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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Print-Ausgabe - Rendite mit alten Schätzchen
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Print-Ausgabe

Rendite mit alten Schätzchen

Angesichts hoher Stromgroßhandelserlöse lohnt der Weiterbetrieb alter Windräder aktuell ohne Förderung. Langfristig hängt die Wirtschaftlichkeit an anderen Faktoren, zeigt „TransWind“
 
Philipp Harder verantwortet beim Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) das Verbundprojekt Transwind
Quelle: IPH

Noch drehen sich die allermeisten der mehr als 20 Jahre alten Windenergiemaschinen munter: 3.300 MW Onshore-Leistung, deren Förderung gemäß dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nach 20 Jahren ausgelaufen war, waren Ende Juni weiter am Netz. Abgebaut wurden nur 140 MW. Von diesen war auch nur etwa die Hälfte „ausgefördert“, so damals Anna-Kathrin Wallasch von der Gutachterin Deutsche Windguard zur Presse.

Doch die Lage dieser sogenannten Ü20-Anlagen könnte sich noch drehen: Rund 13.000 Windenergieanlagen fallen bis 2025 aus der EEG-Förderung. Das entspricht einer Leistung von 16.000 MW, wie jetzt Philipp Harder vom Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) E&M bei einer Pressereise vorrechnete. Das IPH ist ein anwendungsnahes ingenieurwissenschaftliches Forschungsinstitut für verschiedene industrielle Branchen.

Wie viele Ü20er eine ökonomisch attraktive Anschlusslösung finden werden, hängt von vielem ab. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine klare Abschätzung schwierig“, sagt Wirtschaftsingenieur Harder. Er ist bei den Niedersachsen verantwortlich für das Forschungsverbundprojekt Transwind (siehe Kasten). 

Transwind

„TransWind“ ist eine Abkürzung für „Transdisziplinäre End-of-Life-Analyse von Windenergieanlagen zur Entwicklung technisch-wirtschaftlich optimaler Nachnutzungsstrategien“. Das ist der Gegenstand des Ende 2020 gestarteten Forschungsverbundprojekts. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) fördert es mit 1,4 Mio. Euro. Die Projektpartner:
  • von der Uni Hannover das Institut für Statik und Dynamik (Koordinator) sowie für Wirtschaftsinformatik (IWI),
  • das IPH Institut für Integrierte Produktion Hannover und
  • dessen Ausgründung Nefino GmbH,
  • das Institute for climate neutral Mobility & Production (ICNMP),
  • die Unternehmen Deutsche Windguard und Deutsche Windguard Offshore sowie
  • der Online Marketer WIV aus Hessen, der den internationalen Anlagen- und Ersatzteilmarktplatz wind-turbine.com betreibt.
 

Altwindmüllern stehen vier Optionen zur Verfügung:
  • Neben dem Weiterbetrieb sind dies
  • das Repowering (der Abbau des alten Windrads und ein leistungsfähigerer Neubau am selben Standort oder an einem Ausweichstandort), 
  • das Retrofit (der Austausch von Komponenten)
  • und die Stilllegung.
Welche Rolle dabei die einzelnen Standorte spielen, will Nefino klären. Das Spin-off des IPH hat sich 2018 der Digitalisierung des grünen Energiemarkts verschrieben und seinen Schwerpunkt in Geoinformationssystemen (Gis) gefunden. Dazu bereitet das Start-up deutschlandweit relevante Daten auf und fasst sie in einer Cloud zusammen. Diese reichen von amtlichen Gebäudedaten über Siedlungsdaten des Bundesamts für Kartographie bis zu Luftfahrthandbüchern.

„Rückmeldungen aus der Industrie zeigen: Die derzeitige Marktlage macht den Weiterbetrieb ökonomisch attraktiv“, sagt Henrik Wielert, der bei Nefino für Forschung und Entwicklung zuständig ist. Grund sind die hohen Strompreise, die die weggefallene Förderung kompensieren können: Während des ersten Monats Corona-Lockdown im April 2020 hatte Windkraft an Land am Großhandelsmarkt nur noch weniger als 1 Cent pro kWh erlöst. Seither ging es in Wellen extrem aufwärts.

Seit diesem September erzielt die Onshore-Windkraft an der Börse Epex Spot zweistellige Marktwerte. Erst waren es 11,8 Ct/kWh, im Oktober immer noch fast 11 Ct/kWh. Das ist sogar weit mehr als die relativ üppige Anfangsvergütung von 9,10 Cent aus dem EEG 2000, dem die Ü20-Anlagen unterliegen. Erst recht ist es mehr als der garantierte „Anzulegende Wert“ von 6,20 Cent für neuere Kleinanlagen bis 750 kW im Jahr 2021 − und noch einmal mehr als das gemittelte Ausschreibungsergebnis vom Mai 2021 von 5,91 Cent. Die „Marktwerte“ sind dermaßen emporgeschnellt, dass Ü20-Windmüller derzeit im Spotmarkt auskömmlichere Erlöse erzielen als mit jedem bisherigen Fördersatz.

Mit welchem Abstand am besten?

Das dürfte kaum so bleiben. Und damit kommt das Repowering in den Blick. Die Neuanlagen sind, wenn sie überhaupt eine Chance auf Baurecht haben, höher, haben längere Rotorblätter und rücken damit näher an die Bebauung heran. Das kann das Repowering in Ländern wie Bayern, wo eine 10H-Abstandsregel gilt, unmöglich machen.

Neue Windräder sind laut Deutscher Windguard im Schnitt 207 Meter hoch. Bayern fordert also fast 2,1 Kilometer Abstand zu den nächsten Wohnhäusern. In NRW ist es fix ein Kilometer, in Brandenburg hat die Regierung im November das gleiche im Landtag eingebracht. Nach Richterrecht ist aber schon ab 3H von keiner „optisch bedrängenden“ Wirkung auszugehen. Bis zu 2H hinunter ist sie im zu prüfenden Einzelfall ebenfalls nicht gegeben.
 
Henrik Wielert, Forscher und Entwickler beim IPH Institut für Integrierte Produktion Hannover
Quelle: Nefino


Nefino-Gründer und Chief Executive Officer (CEO) Andre Koukal sagt dagegen mit Blick auf ganz Deutschland: „Eine Regelung für einheitliche Abstände zur Wohnbebauung wäre sinnvoll.“ Werden die derzeitigen unterschiedlichen Landesregelungen nicht angepasst, könnte laut Koukal und Wielert auch das Sondierungspapier der künftigen Ampelkoalition zur Windenergie Makulatur werden. FDP, Grüne und SPD hatten sich darin auf den Satz geeinigt: „Für die Windkraft an Land sollen zwei Prozent der Landesflächen ausgewiesen werden.“ Grünen-Co-Chef Robert Habeck hat außerdem bundeseinheitliche Abstände angeregt.

„Mit 800 Metern sind auch mehr als zwei Prozent drin“

„Grundsätzlich zeigen unsere Auswertungen, dass das Zwei-Prozent-Ziel für die Windenergie realistisch und gut möglich wäre“, sagt IPH-Forscher und -Entwickler Wielert. Es hängt aber alles an den Abständen. „Das ist der große Hebel. Mit 800 Metern sind auch mehr als zwei Prozent drin.“ Das haben die Hannoveraner im März in einer Studie auf Basis des Entwurfs des Landesraumordnungsprogramms (LROP) vom Dezember 2020 für Niedersachsen errechnet. Damals hatten sie sich noch gegen pauschale Abstände ausgesprochen.

Die finden sich auch nicht im LROP des Landes mit der größten installierten Windleistung, der noch 2021 verabschiedet werden soll. Der Windenergieerlass vom Juli verbietet sogar die Übernahme pauschaler Abstände aus anderen Plänen. Er öffnet bestimmte Wälder für die Windkraft und bietet eine Flächenhandhabe für das Repowering. Bis 2030 sollen 1,4 % der Landesfläche für 20.000 MW ausgewiesen sein, danach 2,1 % für 30.000 MW. Damit komme Niedersachsen seiner „Schlüsselrolle“ für die deutsche Energiewende nach, so Umweltminister Olaf Lies (SPD).

Vom LROP wiederum werden die regionalen Raumordnungsprogramme (RROP) der Kreise abzuleiten sein. Wenn allein schon die behutsame Öffnung des Waldes Bestand hat, kommen 3 bis 4 % der Landesfläche als Potenzial hinzu, hat Nefino ausgerechnet. Aber, so Wielert: „Bei herrschenden Abstandsregeln wie in Bayern schaffen wir das Zwei-Prozent-Ziel bundesweit nicht.“

​Die Flächenpotenzialrechner

Nefinos Gis-Flächenpotenzialrechner ist nicht öffentlich, weil das Start-up damit Geld verdienen will. Dessen Pendant von der Denkfabrik Agora Energiewende und vom Reiner-Lemoine-Institut (RLI), das im Oktober scharfschaltete, ist dagegen öffentlich und eher politisch ausgerichtet. Bis hinunter auf die Gemeindeebene können Interessierte mit mehreren Stellschrauben Flächenpotenziale für Onshore-Windenergieanlagen und Photovoltaik(PV)-Freiflächenanlagen sowie deren Bedarf abschätzen lassen, um bestimmte Klimaziele zu erreichen.

Agora räumt Unschärfen ein, so Agora-Direktor Patrick Graichen. Die Denkfabrik nennt sie den „Sanssouci-Effekt“: Rund um Schloss Sanssouci tun sich stets theoretische Windparkflächen auf, die tatsächlich keine Realisierungschance hätten.

Licht in eine soziokulturelle Blackbox

Um einen weiteren Aspekt, der dem Repowering und vor allem Neuprojekten entgegensteht und den Agora und RLI ebenfalls nicht abbilden, kümmern sich die Hannoveraner in einem zweiten Forschungsvorhaben: um den Grad der lokalen Akzeptanz. In Transwind sollen mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) geeignete Standorte unter Einbeziehung soziokultureller Faktoren ermittelt werden. Das Thema werde „bisher eher stiefmütterlich behandelt“, findet Nefino-Chef Koukal.

Welche soziokulturellen Einflüsse wissenschaftlich nachweisbar den größten Standorterfolg versprechen, könne bisher nur vermutet werden. Für die Untersuchung sammeln die Partner Daten zum Alter, zur Parteipräferenz, aber auch zur Windparkdichte, der die Menschen ausgesetzt sind. Es zeige sich, dass Widerstände dort abnehmen, wo es bereits Erfahrungen mit der Windenergie gibt. Koukal: „Ganz wichtig ist, die Bürger frühzeitig abzuholen. Das reduziert Widerstände.“

Schlummern in Ü20-Anlagen weitere Werte?

Im Falle einer Stilllegung ist ein drittes Vorhaben interessant, bei dem Nefino mitwirkt. Bei dem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Projekt geht es um die Rückgewinnung von seltenen Erden und Nichteisen-Metallen beim Rückbau der Anlagen. „Wir bereiten Daten auf, in welchen die Konzentrationen dieser Rohstoffe in den einzelnen Maschinen vorliegen. Für seltene Erden sind elektrische und Permanentmagneten die wichtigsten Komponenten“, so Koukal.

Noch gebe es keinen Überblick darüber, weshalb auch der Restwert der Anlagen kaum umfassend zu kalkulieren ist. Angesichts steigender Rohstoffpreise könnten recycelbare Rohstoffe künftig aber ein wichtiger Ertragsfaktor für Ü20-Anlagen werden.

Dienstag, 28.12.2021, 09:19 Uhr
Oliver Ristau und Georg Eble
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Quelle: E&M
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Rendite mit alten Schätzchen
Angesichts hoher Stromgroßhandelserlöse lohnt der Weiterbetrieb alter Windräder aktuell ohne Förderung. Langfristig hängt die Wirtschaftlichkeit an anderen Faktoren, zeigt „TransWind“
 
Philipp Harder verantwortet beim Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) das Verbundprojekt Transwind
Quelle: IPH

Noch drehen sich die allermeisten der mehr als 20 Jahre alten Windenergiemaschinen munter: 3.300 MW Onshore-Leistung, deren Förderung gemäß dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) nach 20 Jahren ausgelaufen war, waren Ende Juni weiter am Netz. Abgebaut wurden nur 140 MW. Von diesen war auch nur etwa die Hälfte „ausgefördert“, so damals Anna-Kathrin Wallasch von der Gutachterin Deutsche Windguard zur Presse.

Doch die Lage dieser sogenannten Ü20-Anlagen könnte sich noch drehen: Rund 13.000 Windenergieanlagen fallen bis 2025 aus der EEG-Förderung. Das entspricht einer Leistung von 16.000 MW, wie jetzt Philipp Harder vom Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) E&M bei einer Pressereise vorrechnete. Das IPH ist ein anwendungsnahes ingenieurwissenschaftliches Forschungsinstitut für verschiedene industrielle Branchen.

Wie viele Ü20er eine ökonomisch attraktive Anschlusslösung finden werden, hängt von vielem ab. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine klare Abschätzung schwierig“, sagt Wirtschaftsingenieur Harder. Er ist bei den Niedersachsen verantwortlich für das Forschungsverbundprojekt Transwind (siehe Kasten). 

Transwind

„TransWind“ ist eine Abkürzung für „Transdisziplinäre End-of-Life-Analyse von Windenergieanlagen zur Entwicklung technisch-wirtschaftlich optimaler Nachnutzungsstrategien“. Das ist der Gegenstand des Ende 2020 gestarteten Forschungsverbundprojekts. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) fördert es mit 1,4 Mio. Euro. Die Projektpartner:
  • von der Uni Hannover das Institut für Statik und Dynamik (Koordinator) sowie für Wirtschaftsinformatik (IWI),
  • das IPH Institut für Integrierte Produktion Hannover und
  • dessen Ausgründung Nefino GmbH,
  • das Institute for climate neutral Mobility & Production (ICNMP),
  • die Unternehmen Deutsche Windguard und Deutsche Windguard Offshore sowie
  • der Online Marketer WIV aus Hessen, der den internationalen Anlagen- und Ersatzteilmarktplatz wind-turbine.com betreibt.
 

Altwindmüllern stehen vier Optionen zur Verfügung:
  • Neben dem Weiterbetrieb sind dies
  • das Repowering (der Abbau des alten Windrads und ein leistungsfähigerer Neubau am selben Standort oder an einem Ausweichstandort), 
  • das Retrofit (der Austausch von Komponenten)
  • und die Stilllegung.
Welche Rolle dabei die einzelnen Standorte spielen, will Nefino klären. Das Spin-off des IPH hat sich 2018 der Digitalisierung des grünen Energiemarkts verschrieben und seinen Schwerpunkt in Geoinformationssystemen (Gis) gefunden. Dazu bereitet das Start-up deutschlandweit relevante Daten auf und fasst sie in einer Cloud zusammen. Diese reichen von amtlichen Gebäudedaten über Siedlungsdaten des Bundesamts für Kartographie bis zu Luftfahrthandbüchern.

„Rückmeldungen aus der Industrie zeigen: Die derzeitige Marktlage macht den Weiterbetrieb ökonomisch attraktiv“, sagt Henrik Wielert, der bei Nefino für Forschung und Entwicklung zuständig ist. Grund sind die hohen Strompreise, die die weggefallene Förderung kompensieren können: Während des ersten Monats Corona-Lockdown im April 2020 hatte Windkraft an Land am Großhandelsmarkt nur noch weniger als 1 Cent pro kWh erlöst. Seither ging es in Wellen extrem aufwärts.

Seit diesem September erzielt die Onshore-Windkraft an der Börse Epex Spot zweistellige Marktwerte. Erst waren es 11,8 Ct/kWh, im Oktober immer noch fast 11 Ct/kWh. Das ist sogar weit mehr als die relativ üppige Anfangsvergütung von 9,10 Cent aus dem EEG 2000, dem die Ü20-Anlagen unterliegen. Erst recht ist es mehr als der garantierte „Anzulegende Wert“ von 6,20 Cent für neuere Kleinanlagen bis 750 kW im Jahr 2021 − und noch einmal mehr als das gemittelte Ausschreibungsergebnis vom Mai 2021 von 5,91 Cent. Die „Marktwerte“ sind dermaßen emporgeschnellt, dass Ü20-Windmüller derzeit im Spotmarkt auskömmlichere Erlöse erzielen als mit jedem bisherigen Fördersatz.

Mit welchem Abstand am besten?

Das dürfte kaum so bleiben. Und damit kommt das Repowering in den Blick. Die Neuanlagen sind, wenn sie überhaupt eine Chance auf Baurecht haben, höher, haben längere Rotorblätter und rücken damit näher an die Bebauung heran. Das kann das Repowering in Ländern wie Bayern, wo eine 10H-Abstandsregel gilt, unmöglich machen.

Neue Windräder sind laut Deutscher Windguard im Schnitt 207 Meter hoch. Bayern fordert also fast 2,1 Kilometer Abstand zu den nächsten Wohnhäusern. In NRW ist es fix ein Kilometer, in Brandenburg hat die Regierung im November das gleiche im Landtag eingebracht. Nach Richterrecht ist aber schon ab 3H von keiner „optisch bedrängenden“ Wirkung auszugehen. Bis zu 2H hinunter ist sie im zu prüfenden Einzelfall ebenfalls nicht gegeben.
 
Henrik Wielert, Forscher und Entwickler beim IPH Institut für Integrierte Produktion Hannover
Quelle: Nefino


Nefino-Gründer und Chief Executive Officer (CEO) Andre Koukal sagt dagegen mit Blick auf ganz Deutschland: „Eine Regelung für einheitliche Abstände zur Wohnbebauung wäre sinnvoll.“ Werden die derzeitigen unterschiedlichen Landesregelungen nicht angepasst, könnte laut Koukal und Wielert auch das Sondierungspapier der künftigen Ampelkoalition zur Windenergie Makulatur werden. FDP, Grüne und SPD hatten sich darin auf den Satz geeinigt: „Für die Windkraft an Land sollen zwei Prozent der Landesflächen ausgewiesen werden.“ Grünen-Co-Chef Robert Habeck hat außerdem bundeseinheitliche Abstände angeregt.

„Mit 800 Metern sind auch mehr als zwei Prozent drin“

„Grundsätzlich zeigen unsere Auswertungen, dass das Zwei-Prozent-Ziel für die Windenergie realistisch und gut möglich wäre“, sagt IPH-Forscher und -Entwickler Wielert. Es hängt aber alles an den Abständen. „Das ist der große Hebel. Mit 800 Metern sind auch mehr als zwei Prozent drin.“ Das haben die Hannoveraner im März in einer Studie auf Basis des Entwurfs des Landesraumordnungsprogramms (LROP) vom Dezember 2020 für Niedersachsen errechnet. Damals hatten sie sich noch gegen pauschale Abstände ausgesprochen.

Die finden sich auch nicht im LROP des Landes mit der größten installierten Windleistung, der noch 2021 verabschiedet werden soll. Der Windenergieerlass vom Juli verbietet sogar die Übernahme pauschaler Abstände aus anderen Plänen. Er öffnet bestimmte Wälder für die Windkraft und bietet eine Flächenhandhabe für das Repowering. Bis 2030 sollen 1,4 % der Landesfläche für 20.000 MW ausgewiesen sein, danach 2,1 % für 30.000 MW. Damit komme Niedersachsen seiner „Schlüsselrolle“ für die deutsche Energiewende nach, so Umweltminister Olaf Lies (SPD).

Vom LROP wiederum werden die regionalen Raumordnungsprogramme (RROP) der Kreise abzuleiten sein. Wenn allein schon die behutsame Öffnung des Waldes Bestand hat, kommen 3 bis 4 % der Landesfläche als Potenzial hinzu, hat Nefino ausgerechnet. Aber, so Wielert: „Bei herrschenden Abstandsregeln wie in Bayern schaffen wir das Zwei-Prozent-Ziel bundesweit nicht.“

​Die Flächenpotenzialrechner

Nefinos Gis-Flächenpotenzialrechner ist nicht öffentlich, weil das Start-up damit Geld verdienen will. Dessen Pendant von der Denkfabrik Agora Energiewende und vom Reiner-Lemoine-Institut (RLI), das im Oktober scharfschaltete, ist dagegen öffentlich und eher politisch ausgerichtet. Bis hinunter auf die Gemeindeebene können Interessierte mit mehreren Stellschrauben Flächenpotenziale für Onshore-Windenergieanlagen und Photovoltaik(PV)-Freiflächenanlagen sowie deren Bedarf abschätzen lassen, um bestimmte Klimaziele zu erreichen.

Agora räumt Unschärfen ein, so Agora-Direktor Patrick Graichen. Die Denkfabrik nennt sie den „Sanssouci-Effekt“: Rund um Schloss Sanssouci tun sich stets theoretische Windparkflächen auf, die tatsächlich keine Realisierungschance hätten.

Licht in eine soziokulturelle Blackbox

Um einen weiteren Aspekt, der dem Repowering und vor allem Neuprojekten entgegensteht und den Agora und RLI ebenfalls nicht abbilden, kümmern sich die Hannoveraner in einem zweiten Forschungsvorhaben: um den Grad der lokalen Akzeptanz. In Transwind sollen mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) geeignete Standorte unter Einbeziehung soziokultureller Faktoren ermittelt werden. Das Thema werde „bisher eher stiefmütterlich behandelt“, findet Nefino-Chef Koukal.

Welche soziokulturellen Einflüsse wissenschaftlich nachweisbar den größten Standorterfolg versprechen, könne bisher nur vermutet werden. Für die Untersuchung sammeln die Partner Daten zum Alter, zur Parteipräferenz, aber auch zur Windparkdichte, der die Menschen ausgesetzt sind. Es zeige sich, dass Widerstände dort abnehmen, wo es bereits Erfahrungen mit der Windenergie gibt. Koukal: „Ganz wichtig ist, die Bürger frühzeitig abzuholen. Das reduziert Widerstände.“

Schlummern in Ü20-Anlagen weitere Werte?

Im Falle einer Stilllegung ist ein drittes Vorhaben interessant, bei dem Nefino mitwirkt. Bei dem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Projekt geht es um die Rückgewinnung von seltenen Erden und Nichteisen-Metallen beim Rückbau der Anlagen. „Wir bereiten Daten auf, in welchen die Konzentrationen dieser Rohstoffe in den einzelnen Maschinen vorliegen. Für seltene Erden sind elektrische und Permanentmagneten die wichtigsten Komponenten“, so Koukal.

Noch gebe es keinen Überblick darüber, weshalb auch der Restwert der Anlagen kaum umfassend zu kalkulieren ist. Angesichts steigender Rohstoffpreise könnten recycelbare Rohstoffe künftig aber ein wichtiger Ertragsfaktor für Ü20-Anlagen werden.

Dienstag, 28.12.2021, 09:19 Uhr
Oliver Ristau und Georg Eble

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