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Energie & Management > Gastbeitrag - Game-Changer Bundesverfassungsgericht
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Gastbeitrag

Game-Changer Bundesverfassungsgericht

Das Urteil das Bundesverfassungsgericht zum Klimaschutz ist wegweisend. Ben Schlemmermeier* ordnet den Beschluss aus Karlsruhe ein.
Der Artikel 20a des Grundgesetz ist eine Handlungsanweisung an uns Menschen und an unseren Staat: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen (…).“ Das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen, dass das Klimaschutzgesetz in Teilen mit diesem Grundrecht unvereinbar ist. Der Beschluss ist lesenswert. Das Gericht ist ein Gamechanger. Auf frappierende Weise stellt sich die Frage neu: Wie kommen wir zu einem klimaneutralen Leben?

Der Klimawandel ist ein träger Prozess. Wir wissen nicht, welche Wirkungen wir längst verursacht haben. Pessimistisch betrachtet, ist die Überschreitung der 1,5 Grad-Schwelle längst verursacht. Wir messen lediglich die Wirkung noch nicht. Anders als die Klimawirkung macht die Covid-Krise unmittelbar den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung erfahrbar. Wir lernen im wirklichen Leben schmerzhaft, was die Einschränkung von Freiheitsrechten bedeutet.

Generationenvertrag: Essenz des Karlsruher Beschlusses ist, dass die gegenwärtige Generation in ihrem Handeln gegen den Klimawandel nichts unterlassen darf, das zu Freiheitseinschränkungen zukünftiger Generationen führen könnte. Im Beschluss heißt es präziser: „Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde. Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein (…).“

CO2-Restbudget: Das Bundesverfassungsgericht stellt sich nicht die Frage, ob wir zu einem bestimmten Zieldatum Klimaneutralität realisieren können, müssen oder werden. Das Gericht setzt die "verfassungsrechtlich maßgebliche Temperaturschwelle von deutlich unter 2 °C und möglichst 1,5 °C" zum Maßstab der Ermittlung eines "CO2-Restbudgets". Das Gericht fordert die „(...) verfassungsrechtlich notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen.“

Orientierung geben: Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass der Staat mit seinem Handeln Orientierung gibt. In der praktischen Konsequenz heißt dies, dass ein Zielbild von unserer vollständig klimaneutralen Zukunft entworfen werden muss und der Weg dorthin zu gestalten ist: „Konkret erforderlich ist, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die notwendigen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.“

Neuer Ambitionsgrad: Bestimmen wir tatsächlich das CO2-Restbudget auf Basis des 1,5-Grad-Ziels, wird deutlich, dass innerhalb dieses Restbudgets Klimaneutralität in Deutschland nicht zu erreichen ist. Durch die Unterlassungen der Vergangenheit ist dies völlig unrealistisch geworden! Wir müssen mit einem neuen Ambitionsgrad Klimaschutzmaßnahmen umsetzen. Das ist eine Chance für eine nachhaltige Weiterentwicklung unserer Gesellschaft.

Neue Abwägungen: Wenn erforderliche Klimaschutzmaßnahmen relativ zu Freiheitsrechten überwiegen können, müssen wir auch den Klimaschutz zu anderen Rechtsgütern neu abwägen. Als Erstes stellt sich die Abwägungsfrage in Bezug auf Eingriffe in Raum und Natur durch die Errichtung von Windkraftanlagen und Stromleitungen, wenn diese zur Erreichung der Klimaneutralität erforderlich werden. Damit einher geht die Entwicklung eines neuen Zielbildes für die Gestaltung unserer Kulturlandschaft,

Schlussfolgerung aus all dem: Wir müssen unser CO2-Restbudget bestimmen und sicherstellen, dass das CO2-Restbudget (auch in finanzieller Hinsicht) generationengerecht verteilt und verbraucht wird, dafür ein Zukunftsbild des klimaneutralen Lebens in der Stadt und auf dem Land entwerfen und den Entwicklungspfad dahin transparent und planungssicher gestalten.

*Ben Schlemmermeier, Geschäftsführer, LBD-Unternehmensberatung, Berlin
 
Ben Schlemmermeier
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Mittwoch, 5.05.2021, 10:48 Uhr
Redaktion
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Game-Changer Bundesverfassungsgericht
Das Urteil das Bundesverfassungsgericht zum Klimaschutz ist wegweisend. Ben Schlemmermeier* ordnet den Beschluss aus Karlsruhe ein.
Der Artikel 20a des Grundgesetz ist eine Handlungsanweisung an uns Menschen und an unseren Staat: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen (…).“ Das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen, dass das Klimaschutzgesetz in Teilen mit diesem Grundrecht unvereinbar ist. Der Beschluss ist lesenswert. Das Gericht ist ein Gamechanger. Auf frappierende Weise stellt sich die Frage neu: Wie kommen wir zu einem klimaneutralen Leben?

Der Klimawandel ist ein träger Prozess. Wir wissen nicht, welche Wirkungen wir längst verursacht haben. Pessimistisch betrachtet, ist die Überschreitung der 1,5 Grad-Schwelle längst verursacht. Wir messen lediglich die Wirkung noch nicht. Anders als die Klimawirkung macht die Covid-Krise unmittelbar den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung erfahrbar. Wir lernen im wirklichen Leben schmerzhaft, was die Einschränkung von Freiheitsrechten bedeutet.

Generationenvertrag: Essenz des Karlsruher Beschlusses ist, dass die gegenwärtige Generation in ihrem Handeln gegen den Klimawandel nichts unterlassen darf, das zu Freiheitseinschränkungen zukünftiger Generationen führen könnte. Im Beschluss heißt es präziser: „Danach darf nicht einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde. Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein (…).“

CO2-Restbudget: Das Bundesverfassungsgericht stellt sich nicht die Frage, ob wir zu einem bestimmten Zieldatum Klimaneutralität realisieren können, müssen oder werden. Das Gericht setzt die "verfassungsrechtlich maßgebliche Temperaturschwelle von deutlich unter 2 °C und möglichst 1,5 °C" zum Maßstab der Ermittlung eines "CO2-Restbudgets". Das Gericht fordert die „(...) verfassungsrechtlich notwendigen Reduktionen von CO2-Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen.“

Orientierung geben: Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass der Staat mit seinem Handeln Orientierung gibt. In der praktischen Konsequenz heißt dies, dass ein Zielbild von unserer vollständig klimaneutralen Zukunft entworfen werden muss und der Weg dorthin zu gestalten ist: „Konkret erforderlich ist, dass frühzeitig transparente Maßgaben für die weitere Ausgestaltung der Treibhausgasreduktion formuliert werden, die für die notwendigen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse Orientierung bieten und diesen ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.“

Neuer Ambitionsgrad: Bestimmen wir tatsächlich das CO2-Restbudget auf Basis des 1,5-Grad-Ziels, wird deutlich, dass innerhalb dieses Restbudgets Klimaneutralität in Deutschland nicht zu erreichen ist. Durch die Unterlassungen der Vergangenheit ist dies völlig unrealistisch geworden! Wir müssen mit einem neuen Ambitionsgrad Klimaschutzmaßnahmen umsetzen. Das ist eine Chance für eine nachhaltige Weiterentwicklung unserer Gesellschaft.

Neue Abwägungen: Wenn erforderliche Klimaschutzmaßnahmen relativ zu Freiheitsrechten überwiegen können, müssen wir auch den Klimaschutz zu anderen Rechtsgütern neu abwägen. Als Erstes stellt sich die Abwägungsfrage in Bezug auf Eingriffe in Raum und Natur durch die Errichtung von Windkraftanlagen und Stromleitungen, wenn diese zur Erreichung der Klimaneutralität erforderlich werden. Damit einher geht die Entwicklung eines neuen Zielbildes für die Gestaltung unserer Kulturlandschaft,

Schlussfolgerung aus all dem: Wir müssen unser CO2-Restbudget bestimmen und sicherstellen, dass das CO2-Restbudget (auch in finanzieller Hinsicht) generationengerecht verteilt und verbraucht wird, dafür ein Zukunftsbild des klimaneutralen Lebens in der Stadt und auf dem Land entwerfen und den Entwicklungspfad dahin transparent und planungssicher gestalten.

*Ben Schlemmermeier, Geschäftsführer, LBD-Unternehmensberatung, Berlin
 
Ben Schlemmermeier
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Mittwoch, 5.05.2021, 10:48 Uhr
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