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Energie & Management > Biomasse - Wie die Apfelkitsche Deutschlands Gas-Notlage mildern kann
Biomasse

Wie die Apfelkitsche Deutschlands Gas-Notlage mildern kann

Apfel-, Möhren-, Zwiebelreste: Lebensmittelabfälle bergen große Biogas-Potenziale. Fände ein Coesfelder Beispiel Nachahmer, wären 17 % des zur Stromerzeugung importierten Gases obsolet.
Die Apfelkitsche − auch bekannt als Apfelgriebs oder Apfelbutzen − landet noch viel zu häufig im Restmüll, findet der Erneuerbaren-Landesverband von Nordrhein-Westfalen (LEE NRW). Mit der flächendeckenden Einführung der „Braunen Tonne“ für alle Haushalte ließe sich aus Lebensmittelresten wertvolles Biogas gewinnen und damit ein Beitrag zur Linderung des aktuellen Gasmangels leisten.

LEE-Vorsitzender Reiner Priggen spricht von bundesweit „relevanten Größenordnungen“. Heute erzeugten Gaskraftwerke neben Wärme gleichzeitig 60 Mrd. kWh Strom. Mit dem besseren Verwerten der so genannten biogenen Abfälle käme Deutschland auf bis zu 10 Mrd. kWh, was einer Verdoppelung gleichkäme. Etwa 17 % des zur Stromerzeugung importierten Gases ließe sich entsprechend ersetzen.
 
Vorzeige-Vergärungsanlage für Bioabfälle in Coesfeld (NRW): (v.l.) Reiner Priggen (LEE NRW), Eliza Diekmann (Bürgermeisterin), Stefan Bölte (WBC) und Hendrik Becker (Planet Biogastechnik). Quelle: EM / Volker Stephan


Doch die Möglichkeiten des Biogases sind alles andere als ausgeschöpft, wenn es um die beschleunigte Energiewende geht. Das versuchte der LEE NRW am Beispiel der Bioabfallverwertung im Kreis Coesfeld aufzuzeigen. Im Münsterland-Kreis ist seit 2014 eine von den Wirtschaftsbetrieben (WBC) und Reterra, eine Remondis-Tochter, angeschaffte Anlage in Betrieb. Sie kommt jährlich auf eine Produktion von 20 Mio. kWh an Ergdasäquivalenten. Dies entspricht der Menge an Wärmenergie für bis zu 1.500 Haushalte.

Kreis Coesfeld weist fünfmal größerem Köln den Weg

Dies ist vergleichsweise viel und liegt an einem schlüssigen Kreislaufkonzept, für das der Kreis bereits Ende der 80er-Jahre die Weichen stellte. Nur weil alle Kommunen, in denen ingesamt gut 220.000 Menschen leben, eine Biotonne verpflichtend eingeführt haben, kann die Doppelfermenter-Anlage am Zentraldeponiestandort Coesfeld 40.000 Tonnen anfallende Lebensmittel- und Bioabfälle für das Einspeisen ins Gasnetz aufbereiten. Im Landkreis stellten getrennt gesammelte Bio- und Grünabfälle 42 % des verwerteten Mülls, laut LEE ein Spitzenwert in NRW.

Köln, so sagt Priggen, komme mit seiner Bevölkerung von einer Million auf nur 20.000 Tonnen verwertete Bioabfälle pro Jahr. Andere NRW-Großstädte wie Essen oder Duisburg ließen überdies die Chancen von Braunen Tonnen weiterhin größtenteils ungenutzt. „Abfälle sind Rohstoffe“, sagt Priggen und appelliert an die Bevölkerung und die Politik, der „Verschwendungskultur“ auch in diesem Punkt Einhalt zu gebieten. „Es ist ein Unding, dass nach wie vor 40 % organische Abfälle in der Restmülltonne landen.“

WBC-Geschäftsführer Stefan Bölte sieht die Vorteile der Bioabfall-Verwertung auch darin, dass nach dem Erzeugen des Biogases das nährstoffhaltige Restmaterial als Kompost wieder für Gärten und Äcker zur Verfügung stehe. „Das ist ein echter, weil geschlossener Stoffkreislauf.“

Elektrolyseur soll ab 2024 grünen Wasserstoff erzeugen

Der Biogas-Anlagenbauer „PlanET“ aus dem benachbarten Gescher hat sich mit seiner Strategie, Müll zu Energie zu machen (waste to energy), einen vorderen Platz auf dem Weltmarkt erarbeitet und in Coesfeld mit Stadt, WBC und Reterra ein weiteres Großprojekt vor. Der Ausbau der Biogaskapazitäten an der Deponie soll der Produktion grünen Wasserstoffs den Weg ebnen. Der dafür nötige "Überschuss"-Ökostrom soll aus weiteren Windparks und Solaranlagen kommen, die die Stadt Coesfeld auch künftig ermöglichen will, so Bürgermeisterin Eliza Diekmann.

Kurzfristiges Ziel ist der Bau eines 2-MW-Elektrolyseurs. Laut WBC-Chef Bölte haben die Kooperationspartner inzwischen alle Unterlagen für einen Genehmigungsantrag zusammen. Im November wollen die Beteiligten an die Bezirksregierung herantreten, im Idealfall nimmt der Elektrolyseur 2024 seinen Betrieb auf. Für das 4 Mio. Euro teure Projekt strebt das Konsortium eine Förderung von bis zu 50 % an.

Laut Planet-Geschäftsführer Hendrik Becker bestehe in dem Konzept „eine Chance für die Transformation zur Wasserstoffwirtschaft“. Das CO2, das aus dem vor Ort erzeugten Biogas abgespalten wird, könne mit grünem Wasserstoff wieder methanisiert werden. Dann stehe es fürs Einspeisen ins Erdgasnetz bereit oder als synthetischer Kraftstoff für den Schwerlastverkehr.

Gleichwohl seien die rechtlichen Hürden für Elektrolyseure aktuell noch viel zu hoch, bemängeln die Beteiligten. Die Anlagen in überschaubarer Containergröße würden, so Bürgermeisterin Diekmann, wie chemische Anlagen behandelt und müssten aufwändige Prüf- und Genehmigungsverfahren durchlaufen. Dies müsse dringend verkürzt werden.

Ihr Appell war Wasser auf die Mühlen des Erneuerbaren-Verbandes. Mit der Forderung, das Immissionsschutzgesetz entsprechend zu ändern, sei der LEE NRW bei der Ampelkoalition in Berlin bereits vorstellig geworden, so Reiner Priggen. Die Hoffnung auf schnelle Hilfe soll in diesem Fall möglichst nichts "für die Tonne" sein.

Dienstag, 18.10.2022, 17:40 Uhr
Volker Stephan
Energie & Management > Biomasse - Wie die Apfelkitsche Deutschlands Gas-Notlage mildern kann
Biomasse
Wie die Apfelkitsche Deutschlands Gas-Notlage mildern kann
Apfel-, Möhren-, Zwiebelreste: Lebensmittelabfälle bergen große Biogas-Potenziale. Fände ein Coesfelder Beispiel Nachahmer, wären 17 % des zur Stromerzeugung importierten Gases obsolet.
Die Apfelkitsche − auch bekannt als Apfelgriebs oder Apfelbutzen − landet noch viel zu häufig im Restmüll, findet der Erneuerbaren-Landesverband von Nordrhein-Westfalen (LEE NRW). Mit der flächendeckenden Einführung der „Braunen Tonne“ für alle Haushalte ließe sich aus Lebensmittelresten wertvolles Biogas gewinnen und damit ein Beitrag zur Linderung des aktuellen Gasmangels leisten.

LEE-Vorsitzender Reiner Priggen spricht von bundesweit „relevanten Größenordnungen“. Heute erzeugten Gaskraftwerke neben Wärme gleichzeitig 60 Mrd. kWh Strom. Mit dem besseren Verwerten der so genannten biogenen Abfälle käme Deutschland auf bis zu 10 Mrd. kWh, was einer Verdoppelung gleichkäme. Etwa 17 % des zur Stromerzeugung importierten Gases ließe sich entsprechend ersetzen.
 
Vorzeige-Vergärungsanlage für Bioabfälle in Coesfeld (NRW): (v.l.) Reiner Priggen (LEE NRW), Eliza Diekmann (Bürgermeisterin), Stefan Bölte (WBC) und Hendrik Becker (Planet Biogastechnik). Quelle: EM / Volker Stephan


Doch die Möglichkeiten des Biogases sind alles andere als ausgeschöpft, wenn es um die beschleunigte Energiewende geht. Das versuchte der LEE NRW am Beispiel der Bioabfallverwertung im Kreis Coesfeld aufzuzeigen. Im Münsterland-Kreis ist seit 2014 eine von den Wirtschaftsbetrieben (WBC) und Reterra, eine Remondis-Tochter, angeschaffte Anlage in Betrieb. Sie kommt jährlich auf eine Produktion von 20 Mio. kWh an Ergdasäquivalenten. Dies entspricht der Menge an Wärmenergie für bis zu 1.500 Haushalte.

Kreis Coesfeld weist fünfmal größerem Köln den Weg

Dies ist vergleichsweise viel und liegt an einem schlüssigen Kreislaufkonzept, für das der Kreis bereits Ende der 80er-Jahre die Weichen stellte. Nur weil alle Kommunen, in denen ingesamt gut 220.000 Menschen leben, eine Biotonne verpflichtend eingeführt haben, kann die Doppelfermenter-Anlage am Zentraldeponiestandort Coesfeld 40.000 Tonnen anfallende Lebensmittel- und Bioabfälle für das Einspeisen ins Gasnetz aufbereiten. Im Landkreis stellten getrennt gesammelte Bio- und Grünabfälle 42 % des verwerteten Mülls, laut LEE ein Spitzenwert in NRW.

Köln, so sagt Priggen, komme mit seiner Bevölkerung von einer Million auf nur 20.000 Tonnen verwertete Bioabfälle pro Jahr. Andere NRW-Großstädte wie Essen oder Duisburg ließen überdies die Chancen von Braunen Tonnen weiterhin größtenteils ungenutzt. „Abfälle sind Rohstoffe“, sagt Priggen und appelliert an die Bevölkerung und die Politik, der „Verschwendungskultur“ auch in diesem Punkt Einhalt zu gebieten. „Es ist ein Unding, dass nach wie vor 40 % organische Abfälle in der Restmülltonne landen.“

WBC-Geschäftsführer Stefan Bölte sieht die Vorteile der Bioabfall-Verwertung auch darin, dass nach dem Erzeugen des Biogases das nährstoffhaltige Restmaterial als Kompost wieder für Gärten und Äcker zur Verfügung stehe. „Das ist ein echter, weil geschlossener Stoffkreislauf.“

Elektrolyseur soll ab 2024 grünen Wasserstoff erzeugen

Der Biogas-Anlagenbauer „PlanET“ aus dem benachbarten Gescher hat sich mit seiner Strategie, Müll zu Energie zu machen (waste to energy), einen vorderen Platz auf dem Weltmarkt erarbeitet und in Coesfeld mit Stadt, WBC und Reterra ein weiteres Großprojekt vor. Der Ausbau der Biogaskapazitäten an der Deponie soll der Produktion grünen Wasserstoffs den Weg ebnen. Der dafür nötige "Überschuss"-Ökostrom soll aus weiteren Windparks und Solaranlagen kommen, die die Stadt Coesfeld auch künftig ermöglichen will, so Bürgermeisterin Eliza Diekmann.

Kurzfristiges Ziel ist der Bau eines 2-MW-Elektrolyseurs. Laut WBC-Chef Bölte haben die Kooperationspartner inzwischen alle Unterlagen für einen Genehmigungsantrag zusammen. Im November wollen die Beteiligten an die Bezirksregierung herantreten, im Idealfall nimmt der Elektrolyseur 2024 seinen Betrieb auf. Für das 4 Mio. Euro teure Projekt strebt das Konsortium eine Förderung von bis zu 50 % an.

Laut Planet-Geschäftsführer Hendrik Becker bestehe in dem Konzept „eine Chance für die Transformation zur Wasserstoffwirtschaft“. Das CO2, das aus dem vor Ort erzeugten Biogas abgespalten wird, könne mit grünem Wasserstoff wieder methanisiert werden. Dann stehe es fürs Einspeisen ins Erdgasnetz bereit oder als synthetischer Kraftstoff für den Schwerlastverkehr.

Gleichwohl seien die rechtlichen Hürden für Elektrolyseure aktuell noch viel zu hoch, bemängeln die Beteiligten. Die Anlagen in überschaubarer Containergröße würden, so Bürgermeisterin Diekmann, wie chemische Anlagen behandelt und müssten aufwändige Prüf- und Genehmigungsverfahren durchlaufen. Dies müsse dringend verkürzt werden.

Ihr Appell war Wasser auf die Mühlen des Erneuerbaren-Verbandes. Mit der Forderung, das Immissionsschutzgesetz entsprechend zu ändern, sei der LEE NRW bei der Ampelkoalition in Berlin bereits vorstellig geworden, so Reiner Priggen. Die Hoffnung auf schnelle Hilfe soll in diesem Fall möglichst nichts "für die Tonne" sein.

Dienstag, 18.10.2022, 17:40 Uhr
Volker Stephan

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