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Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Exotische Produkte für die Industrie
Quelle: E&M
E&M Vor 20 Jahren

Exotische Produkte für die Industrie

Die energieintensive Industrie war vor 20 Jahren zwar grundsätzlich eine attraktive Kundschaft. Ihre Ansprüche wollte und konnte aber nicht jeder Versorger erfüllen.
Über Portfoliomanagement und Energiehandel wurde vor 20 Jahren viel geschrieben und noch mehr geredet. Jeweils im Spätsommer eines Jahres dachten die Einkäufer der industriellen Energieverbraucher intensiv darüber nach, welche Alternativen sich zur Vollversorgung für das nächste Jahr aufdrängen könnten. Eine gute Gelegenheit für die Anbieter, sich als flexible Dienstleister zu präsentieren. Aber nur wenige Energieversorger hatten tatsächlich die Produkte, die von der Industrie nachgefragt wurden. Und kaum jemand war in der Lage, mit einem individuellen Menü auch einen etwas ausgefalleneren Geschmack zu bedienen. Das musste auch Ernst Ludwig Schüppstuhl erfahren. Er leitete den Bereich Energiewirtschaft bei der Linde AG und hatte für das Portfoliomanagement in der Gasversorgung des Konzerns einen Versorger gesucht. Es dauerte lange, bis er den passenden Partner gefunden hatte.

E&M-Redakteur Fritz Wilhelm sprach damals mit dem Linde-Energiechef.

E&M: Herr Dr. Schüppstuhl, wie schwierig war es, einen geeigneten Partner für Ihr Portfoliomanagement zu finden?
Schüppstuhl: Es war nicht einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen. Zumindest in der Anfangsphase unserer Suche haben wir viele Gesprächspartner getroffen, die vorgetragen haben, was sie uns alles anbieten können, aber im Grunde nur Standardprodukte im Repertoire hatten. Das heißt, man legt seine gesamte Energiebeschaffung in die Hände von Leuten, die versprechen, das preisliche Optimum zu erreichen. Wie das ganze vor sich geht, bleibt einem dann meist verborgen. Angesichts eines Energiekostenanteils bei der Herstellung technischer Gase zwischen 50 und 70 Prozent wollten wir aber alle Entscheidungen bezüglich der Beschaffung in der Hand behalten.
E&M: Waren die Gesprächspartner so wenig vertrauenserweckend?
Schüppstuhl: Wir wollten von Anfang an nur Beratung einkaufen. Wir möchten Handlungsempfehlungen bekommen, auf deren Grundlage wir dann unsere Entscheidungen treffen. Etliche Unternehmen wollten diesen Weg allerdings nicht mit uns gehen, zumindest noch nicht.
E&M: Was gibt Ihnen diesen Eindruck?
Schüppstuhl: Vielen unseren Ansprechpartnern war das Produkt wahrscheinlich zu exotisch. Sie waren auf so etwas nicht vorbereitet, oder sie wollten den eigenen Aufwand so gering wie möglich halten...
E&M: Liegt es nicht auch an den Kunden, dass für die Anbieter Beratungs- und Portfoliomanagementleistungen noch so exotisch sind? Vollversorgung ist ja auch für die Kunden bequem.
Schüppstuhl: Bequem schon, aber nicht immer günstig. Ein Teil der Industriekunden fährt auch möglicherweise immer noch gut mit der Vollversorgung. Aber angesichts unseres Energiekostenanteils ist es für uns unerlässlich, dicht am Marktgeschehen zu sein und auch das nötige Wissen zu haben, damit Nachrichten aus dem Energiemarkt auf fruchtbaren Boden fallen. Wir wurden sogar von einigen unserer Gesprächspartner mit in die Produktentwicklung einbezogen. Wir haben aber immer wieder nach kurzer Zeit erkennen müssen, dass kaum ein Unternehmen in der Lage oder zumindest bereit ist, Kaufempfehlungen aufgrund eingehender Marktanalysen uns gegenüber auch detailliert zu begründen. Mir scheint, die meisten Unternehmen bieten einfach nur an, was sie für sich ohnehin schon machen, also Eigenhandel, aus dem Sie den Kunden dann bedienen. Aus der optimierten eigenen Beschaffung des Dienstleisters bekommt er seine Bänder, Blöcke und Stunden. Wer sich die Mühe macht, tatsächlich für den Kunden ein maßgeschneidertes Portfolio zu managen hat dagegen immer wieder große Überzeugungsarbeit zu leisten. Denn wenn einzelne Produkte zeitweise nur mit geringer Liquidität gehandelt werden, stellt sich für mich die Frage, ob mein Partner die Produkte auch tatsächlich für mich einkauft, wenn sie in sein eigenes Portfolio gerade hervorragend hineinpassen.
E&M: Transparenz war aber bisher keine hervorstechende Tugend des Marktes und seiner Akteure.
Schüppstuhl: Das stimmt, aber wir wollten auf jeden Fall größtmögliche Transparenz haben. Sonst hätten wir uns auch auf eine Vollversorgung einlassen können. Nach unserer Ansicht muss eine Brandmauer für den Kunden erkennbar sein, die ihm signalisiert, dass er eine unabhängige Betreuung bekommt und auch aus allen positiven Entwicklungen einen Nutzen ziehen kann.
E&M: Und wie sieht es mit den Risiken aus?
Schüppstuhl: Wir haben natürlich jemanden gebraucht, der das Ausfallrisiko übernimmt. Forwards sind Produkte, die bis zu ihrer Erfüllung mehrere Male gehandelt werden. Wer garantiert mir denn, wenn ich am Ende der Reihe sitze, dass der Lieferant auch tatsächlich liefern kann? Ich habe in meiner Produktion auch eine „Position glatt zu stellen“. Deshalb haben wir jemanden gesucht, der eigene Erzeugungskapazitäten im Rücken hat.
E&M: Mit wie vielen Unternehmen haben Sie am Anfang gesprochen?
Schüppstuhl: Es waren fünf, mit denen wir konkrete Gespräche geführt haben – allerdings mit unterschiedlicher Tiefe. Zum einen oder anderen sind wir anschließend noch einmal hingefahren, haben uns das Unternehmen genau angesehen und haben danach das Gefühl gehabt, das könnten die Richtigen sein. Wenn man dann aber keine Rückmeldung mehr bekommt, ist das schon enttäuschend. Aber letztlich hat uns das Konzept der norwegischen Energipartner, die seinerzeit schon eine Tochtergesellschaft der Atel Energie war, voll überzeugt. Wir haben uns damit für ein Unternehmen entschieden, dessen Anteilseigner kein Riesenkonzern ist, das aber eigene Kapazitäten hat – auch aus der Überzeugung heraus, dass es dem Markt als Ganzes gut tut, wenn mehr und vor allem kleinere Akteure ihre Chance bekommen.
E&M: Wie sieht Ihr Produkt nun genau aus?
Schüppstuhl: Unser Partner beobachtet für uns den Markt und gibt uns dann Handlungsempfehlungen. Er kauft nicht für uns, sondern sagt uns, welche Kraftwerke wie lange stillstehen, wie sich das Wetter und die Windeinspeisung voraussichtlich entwickeln werden, welche Einflussfaktoren sonst noch auftreten und wie sich das alles in den Preisen der verschiedenen Kontrakte niederschlagen wird. Dann beraten wir miteinander darüber und schließlich treffen wir, die Linde Gas AG, die Entscheidung, welche Kontrakte wann gekauft werden.
E&M: Betreiben Sie selbst keinen Energiehandel?
Schüppstuhl: Nein, wir beschränken uns grundsätzlich auf die Beschaffung. Wenn sich allerdings einmal eine Überdeckung ergibt, weil vielleicht eine unserer Produktionsanlagen ungeplant eine Woche lang stillsteht, geben wir unserem Partner den Auftrag, beispielsweise ein Wochenprodukt an die Börse zu bringen, und das bestmöglich. In einem solchen Fall wollen wir ja verkaufen. Da hat es keinen Sinn, irgendwelche Limits vorzugeben.
E&M: Sie sind nicht als Händler an der EEX registriert?
Schüppstuhl: Wir treffen die Entscheidung und Atel wickelt in unserem Namen die Geschäfte ab.
 

Freitag, 4.08.2023, 16:51 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > E&M Vor 20 Jahren - Exotische Produkte für die Industrie
Quelle: E&M
E&M Vor 20 Jahren
Exotische Produkte für die Industrie
Die energieintensive Industrie war vor 20 Jahren zwar grundsätzlich eine attraktive Kundschaft. Ihre Ansprüche wollte und konnte aber nicht jeder Versorger erfüllen.
Über Portfoliomanagement und Energiehandel wurde vor 20 Jahren viel geschrieben und noch mehr geredet. Jeweils im Spätsommer eines Jahres dachten die Einkäufer der industriellen Energieverbraucher intensiv darüber nach, welche Alternativen sich zur Vollversorgung für das nächste Jahr aufdrängen könnten. Eine gute Gelegenheit für die Anbieter, sich als flexible Dienstleister zu präsentieren. Aber nur wenige Energieversorger hatten tatsächlich die Produkte, die von der Industrie nachgefragt wurden. Und kaum jemand war in der Lage, mit einem individuellen Menü auch einen etwas ausgefalleneren Geschmack zu bedienen. Das musste auch Ernst Ludwig Schüppstuhl erfahren. Er leitete den Bereich Energiewirtschaft bei der Linde AG und hatte für das Portfoliomanagement in der Gasversorgung des Konzerns einen Versorger gesucht. Es dauerte lange, bis er den passenden Partner gefunden hatte.

E&M-Redakteur Fritz Wilhelm sprach damals mit dem Linde-Energiechef.

E&M: Herr Dr. Schüppstuhl, wie schwierig war es, einen geeigneten Partner für Ihr Portfoliomanagement zu finden?
Schüppstuhl: Es war nicht einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen. Zumindest in der Anfangsphase unserer Suche haben wir viele Gesprächspartner getroffen, die vorgetragen haben, was sie uns alles anbieten können, aber im Grunde nur Standardprodukte im Repertoire hatten. Das heißt, man legt seine gesamte Energiebeschaffung in die Hände von Leuten, die versprechen, das preisliche Optimum zu erreichen. Wie das ganze vor sich geht, bleibt einem dann meist verborgen. Angesichts eines Energiekostenanteils bei der Herstellung technischer Gase zwischen 50 und 70 Prozent wollten wir aber alle Entscheidungen bezüglich der Beschaffung in der Hand behalten.
E&M: Waren die Gesprächspartner so wenig vertrauenserweckend?
Schüppstuhl: Wir wollten von Anfang an nur Beratung einkaufen. Wir möchten Handlungsempfehlungen bekommen, auf deren Grundlage wir dann unsere Entscheidungen treffen. Etliche Unternehmen wollten diesen Weg allerdings nicht mit uns gehen, zumindest noch nicht.
E&M: Was gibt Ihnen diesen Eindruck?
Schüppstuhl: Vielen unseren Ansprechpartnern war das Produkt wahrscheinlich zu exotisch. Sie waren auf so etwas nicht vorbereitet, oder sie wollten den eigenen Aufwand so gering wie möglich halten...
E&M: Liegt es nicht auch an den Kunden, dass für die Anbieter Beratungs- und Portfoliomanagementleistungen noch so exotisch sind? Vollversorgung ist ja auch für die Kunden bequem.
Schüppstuhl: Bequem schon, aber nicht immer günstig. Ein Teil der Industriekunden fährt auch möglicherweise immer noch gut mit der Vollversorgung. Aber angesichts unseres Energiekostenanteils ist es für uns unerlässlich, dicht am Marktgeschehen zu sein und auch das nötige Wissen zu haben, damit Nachrichten aus dem Energiemarkt auf fruchtbaren Boden fallen. Wir wurden sogar von einigen unserer Gesprächspartner mit in die Produktentwicklung einbezogen. Wir haben aber immer wieder nach kurzer Zeit erkennen müssen, dass kaum ein Unternehmen in der Lage oder zumindest bereit ist, Kaufempfehlungen aufgrund eingehender Marktanalysen uns gegenüber auch detailliert zu begründen. Mir scheint, die meisten Unternehmen bieten einfach nur an, was sie für sich ohnehin schon machen, also Eigenhandel, aus dem Sie den Kunden dann bedienen. Aus der optimierten eigenen Beschaffung des Dienstleisters bekommt er seine Bänder, Blöcke und Stunden. Wer sich die Mühe macht, tatsächlich für den Kunden ein maßgeschneidertes Portfolio zu managen hat dagegen immer wieder große Überzeugungsarbeit zu leisten. Denn wenn einzelne Produkte zeitweise nur mit geringer Liquidität gehandelt werden, stellt sich für mich die Frage, ob mein Partner die Produkte auch tatsächlich für mich einkauft, wenn sie in sein eigenes Portfolio gerade hervorragend hineinpassen.
E&M: Transparenz war aber bisher keine hervorstechende Tugend des Marktes und seiner Akteure.
Schüppstuhl: Das stimmt, aber wir wollten auf jeden Fall größtmögliche Transparenz haben. Sonst hätten wir uns auch auf eine Vollversorgung einlassen können. Nach unserer Ansicht muss eine Brandmauer für den Kunden erkennbar sein, die ihm signalisiert, dass er eine unabhängige Betreuung bekommt und auch aus allen positiven Entwicklungen einen Nutzen ziehen kann.
E&M: Und wie sieht es mit den Risiken aus?
Schüppstuhl: Wir haben natürlich jemanden gebraucht, der das Ausfallrisiko übernimmt. Forwards sind Produkte, die bis zu ihrer Erfüllung mehrere Male gehandelt werden. Wer garantiert mir denn, wenn ich am Ende der Reihe sitze, dass der Lieferant auch tatsächlich liefern kann? Ich habe in meiner Produktion auch eine „Position glatt zu stellen“. Deshalb haben wir jemanden gesucht, der eigene Erzeugungskapazitäten im Rücken hat.
E&M: Mit wie vielen Unternehmen haben Sie am Anfang gesprochen?
Schüppstuhl: Es waren fünf, mit denen wir konkrete Gespräche geführt haben – allerdings mit unterschiedlicher Tiefe. Zum einen oder anderen sind wir anschließend noch einmal hingefahren, haben uns das Unternehmen genau angesehen und haben danach das Gefühl gehabt, das könnten die Richtigen sein. Wenn man dann aber keine Rückmeldung mehr bekommt, ist das schon enttäuschend. Aber letztlich hat uns das Konzept der norwegischen Energipartner, die seinerzeit schon eine Tochtergesellschaft der Atel Energie war, voll überzeugt. Wir haben uns damit für ein Unternehmen entschieden, dessen Anteilseigner kein Riesenkonzern ist, das aber eigene Kapazitäten hat – auch aus der Überzeugung heraus, dass es dem Markt als Ganzes gut tut, wenn mehr und vor allem kleinere Akteure ihre Chance bekommen.
E&M: Wie sieht Ihr Produkt nun genau aus?
Schüppstuhl: Unser Partner beobachtet für uns den Markt und gibt uns dann Handlungsempfehlungen. Er kauft nicht für uns, sondern sagt uns, welche Kraftwerke wie lange stillstehen, wie sich das Wetter und die Windeinspeisung voraussichtlich entwickeln werden, welche Einflussfaktoren sonst noch auftreten und wie sich das alles in den Preisen der verschiedenen Kontrakte niederschlagen wird. Dann beraten wir miteinander darüber und schließlich treffen wir, die Linde Gas AG, die Entscheidung, welche Kontrakte wann gekauft werden.
E&M: Betreiben Sie selbst keinen Energiehandel?
Schüppstuhl: Nein, wir beschränken uns grundsätzlich auf die Beschaffung. Wenn sich allerdings einmal eine Überdeckung ergibt, weil vielleicht eine unserer Produktionsanlagen ungeplant eine Woche lang stillsteht, geben wir unserem Partner den Auftrag, beispielsweise ein Wochenprodukt an die Börse zu bringen, und das bestmöglich. In einem solchen Fall wollen wir ja verkaufen. Da hat es keinen Sinn, irgendwelche Limits vorzugeben.
E&M: Sie sind nicht als Händler an der EEX registriert?
Schüppstuhl: Wir treffen die Entscheidung und Atel wickelt in unserem Namen die Geschäfte ab.
 

Freitag, 4.08.2023, 16:51 Uhr
Fritz Wilhelm

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