung Wasserstoff sei in Wilhelmshaven vorgezeichnet. Über das LNGG werde zudem der Bau, auch von stationären Anlagen in Brunsbüttel, Stade und in Wilhelmshaven geregelt. Diese müssten jetzt schon H2-ready geplant werden. Laut Gesetz dürften sie nur bis Ende 2043 mit fossilen Energieträgern betrieben werden und müssten danach für den Import von Wasserstoff und seinen Derivaten bereit sein. 

Zustimmung bekommt Kehler von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Wilhelmshaven mbH, die die strategische Entwicklung des Standortes Wilhelmshaven koordiniert. Ihr Geschäftsführer, Alexander Leonhardt, weiß um die nur 60 Kilometer entfernt liegende Gasfernleitung, in die künftig der Wasserstoff eingespeist werden soll. Zum Alleinstellungsmerkmal Wilhelmshavens gehöre zudem, dass die Region 75 Salzkavernen in Betrieb habe, mit einem Ausbaupotenzial auf 99 Kavernen. Speicher, die heute Erdgas und künftig Wasserstoff nahezu verlustfrei vorhalten könnten. "Ein solches Speicherpotenzial bietet kein anderer Standort in Europa", zeigte sich Leonhardt überzeugt. Auch weltweit betrachtet, sei in Wilhelmshaven das Zusammenspiel aus Kavernenspeichern und On- sowie Offshore-Energie einzigartig. Nicht zuletzt habe Deutschlands einziger Tiefwasserhafen selbst bei Niedrigwasser eine Fahrwassertiefe von 18 Metern.

Mit Verweis auf eine Studie der Deutschen Energie-Agentur (Dena) geht Leonhardt davon aus, dass Wilhelmshaven samt Region 2031 etwa 40 bis 60 Prozent des nationalen Wasserstoffbedarfes bereitstellen kann – zum einen durch den Import, zum anderen durch die Produktion vor Ort. 1.500 bis 2.000 Arbeitsplätze in Wilhelmshaven verspricht man sich davon.
 
Karte mit Schlüsselprojekten des Energy Hubs im Hafenareal von Wilhelmshaven
Quelle: Dena

Genügend Gründe also, um selbstbewusst, von dem Wandel Wilhelmshavens auszugehen – von der heutigen fossilen Energiedrehscheibe mit Kohle-, Erdöl und LNG-Importen hin zur grünen Energiedrehschreibe. Beim sogenannten "Energy Hub Port of Wilhelmshaven" − so soll die Energiedrehscheibe heißen − geht es den rund 30 beteiligten Unternehmen darum, auch Synergien zu nutzen. Ein "leuchtendes Beispiel" ist laut Leonhardt die Papier- und Kartonfabrik Varel GmbH in der 28 Kilometer entfernten, gleichnamigen Stadt Varel, die in ihrem Produktionsprozess viel Wasser und Energie benötigt. "Als Putzerfisch will sie die Abwärme und das Abwasser des Energy Hubs für ihre Produktion nutzen", weiß Leonhardt. 

… über Blau … 

Ein weiteres Beispiel für eine Kreislaufwirtschaft, in die die Küstenstadt Wilhelmshaven künftig mit eingebunden ist, liefert Wintershall Dea. Der Kasseler Öl- und Gaskonzern treibt an der Nordseeküste seine beiden Projekte "BlueHyNow" und "CO2nnectNow" voran.

"Wir haben hier optimale Voraussetzungen für die Errichtung einer blauen Wasserstoffanlage identifiziert", so Andreas Möller. Bei Wintershall Dea ist er Vice President Carbon Management & Hydrogen – Customer & Market Development. Das Unternehmen setzt beim Projekt Blue Hy Now auf Geschwindigkeit und will erdgasbasiert in die Wasserstoffproduktion starten – ab voraussichtlich Ende 2028 sollen in Wilhelmshaven jährlich etwa 5,6 Milliarden kWh sogenannter "blauer" Wasserstoff produziert werden, was in etwa dem dreifachen Energieverbrauch des Wolfsburger Volkswagenwerks entspricht.

Das Erdgas soll aus Norwegen kommen. Im anvisierten Prozess der Dampfreformierung entsteht neben Wasserstoff auch Kohlenstoff, den Wintershall Dea in Form von CO2 auf dem Schiffsweg wieder nach Norwegen transportieren und dort im Meeresboden verpressen will. Möller spricht von einem "Carbon Circle", der auf dieses Weise aufgebaut werden soll. 

Mit der Luna- und der Havstjerne-Lizenz halten die Kasseler bereits zwei CO2-Speicherlizenzen in Händen, die sie zum Betriebsführer zweier CO2-Speichergebiete in der Nordsee westlich der norwegischen Küste machen − zum einen 120 Kilometer westlich von Bergen und zum anderen 135 Kilometer südwestlich von Stavanger.

Auch beim Projekt CO2nnect Now, das in Wilhelmshaven seinen Anfang nehmen soll, baut Wintershall auf bestehende Infrastruktur und damit auf Schnelligkeit – konkret auf einen Umschlagbahnhof mit Tanklager und Kesselwagentransport, allesamt aktuell genutzt von der HES Wilhelmshaven Tank Terminal GmbH für den Umschlag von Ölprodukten. Im Rahmen einer noch laufenden Machbarkeitsstudie prüfen Winterhall Dea und HES inwieweit sich das Gelände in einen CO2-Umschlagsplatz umfunktionieren ließe.

Die Abscheidung und Speicherung von CO2 – kurz CCS (Carbon Capture and Storage) sieht Wintershall als "elementaren Bestandteil der zukünftigen Energiematrix". Nicht nur CO2-Mengen aus dem Blue-Hy-Now-Projekt sollen im norwegischen Kontinentalschelf langfristig gespeichert werden, auch Emissionen, die für die Industrie unvermeidbar sind. Das Ziel von Wintershall Dea ist der Aufbau eines globalen CO2-Management-Portfolios, das durch CCS bis 2040 etwa 20 bis 30 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen soll. 

Grundidee von CO2nnect Now ist es, das bei den Großindustrieunternehmen jeweils vor Ort abgeschiedene CO2 "am Werkstor" einzusammeln und über spätere Pipelines, Kesselwagen oder via Schiff zum CO2-Sammelhub nach Wilhelmshaven zu transportieren. Möller: "Als eine Art One-Stop-Shop kümmern wir uns um die komplette Evakuierung des CO2 bis hin in die Einlagerflächen."

Das im Hub gesammelte CO2 soll schließlich zu den Speicherstätten gelangen – vorerst per Schiff, später über Pipelines. Zusammen mit dem norwegischen Gas- und Ölkonzern Equinor plant Wintershall Dea eine 900 Kilometer lange Leitung zu den Speicherstätten in der norwegischen See. Noch vor 2032 soll sie in Betrieb gehen.

Wintershall Deas und Equinors Vision für CCS in der Nordsee
Quelle: Wintershall Dea


Nein, das Einpressen von CO2 in den Meeresboden sei unbedenklich, wie Möller auf Nachfrage versichert. Zum einen gäbe es die Speichermöglichkeit in salinen Aquiferen. Diese beinhalten Sandstein − poröses, mit Wasser gefülltes Gestein. "Das CO2 löst sich darin in großen Teilen erst einmal auf", so Möller. Das restliche CO2 kristallisiere dann in ein paar hundert Jahren aus in Kalkstein − "aus geologischer Sicht ein sehr kurzer Zeitraum". Daneben gäbe es auch die Speichermöglichkeit in leer geförderten Erdölfeldern, wie etwa im CCS-Projekt "Greensand" in Dänemark, an dem Wintershall ebenfalls beteiligt ist. In solchen Erdölfeldern war das Erdöl seit Jahrmillionen "gefangen". Möller: "Daher sind wir uns sicher, dass diese Strukturen die nächsten tausend Jahre auch noch sicher sind." 

… zu Grün 

Ein weiterer Player im hohen Norden ist der mittlerweile verstaatlichte Konzern Uniper, der das Gros der deutschen Stadtwerke und der Industrie mit Gas beliefert. Im Rahmen seines Projektes "Green Wilhelmshaven" arbeitet er in Wilhelmshaven mit der Projektgesellschaft Tree Energy Solutions (TES) und dem Seehafenbetreiber Niedersachsen Ports an der Umsetzung eines Schiffsanlegers für grüne Gase. Eine neue große Hafeninfrastruktur mit mindestens sechs Liegeplätzen für TES und für Uniper soll entstehen. Platz dafür gibt es auf der Fläche des einstigen, bereits geschlossenen Steinkohlekraftwerks von Uniper direkt am Deich zum Jadefahrwasser. "Diese Flächen sind sehr wertvoller Grund", sagte Gundolf Schweppe mit Verweis auf die vor Ort bereits vorhandenen Netz- und Industrie- und Bahnanschlüsse. Schweppe ist Chief Commercial Officer CCO Sales, bei Uniper verantwortlich für den Industriekundenvertrieb.

Uniper plant in Wilhelmshaven, grünen Ammoniak zu importieren. Dabei peilt der Konzern eine jährliche Menge von 2,6 Millionen Tonnen grünen Ammoniak an und lässt dies technischen Studien derzeit untersuchen. Die Entscheidung für Ammoniak sei bei Uniper ganz bewusst gefallen, wie der CCO Sales auf der Pressereise erklärte: "Zum einen ist Ammoniak einfacher zu transportieren als Wasserstoff und die Energiedichte ist deutlich höher." Ammoniak werde schon seit vielen Jahren transportiert und als Feststoff massiv genutzt – etwa zur Düngemittelherstellung. Die gleichen Lieferwaggons und die gleichen Lkws ließen sich dafür nutzen.

Uniper geht davon aus, dass über das geplante Importterminal Deutschlands komplette Ammoniakindustrie "auf grün" gestellt und damit jährlich 25 Milliarden kWh Erdgas ersetzt werden könnten. 

Sobald die Wasserstoff-Infrastruktur mit Speicher und H2-Backbone weit genug fortgeschritten ist, will Uniper den zweiten Schritt in Wilhelmshaven gehen und mit der Aufspaltung des Ammoniaks beginnen – voraussichtlich 2029. Der geplante Cracker soll dann den Ammoniak in ein aus Wasserstoff und Stickstoff bestehendes Gasgemisch zerlegen.

Zudem plant Uniper die Produktion von grünem Wasserstoff mit einem Großelektrolyseur. "Wir starten 2027 mit 100 MW elektrisch", so Schweppe. Ziel sei es, den Elektrolyseur bis 2030 auf 1.000 MW hochzufahren. Der Offshore-Wind für die Elektrolyse liege direkt vor der Tür. Das Unternehmen geht davon aus, dass der Elektrolyseur in der Endausbaustufe in Kombination mit dem Ammoniak-Importterminal rund 300.000 Tonnen grünen Wasserstoff liefern kann, was 10 bis 20 Prozent des für 2030 erwarteten Bedarfs in ganz Deutschland entspricht.

Schweppe warnte davor, angesichts des überstandenen Winters und der gut gefüllten Gasspeicher die Kapazität der Terminals an den deutschen Küsten in Frage zu stellen. "Wir brauchen die Kapazitäten und wir brauchen sie alle", sagte er in Wilhelmshaven. Die Preisvolatilitäten der vergangenen Monate resultierten aus den nicht aursreichenden Kapazitäten, daher gelte es diese längerfristig zu sichern. "Wir müssen jetzt die Versorgungssicherheit garantieren, damit wir auch in Zukunft noch die Industrie mit Ammoniak und später mit Wasserstoff beliefern können."


Donnerstag, 11.05.2023, 08:50 Uhr
Davina Spohn
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Wilhelmshavens graublaugrüne Zukunft
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
Wilhelmshavens graublaugrüne Zukunft
In Rekordzeit entstand in Wilhelmshaven das erste schwimmende LNG-Terminal Deutschlands. Doch der Import des flüssigen Erdgases ist erst der Anfang. 
Das Salz der Nordsee auf der Zunge, den stürmischen Wind um die Ohren, im Blick den Bug der Esperanza, der ersten FSRU (Floating Storage and Regasification Unit), die an der deutschen Nordküste festgemacht hat. Just daneben hat an diesem Morgen der LNG-Tanker Golar Seal angedockt. Keine zwei Tage wird es dauern, bis er sich weiter auf den Weg machen wird nach Brest, Frankreich. Aber jetzt erst mal pumpt die Golar Seal flüssiges Erdgas auf die Esperanza, das dort regasifiziert und ins deutsche Erdgasnetz eingeleitet wird. Rund drei Dutzend Beschäftigte verschiedener Nationen kümmern sich auf der Esperanza im Schichtbetrieb darum, dass diese Prozesse innerhalb von 20 Stunden abgeschlossen sind. Dann kann der nächste Tanker kommen. Einer pro Woche landet inzwischen in der niedersächsischen Küstenstadt an, wie Journalisten auf einer Pressereise Ende März in Wilhelmshaven erfuhren.

Von Grau … 

Mindestens 5 Milliarden Kubikmeter Erdgas sind es, die pro Jahr von Wilhelmshaven aus ins deutsche Erdgasnetz strömen und damit 6 Prozent des deutschen Gasbedarfs abdecken. Mit den schwimmenden Terminals in Brunsbüttel, Lubmin und Stade sollen zusammen über 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Deutschland kommen − etwa die Hälfte der Menge, die zuvor über die Pipeline Nord Stream 1 aus Russland nach Deutschland importiert worden ist.

Bei der weiteren Versorgung mit Gas plädiert der Verband Zukunft Gas, der die Pressereise organisierte, für Technologieoffenheit und Pragmatismus. Anders als zu Beginn des vergangenen Winters stünde im kommenden kein russisches Pipeline-Gas mehr bereit. Zumindest zu Anfang der Heizperiode 2022/2023 habe das fossile Gas noch mitgeholfen, die deutschen Gasspeicher zu füllen, wie Timm Kehler ausführte. "Wir wissen weiterhin nicht, wie sich der Gasverbrauch und die Temperaturen entwickeln werden", sagte der Vorstand von Zukunft Gas. Daher sei es "klug und richtig", sorgfältig beim Gasverbrauch zu sein und die Offenheit zu haben, "solche Krisen schnell und wirkungsvoll zu meistern", so Kehler mit Verweis auf das im Mai vergangenen Jahres verabschiedete LNG-Beschleunigungsgesetz − kurz LNGG. 
 
Das erste schwimmende LNG-Terminal Deutschlands im Blick:
Journalisten auf einer Pressereise in Wilhelmshaven
Quelle: Zukunft Gas / Bjoern Lubbe

Laut Kehler zeigen die Pläne in Wilhelmshaven deutlich, dass die Energiekrise auch Chancen beinhalte, die in der Stadt an der Waterkant gut genutzt werden. Nicht nur die Perspektive der kurzfristigen Versorgung sei hier sichtbar, auch der Schritt Richtung Wasserstoff sei in Wilhelmshaven vorgezeichnet. Über das LNGG werde zudem der Bau, auch von stationären Anlagen in Brunsbüttel, Stade und in Wilhelmshaven geregelt. Diese müssten jetzt schon H2-ready geplant werden. Laut Gesetz dürften sie nur bis Ende 2043 mit fossilen Energieträgern betrieben werden und müssten danach für den Import von Wasserstoff und seinen Derivaten bereit sein. 

Zustimmung bekommt Kehler von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Wilhelmshaven mbH, die die strategische Entwicklung des Standortes Wilhelmshaven koordiniert. Ihr Geschäftsführer, Alexander Leonhardt, weiß um die nur 60 Kilometer entfernt liegende Gasfernleitung, in die künftig der Wasserstoff eingespeist werden soll. Zum Alleinstellungsmerkmal Wilhelmshavens gehöre zudem, dass die Region 75 Salzkavernen in Betrieb habe, mit einem Ausbaupotenzial auf 99 Kavernen. Speicher, die heute Erdgas und künftig Wasserstoff nahezu verlustfrei vorhalten könnten. "Ein solches Speicherpotenzial bietet kein anderer Standort in Europa", zeigte sich Leonhardt überzeugt. Auch weltweit betrachtet, sei in Wilhelmshaven das Zusammenspiel aus Kavernenspeichern und On- sowie Offshore-Energie einzigartig. Nicht zuletzt habe Deutschlands einziger Tiefwasserhafen selbst bei Niedrigwasser eine Fahrwassertiefe von 18 Metern.

Mit Verweis auf eine Studie der Deutschen Energie-Agentur (Dena) geht Leonhardt davon aus, dass Wilhelmshaven samt Region 2031 etwa 40 bis 60 Prozent des nationalen Wasserstoffbedarfes bereitstellen kann – zum einen durch den Import, zum anderen durch die Produktion vor Ort. 1.500 bis 2.000 Arbeitsplätze in Wilhelmshaven verspricht man sich davon.
 
Karte mit Schlüsselprojekten des Energy Hubs im Hafenareal von Wilhelmshaven
Quelle: Dena

Genügend Gründe also, um selbstbewusst, von dem Wandel Wilhelmshavens auszugehen – von der heutigen fossilen Energiedrehscheibe mit Kohle-, Erdöl und LNG-Importen hin zur grünen Energiedrehschreibe. Beim sogenannten "Energy Hub Port of Wilhelmshaven" − so soll die Energiedrehscheibe heißen − geht es den rund 30 beteiligten Unternehmen darum, auch Synergien zu nutzen. Ein "leuchtendes Beispiel" ist laut Leonhardt die Papier- und Kartonfabrik Varel GmbH in der 28 Kilometer entfernten, gleichnamigen Stadt Varel, die in ihrem Produktionsprozess viel Wasser und Energie benötigt. "Als Putzerfisch will sie die Abwärme und das Abwasser des Energy Hubs für ihre Produktion nutzen", weiß Leonhardt. 

… über Blau … 

Ein weiteres Beispiel für eine Kreislaufwirtschaft, in die die Küstenstadt Wilhelmshaven künftig mit eingebunden ist, liefert Wintershall Dea. Der Kasseler Öl- und Gaskonzern treibt an der Nordseeküste seine beiden Projekte "BlueHyNow" und "CO2nnectNow" voran.

"Wir haben hier optimale Voraussetzungen für die Errichtung einer blauen Wasserstoffanlage identifiziert", so Andreas Möller. Bei Wintershall Dea ist er Vice President Carbon Management & Hydrogen – Customer & Market Development. Das Unternehmen setzt beim Projekt Blue Hy Now auf Geschwindigkeit und will erdgasbasiert in die Wasserstoffproduktion starten – ab voraussichtlich Ende 2028 sollen in Wilhelmshaven jährlich etwa 5,6 Milliarden kWh sogenannter "blauer" Wasserstoff produziert werden, was in etwa dem dreifachen Energieverbrauch des Wolfsburger Volkswagenwerks entspricht.

Das Erdgas soll aus Norwegen kommen. Im anvisierten Prozess der Dampfreformierung entsteht neben Wasserstoff auch Kohlenstoff, den Wintershall Dea in Form von CO2 auf dem Schiffsweg wieder nach Norwegen transportieren und dort im Meeresboden verpressen will. Möller spricht von einem "Carbon Circle", der auf dieses Weise aufgebaut werden soll. 

Mit der Luna- und der Havstjerne-Lizenz halten die Kasseler bereits zwei CO2-Speicherlizenzen in Händen, die sie zum Betriebsführer zweier CO2-Speichergebiete in der Nordsee westlich der norwegischen Küste machen − zum einen 120 Kilometer westlich von Bergen und zum anderen 135 Kilometer südwestlich von Stavanger.

Auch beim Projekt CO2nnect Now, das in Wilhelmshaven seinen Anfang nehmen soll, baut Wintershall auf bestehende Infrastruktur und damit auf Schnelligkeit – konkret auf einen Umschlagbahnhof mit Tanklager und Kesselwagentransport, allesamt aktuell genutzt von der HES Wilhelmshaven Tank Terminal GmbH für den Umschlag von Ölprodukten. Im Rahmen einer noch laufenden Machbarkeitsstudie prüfen Winterhall Dea und HES inwieweit sich das Gelände in einen CO2-Umschlagsplatz umfunktionieren ließe.

Die Abscheidung und Speicherung von CO2 – kurz CCS (Carbon Capture and Storage) sieht Wintershall als "elementaren Bestandteil der zukünftigen Energiematrix". Nicht nur CO2-Mengen aus dem Blue-Hy-Now-Projekt sollen im norwegischen Kontinentalschelf langfristig gespeichert werden, auch Emissionen, die für die Industrie unvermeidbar sind. Das Ziel von Wintershall Dea ist der Aufbau eines globalen CO2-Management-Portfolios, das durch CCS bis 2040 etwa 20 bis 30 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen soll. 

Grundidee von CO2nnect Now ist es, das bei den Großindustrieunternehmen jeweils vor Ort abgeschiedene CO2 "am Werkstor" einzusammeln und über spätere Pipelines, Kesselwagen oder via Schiff zum CO2-Sammelhub nach Wilhelmshaven zu transportieren. Möller: "Als eine Art One-Stop-Shop kümmern wir uns um die komplette Evakuierung des CO2 bis hin in die Einlagerflächen."

Das im Hub gesammelte CO2 soll schließlich zu den Speicherstätten gelangen – vorerst per Schiff, später über Pipelines. Zusammen mit dem norwegischen Gas- und Ölkonzern Equinor plant Wintershall Dea eine 900 Kilometer lange Leitung zu den Speicherstätten in der norwegischen See. Noch vor 2032 soll sie in Betrieb gehen.

Wintershall Deas und Equinors Vision für CCS in der Nordsee
Quelle: Wintershall Dea


Nein, das Einpressen von CO2 in den Meeresboden sei unbedenklich, wie Möller auf Nachfrage versichert. Zum einen gäbe es die Speichermöglichkeit in salinen Aquiferen. Diese beinhalten Sandstein − poröses, mit Wasser gefülltes Gestein. "Das CO2 löst sich darin in großen Teilen erst einmal auf", so Möller. Das restliche CO2 kristallisiere dann in ein paar hundert Jahren aus in Kalkstein − "aus geologischer Sicht ein sehr kurzer Zeitraum". Daneben gäbe es auch die Speichermöglichkeit in leer geförderten Erdölfeldern, wie etwa im CCS-Projekt "Greensand" in Dänemark, an dem Wintershall ebenfalls beteiligt ist. In solchen Erdölfeldern war das Erdöl seit Jahrmillionen "gefangen". Möller: "Daher sind wir uns sicher, dass diese Strukturen die nächsten tausend Jahre auch noch sicher sind." 

… zu Grün 

Ein weiterer Player im hohen Norden ist der mittlerweile verstaatlichte Konzern Uniper, der das Gros der deutschen Stadtwerke und der Industrie mit Gas beliefert. Im Rahmen seines Projektes "Green Wilhelmshaven" arbeitet er in Wilhelmshaven mit der Projektgesellschaft Tree Energy Solutions (TES) und dem Seehafenbetreiber Niedersachsen Ports an der Umsetzung eines Schiffsanlegers für grüne Gase. Eine neue große Hafeninfrastruktur mit mindestens sechs Liegeplätzen für TES und für Uniper soll entstehen. Platz dafür gibt es auf der Fläche des einstigen, bereits geschlossenen Steinkohlekraftwerks von Uniper direkt am Deich zum Jadefahrwasser. "Diese Flächen sind sehr wertvoller Grund", sagte Gundolf Schweppe mit Verweis auf die vor Ort bereits vorhandenen Netz- und Industrie- und Bahnanschlüsse. Schweppe ist Chief Commercial Officer CCO Sales, bei Uniper verantwortlich für den Industriekundenvertrieb.

Uniper plant in Wilhelmshaven, grünen Ammoniak zu importieren. Dabei peilt der Konzern eine jährliche Menge von 2,6 Millionen Tonnen grünen Ammoniak an und lässt dies technischen Studien derzeit untersuchen. Die Entscheidung für Ammoniak sei bei Uniper ganz bewusst gefallen, wie der CCO Sales auf der Pressereise erklärte: "Zum einen ist Ammoniak einfacher zu transportieren als Wasserstoff und die Energiedichte ist deutlich höher." Ammoniak werde schon seit vielen Jahren transportiert und als Feststoff massiv genutzt – etwa zur Düngemittelherstellung. Die gleichen Lieferwaggons und die gleichen Lkws ließen sich dafür nutzen.

Uniper geht davon aus, dass über das geplante Importterminal Deutschlands komplette Ammoniakindustrie "auf grün" gestellt und damit jährlich 25 Milliarden kWh Erdgas ersetzt werden könnten. 

Sobald die Wasserstoff-Infrastruktur mit Speicher und H2-Backbone weit genug fortgeschritten ist, will Uniper den zweiten Schritt in Wilhelmshaven gehen und mit der Aufspaltung des Ammoniaks beginnen – voraussichtlich 2029. Der geplante Cracker soll dann den Ammoniak in ein aus Wasserstoff und Stickstoff bestehendes Gasgemisch zerlegen.

Zudem plant Uniper die Produktion von grünem Wasserstoff mit einem Großelektrolyseur. "Wir starten 2027 mit 100 MW elektrisch", so Schweppe. Ziel sei es, den Elektrolyseur bis 2030 auf 1.000 MW hochzufahren. Der Offshore-Wind für die Elektrolyse liege direkt vor der Tür. Das Unternehmen geht davon aus, dass der Elektrolyseur in der Endausbaustufe in Kombination mit dem Ammoniak-Importterminal rund 300.000 Tonnen grünen Wasserstoff liefern kann, was 10 bis 20 Prozent des für 2030 erwarteten Bedarfs in ganz Deutschland entspricht.

Schweppe warnte davor, angesichts des überstandenen Winters und der gut gefüllten Gasspeicher die Kapazität der Terminals an den deutschen Küsten in Frage zu stellen. "Wir brauchen die Kapazitäten und wir brauchen sie alle", sagte er in Wilhelmshaven. Die Preisvolatilitäten der vergangenen Monate resultierten aus den nicht aursreichenden Kapazitäten, daher gelte es diese längerfristig zu sichern. "Wir müssen jetzt die Versorgungssicherheit garantieren, damit wir auch in Zukunft noch die Industrie mit Ammoniak und später mit Wasserstoff beliefern können."


Donnerstag, 11.05.2023, 08:50 Uhr
Davina Spohn

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