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Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren -
Quelle: Fotolia/Rawpixel
E&M Vor 20 Jahren

"Weit weg von perfekten Verhältnissen"

Degussa gehörte zu den größten Energieverbrauchern Deutschlands. E&M-Chefredakteur Helmut Sendner sprach 2001 mit Christof Bauer, dem Leiter der Konzernenergiewirtschaft des Konzerns.
Die energieintensive Industrie war um die Jahrtausendwesende maßgeblich an der Entwicklung der liberalisierten Energiemärkte beteiligt, etwa als Verhandlungspartner der Verbändevereinbarungen zum Netzzugang Strom und Gas. Einer, der sich in dieser Zeit immer wieder mit pointierter Kritik an den aktuellen Zuständen und mit Vorschlägen zur Beseitigung der wahrgenommenen Missstände zu Wort meldete, ist Christof Bauer. Der promovierte Wirtschaftsingenieur war viele Jahre für das Energiemanagement der weltweiten Produktionsstandorte von Evonik verantwortlich und Repräsentant der Chemieindustrie in einer Reihe von nationalen und internationalen Verbänden. Derzeit ist er Honorarprofessor am Fachbereich Maschinenbau im Fachgebiet Reaktive Strömungen und Messtechnik der Technischen Universität Darmstadt.

Im Herbst 2001 sprach Helmut Sendner mit Bauer – „einer der mächtigen Vertreter der EVU-Kundschaft und einer der wenigen unter seinen Kollegen, der sich öffentlich äußert“, wie es der E&M-Chefredakteur damals formulierte, über Regulierung und Preise. Damals war das Spezialchemie-Unternehmen Degussa ein Teil des Eon-Konzerns und firmierte noch nicht unter dem Namen Evonik.
 
Christof Bauer (hier auf einem Bild von 2012): "Natürlich haben wir intensive Geschäftsbeziehungen zur Eon Energie"
Quelle: Evonik

E&M: Herr Dr. Bauer, was machen Sie so jeden Tag?

Bauer: Unsere Aufgabe besteht darin, unseren deutschen und europäischen Produktionsstandorten zu international wettbewerbsfähigen Energiekosten zu verhelfen. Das tun wir auf drei verschiedenen Wegen: Wir versuchen durch politische Arbeit günstige Rahmenbedingungen für die energieintensive Produktion zu schaffen. Durch operative Geschäfte versuchen wir, Erdgas günstig zu kaufen und Strom günstig zu kaufen und zu verkaufen. Und drittens wollen wir dafür sorgen, die Belastungen an Steuern, Abgaben und sonstigen gesetzlich induzierten Zusatzbelastungen niedrig zu halten. Natürlich vollzieht sich dies alles im Rahmen unserer Unternehmensleitlinien im Hinblick auf Responsible Care und Sustainable Development.

E&M: Mit einem Satz: Sie sind Lobbyist . . .

Bauer: Eines unserer Hauptbetätigungsfelder liegt tatsächlich beim VIK und beim Verband der chemischen Industrie sowie den entsprechenden europäischen Dachverbänden.

E&M: Dabei müssten Sie sich doch eigentlich gar nicht besonders anstrengen: Degussa gehört zum Eon Konzern, der Ihnen billig Strom liefert und absehbar durch die Ruhrgas-Beteiligung auch den Gashahn preiswert für Sie aufdrehen kann . . .

Bauer: Das ist nicht so. Für uns heißt die Devise, dass wir für uns selbst international wettbewerbsfähig sein müssen, genauso wie das die Energieunternehmen sein müssen. Natürlich haben wir intensive Geschäftsbeziehungen zur Eon Energie, aber ohne jede Vorgabe und ohne jeden Zwang. Unabhängig davon ist ja bekannt, dass das Eon-Engagement bei Degussa zeitlich begrenzt ist, und schon von daher sind wir gut beraten, uns eigenständig aufzustellen.

E&M: Als Großkunde gehören Sie zweifellos zu den Gewinnern der Liberalisierung, aber objektiv: Funktioniert der Wettbewerb auf dem Strommarkt wirklich?

Bauer: Im Vergleich zum europäischen Ausland funktioniert unser System wirklich vernünftig, auch wenn wir noch weit weg von perfekten Verhältnissen sind. Wir leiden darunter, dass der Markt noch nicht wirklich grenzüberschreitend offen ist und wir sehr stark auf die inländischen Spieler angewiesen sind. Da sollte die europäische Integration schneller vorangehen. In Deutschland betreiben einige Netzbetreiber Missbrauch mit dem verhandelten Netzzugang und bringen den Inhalt der Verbändevereinbarung Strom dadurch unverdienterweise in Misskredit. Ich hoffe, dass die verstärkten Aktivitäten des Bundeskartellamtes daran etwas ändern.

E&M: Woran scheitert das grenzüberschreitende Geschäft?

Bauer: Dass der Transport willkürlich verteuert wird, oder anders, weil es kein europäisches System für grenzüberschreitende Netznutzung gibt. Jedes Land verfährt mehr oder weniger nach eigenem Gusto, selbst einzelne Netzbetreiber setzen ihre eigenen Regeln. Ein gravierendes Ärgernis sind auch die sogenannten Engpässe an den Grenzen, wo es im Rahmen von Kapazitätsversteigerungen Einkünfte für die beteiligten Netzbetreiber in nennenswertem Umfang gibt. Dass dieses Geld dann auch wirklich ausgegeben wird, um die Engpässe zu beheben, ist im Moment nicht erkennbar.

E&M: Versprechen Sie sich durch den europäischen Wettbewerb noch mal niedrigere Strompreise?

Bauer: Ich hoffe auf weitere wesentliche Impulse für den Wettbewerbsmarkt.

"Im Moment laufen unsere Handelsabschlüsse nur per Telefon"

E&M: Wie sieht das tägliche Stromgeschäft bei Ihnen aus?

Bauer: Wir bewirtschaften einen Bilanzkreis bei Eon und einen bei RWE. Da haben wir sogenannte offene Lieferverträge, die den größeren Teil unseres Strombedarfs abdecken. Den Rest beschaffen wir uns auf dem Stromhandelsmarkt, das heißt, dass wir uns mit unterschiedlichen Fristigkeiten Strom kaufen, und schon auch mal verkaufen, wenn sich unsere Bedarfsprognose geändert hat.

E&M: Wie läuft das ab?

Bauer: Im Augenblick tätigen wir ausschließlich OTC-Geschäfte (OTC = Over the Counter; Geschäfte zwischen zwei Partnern; die Red.) und sind nicht direkt an der Börse aktiv, obwohl wir von Anfang an im Working Committee der European Energy Exchange mitgearbeitet haben. Das Geschäft an der Börse wird für uns der nächste Schritt sein.

E&M: Und für das OTC-Geschäft telefonieren Sie täglich den Markt ab?

Bauer: Nicht jeden Tag, denn wir wollen ja nicht primär handeln, sondern nur unseren Bedarf kostengünstig decken. Wenn sich unser tatsächlicher Bedarf im Rahmen der Bedarfsprognose bewegt und wir bereits eingedeckt sind, dann müssen wir nicht aktiv sein. Das machen wir auch deshalb so, weil der untertägige Handel noch nichts hergibt. Wir haben im Moment eine gravierende Limitation darin, dass wir bis 14:30 Uhr wissen müssten, was wir am nächsten Tag brauchen, um gegebenenfalls noch umdisponieren zu können, und das ist faktisch nicht machbar. Kurzfristige Fahrplanänderungen sind stark begrenzt, und da erhoffen wir uns etwas durch eine Ergänzung in der Verbändevereinbarung.

"Der untertägige Handel gibt noch nichts her"

E&M: Das Internet als Stromhandelsplattform nutzen Sie gar nicht?

Bauer: Im Moment laufen unsere Handelsabschlüsse nur per Telefon.

E&M: Und beim Gas möchten Sie das auch so haben . . .

Bauer: Am liebsten ja.

E&M: Wie sehen Sie da jetzt die Situation?

Bauer: Als sehr unbefriedigend. Das hat mit den Lieferketten, mit der strikten Transaktionsorientierung des Netzzugangs laut Verbändevereinbarung und damit zu tun, dass kurzfristige Geschäfte überhaupt nicht denkbar sind. Außerdem sind wir im Gasmarkt weit davon weg, dass es überhaupt ernsthaft konkurrierende Anbieter gibt.

E&M: Die fortgeschriebene Verbändevereinbarung Gas wird daran nichts ändern?

Bauer: Nicht wirklich.

E&M: Der VIK hat aber wieder abgenickt . . .

Bauer: Wir tun, was wir können. Aber Verbändevereinbarungen basieren auf Konsens und Konsens braucht offensichtlich Zeit. Für die Rolle als Beschleuniger sind daher die Politik beziehungsweise das Bundeskartellamt prädestiniert.
 
 

Freitag, 27.08.2021, 16:42 Uhr
Helmut Sendner und Fritz Wilhelm
Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren -
Quelle: Fotolia/Rawpixel
E&M Vor 20 Jahren
"Weit weg von perfekten Verhältnissen"
Degussa gehörte zu den größten Energieverbrauchern Deutschlands. E&M-Chefredakteur Helmut Sendner sprach 2001 mit Christof Bauer, dem Leiter der Konzernenergiewirtschaft des Konzerns.
Die energieintensive Industrie war um die Jahrtausendwesende maßgeblich an der Entwicklung der liberalisierten Energiemärkte beteiligt, etwa als Verhandlungspartner der Verbändevereinbarungen zum Netzzugang Strom und Gas. Einer, der sich in dieser Zeit immer wieder mit pointierter Kritik an den aktuellen Zuständen und mit Vorschlägen zur Beseitigung der wahrgenommenen Missstände zu Wort meldete, ist Christof Bauer. Der promovierte Wirtschaftsingenieur war viele Jahre für das Energiemanagement der weltweiten Produktionsstandorte von Evonik verantwortlich und Repräsentant der Chemieindustrie in einer Reihe von nationalen und internationalen Verbänden. Derzeit ist er Honorarprofessor am Fachbereich Maschinenbau im Fachgebiet Reaktive Strömungen und Messtechnik der Technischen Universität Darmstadt.

Im Herbst 2001 sprach Helmut Sendner mit Bauer – „einer der mächtigen Vertreter der EVU-Kundschaft und einer der wenigen unter seinen Kollegen, der sich öffentlich äußert“, wie es der E&M-Chefredakteur damals formulierte, über Regulierung und Preise. Damals war das Spezialchemie-Unternehmen Degussa ein Teil des Eon-Konzerns und firmierte noch nicht unter dem Namen Evonik.
 
Christof Bauer (hier auf einem Bild von 2012): "Natürlich haben wir intensive Geschäftsbeziehungen zur Eon Energie"
Quelle: Evonik

E&M: Herr Dr. Bauer, was machen Sie so jeden Tag?

Bauer: Unsere Aufgabe besteht darin, unseren deutschen und europäischen Produktionsstandorten zu international wettbewerbsfähigen Energiekosten zu verhelfen. Das tun wir auf drei verschiedenen Wegen: Wir versuchen durch politische Arbeit günstige Rahmenbedingungen für die energieintensive Produktion zu schaffen. Durch operative Geschäfte versuchen wir, Erdgas günstig zu kaufen und Strom günstig zu kaufen und zu verkaufen. Und drittens wollen wir dafür sorgen, die Belastungen an Steuern, Abgaben und sonstigen gesetzlich induzierten Zusatzbelastungen niedrig zu halten. Natürlich vollzieht sich dies alles im Rahmen unserer Unternehmensleitlinien im Hinblick auf Responsible Care und Sustainable Development.

E&M: Mit einem Satz: Sie sind Lobbyist . . .

Bauer: Eines unserer Hauptbetätigungsfelder liegt tatsächlich beim VIK und beim Verband der chemischen Industrie sowie den entsprechenden europäischen Dachverbänden.

E&M: Dabei müssten Sie sich doch eigentlich gar nicht besonders anstrengen: Degussa gehört zum Eon Konzern, der Ihnen billig Strom liefert und absehbar durch die Ruhrgas-Beteiligung auch den Gashahn preiswert für Sie aufdrehen kann . . .

Bauer: Das ist nicht so. Für uns heißt die Devise, dass wir für uns selbst international wettbewerbsfähig sein müssen, genauso wie das die Energieunternehmen sein müssen. Natürlich haben wir intensive Geschäftsbeziehungen zur Eon Energie, aber ohne jede Vorgabe und ohne jeden Zwang. Unabhängig davon ist ja bekannt, dass das Eon-Engagement bei Degussa zeitlich begrenzt ist, und schon von daher sind wir gut beraten, uns eigenständig aufzustellen.

E&M: Als Großkunde gehören Sie zweifellos zu den Gewinnern der Liberalisierung, aber objektiv: Funktioniert der Wettbewerb auf dem Strommarkt wirklich?

Bauer: Im Vergleich zum europäischen Ausland funktioniert unser System wirklich vernünftig, auch wenn wir noch weit weg von perfekten Verhältnissen sind. Wir leiden darunter, dass der Markt noch nicht wirklich grenzüberschreitend offen ist und wir sehr stark auf die inländischen Spieler angewiesen sind. Da sollte die europäische Integration schneller vorangehen. In Deutschland betreiben einige Netzbetreiber Missbrauch mit dem verhandelten Netzzugang und bringen den Inhalt der Verbändevereinbarung Strom dadurch unverdienterweise in Misskredit. Ich hoffe, dass die verstärkten Aktivitäten des Bundeskartellamtes daran etwas ändern.

E&M: Woran scheitert das grenzüberschreitende Geschäft?

Bauer: Dass der Transport willkürlich verteuert wird, oder anders, weil es kein europäisches System für grenzüberschreitende Netznutzung gibt. Jedes Land verfährt mehr oder weniger nach eigenem Gusto, selbst einzelne Netzbetreiber setzen ihre eigenen Regeln. Ein gravierendes Ärgernis sind auch die sogenannten Engpässe an den Grenzen, wo es im Rahmen von Kapazitätsversteigerungen Einkünfte für die beteiligten Netzbetreiber in nennenswertem Umfang gibt. Dass dieses Geld dann auch wirklich ausgegeben wird, um die Engpässe zu beheben, ist im Moment nicht erkennbar.

E&M: Versprechen Sie sich durch den europäischen Wettbewerb noch mal niedrigere Strompreise?

Bauer: Ich hoffe auf weitere wesentliche Impulse für den Wettbewerbsmarkt.

"Im Moment laufen unsere Handelsabschlüsse nur per Telefon"

E&M: Wie sieht das tägliche Stromgeschäft bei Ihnen aus?

Bauer: Wir bewirtschaften einen Bilanzkreis bei Eon und einen bei RWE. Da haben wir sogenannte offene Lieferverträge, die den größeren Teil unseres Strombedarfs abdecken. Den Rest beschaffen wir uns auf dem Stromhandelsmarkt, das heißt, dass wir uns mit unterschiedlichen Fristigkeiten Strom kaufen, und schon auch mal verkaufen, wenn sich unsere Bedarfsprognose geändert hat.

E&M: Wie läuft das ab?

Bauer: Im Augenblick tätigen wir ausschließlich OTC-Geschäfte (OTC = Over the Counter; Geschäfte zwischen zwei Partnern; die Red.) und sind nicht direkt an der Börse aktiv, obwohl wir von Anfang an im Working Committee der European Energy Exchange mitgearbeitet haben. Das Geschäft an der Börse wird für uns der nächste Schritt sein.

E&M: Und für das OTC-Geschäft telefonieren Sie täglich den Markt ab?

Bauer: Nicht jeden Tag, denn wir wollen ja nicht primär handeln, sondern nur unseren Bedarf kostengünstig decken. Wenn sich unser tatsächlicher Bedarf im Rahmen der Bedarfsprognose bewegt und wir bereits eingedeckt sind, dann müssen wir nicht aktiv sein. Das machen wir auch deshalb so, weil der untertägige Handel noch nichts hergibt. Wir haben im Moment eine gravierende Limitation darin, dass wir bis 14:30 Uhr wissen müssten, was wir am nächsten Tag brauchen, um gegebenenfalls noch umdisponieren zu können, und das ist faktisch nicht machbar. Kurzfristige Fahrplanänderungen sind stark begrenzt, und da erhoffen wir uns etwas durch eine Ergänzung in der Verbändevereinbarung.

"Der untertägige Handel gibt noch nichts her"

E&M: Das Internet als Stromhandelsplattform nutzen Sie gar nicht?

Bauer: Im Moment laufen unsere Handelsabschlüsse nur per Telefon.

E&M: Und beim Gas möchten Sie das auch so haben . . .

Bauer: Am liebsten ja.

E&M: Wie sehen Sie da jetzt die Situation?

Bauer: Als sehr unbefriedigend. Das hat mit den Lieferketten, mit der strikten Transaktionsorientierung des Netzzugangs laut Verbändevereinbarung und damit zu tun, dass kurzfristige Geschäfte überhaupt nicht denkbar sind. Außerdem sind wir im Gasmarkt weit davon weg, dass es überhaupt ernsthaft konkurrierende Anbieter gibt.

E&M: Die fortgeschriebene Verbändevereinbarung Gas wird daran nichts ändern?

Bauer: Nicht wirklich.

E&M: Der VIK hat aber wieder abgenickt . . .

Bauer: Wir tun, was wir können. Aber Verbändevereinbarungen basieren auf Konsens und Konsens braucht offensichtlich Zeit. Für die Rolle als Beschleuniger sind daher die Politik beziehungsweise das Bundeskartellamt prädestiniert.
 
 

Freitag, 27.08.2021, 16:42 Uhr
Helmut Sendner und Fritz Wilhelm

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