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In einer methodisch fragwürdigen Metastudie plädiert Frontier Economics für Technologieoffenheit bei der Energiewende. Auftraggeber ist ein Mineralöl-Verband.
Für die beschlossene Klimaneutralität Deutschlands 2045 wird zu wenig heimischer Ökostrom da sein, wenn klimaneutrale Alternativen wie E-Fuels sowie deren Import beschränkt oder ausgeschlossen werden und eine "all-electric society" politisch vorangetrieben wird. Das ist das Fazit einer Metastudie, die der Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen (Uniti) am 27.
April veröffentlicht hat. Uniti hatte damit das Analyseunternehmen Frontier Economic beauftragt.
Ansatzpunkt der Metastudie ist der Anteil von Ökostrom am Endenergieverbrauch 2021 und − in drei Szenarien − 2045. Frontier Economics zitiert dabei andere Studien, wonach der deutsche Strombedarf durch den Zubau von Wärmepumpen und den Hochlauf der E-Mobilität von 600
Milliarden kWh auf 800 bis beinahe 1.450
Milliarden kWh steigt. Bei einem Ökostrom-Zubau in Deutschland im bisherigen Tempo − Szenario 1 − würden davon 2045 weniger als 600
Milliarden kWh abgedeckt. Bei einer Beschleunigung − Szenario 2 − würden auch nur gut 1.000
Milliarden kWh erreicht. Und nimmt man die Ökostrom-Mengenziele aus dem Klimaschutzgesetz, dann würden es auch lediglich 1.100 bis 1.300
Milliarden kWh Grünstrom.
Bewusste Vorgabe: Biomasse rausrechnenSchon beim gegenwärtigen Anteil "der Erneuerbaren am Endenergieverbrauch" wird ein recht niedriger Wert von 8,8
Prozent angesetzt, der die Lücken-Aussage unterstützt. Methodisch fragwürdig, aber laut Bestätigung von Uniti gegenüber dieser Redaktion eine bewusste Vorgabe: Der nichtelektrische Beitrag von Erneuerbaren, vor allem der Biomasse, am Endenergieverbrauch (2021) von nochmal 8,8
Prozent fällt in der Betrachtung weg. Und ebenso die Fernwärme mit 4,8
Prozent, die aber schrittweise dekarbonisiert wird. Begründung von Uniti: Die Biomasse habe kein Ausbaupotenzial mehr. Es würden explizit nur Wind und Photovoltaik in die Berechnung einbezogen. Wasserkraft etwa fällt damit auch raus. Das steht in der Zusammenfassung der gut 80-seitigen Studie nirgends.
Unterschied zwischen Primär- und EndenergieZudem beschäftigt sich Frontier Economics nur mit dem Endenergieverbrauch, für den die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (Ageb) bisher nur Zahlen bis 2021 veröffentlicht hat. Die Zahlen für 2022 würden erst in der zweiten Jahreshälfte 2023 zur Verfügung gestellt, heißt es auf Anfrage im Ageb-Umfeld.
Der Endenergieverbrauch ist der Verbrauch über alle Energien und Energieträger hinweg, nachdem man von der Primärenergiegewinnung vor allem Umwandlungsverluste, Energietransport und Eigenverbrauch von Kraftwerken abgezogen hat. Für die Primärenergie hätte es schon Ende 2022 vorläufige Zahlen für 2022 gegeben.
Die Differenz zwischen Primär- und Endenergie ist aber gewaltig: Nach den jüngsten vergleichbaren Zahlen von 2021 gingen von 3.448
Milliarden kWh vor allem durch Energieumwandlung und Verteilung 1.041
Milliarden kWh verloren. Deutschland verbrauchte also im vorvergangenen Jahr 2.407
Milliarden kWh Endenergie. Zu der Frage, ob die Energieverluste auch künftig so hoch bleiben müssen, trifft zumindest die Zusammenfassung keine Aussage. Die Autoren erörtern dort auch nicht, warum sie die Primärenergiegewinnung ignorieren.
Bei der gesicherten elektrischen Leistung prognostizieren die Autoren von Frontier Economics, dass sie sich bei einer weitreichenden Elektrifizierung von der heutigen bequemen Ausstattung für den Spitzenbedarf bis 2045 in eine massive Unterdeckung wandelt. Die Spitzenlast werde sich von 2019 bis dahin von knapp 80.000
MW auf knapp 200.000
MW verdoppeln, wegen der Nachfrage aus zu elektrifizierenden Heizsystemen, Fahrzeugen und bestimmten Industrieprozessen. Es fielen aber zeitgleich grob 90.000
MW konventionelle Kraftwerksleistung weg. Übrig blieben nur 10.000
MW Pumpspeicher und − hier ist sie dann berücksichtigt − die Biomasse.
Fazit von Frontier Economics: Deutschland solle statt einer vollelektrischen Technologielenkung die "herausragende" Bedeutung alternativer Dekarbonisierungs-Technologien anerkennen, als da wären: langfristig speicherbare und günstiger herzustellende importierte synthetische Brenn- und Kraftstoffe, aber auch "in Teilen" grüne Gase wie Wasserstoff und synthetisches Methan.
- Synthetisches Rohöl (Syncrude) und E-Fuels könnten aus weiter entfernten Regionen mit viel Sonne und Wind importiert werden, beispielsweise aus dem Nahen Osten, aus Patagonien und Australien.
- Ökostrom hingegen solle wegen der Transportverluste vor allem in Mitteleuropa erzeugt werden.
- E-Kerosin, -Benzin, -Diesel und -Heizöl nutzten bestehende Transportinfrastruktur und vorhandene industrielle Anlagen und ließen sich auch schrittweise ausbauen.
Donnerstag, 27.04.2023, 14:48 Uhr
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