E&M exklusiv Newsletter:
E&M gratis testen:
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Printausgabe -
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Printausgabe

"Ich hoffe, wir reden da eher über Wochen"

Im Sommer hatte es der Bund erleichtert, Windräder an Land zu planen und zu genehmigen. Seitdem müssen die Länder liefern. Wie sieht es damit im viertgrößten Windland NRW aus?
 
 NRW-Umweltminister Oliver Krischer
Quelle: privat

E&M: Herr Krischer, Sie sind seit dem 29. Juni NRW-Umweltminister. Der Bund hat unter maßgeblicher Mitwirkung Ihrer Partei − den Grünen − die Erneuerbaren-Ausbauziele hochgesetzt und sowohl das Naturschutz- als auch das Immissionsschutzrecht zugunsten der Windkraft geändert. Jetzt sind die Länder dran! Denn die größte Hürde − abgesehen von der bevorstehenden Stromerlösabschöpfung − bleibt die Dauer und Willkür von Genehmigungsverfahren. Sie dauern bundesweit im Schnitt sogar noch länger als während der GroKo. Wann fängt NRW an, gegenzusteuern?

Krischer: Wir sind da dran. Das läuft im Wesentlichen bei meiner Kollegin Mona Neubaur im Wirtschaftsministerium, die jetzt die ganzen Fragen angepackt und die Grundlagen verbessert hat − beispielsweise, die 1.500 Meter Vorsorgeabstand aus dem Landesentwicklungsplanung zu nehmen oder die 1.000 Meter Windkraftabstand zunächst für Repowering abzuschaffen. Der Umweltminister ... 

E&M: … also Sie ... 

Krischer: ... ist zuständig für immissions- und artenschutzrechtliche Prüfungen. Wir sind gerade dabei, die Strukturen in den Genehmigungsbehörden zu verbessern, zu überlegen, wie man die langen Genehmigungszeiträume beschleunigen kann. Ein wesentlicher Punkt ist, dass wir den Mangel an Personal in den Genehmigungsbehörden abmildern. Wir haben im Nachtragshaushalt zusätzliche Stellen zur Verfügung gestellt. Ich gehe davon aus, dass wir bald über deutlich kürzere Verfahren in Nordrhein-Westfalen reden können. 

E&M: Kann man da Näheres erfahren? Ihre Kollegin Mona Neubaur ist für Energie zuständig, Sie für den Artenschutz. Wo bleibt der Artenschutzleitfaden aus Ihrem Haus? 

Krischer: Der Leitfaden muss durch die Änderungen auf Bundesebene im Immissions- und Naturschutzrecht neu gefasst werden. Den versuchen wir, so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen. Ich hoffe, dass wir da eher über Wochen als über Monate reden. Aber sehen Sie mir nach: Die Veränderungen im Bundesrecht sind im Sommer erst beschlossen worden. Wir wollen, dass sich die Verbesserungen in dem Leitfaden wiederfinden. Und das soll sauber und gerichtsfest sein. Die jetzige Rechtslage behindert im Moment kein einziges Genehmigungsverfahren, weil ohne Leitfaden oder mit dem alten Leitfaden weitergearbeitet werden kann. Die Neuerungen aus Berlin gelten ja unmittelbar. Der Leitfaden ist nur eine Erklärung des geltenden Rechts. 

E&M: Nun ja, am Oberverwaltungsgericht (OVG) Ihres Landes poppte kürzlich ein absurder Fall auf, in dem eine Genehmigungsbehörde Auflagen zum Schutz der Rotmilane traf, die es an dem betroffenen Standort nur theoretisch geben könnte. 
Krischer: Richter urteilen aufgrund der Rechtslage. Das habe ich nicht zu bewerten und zu kommentieren. 

E&M: Ist das denn ein Einzelfall? 

Krischer: Wir haben es geschafft, dass wir beim OVG einen zusätzlichen Senat speziell für Windkraft bekommen haben, was dazu führt, dass die Verfahren dort schneller gehen.

E&M: Sie gehören auch dem Naturschutzbund (Nabu) NRW an. Der hat sich 2021/22 eine bundesweit beispiellose Fehde mit dem Landesverband Erneuerbare Energien geleistet. Wo ist für Sie bei der Windkraft die Untergrenze des Artenschutzes? 

Krischer: Das ist doch keine Frage von Ober- oder Untergrenzen. Für mich gibt es einen Artenschutz, damit Lebensräume von bedrohten Arten nicht im Übermaß geschädigt werden. Der Ausbau der erneuerbaren Energien − nicht nur der Windenergie, sondern auch der Photovoltaik − ist mit Artenschutz gut in Einklang zu bringen. Wir tun das jetzt in Nordrhein-Westfalen an mehreren Stellen. Wir ermöglichen den Windkraftbetreibern bei bestimmten Vogelschutzgebieten, wo das dem Schutzzweck nicht widerspricht, Anlagen zu bauen. Im Gegenzug tragen die an den Standorten dazu bei, dass bestimmte Biotope, zum Beispiel Heidelandschaft, gepflegt und im Sinne des Artenschutzes optimiert werden.

Die meisten Vogelarten sind von Windenergieanlagen überhaupt nicht betroffen. Bestimmte Großvögel, die in den Höhen fliegen, sind betroffen, ja. Aber kleinere Vogelarten, die in der Feldflur leben, haben kein Problem mit Windenergieanlagen. Und die Einnahmen durch die Anlage bieten eine Chance, Biotope von bedrohten Arten zu schützen, die dort leben. Es ist gemeinsame Aufgabe von Naturschützerinnen und Naturschützern und der Erneuerbaren-Branche, aus den Schützengräben zu klettern und etwas Positives nach vorne zu gestalten. 

E&M: Der Nabu NRW ist kategorisch gegen Waldwind.
 
Krischer: Ich kenne die Beschlüsse von Vereinen und Verbänden nicht im Detail. Ich weiß aber, dass Naturschutzverbände mit den Waldbauern auf Landesebene über die Nutzung von Windenergie im Forst sprechen. Die Politik der Landesregierung, die ich hier vertrete, ist klar: Wir wollen Windenergie auf der gesamten Fläche möglich machen, also auch auf Kalamitätsflächen und im Forst, wo das vertretbar ist. Ich suche als Umweltminister mit den Verbänden nach Lösungsmöglichkeiten. Und ich finde es gut, das inzwischen alle klar sagen: ‚Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss kommen.‘ Ich wüsste auch nicht, was eine Alternative sein könnte, gerade nach Putins Angriffskrieg.

E&M: Die letzten Kernkraftwerke werden am 15. April 2023 abgeschaltet. Jetzt lässt Ihr Parteifreund Robert Habeck Braunkohlemeiler zurückholen. Blutet Ihnen da nicht das Herz? 

Krischer: Natürlich. Aber ich war bis Juni Parlamentarischer Staatssekretär von Robert Habeck und habe genau das mit entschieden, weil uns im Moment durch den Angriffskrieg von Wladimir Putin Gas fehlt und es in anderen europäischen Ländern Schwierigkeiten mit der Stromversorgung gibt. Für einen Übergangszeitraum − und darum geht es − diese alten Kohlekraftwerke in der Reserve zu halten, das ist nicht schön für jemanden, der sein ganzes Leben gegen die Kohle und gegen Atomkraft gekämpft hat, aber das kann man verantworten.

Die Alternative wäre: Wir gefährden die Stromversorgung in unserem Land. Das kann und will ich nicht. Deshalb finde ich die Entscheidung immer noch richtig. Das muss aber damit einhergehen, dass wir die eigentliche Antwort, nämlich den Ausbau der erneuerbaren Energien, mit aller Macht vorantreiben. Für mich ist der entscheidende Schritt zur Energieunabhängigkeit, dass man nicht mehr von fossilen Energielieferungen von Diktatoren abhängig ist.

E&M: Ihre Koalition will ‚alle Kalamitätsflächen und beschädigten Forstflächen für die Windenergie öffnen‘, unter anderem auch Gewerbe- und Industriegebiete. Wann geschieht da etwas Gesetzgeberisches? Im NRW-Koalitionsvertrag steht auch, Sie würden ‚zeitnah‘ eine Taskforce zur Beschleunigung einrichten, etwa für einen neuen Windenergieerlass und frühere Vollständigkeitserklärungen. Und es heißt darin: ‚Wir werden die Beschleunigungsinitiativen zum Windenergieausbau schnellstmöglich in Landesrecht überführen.‘

Krischer: Genau das passiert gerade. Die Taskforce ist eingerichtet. Die kümmert sich um die Fragen. Jetzt geht es darum, dass wir konkrete Regeln entwickeln, wie die Kapazitäten genutzt werden können und wie der Prozess dann läuft. Unsere erste und wichtigste Maßnahme war, das Repowering vordringlich zu behandeln, weil wir da am meisten machen können und kurzfristig Potenziale erschließen können. Das macht Mona Neubaur noch in diesem Jahr.
Es ist ein absolutes Unding, dass man bisher in Gewerbegebieten in Nordrhein-Westfalen fast gar nicht Windkraftanlagen bauen kann. Das werden wir jetzt öffnen. Man sieht in anderen Bundesländern, dass das geht.

E&M: Wie setzt sich die Taskforce zusammen? 

Krischer: Aus allen zuständigen Ministerien. Das Wirtschaftsministerium leitet die Taskforce. Dabei sind auch das Kommunalministerium, mein Haus und das Landwirtschaftsministerium. Und die Staatskanzlei.

E&M: Bis 2030 sollen bundesweit brutto mindestens 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren kommen, mit Schwerpunkt Wind und Solar, also stark schwankend beziehungsweise in der Nacht ausfallend. Wie muss dann in NRW und im Bund das Konzept für die Dunkelflaute aussehen? 

Krischer: Ich bin kein Freund der Debatte um die Dunkelflaute, weil das ein Angstmache-Thema ist. Alle Studien zeigen, dass wir bis 80 Prozent Erneuerbare überhaupt kein Problem haben mit den Ausgleichsenergien, die wir im Übergang noch haben, mit Biogasanlagen, mit hoffentlich dann immer mehr eingesetzten Wasserstoffkraftwerken, die die Gaskraftwerke ersetzen. Die Kollegen im Bundeswirtschaftsministerium arbeiten daran, die Systemstabilisierung weiter voranzutreiben, zum Beispiel mit dem freiwilligen Lastabwurf. 

E&M: Die Abschaltbare-Lasten-Verordnung ist zum 1. Juli 2022 ausgelaufen. Die Übertragungsnetzbetreiber haben erklärt, dass sie eine europataugliche, wettbewerbliche Lösung frühestens Anfang 2023 hinkriegen.
 
Krischer: Die alte AbLaV war ja auch nicht gut. Die Erneuerbaren-Branche hat sie immer kritisiert. Die Ampelkoalition macht etwas Neues, Besseres. Es ist neben dem Ausbau der Erneuerbaren eine Hauptbaustelle, dass wir jetzt, wenn die Erneuerbaren beherrschend werden, das Strommarktdesign für die Zeit entwickeln, wenn sie es sind. Im Moment werden diese Fragen bei Robert Habeck im Bundeswirtschaftsministerium geklärt.
 

Zur Person: Oliver Krischer

Der Biologe aus Düren hatte sich schon 2009 zu Beginn seiner überregionalen Politkarriere als oppositioneller Grünen-Fraktionssprecher für Energie im Bundestag dem Kampf gegen die umliegende Braunkohle verschrieben. Das Motto des 53-Jährigen: ‚Energieeffizienz und Erneuerbare statt Kohle und Atom‘. Energie- und Klimapolitik stand auch als Fraktionsvize im Mittelpunkt seiner Arbeit. Nach dem Eintritt der Grünen in die Ampelregierung machte ihn Wirtschaftsminister und Parteifreund Robert Habeck im Dezember 2021 zu seinem Parlamentarischen Staatssekretär. Am 29. Juni 2022 wechselte er nach der NRW-Wahl als Minister für Verkehr, Umwelt und Naturschutz in ein Landeskabinett mit der CDU. Die Themen Energie und Klimaschutz sind in Düsseldorf bei seiner Parteifreundin, Vizeministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, angesiedelt.
Oliver Krischer gehört unter anderem Eurosolar, dem BUND und dem Nabu an, er stand von März bis August 2022 dem Aufsichtsrat der Deutschen Energie-Agentur (Dena) vor und war in den Beiräten der Bundesnetzagentur und der Deneff (Deutsche Unternehmensinitiative Energieffizienz).
 
 
Unter Grünen: NRW-Umweltminister Oliver Krischer (l.) beim Sommerempfang des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW mit seiner Energie-Kollegin Mona Neubaur und dem Verbandsvorsitzenden Reiner Priggen
Quelle: E&M/Volker Stephan

Mittwoch, 21.12.2022, 09:00 Uhr
Georg Eble
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Printausgabe -
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Printausgabe
"Ich hoffe, wir reden da eher über Wochen"
Im Sommer hatte es der Bund erleichtert, Windräder an Land zu planen und zu genehmigen. Seitdem müssen die Länder liefern. Wie sieht es damit im viertgrößten Windland NRW aus?
 
 NRW-Umweltminister Oliver Krischer
Quelle: privat

E&M: Herr Krischer, Sie sind seit dem 29. Juni NRW-Umweltminister. Der Bund hat unter maßgeblicher Mitwirkung Ihrer Partei − den Grünen − die Erneuerbaren-Ausbauziele hochgesetzt und sowohl das Naturschutz- als auch das Immissionsschutzrecht zugunsten der Windkraft geändert. Jetzt sind die Länder dran! Denn die größte Hürde − abgesehen von der bevorstehenden Stromerlösabschöpfung − bleibt die Dauer und Willkür von Genehmigungsverfahren. Sie dauern bundesweit im Schnitt sogar noch länger als während der GroKo. Wann fängt NRW an, gegenzusteuern?

Krischer: Wir sind da dran. Das läuft im Wesentlichen bei meiner Kollegin Mona Neubaur im Wirtschaftsministerium, die jetzt die ganzen Fragen angepackt und die Grundlagen verbessert hat − beispielsweise, die 1.500 Meter Vorsorgeabstand aus dem Landesentwicklungsplanung zu nehmen oder die 1.000 Meter Windkraftabstand zunächst für Repowering abzuschaffen. Der Umweltminister ... 

E&M: … also Sie ... 

Krischer: ... ist zuständig für immissions- und artenschutzrechtliche Prüfungen. Wir sind gerade dabei, die Strukturen in den Genehmigungsbehörden zu verbessern, zu überlegen, wie man die langen Genehmigungszeiträume beschleunigen kann. Ein wesentlicher Punkt ist, dass wir den Mangel an Personal in den Genehmigungsbehörden abmildern. Wir haben im Nachtragshaushalt zusätzliche Stellen zur Verfügung gestellt. Ich gehe davon aus, dass wir bald über deutlich kürzere Verfahren in Nordrhein-Westfalen reden können. 

E&M: Kann man da Näheres erfahren? Ihre Kollegin Mona Neubaur ist für Energie zuständig, Sie für den Artenschutz. Wo bleibt der Artenschutzleitfaden aus Ihrem Haus? 

Krischer: Der Leitfaden muss durch die Änderungen auf Bundesebene im Immissions- und Naturschutzrecht neu gefasst werden. Den versuchen wir, so schnell wie möglich auf den Weg zu bringen. Ich hoffe, dass wir da eher über Wochen als über Monate reden. Aber sehen Sie mir nach: Die Veränderungen im Bundesrecht sind im Sommer erst beschlossen worden. Wir wollen, dass sich die Verbesserungen in dem Leitfaden wiederfinden. Und das soll sauber und gerichtsfest sein. Die jetzige Rechtslage behindert im Moment kein einziges Genehmigungsverfahren, weil ohne Leitfaden oder mit dem alten Leitfaden weitergearbeitet werden kann. Die Neuerungen aus Berlin gelten ja unmittelbar. Der Leitfaden ist nur eine Erklärung des geltenden Rechts. 

E&M: Nun ja, am Oberverwaltungsgericht (OVG) Ihres Landes poppte kürzlich ein absurder Fall auf, in dem eine Genehmigungsbehörde Auflagen zum Schutz der Rotmilane traf, die es an dem betroffenen Standort nur theoretisch geben könnte. 
Krischer: Richter urteilen aufgrund der Rechtslage. Das habe ich nicht zu bewerten und zu kommentieren. 

E&M: Ist das denn ein Einzelfall? 

Krischer: Wir haben es geschafft, dass wir beim OVG einen zusätzlichen Senat speziell für Windkraft bekommen haben, was dazu führt, dass die Verfahren dort schneller gehen.

E&M: Sie gehören auch dem Naturschutzbund (Nabu) NRW an. Der hat sich 2021/22 eine bundesweit beispiellose Fehde mit dem Landesverband Erneuerbare Energien geleistet. Wo ist für Sie bei der Windkraft die Untergrenze des Artenschutzes? 

Krischer: Das ist doch keine Frage von Ober- oder Untergrenzen. Für mich gibt es einen Artenschutz, damit Lebensräume von bedrohten Arten nicht im Übermaß geschädigt werden. Der Ausbau der erneuerbaren Energien − nicht nur der Windenergie, sondern auch der Photovoltaik − ist mit Artenschutz gut in Einklang zu bringen. Wir tun das jetzt in Nordrhein-Westfalen an mehreren Stellen. Wir ermöglichen den Windkraftbetreibern bei bestimmten Vogelschutzgebieten, wo das dem Schutzzweck nicht widerspricht, Anlagen zu bauen. Im Gegenzug tragen die an den Standorten dazu bei, dass bestimmte Biotope, zum Beispiel Heidelandschaft, gepflegt und im Sinne des Artenschutzes optimiert werden.

Die meisten Vogelarten sind von Windenergieanlagen überhaupt nicht betroffen. Bestimmte Großvögel, die in den Höhen fliegen, sind betroffen, ja. Aber kleinere Vogelarten, die in der Feldflur leben, haben kein Problem mit Windenergieanlagen. Und die Einnahmen durch die Anlage bieten eine Chance, Biotope von bedrohten Arten zu schützen, die dort leben. Es ist gemeinsame Aufgabe von Naturschützerinnen und Naturschützern und der Erneuerbaren-Branche, aus den Schützengräben zu klettern und etwas Positives nach vorne zu gestalten. 

E&M: Der Nabu NRW ist kategorisch gegen Waldwind.
 
Krischer: Ich kenne die Beschlüsse von Vereinen und Verbänden nicht im Detail. Ich weiß aber, dass Naturschutzverbände mit den Waldbauern auf Landesebene über die Nutzung von Windenergie im Forst sprechen. Die Politik der Landesregierung, die ich hier vertrete, ist klar: Wir wollen Windenergie auf der gesamten Fläche möglich machen, also auch auf Kalamitätsflächen und im Forst, wo das vertretbar ist. Ich suche als Umweltminister mit den Verbänden nach Lösungsmöglichkeiten. Und ich finde es gut, das inzwischen alle klar sagen: ‚Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss kommen.‘ Ich wüsste auch nicht, was eine Alternative sein könnte, gerade nach Putins Angriffskrieg.

E&M: Die letzten Kernkraftwerke werden am 15. April 2023 abgeschaltet. Jetzt lässt Ihr Parteifreund Robert Habeck Braunkohlemeiler zurückholen. Blutet Ihnen da nicht das Herz? 

Krischer: Natürlich. Aber ich war bis Juni Parlamentarischer Staatssekretär von Robert Habeck und habe genau das mit entschieden, weil uns im Moment durch den Angriffskrieg von Wladimir Putin Gas fehlt und es in anderen europäischen Ländern Schwierigkeiten mit der Stromversorgung gibt. Für einen Übergangszeitraum − und darum geht es − diese alten Kohlekraftwerke in der Reserve zu halten, das ist nicht schön für jemanden, der sein ganzes Leben gegen die Kohle und gegen Atomkraft gekämpft hat, aber das kann man verantworten.

Die Alternative wäre: Wir gefährden die Stromversorgung in unserem Land. Das kann und will ich nicht. Deshalb finde ich die Entscheidung immer noch richtig. Das muss aber damit einhergehen, dass wir die eigentliche Antwort, nämlich den Ausbau der erneuerbaren Energien, mit aller Macht vorantreiben. Für mich ist der entscheidende Schritt zur Energieunabhängigkeit, dass man nicht mehr von fossilen Energielieferungen von Diktatoren abhängig ist.

E&M: Ihre Koalition will ‚alle Kalamitätsflächen und beschädigten Forstflächen für die Windenergie öffnen‘, unter anderem auch Gewerbe- und Industriegebiete. Wann geschieht da etwas Gesetzgeberisches? Im NRW-Koalitionsvertrag steht auch, Sie würden ‚zeitnah‘ eine Taskforce zur Beschleunigung einrichten, etwa für einen neuen Windenergieerlass und frühere Vollständigkeitserklärungen. Und es heißt darin: ‚Wir werden die Beschleunigungsinitiativen zum Windenergieausbau schnellstmöglich in Landesrecht überführen.‘

Krischer: Genau das passiert gerade. Die Taskforce ist eingerichtet. Die kümmert sich um die Fragen. Jetzt geht es darum, dass wir konkrete Regeln entwickeln, wie die Kapazitäten genutzt werden können und wie der Prozess dann läuft. Unsere erste und wichtigste Maßnahme war, das Repowering vordringlich zu behandeln, weil wir da am meisten machen können und kurzfristig Potenziale erschließen können. Das macht Mona Neubaur noch in diesem Jahr.
Es ist ein absolutes Unding, dass man bisher in Gewerbegebieten in Nordrhein-Westfalen fast gar nicht Windkraftanlagen bauen kann. Das werden wir jetzt öffnen. Man sieht in anderen Bundesländern, dass das geht.

E&M: Wie setzt sich die Taskforce zusammen? 

Krischer: Aus allen zuständigen Ministerien. Das Wirtschaftsministerium leitet die Taskforce. Dabei sind auch das Kommunalministerium, mein Haus und das Landwirtschaftsministerium. Und die Staatskanzlei.

E&M: Bis 2030 sollen bundesweit brutto mindestens 80 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren kommen, mit Schwerpunkt Wind und Solar, also stark schwankend beziehungsweise in der Nacht ausfallend. Wie muss dann in NRW und im Bund das Konzept für die Dunkelflaute aussehen? 

Krischer: Ich bin kein Freund der Debatte um die Dunkelflaute, weil das ein Angstmache-Thema ist. Alle Studien zeigen, dass wir bis 80 Prozent Erneuerbare überhaupt kein Problem haben mit den Ausgleichsenergien, die wir im Übergang noch haben, mit Biogasanlagen, mit hoffentlich dann immer mehr eingesetzten Wasserstoffkraftwerken, die die Gaskraftwerke ersetzen. Die Kollegen im Bundeswirtschaftsministerium arbeiten daran, die Systemstabilisierung weiter voranzutreiben, zum Beispiel mit dem freiwilligen Lastabwurf. 

E&M: Die Abschaltbare-Lasten-Verordnung ist zum 1. Juli 2022 ausgelaufen. Die Übertragungsnetzbetreiber haben erklärt, dass sie eine europataugliche, wettbewerbliche Lösung frühestens Anfang 2023 hinkriegen.
 
Krischer: Die alte AbLaV war ja auch nicht gut. Die Erneuerbaren-Branche hat sie immer kritisiert. Die Ampelkoalition macht etwas Neues, Besseres. Es ist neben dem Ausbau der Erneuerbaren eine Hauptbaustelle, dass wir jetzt, wenn die Erneuerbaren beherrschend werden, das Strommarktdesign für die Zeit entwickeln, wenn sie es sind. Im Moment werden diese Fragen bei Robert Habeck im Bundeswirtschaftsministerium geklärt.
 

Zur Person: Oliver Krischer

Der Biologe aus Düren hatte sich schon 2009 zu Beginn seiner überregionalen Politkarriere als oppositioneller Grünen-Fraktionssprecher für Energie im Bundestag dem Kampf gegen die umliegende Braunkohle verschrieben. Das Motto des 53-Jährigen: ‚Energieeffizienz und Erneuerbare statt Kohle und Atom‘. Energie- und Klimapolitik stand auch als Fraktionsvize im Mittelpunkt seiner Arbeit. Nach dem Eintritt der Grünen in die Ampelregierung machte ihn Wirtschaftsminister und Parteifreund Robert Habeck im Dezember 2021 zu seinem Parlamentarischen Staatssekretär. Am 29. Juni 2022 wechselte er nach der NRW-Wahl als Minister für Verkehr, Umwelt und Naturschutz in ein Landeskabinett mit der CDU. Die Themen Energie und Klimaschutz sind in Düsseldorf bei seiner Parteifreundin, Vizeministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, angesiedelt.
Oliver Krischer gehört unter anderem Eurosolar, dem BUND und dem Nabu an, er stand von März bis August 2022 dem Aufsichtsrat der Deutschen Energie-Agentur (Dena) vor und war in den Beiräten der Bundesnetzagentur und der Deneff (Deutsche Unternehmensinitiative Energieffizienz).
 
 
Unter Grünen: NRW-Umweltminister Oliver Krischer (l.) beim Sommerempfang des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW mit seiner Energie-Kollegin Mona Neubaur und dem Verbandsvorsitzenden Reiner Priggen
Quelle: E&M/Volker Stephan

Mittwoch, 21.12.2022, 09:00 Uhr
Georg Eble

Haben Sie Interesse an Content oder Mehrfachzugängen für Ihr Unternehmen?

Sprechen Sie uns an, wenn Sie Fragen zur Nutzung von E&M-Inhalten oder den verschiedenen Abonnement-Paketen haben.
Das E&M-Vertriebsteam freut sich unter Tel. 08152 / 93 11-77 oder unter vertrieb@energie-und-management.de über Ihre Anfrage.