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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Energie mit Sinn am anderen Ende der Welt
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

Energie mit Sinn am anderen Ende der Welt

Chiles Energiewende spricht Deutsch. Das Bremer Unternehmen WPD betreibt dort den größten Windpark Südamerikas. Mit Nebenwirkungen. Eine Reportage aus dem Andenstaat.
Wenn es Winter wird am Llanquihue-See, ist es wie in Deep Purples berühmtem Rocksong. „Smoke on the water“ zieht auf. Hier allerdings nicht wegen eines Casinobrandes, den die Briten einst besangen. Auch stammt der dichte Rauch über dem Badegewässer im mittleren Süden Chiles nicht aus den umliegenden Vulkanen, von denen der Calbuco zuletzt 2015 ausbrach. Nein, wenn es kalt wird am Lago Llanquihue, fachen die Menschen ihre Kamine an und hüllen den See mitsamt Städten wie Puerto Varas in eine Watte aus Treibhausgasen und Feinstäuben. Im Wärmesektor ist Chiles Energiewende noch weitgehend auf dem Holzweg.

Dass der schmale und lange Staat am Westrand der Anden dennoch für positive Schlagzeilen im Klimaschutz sorgt, hat andere Gründe. Mit Verspätung, aber dafür in großem Tempo sind die Südamerikaner auf die Erneuerbaren umgeschwenkt. Binnen zwölf Jahren hat Chile seine Kapazitäten vervielfacht. Und diese Energiewende spricht nicht nur Spanisch und Englisch, sondern in erheblichem Maße auch Deutsch.

So entwickelt die schwäbische Firma Sowitec Wind- und Sonnenkraftwerke im ganzen Land und verkauft sie an Versorger. Dazu hat der nordhessische Solarzulieferer SMA regelmäßig im sonnenverwöhnten Norden Chiles seine Wechselrichter im Spiel, im zugigen Süden verwandeln Siemens und Porsche den Wind über grünen Wasserstoff in E-Fuels. Und dazwischen lässt das Bremer Unternehmen „wpd“ in der Region Araucania die Rotoren in keinem geringeren als Südamerikas größtem Windpark „Malleco“ drehen.

Pedro Nickelsen und sein gleichnamiger Sohn pflegen das Deutsche

Hier, auf der landwirtschaftlichen Plantage „Agua Buena“ (gutes Wasser) in der Kommune Collipulli, sind viele Sprachen zu Hause. Pedro Nickelsen und sein gleichnamiger Sohn pflegen das Deutsche, das ihre − aus Deutschland, Dänemark und Belgien stammenden − Vorfahren vor Jahrzehnten mit ans andere Ende der Welt gebracht haben. Die Produkte des 5.000 Hektar großen Familienbetriebs, mit übers Jahr gesehen mehr als 800 Beschäftigten größter Arbeitgeber der Region, werden auch zu Süßkram für uns: Ferrero umhüllt die Haselnüsse der Farm gerne mit seiner Schokolade. Weithin sichtbar sind aber weniger die Büsche, Sträucher und Bäume mit Heidelbeeren, Haselnüssen, Äpfeln und Kirschen oder die Getreidefelder. Es sind vielmehr die 77 V136-Windturbinen aus dem Hause Vestas, die hier seit Baubeginn 2019 in die Luft gewachsen sind. Ihre Standorte auf der Plantage sind sorgsam gewählt und lassen den mobilen Sprenklermaschinen mit ihren großen Radien ausreichend Platz für die aufwendige Bewässerung der Felder.
 
Weitläufige Felder mit 77 Windturbinen: der Windpark „Malleco“ in Chile mit Lutz Kindermann vom Betreiber WPD (Mitte) und den Grundeigentümern Pedro Nickelsen senior (r.) und junior
Quelle: Volker Stephan

Die 273 MW an Leistungsumfang sind der Rekordwert für Windfarmen auf dem Kontinent. „Was wir betreiben, ist aber mehr als Megawatt“, betont Lutz Kindermann, Geschäftsführer Projektentwicklung für WPD in Chile. Seit bald einem Dutzend Jahren ist der Kasseler für die Norddeutschen vor Ort, 600 Kilometer Pendeln zwischen dem Büro in der Hauptstadt Santiago und Collipulli sind ihm zur Routine geworden. Mit „mehr als Megawatt“ meint er das nicht sofort ersichtliche Engagement neben dem Erzeugnis Grünstrom, der komplett in das öffentliche Netz der Ballungszentren im Norden fließt. Allein zwölf der 50 WPD-Mitarbeitenden sind mit Projekten im Umweltschutz, in der Sozialarbeit oder der Beziehungspflege mit den Anrainern der Windfarm beschäftigt.

Dies ist von besonderer Bedeutung: Die Provinz Malleco zählt zu den ärmsten Landstrichen Chiles, unternehmerisches Handeln trifft hier wiederholt auf Vorbehalte, ob der Wohlstand auch gerecht verteilt wird. „Dieser Park liegt zwar in einer Oase, die Arbeitsplätze bietet“, sagt Lutz Kindermann − allerdings auch in einer Gegend, die von Gewalt nicht verschont bleibe. In unmittelbarer Nähe leben viele indigene Menschen, die Mapuche, eine Bevölkerungsgruppe, die um ihre Teilhabe am wirtschaftlichen Wachstum besorgt ist und dies zum Ausdruck zu bringen weiß.

„Windparks bauen und Positives tun“, heißt also die Devise. Mit Infrastrukturprojekten gehen die Bremer selbst bis in kleine Siedlungen hinein, um die in einfachen Verhältnissen lebenden Menschen günstig und effizient mit erneuerbarer Energie versorgen zu können. Die Kapriolen auf den Weltmärkten mit steigenden Energiepreisen müssten in Chile besonders abgefedert werden, „weil die sozialen Verwerfungen und das Konfliktpotenzial sehr groß sind“, so Lutz Kindermann.

„Energie muss für die Menschen so billig wie möglich sein“

Ferner leistet WPD Pachtzahlungen an den Landwirtschaftsbetrieb, die dem Geschäft und den Arbeitsplätzen eine solide Grundlage schaffen. Senior-Chef Pedro Nickelsen pflichtet bei: „Wir sichern unser Familienunternehmen ökonomisch für die kommenden Generationen ab. Aber wir denken auch altruistisch: Energie muss für die Menschen so billig wie möglich sein.“
 
Die Netze in Chile können dem Erneuerbaren-Ausbau aktuell nicht folgen. Im langgezogenen Staat sind große Distanzen zu überwinden, meist mit Oberleitungen. Hier das Verteilnetz in Pucon mit seinem Vulkan Villarrica
Quelle: Volker Stephan

Dabei wird die Organisation der Energiewende in Chile als vergleichsweise unbürokratisch gerühmt. Sie hat aber auch ihre Nachteile, die nicht nur der Windpark zu spüren bekommt. Das Vergütungssystem sieht keinen garantierten Mindestsatz je Kilowattstunde vor, der Markt regelt die Preise. Weil der Solarstrom und die verbliebenen Kohle- und Gaskraftwerke tagsüber die Leitungen belegen, steht Windstrom hintan und erzielt derzeit häufig nur noch Nullpreise. „Wir erzeugen Strom, bekommen ihn aber nicht vergütet“, sagt Lutz Kindermann. Andererseits seien die Betreiber der Parks verpflichtet, die Versorgung der Endkunden zu sichern und zur Not auch Strom bereitzustellen, den sie selbst landesweit teuer zukaufen müssen.
Lutz Kindermann beklagt vor allem den schleppenden Netzausbau und fordert vom chilenischen Gesetzgeber mehr Tempo, auch beim Überarbeiten des Vergütungssystems. „Viele Investoren könnten sich in Zukunft abwenden, es besteht die Gefahr langfristiger Finanzierungslücken im Bereich der Erneuerbaren.“ Auch die Kreditgeber für den 500 Millionen Euro teuren „Malleco“-Park, unter ihnen die KfW-IPEX-Bank, Caixa Bank (Spanien), Svensk Exportkredit (Schweden) oder die Landesbank Hessen-Thüringen, erwarten natürlich stetige Geldrückflüsse.

Die Kritik an der Regulatorik nimmt auch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wahr, die im Auftrag der Bundesregierung den Erneuerbaren-Ausbau in Chile unterstützt und damit Investitionen von deutschen Firmen flankiert. „Es bedarf mehr Flexibilisierung im Übertragungsnetz und mehr Speicherkapazität im System, um mehr erneuerbare Erzeugung aufzunehmen“, sagt Daina Neddemeyer. Sie leitet das GIZ-Büro in Santiago im Rahmen der Energiepartnerschaft Chile-Deutschland und erhofft sich positive Entwicklungen durch einen runden Tisch von nationaler Energiekommission und Erneuerbaren-Branche. Dessen Auftrag: Vergütung flexibilisieren, Zugänge zum Spotmarkt verbessern und Vergabeverfahren bei Energieausschreibungen überarbeiten.

Während die Fortschritte sich im regulatorischen Bereich erst noch einstellen müssen, nimmt WPD bei seinen Chile-Projekten zunehmend einen Bereich in den Blick, der ökonomisch weniger unsicher erscheint: die Produktion grünen Wasserstoffs − auch für den Export. Tief im Süden Chiles, im vom Winde verwöhnten Patagonien, unterhält die Firma neuerdings ein Büro. Von Punta Arenas aus leistet Catalina Olivares die Vorarbeiten und -gespräche für geeignete Standorte und Produktionsstätten in Gigawatt-Dimensionen. Wie Lutz Kindermann ist es der Chilenin wichtig, dass auch das Land selbst von den günstigen klimatischen Bedingungen und der dünnen Besiedlung profitiert. „Ethische Fragen müssen am Anfang unternehmerischen Handelns stehen“, sagt Catalina Olivares, WPD habe dies beim Windpark in Malleco unter Beweis gestellt.

Auch in Patagonien könnten von den geplanten Wasserstoffprojekten auf der Basis von Windenergie viele profitieren. Das Transportsystem im 4.000 Kilometer langen Land kennt keine Schiene, Schwerlast- und Personenverkehr bahnen sich ihren Weg über die Straße oder durch die Luft. Der für das Land eminent wichtige Kupferabbau ist energieintensiv und ebenfalls perspektivisch umzustellen. Wasserstoff kann in diesen Bereichen die Energiewende bringen − und den Investoren zudem berechenbare Erträge ohne Verlustängste.

Lutz Kindermann würde diese Vorhaben lieber heute als morgen umsetzen. Für „Energie mit Sinn“, also an Orten, wo sie ge- und verbraucht wird, mit der geeigneten Technologie, mit möglichst wenig negativen Begleiterscheinungen und mit „idealen Projektpartnern“ − wie den Nickelsens im Windpark „Malleco“. Allein hier sei noch Platz für weitere Turbinen, für Wasserstoffproduktion, Batteriespeicher und Solarmodule. „Wir wollen die vorhandene Infrastruktur maximal nutzen“, sagt er. Und so die chilenische Energiewende zur Erfolgsgeschichte machen − für die Bedarfe im Inland wie im Ausland.

Dienstag, 7.03.2023, 09:35 Uhr
Volker Stephan
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Energie mit Sinn am anderen Ende der Welt
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
Energie mit Sinn am anderen Ende der Welt
Chiles Energiewende spricht Deutsch. Das Bremer Unternehmen WPD betreibt dort den größten Windpark Südamerikas. Mit Nebenwirkungen. Eine Reportage aus dem Andenstaat.
Wenn es Winter wird am Llanquihue-See, ist es wie in Deep Purples berühmtem Rocksong. „Smoke on the water“ zieht auf. Hier allerdings nicht wegen eines Casinobrandes, den die Briten einst besangen. Auch stammt der dichte Rauch über dem Badegewässer im mittleren Süden Chiles nicht aus den umliegenden Vulkanen, von denen der Calbuco zuletzt 2015 ausbrach. Nein, wenn es kalt wird am Lago Llanquihue, fachen die Menschen ihre Kamine an und hüllen den See mitsamt Städten wie Puerto Varas in eine Watte aus Treibhausgasen und Feinstäuben. Im Wärmesektor ist Chiles Energiewende noch weitgehend auf dem Holzweg.

Dass der schmale und lange Staat am Westrand der Anden dennoch für positive Schlagzeilen im Klimaschutz sorgt, hat andere Gründe. Mit Verspätung, aber dafür in großem Tempo sind die Südamerikaner auf die Erneuerbaren umgeschwenkt. Binnen zwölf Jahren hat Chile seine Kapazitäten vervielfacht. Und diese Energiewende spricht nicht nur Spanisch und Englisch, sondern in erheblichem Maße auch Deutsch.

So entwickelt die schwäbische Firma Sowitec Wind- und Sonnenkraftwerke im ganzen Land und verkauft sie an Versorger. Dazu hat der nordhessische Solarzulieferer SMA regelmäßig im sonnenverwöhnten Norden Chiles seine Wechselrichter im Spiel, im zugigen Süden verwandeln Siemens und Porsche den Wind über grünen Wasserstoff in E-Fuels. Und dazwischen lässt das Bremer Unternehmen „wpd“ in der Region Araucania die Rotoren in keinem geringeren als Südamerikas größtem Windpark „Malleco“ drehen.

Pedro Nickelsen und sein gleichnamiger Sohn pflegen das Deutsche

Hier, auf der landwirtschaftlichen Plantage „Agua Buena“ (gutes Wasser) in der Kommune Collipulli, sind viele Sprachen zu Hause. Pedro Nickelsen und sein gleichnamiger Sohn pflegen das Deutsche, das ihre − aus Deutschland, Dänemark und Belgien stammenden − Vorfahren vor Jahrzehnten mit ans andere Ende der Welt gebracht haben. Die Produkte des 5.000 Hektar großen Familienbetriebs, mit übers Jahr gesehen mehr als 800 Beschäftigten größter Arbeitgeber der Region, werden auch zu Süßkram für uns: Ferrero umhüllt die Haselnüsse der Farm gerne mit seiner Schokolade. Weithin sichtbar sind aber weniger die Büsche, Sträucher und Bäume mit Heidelbeeren, Haselnüssen, Äpfeln und Kirschen oder die Getreidefelder. Es sind vielmehr die 77 V136-Windturbinen aus dem Hause Vestas, die hier seit Baubeginn 2019 in die Luft gewachsen sind. Ihre Standorte auf der Plantage sind sorgsam gewählt und lassen den mobilen Sprenklermaschinen mit ihren großen Radien ausreichend Platz für die aufwendige Bewässerung der Felder.
 
Weitläufige Felder mit 77 Windturbinen: der Windpark „Malleco“ in Chile mit Lutz Kindermann vom Betreiber WPD (Mitte) und den Grundeigentümern Pedro Nickelsen senior (r.) und junior
Quelle: Volker Stephan

Die 273 MW an Leistungsumfang sind der Rekordwert für Windfarmen auf dem Kontinent. „Was wir betreiben, ist aber mehr als Megawatt“, betont Lutz Kindermann, Geschäftsführer Projektentwicklung für WPD in Chile. Seit bald einem Dutzend Jahren ist der Kasseler für die Norddeutschen vor Ort, 600 Kilometer Pendeln zwischen dem Büro in der Hauptstadt Santiago und Collipulli sind ihm zur Routine geworden. Mit „mehr als Megawatt“ meint er das nicht sofort ersichtliche Engagement neben dem Erzeugnis Grünstrom, der komplett in das öffentliche Netz der Ballungszentren im Norden fließt. Allein zwölf der 50 WPD-Mitarbeitenden sind mit Projekten im Umweltschutz, in der Sozialarbeit oder der Beziehungspflege mit den Anrainern der Windfarm beschäftigt.

Dies ist von besonderer Bedeutung: Die Provinz Malleco zählt zu den ärmsten Landstrichen Chiles, unternehmerisches Handeln trifft hier wiederholt auf Vorbehalte, ob der Wohlstand auch gerecht verteilt wird. „Dieser Park liegt zwar in einer Oase, die Arbeitsplätze bietet“, sagt Lutz Kindermann − allerdings auch in einer Gegend, die von Gewalt nicht verschont bleibe. In unmittelbarer Nähe leben viele indigene Menschen, die Mapuche, eine Bevölkerungsgruppe, die um ihre Teilhabe am wirtschaftlichen Wachstum besorgt ist und dies zum Ausdruck zu bringen weiß.

„Windparks bauen und Positives tun“, heißt also die Devise. Mit Infrastrukturprojekten gehen die Bremer selbst bis in kleine Siedlungen hinein, um die in einfachen Verhältnissen lebenden Menschen günstig und effizient mit erneuerbarer Energie versorgen zu können. Die Kapriolen auf den Weltmärkten mit steigenden Energiepreisen müssten in Chile besonders abgefedert werden, „weil die sozialen Verwerfungen und das Konfliktpotenzial sehr groß sind“, so Lutz Kindermann.

„Energie muss für die Menschen so billig wie möglich sein“

Ferner leistet WPD Pachtzahlungen an den Landwirtschaftsbetrieb, die dem Geschäft und den Arbeitsplätzen eine solide Grundlage schaffen. Senior-Chef Pedro Nickelsen pflichtet bei: „Wir sichern unser Familienunternehmen ökonomisch für die kommenden Generationen ab. Aber wir denken auch altruistisch: Energie muss für die Menschen so billig wie möglich sein.“
 
Die Netze in Chile können dem Erneuerbaren-Ausbau aktuell nicht folgen. Im langgezogenen Staat sind große Distanzen zu überwinden, meist mit Oberleitungen. Hier das Verteilnetz in Pucon mit seinem Vulkan Villarrica
Quelle: Volker Stephan

Dabei wird die Organisation der Energiewende in Chile als vergleichsweise unbürokratisch gerühmt. Sie hat aber auch ihre Nachteile, die nicht nur der Windpark zu spüren bekommt. Das Vergütungssystem sieht keinen garantierten Mindestsatz je Kilowattstunde vor, der Markt regelt die Preise. Weil der Solarstrom und die verbliebenen Kohle- und Gaskraftwerke tagsüber die Leitungen belegen, steht Windstrom hintan und erzielt derzeit häufig nur noch Nullpreise. „Wir erzeugen Strom, bekommen ihn aber nicht vergütet“, sagt Lutz Kindermann. Andererseits seien die Betreiber der Parks verpflichtet, die Versorgung der Endkunden zu sichern und zur Not auch Strom bereitzustellen, den sie selbst landesweit teuer zukaufen müssen.
Lutz Kindermann beklagt vor allem den schleppenden Netzausbau und fordert vom chilenischen Gesetzgeber mehr Tempo, auch beim Überarbeiten des Vergütungssystems. „Viele Investoren könnten sich in Zukunft abwenden, es besteht die Gefahr langfristiger Finanzierungslücken im Bereich der Erneuerbaren.“ Auch die Kreditgeber für den 500 Millionen Euro teuren „Malleco“-Park, unter ihnen die KfW-IPEX-Bank, Caixa Bank (Spanien), Svensk Exportkredit (Schweden) oder die Landesbank Hessen-Thüringen, erwarten natürlich stetige Geldrückflüsse.

Die Kritik an der Regulatorik nimmt auch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wahr, die im Auftrag der Bundesregierung den Erneuerbaren-Ausbau in Chile unterstützt und damit Investitionen von deutschen Firmen flankiert. „Es bedarf mehr Flexibilisierung im Übertragungsnetz und mehr Speicherkapazität im System, um mehr erneuerbare Erzeugung aufzunehmen“, sagt Daina Neddemeyer. Sie leitet das GIZ-Büro in Santiago im Rahmen der Energiepartnerschaft Chile-Deutschland und erhofft sich positive Entwicklungen durch einen runden Tisch von nationaler Energiekommission und Erneuerbaren-Branche. Dessen Auftrag: Vergütung flexibilisieren, Zugänge zum Spotmarkt verbessern und Vergabeverfahren bei Energieausschreibungen überarbeiten.

Während die Fortschritte sich im regulatorischen Bereich erst noch einstellen müssen, nimmt WPD bei seinen Chile-Projekten zunehmend einen Bereich in den Blick, der ökonomisch weniger unsicher erscheint: die Produktion grünen Wasserstoffs − auch für den Export. Tief im Süden Chiles, im vom Winde verwöhnten Patagonien, unterhält die Firma neuerdings ein Büro. Von Punta Arenas aus leistet Catalina Olivares die Vorarbeiten und -gespräche für geeignete Standorte und Produktionsstätten in Gigawatt-Dimensionen. Wie Lutz Kindermann ist es der Chilenin wichtig, dass auch das Land selbst von den günstigen klimatischen Bedingungen und der dünnen Besiedlung profitiert. „Ethische Fragen müssen am Anfang unternehmerischen Handelns stehen“, sagt Catalina Olivares, WPD habe dies beim Windpark in Malleco unter Beweis gestellt.

Auch in Patagonien könnten von den geplanten Wasserstoffprojekten auf der Basis von Windenergie viele profitieren. Das Transportsystem im 4.000 Kilometer langen Land kennt keine Schiene, Schwerlast- und Personenverkehr bahnen sich ihren Weg über die Straße oder durch die Luft. Der für das Land eminent wichtige Kupferabbau ist energieintensiv und ebenfalls perspektivisch umzustellen. Wasserstoff kann in diesen Bereichen die Energiewende bringen − und den Investoren zudem berechenbare Erträge ohne Verlustängste.

Lutz Kindermann würde diese Vorhaben lieber heute als morgen umsetzen. Für „Energie mit Sinn“, also an Orten, wo sie ge- und verbraucht wird, mit der geeigneten Technologie, mit möglichst wenig negativen Begleiterscheinungen und mit „idealen Projektpartnern“ − wie den Nickelsens im Windpark „Malleco“. Allein hier sei noch Platz für weitere Turbinen, für Wasserstoffproduktion, Batteriespeicher und Solarmodule. „Wir wollen die vorhandene Infrastruktur maximal nutzen“, sagt er. Und so die chilenische Energiewende zur Erfolgsgeschichte machen − für die Bedarfe im Inland wie im Ausland.

Dienstag, 7.03.2023, 09:35 Uhr
Volker Stephan

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