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Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe

"Dem Nabeg liegt ein Denkfehler zugrunde"

Neue Regeln erfordern neue IT-Lösungen. Andreas Lied von BBH Consulting kritisiert, dass beim Redispatch 2.0 alle Netz- und Anlagenbetreiber über einen Kamm geschoren werden.
E&M: Herr Lied, Sie haben im Februar vor ‚Wundertüten‘ beziehungsweise IT-Anbietern gewarnt, die das Rundum-sorglos-Paket für Redispatch 2.0 versprechen. Ist diese Warnung noch gültig?

Lied: Ja, das ist alles noch gültig. Es gibt keine Lösungen, die alle Anforderungen an die verschiedenen Marktrollen komplett abdecken und alle Datenströme vollautomatisiert ermöglichen. Man sieht ja auch, dass einige der etablierten IT-Dienstleister auf Kooperationen setzen und entsprechend Module anbieten.

E&M: Brauchen Netz- und Anlagenbetreiber überhaupt neue Software?

Lied: Es gab bisher schon Aufgaben wie das Energiedatenmanagement oder die Netzsteuerung. Neu ist, dass die kaufmännischen Systeme jetzt mit den technischen verknüpft werden, beispielsweise das Fahrplanmanagement mit dem Leitsystem. Wichtig ist dabei, dass die Energieversorger neue Prozesse in bestehende Strukturen integrieren können. Es darf aus meiner Sicht nicht sein, dass ein Kunde sich ein anderes Energiedatenmanagement zulegen muss, nur weil er jetzt das Fahrplanmanagement auf neue Füße stellt. Trotzdem ist der Aufwand für ein klassisches Stadtwerk ganz erheblich. Viele von ihnen müssen dafür einen sechsstelligen Betrag in die Hand nehmen.
 
„Es bringt nichts, die Redispatch-Fähigkeit flächendeckend vorzuschreiben“
 
E&M: Der regulatorische Rahmen lässt ihnen ja keine Wahl.

Lied: Das ist zwar richtig, gleichzeitig aber auch das Problem. Denn alle Energieversorger und Netzbetreiber werden über einen Kamm geschoren. Dabei gibt es sehr viele Netzbetreiber, die noch keinen Engpass in der Mittel- und Niederspannung hatten und auch keinen haben werden. Es bringt deshalb überhaupt nichts, die Redispatch-Fähigkeit flächendeckend vorzuschreiben. Im einen oder anderen Netzgebiet im Süden, wo auf jedem Scheunendach eine PV-Anlage installiert ist, oder im Norden, wo die Windkrafteinspeisung den Bedarf deutlich übersteigt, da treten tatsächlich Netzengpässe auf und die Verteilnetzbetreiber speisen zum Teil an 300 Tagen ins vorgelagerte Netz zurück. Dort wissen sie aber selbst, wie mit der Situation umzugehen und das Einspeisemanagement zu handhaben ist. Abgesehen davon ist es aus meiner Sicht wesentlich sinnvoller, in die Herstellung von grünem Wasserstoff zu investieren, als Geld für teure und zumindest im geplanten Umfang unnötige IT auszugeben.

E&M: Dann ist die Pflicht, alle Anlagen steuerbar zu machen, aus Ihrer Sicht ein Webfehler des Nabeg?

Lied: Dem Nabeg liegt sogar ein Denkfehler zugrunde: die Kupferplatte. Unser Stromsystem ist aber keine Kupferplatte. Deshalb brauchen wir nur dort steuerbare Anlagen, wo die Netzengpässe auch wirklich auftreten, und das ist ganz im Norden und ganz im Süden.

E&M: Wie schwierig ist es, eine Anlage steuerbar zu machen?

Lied: Technisch ist das Schalten kein Problem. Für Anlagen ab 100 Kilowatt Anschlussleistung ist die Steuerbarkeit ja heute schon Pflicht. Das sind PV-Anlagen ab ungefähr 1000 Quadratmetern. Die sind nicht sehr groß. Und Windkraftanlagen haben in der Regel ohnehin mehr als ein Megawatt Leistung. Aber fragen Sie mal den Anlagenbetreiber aus einem Netz in der Mitte Deutschlands, wie oft seine Anlage bisher geschaltet wurde. Wahrscheinlich kein einziges Mal. Daran wird sich auch in vielen Mittel- und Niederspannungsnetzen auf absehbare Zeit nichts ändern.

E&M: Künftig sollen vor allem die Smart Meter Gateways als zentrale Datendrehscheibe im Energiesystem das sichere Schalten von Anlagen gewährleisten. Haben sich Ihre Bedenken und Warnungen erledigt, wenn die Geräte großflächig ausgerollt sind?

Lied: Die intelligenten Messsysteme sind als technische Infrastruktur für das Redispatch 2.0 prädestiniert. Wenn man über eine integrierte Plattform die Ist-Einspeisung messen und Schalthandlungen vornehmen kann, ist das höchsteffizient. Man braucht dann die Daten nicht erst aufwendig zu generieren und zusammenzuführen. Da bisher aber kaum intelligente Messsysteme ausgerollt wurden, kann man bei den kleineren Anlagen unter 100 Kilowatt diesen Vorteil noch nicht nutzen. Bei den Anlagen über 100 Kilowatt sind zumindest schon RLM-Zähler (Registrierende Leistungsmessung; d. Red.) installiert, die die entsprechenden Daten liefern.
 
„Es wäre sicherlich vernünftig gewesen, auf den Smart Meter Rollout zu warten“
 
E&M: Hätte der Gesetzgeber auf den Smart Meter Rollout warten sollen?
Lied: Das wäre sicherlich vernünftig gewesen. Alle Beteiligten hätten sich viel unnötigen Aufwand erspart.

E&M: Aber die übrigen Daten wie die Prognose- und Stammdaten sind doch unmittelbar verfügbar, oder?

Lied: Die Anlagen, die in der Direktvermarktung sind, müssen zwar ihre Erzeugung planen und prognostizieren. Die Betreiber arbeiten dabei aber häufig mit Referenzwerten und Hochrechnungen. Anlagen, die im sogenannten Aufforderungsmodus sind, müssen künftig allerdings die Erzeugungsprognose für jede Viertelstunde aktualisieren, wenn auch nur die geringsten Änderungen zu erwarten sind. Überspitzt gesagt: Wenn zwei, drei Wolken mal über eine PV-Anlage hinwegziehen, müssen die Daten schon aktualisiert werden. Das ist ein enormer Aufwand. Noch dazu müssen die Netzbetreiber die Daten künftig auch validieren.

E&M: Wenigstens müssen die Stammdaten nicht ständig aktualisiert werden …

Lied: Das Problem ist aber, dass man heutzutage eine ganze Reihe von IT-Systemen hat, in denen Anlagenstammdaten hinterlegt sind, beispielsweise das Workforce Management, das EDM-System oder das Leitsystem. Und nicht zuletzt das Stammdatenregister.

E&M: Anlagenstammdaten sind Anlagenstammdaten − oder gilt das nicht?
Lied: Die Daten sind nicht überall im gleichen Umfang hinterlegt. Üblicherweise begegnen sich beim Thema Redispatch 2.0 drei bis vier Systemwelten, die nicht immer Schnittstellen zueinander haben. Deshalb müssen sich die verschiedenen Marktrollen sehr genau überlegen, wo sie die Anlagenstammdaten verwalten. Für das Redispatch 2.0 müssen auch Daten gemeldet werden, die in den bestehenden IT-Systemen oft nicht vorhanden sind. Da wird so mancher Anlagenbetreiber ‚in den Keller‘ gehen müssen, um in alten Papierdokumenten zu recherchieren. Er muss beispielsweise unter bestimmten Voraussetzungen die durchschnittliche Leistungsänderungsgeschwindigkeit zwischen Mindesterzeugungs- und Nennleistung bei Leistungserhöhung angeben. Netzbetreiber müssen im sogenannten Netzbetreiberkoordinierungskonzept bei Connect+ viele Daten des Anlagenbetreibers ‚anreichern‘, etwa bei Windkraftanlagen mit der Nabenhöhe. Solche Daten hat ein Netzbetreiber a priori nicht.

E&M: Vonseiten der Anlagenbetreiber ist gelegentlich zu hören, dass sie von den Netzbetreibern erst sehr spät über alle Erfordernisse informiert wurden, zum Teil erst im Mai. Teilen Sie diese Kritik?

Lied: Die Netzbetreiber haben im Mai die Anlagenbetreiber, die schon ab 1. April hätten Daten liefern sollen, quasi ‚wachgerüttelt‘. Die Netzbetreiber sehen sich in der Pflicht, für eine gute Datenqualität zu sorgen, und haben die Daten deshalb noch mal angemahnt. Sie sind aber nicht die ‚Redispatch-Polizei‘, die für die Durchsetzung der Verordnung verantwortlich ist und die Anlagenbetreiber gegebenenfalls abstraft. E&M
 
 
Andreas Lied: Der promovierte Physiker ist seit 2010 Vorstand bei BBH Consulting und auch Gründungsvorstand der Gesellschaft. Zuvor war er Geschäftsführer des Softwareunternehmens Wilken
Bild: Nanna Heitmann
 

Warnung vor „Wundertüten“

Wie in mittlerweile allen Bereichen der Energiewirtschaft spielt die IT auch beim Redispatch 2.0, das auf dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz (Nabeg) beruht, eine ganz entscheidende Rolle. Im Februar war die Anpassung der IT-Systeme im Zuge des Redispatch 2.0 Thema eines Beitrags im Blog der BBH-Gruppe. Die Autoren von BBH Consulting um Vorstand Andreas Lied wiesen darauf hin, dass die meisten Energieversorger heterogene IT-Architekturen haben. Selbst bei den Unternehmen, die monolithische Lösungen zur Steuerung der betriebswirtschaftlichen Prozesse nutzen, finden sich häufig Umsysteme für spezifische Aufgaben.

Die Umsetzung des Redispatch 2.0 erfordere jedoch die Zusammenführung von Informationen aus unterschiedlichen Datenquellen, etwa dem Energiedatenmanagement, dem Einspeisemanagement, dem Marktstammdatenregister operationeller Leitsysteme und dem Management flexibler Anlagen. Diese Daten müssen empfangen, aggregiert und validiert werden, bevor sie an die jeweiligen Marktrollen weitergegeben werden.
Anhand einer Reihe von Fragen versuchen die Autoren zu verdeutlichen, wie neuartig die Herausforderungen für die Energieversorger sind und dass es nur vermeintlich einfache Lösungen gibt. Denn schon am Inhalt des Begriffs „Prognosedaten“ würden sich die Geister scheiden. Darüber hinaus stünde noch eine ganze Reihe von Fragen im Raum, etwa nach der Verlässlichkeit kurzfristiger Fahrpläne der Anlagenbetreiber oder wie selbst bei kleineren Erzeugungsanlagen im 15-Minuten-Rhythmus Netzlastprognosen aktualisiert und weitergegeben werden können.

Auf die zum Teil ganz neuen Anforderungen gebe es keine einfachen Lösungen, heißt es bei BBH Consulting. Die Berater warnen deshalb vor „Wundertüten“. „Während große Standardsoftwareanbieter eher durch vornehme Zurückhaltung auffallen, versprechen kleinere Softwarehersteller zum Teil unseriöse Dinge“, schreiben Lied und seine Kollegen und zitieren Aussagen wie „… wird bis zum 1.10.2021 alle Prozesse zum RD 2.0 … abdecken“ oder sinngemäß „unsere Lösung wird das komplette Aufgabenspektrum abdecken“. Ihnen sei kein durchgängiges, integriertes IT-System eines Herstellers bekannt, das alle genannten Anforderungen abdecke, geschweige denn im Einsatz sei.
 

 
 

Mittwoch, 14.07.2021, 09:35 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe -
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Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe
"Dem Nabeg liegt ein Denkfehler zugrunde"
Neue Regeln erfordern neue IT-Lösungen. Andreas Lied von BBH Consulting kritisiert, dass beim Redispatch 2.0 alle Netz- und Anlagenbetreiber über einen Kamm geschoren werden.
E&M: Herr Lied, Sie haben im Februar vor ‚Wundertüten‘ beziehungsweise IT-Anbietern gewarnt, die das Rundum-sorglos-Paket für Redispatch 2.0 versprechen. Ist diese Warnung noch gültig?

Lied: Ja, das ist alles noch gültig. Es gibt keine Lösungen, die alle Anforderungen an die verschiedenen Marktrollen komplett abdecken und alle Datenströme vollautomatisiert ermöglichen. Man sieht ja auch, dass einige der etablierten IT-Dienstleister auf Kooperationen setzen und entsprechend Module anbieten.

E&M: Brauchen Netz- und Anlagenbetreiber überhaupt neue Software?

Lied: Es gab bisher schon Aufgaben wie das Energiedatenmanagement oder die Netzsteuerung. Neu ist, dass die kaufmännischen Systeme jetzt mit den technischen verknüpft werden, beispielsweise das Fahrplanmanagement mit dem Leitsystem. Wichtig ist dabei, dass die Energieversorger neue Prozesse in bestehende Strukturen integrieren können. Es darf aus meiner Sicht nicht sein, dass ein Kunde sich ein anderes Energiedatenmanagement zulegen muss, nur weil er jetzt das Fahrplanmanagement auf neue Füße stellt. Trotzdem ist der Aufwand für ein klassisches Stadtwerk ganz erheblich. Viele von ihnen müssen dafür einen sechsstelligen Betrag in die Hand nehmen.
 
„Es bringt nichts, die Redispatch-Fähigkeit flächendeckend vorzuschreiben“
 
E&M: Der regulatorische Rahmen lässt ihnen ja keine Wahl.

Lied: Das ist zwar richtig, gleichzeitig aber auch das Problem. Denn alle Energieversorger und Netzbetreiber werden über einen Kamm geschoren. Dabei gibt es sehr viele Netzbetreiber, die noch keinen Engpass in der Mittel- und Niederspannung hatten und auch keinen haben werden. Es bringt deshalb überhaupt nichts, die Redispatch-Fähigkeit flächendeckend vorzuschreiben. Im einen oder anderen Netzgebiet im Süden, wo auf jedem Scheunendach eine PV-Anlage installiert ist, oder im Norden, wo die Windkrafteinspeisung den Bedarf deutlich übersteigt, da treten tatsächlich Netzengpässe auf und die Verteilnetzbetreiber speisen zum Teil an 300 Tagen ins vorgelagerte Netz zurück. Dort wissen sie aber selbst, wie mit der Situation umzugehen und das Einspeisemanagement zu handhaben ist. Abgesehen davon ist es aus meiner Sicht wesentlich sinnvoller, in die Herstellung von grünem Wasserstoff zu investieren, als Geld für teure und zumindest im geplanten Umfang unnötige IT auszugeben.

E&M: Dann ist die Pflicht, alle Anlagen steuerbar zu machen, aus Ihrer Sicht ein Webfehler des Nabeg?

Lied: Dem Nabeg liegt sogar ein Denkfehler zugrunde: die Kupferplatte. Unser Stromsystem ist aber keine Kupferplatte. Deshalb brauchen wir nur dort steuerbare Anlagen, wo die Netzengpässe auch wirklich auftreten, und das ist ganz im Norden und ganz im Süden.

E&M: Wie schwierig ist es, eine Anlage steuerbar zu machen?

Lied: Technisch ist das Schalten kein Problem. Für Anlagen ab 100 Kilowatt Anschlussleistung ist die Steuerbarkeit ja heute schon Pflicht. Das sind PV-Anlagen ab ungefähr 1000 Quadratmetern. Die sind nicht sehr groß. Und Windkraftanlagen haben in der Regel ohnehin mehr als ein Megawatt Leistung. Aber fragen Sie mal den Anlagenbetreiber aus einem Netz in der Mitte Deutschlands, wie oft seine Anlage bisher geschaltet wurde. Wahrscheinlich kein einziges Mal. Daran wird sich auch in vielen Mittel- und Niederspannungsnetzen auf absehbare Zeit nichts ändern.

E&M: Künftig sollen vor allem die Smart Meter Gateways als zentrale Datendrehscheibe im Energiesystem das sichere Schalten von Anlagen gewährleisten. Haben sich Ihre Bedenken und Warnungen erledigt, wenn die Geräte großflächig ausgerollt sind?

Lied: Die intelligenten Messsysteme sind als technische Infrastruktur für das Redispatch 2.0 prädestiniert. Wenn man über eine integrierte Plattform die Ist-Einspeisung messen und Schalthandlungen vornehmen kann, ist das höchsteffizient. Man braucht dann die Daten nicht erst aufwendig zu generieren und zusammenzuführen. Da bisher aber kaum intelligente Messsysteme ausgerollt wurden, kann man bei den kleineren Anlagen unter 100 Kilowatt diesen Vorteil noch nicht nutzen. Bei den Anlagen über 100 Kilowatt sind zumindest schon RLM-Zähler (Registrierende Leistungsmessung; d. Red.) installiert, die die entsprechenden Daten liefern.
 
„Es wäre sicherlich vernünftig gewesen, auf den Smart Meter Rollout zu warten“
 
E&M: Hätte der Gesetzgeber auf den Smart Meter Rollout warten sollen?
Lied: Das wäre sicherlich vernünftig gewesen. Alle Beteiligten hätten sich viel unnötigen Aufwand erspart.

E&M: Aber die übrigen Daten wie die Prognose- und Stammdaten sind doch unmittelbar verfügbar, oder?

Lied: Die Anlagen, die in der Direktvermarktung sind, müssen zwar ihre Erzeugung planen und prognostizieren. Die Betreiber arbeiten dabei aber häufig mit Referenzwerten und Hochrechnungen. Anlagen, die im sogenannten Aufforderungsmodus sind, müssen künftig allerdings die Erzeugungsprognose für jede Viertelstunde aktualisieren, wenn auch nur die geringsten Änderungen zu erwarten sind. Überspitzt gesagt: Wenn zwei, drei Wolken mal über eine PV-Anlage hinwegziehen, müssen die Daten schon aktualisiert werden. Das ist ein enormer Aufwand. Noch dazu müssen die Netzbetreiber die Daten künftig auch validieren.

E&M: Wenigstens müssen die Stammdaten nicht ständig aktualisiert werden …

Lied: Das Problem ist aber, dass man heutzutage eine ganze Reihe von IT-Systemen hat, in denen Anlagenstammdaten hinterlegt sind, beispielsweise das Workforce Management, das EDM-System oder das Leitsystem. Und nicht zuletzt das Stammdatenregister.

E&M: Anlagenstammdaten sind Anlagenstammdaten − oder gilt das nicht?
Lied: Die Daten sind nicht überall im gleichen Umfang hinterlegt. Üblicherweise begegnen sich beim Thema Redispatch 2.0 drei bis vier Systemwelten, die nicht immer Schnittstellen zueinander haben. Deshalb müssen sich die verschiedenen Marktrollen sehr genau überlegen, wo sie die Anlagenstammdaten verwalten. Für das Redispatch 2.0 müssen auch Daten gemeldet werden, die in den bestehenden IT-Systemen oft nicht vorhanden sind. Da wird so mancher Anlagenbetreiber ‚in den Keller‘ gehen müssen, um in alten Papierdokumenten zu recherchieren. Er muss beispielsweise unter bestimmten Voraussetzungen die durchschnittliche Leistungsänderungsgeschwindigkeit zwischen Mindesterzeugungs- und Nennleistung bei Leistungserhöhung angeben. Netzbetreiber müssen im sogenannten Netzbetreiberkoordinierungskonzept bei Connect+ viele Daten des Anlagenbetreibers ‚anreichern‘, etwa bei Windkraftanlagen mit der Nabenhöhe. Solche Daten hat ein Netzbetreiber a priori nicht.

E&M: Vonseiten der Anlagenbetreiber ist gelegentlich zu hören, dass sie von den Netzbetreibern erst sehr spät über alle Erfordernisse informiert wurden, zum Teil erst im Mai. Teilen Sie diese Kritik?

Lied: Die Netzbetreiber haben im Mai die Anlagenbetreiber, die schon ab 1. April hätten Daten liefern sollen, quasi ‚wachgerüttelt‘. Die Netzbetreiber sehen sich in der Pflicht, für eine gute Datenqualität zu sorgen, und haben die Daten deshalb noch mal angemahnt. Sie sind aber nicht die ‚Redispatch-Polizei‘, die für die Durchsetzung der Verordnung verantwortlich ist und die Anlagenbetreiber gegebenenfalls abstraft. E&M
 
 
Andreas Lied: Der promovierte Physiker ist seit 2010 Vorstand bei BBH Consulting und auch Gründungsvorstand der Gesellschaft. Zuvor war er Geschäftsführer des Softwareunternehmens Wilken
Bild: Nanna Heitmann
 

Warnung vor „Wundertüten“

Wie in mittlerweile allen Bereichen der Energiewirtschaft spielt die IT auch beim Redispatch 2.0, das auf dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz (Nabeg) beruht, eine ganz entscheidende Rolle. Im Februar war die Anpassung der IT-Systeme im Zuge des Redispatch 2.0 Thema eines Beitrags im Blog der BBH-Gruppe. Die Autoren von BBH Consulting um Vorstand Andreas Lied wiesen darauf hin, dass die meisten Energieversorger heterogene IT-Architekturen haben. Selbst bei den Unternehmen, die monolithische Lösungen zur Steuerung der betriebswirtschaftlichen Prozesse nutzen, finden sich häufig Umsysteme für spezifische Aufgaben.

Die Umsetzung des Redispatch 2.0 erfordere jedoch die Zusammenführung von Informationen aus unterschiedlichen Datenquellen, etwa dem Energiedatenmanagement, dem Einspeisemanagement, dem Marktstammdatenregister operationeller Leitsysteme und dem Management flexibler Anlagen. Diese Daten müssen empfangen, aggregiert und validiert werden, bevor sie an die jeweiligen Marktrollen weitergegeben werden.
Anhand einer Reihe von Fragen versuchen die Autoren zu verdeutlichen, wie neuartig die Herausforderungen für die Energieversorger sind und dass es nur vermeintlich einfache Lösungen gibt. Denn schon am Inhalt des Begriffs „Prognosedaten“ würden sich die Geister scheiden. Darüber hinaus stünde noch eine ganze Reihe von Fragen im Raum, etwa nach der Verlässlichkeit kurzfristiger Fahrpläne der Anlagenbetreiber oder wie selbst bei kleineren Erzeugungsanlagen im 15-Minuten-Rhythmus Netzlastprognosen aktualisiert und weitergegeben werden können.

Auf die zum Teil ganz neuen Anforderungen gebe es keine einfachen Lösungen, heißt es bei BBH Consulting. Die Berater warnen deshalb vor „Wundertüten“. „Während große Standardsoftwareanbieter eher durch vornehme Zurückhaltung auffallen, versprechen kleinere Softwarehersteller zum Teil unseriöse Dinge“, schreiben Lied und seine Kollegen und zitieren Aussagen wie „… wird bis zum 1.10.2021 alle Prozesse zum RD 2.0 … abdecken“ oder sinngemäß „unsere Lösung wird das komplette Aufgabenspektrum abdecken“. Ihnen sei kein durchgängiges, integriertes IT-System eines Herstellers bekannt, das alle genannten Anforderungen abdecke, geschweige denn im Einsatz sei.
 

 
 

Mittwoch, 14.07.2021, 09:35 Uhr
Fritz Wilhelm

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