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Energie & Management > Recht - Bessere Marktaufsicht bei fragwürdigen Preispraktiken gefordert
Quelle: Fotolia / H-J Paulsen
Recht

Bessere Marktaufsicht bei fragwürdigen Preispraktiken gefordert

Der Gesetzgeber will die Aufsichtsrechte der Bundesnetzagentur über Strom- und Gaslieferanten stärken. Verbraucherverbände fordern zugleich ein härteres Durchgreifen der Behörde.
Die Verbraucherzentrale Niedersachsen kann „die Anfragen kaum noch bewältigen“, die Kolleginnen und Kollegen in Brandenburg sehen einer Gerichtsverhandlung entgegen: Einmal mehr rufen diverse Energiegesellschaften der Berliner Primaholding GmbH Verbraucherschützer auf den Plan. Es geht um Geschäftspraktiken im Zusammenhang mit Preiserhöhungen und Abschlagszahlungen. Und einmal mehr steht auch die Marktaufsichtsbehörde, die Bundesnetzagentur, in der Kritik.

Die Verbraucherzentrale Brandenburg hat das Tochterunternehmen Voxenergie der Primaholding verklagt. Der Energielieferant soll Kunden nicht über Preisänderungen und ihr Sonderkündigungsrecht informiert haben. "Erhöhte Beträge wurden offenbar einfach abgerechnet und abgebucht", sagt Dunja Neukamp, Juristin der dortigen Verbraucherzentrale. Das Unternehmen wehrt sich. Die Beklagte habe ihre "Verteidigungsbereitschaft" signalisiert, teilte das Kammergericht Berlin mit. Primaholding selbst will sich zum "noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren" gegenüber der Redaktion nicht äußern.

Bei mehreren Verbraucherzentralen aufgefallen

Die Verbraucherzentrale Niedersachsen berichtet von Beschwerden über zwei Töchter der Primaholding. Jeden Tag würden sich Verbraucher wegen Primastrom oder Voxenergie melden. "Sie sollen plötzlich deutlich höhere Abschläge, teilweise über 500 Euro monatlich, zahlen", sagt Tiana Schönbohm, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale. „Andere werden über den Wechsel des Energieversorgers informiert, obwohl sie diesen gar nicht veranlasst haben."

Gegen Voxenergie war die Verbraucherzentrale zuletzt im August 2021 vor Gericht gezogen. Auch andernorts sind die Energieanbieter aufgefallen: Die Verbraucherzentrale Hamburg hat diesen März Klage gegen Primastrom eingereicht. Die Kollegen in Baden-Württemberg sahen im Februar 2021 "wieder perfide Maschen bei Primastrom". Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ging 2017 gerichtlich gegen Voxenergie vor.
 
 
Verbraucherjuristen sehen die Bundesnetzagentur gefordert. "Wir bekommen recht, aber trotzdem passiert nichts", sagt Tiana Schönbohm. Juristische Hebel gebe es. "Aus unserer Sicht reichen die Möglichkeiten der Behörde aus, sich einzuschalten", kritisiert sie und verweist auf die Paragrafen 5 und 65 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG).

Nach Paragraf 5 kann die Bundesnetzagentur einem Unternehmen das Geschäft ganz oder teilweise unter anderem dann verbieten, wenn dessen "Zuverlässigkeit nicht gewährleistet ist". "Zuverlässigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff", erklärt Schönbohm. Vieles deute darauf hin, dass sie bei Voxenergie nicht gegeben sei. "Eine gerichtliche Überprüfbarkeit ihrer Entscheidung sollte kein Hindernis für die Bundesnetzagentur sein", sagt die Verbraucherjuristin.

Der Regulierungsbehörde entgehen solche Fälle nicht. Die Verbraucherzentralen machen Abmahnungen und Klagen öffentlich. Und sie empfehlen oft betroffenen Kunden, fragwürdige Schreiben von Energieanbietern an die Bundesnetzagentur weiterzuleiten. 

Nur in Extremfällen

Die Behörde weist die Kritik der Verbraucherzentralen zurück. "Das aufsichtsrechtliche Handeln der Bundesnetzagentur unterliegt dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“, erklärt ein Sprecher. Eine Tätigkeitsuntersagung sei „nur in Ausnahme- und Extremfällen möglich". Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Untersagung der Kundenbelieferung in der Praxis wenig hilfreich ist, weil es immer dazu führt, dass Kunden ihren Lieferanten verlieren.

Die Bundesregierung will mit der EnWG-Novelle die Marktaufsicht forcieren. In Paragraf 5, Absatz 4, Satz 1 soll künftig auch klargestellt sein, dass die Regulierungsbehörde das Vorliegen der personellen, technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie der Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung jederzeit überprüfen kann.

Dass die Aufsichtsmöglichkeiten der Bundesnetzagentur verbessert werden, sei ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Holger Schneidewindt. Doch wie wirkt sich der Schritt aus? Der Energierechtsexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen moniert, dass die Behörde bisher vom "Aufgreif-Ermessen so gut wie nie Gebrauch gemacht hat". Paragraf 5 des EnWG sei bereits ein "scharfes Schwert".

Und wenn sie doch mal gegen fragwürdige Anbieter vorgeht, dann zu langsam, sagt er. Als Beispiel nennt er das Gerichtsurteil gegen Immergrün im Dezember vergangenen Jahres. "Die Bundesnetzagentur hat dem Energiediscounter erst zwei Monate später sein unzulässiges Verhalten untersagt."

Mittwoch, 23.03.2022, 13:11 Uhr
Manfred Fischer
Energie & Management > Recht - Bessere Marktaufsicht bei fragwürdigen Preispraktiken gefordert
Quelle: Fotolia / H-J Paulsen
Recht
Bessere Marktaufsicht bei fragwürdigen Preispraktiken gefordert
Der Gesetzgeber will die Aufsichtsrechte der Bundesnetzagentur über Strom- und Gaslieferanten stärken. Verbraucherverbände fordern zugleich ein härteres Durchgreifen der Behörde.
Die Verbraucherzentrale Niedersachsen kann „die Anfragen kaum noch bewältigen“, die Kolleginnen und Kollegen in Brandenburg sehen einer Gerichtsverhandlung entgegen: Einmal mehr rufen diverse Energiegesellschaften der Berliner Primaholding GmbH Verbraucherschützer auf den Plan. Es geht um Geschäftspraktiken im Zusammenhang mit Preiserhöhungen und Abschlagszahlungen. Und einmal mehr steht auch die Marktaufsichtsbehörde, die Bundesnetzagentur, in der Kritik.

Die Verbraucherzentrale Brandenburg hat das Tochterunternehmen Voxenergie der Primaholding verklagt. Der Energielieferant soll Kunden nicht über Preisänderungen und ihr Sonderkündigungsrecht informiert haben. "Erhöhte Beträge wurden offenbar einfach abgerechnet und abgebucht", sagt Dunja Neukamp, Juristin der dortigen Verbraucherzentrale. Das Unternehmen wehrt sich. Die Beklagte habe ihre "Verteidigungsbereitschaft" signalisiert, teilte das Kammergericht Berlin mit. Primaholding selbst will sich zum "noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren" gegenüber der Redaktion nicht äußern.

Bei mehreren Verbraucherzentralen aufgefallen

Die Verbraucherzentrale Niedersachsen berichtet von Beschwerden über zwei Töchter der Primaholding. Jeden Tag würden sich Verbraucher wegen Primastrom oder Voxenergie melden. "Sie sollen plötzlich deutlich höhere Abschläge, teilweise über 500 Euro monatlich, zahlen", sagt Tiana Schönbohm, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale. „Andere werden über den Wechsel des Energieversorgers informiert, obwohl sie diesen gar nicht veranlasst haben."

Gegen Voxenergie war die Verbraucherzentrale zuletzt im August 2021 vor Gericht gezogen. Auch andernorts sind die Energieanbieter aufgefallen: Die Verbraucherzentrale Hamburg hat diesen März Klage gegen Primastrom eingereicht. Die Kollegen in Baden-Württemberg sahen im Februar 2021 "wieder perfide Maschen bei Primastrom". Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ging 2017 gerichtlich gegen Voxenergie vor.
 
 
Verbraucherjuristen sehen die Bundesnetzagentur gefordert. "Wir bekommen recht, aber trotzdem passiert nichts", sagt Tiana Schönbohm. Juristische Hebel gebe es. "Aus unserer Sicht reichen die Möglichkeiten der Behörde aus, sich einzuschalten", kritisiert sie und verweist auf die Paragrafen 5 und 65 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG).

Nach Paragraf 5 kann die Bundesnetzagentur einem Unternehmen das Geschäft ganz oder teilweise unter anderem dann verbieten, wenn dessen "Zuverlässigkeit nicht gewährleistet ist". "Zuverlässigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff", erklärt Schönbohm. Vieles deute darauf hin, dass sie bei Voxenergie nicht gegeben sei. "Eine gerichtliche Überprüfbarkeit ihrer Entscheidung sollte kein Hindernis für die Bundesnetzagentur sein", sagt die Verbraucherjuristin.

Der Regulierungsbehörde entgehen solche Fälle nicht. Die Verbraucherzentralen machen Abmahnungen und Klagen öffentlich. Und sie empfehlen oft betroffenen Kunden, fragwürdige Schreiben von Energieanbietern an die Bundesnetzagentur weiterzuleiten. 

Nur in Extremfällen

Die Behörde weist die Kritik der Verbraucherzentralen zurück. "Das aufsichtsrechtliche Handeln der Bundesnetzagentur unterliegt dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“, erklärt ein Sprecher. Eine Tätigkeitsuntersagung sei „nur in Ausnahme- und Extremfällen möglich". Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Untersagung der Kundenbelieferung in der Praxis wenig hilfreich ist, weil es immer dazu führt, dass Kunden ihren Lieferanten verlieren.

Die Bundesregierung will mit der EnWG-Novelle die Marktaufsicht forcieren. In Paragraf 5, Absatz 4, Satz 1 soll künftig auch klargestellt sein, dass die Regulierungsbehörde das Vorliegen der personellen, technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie der Zuverlässigkeit der Geschäftsleitung jederzeit überprüfen kann.

Dass die Aufsichtsmöglichkeiten der Bundesnetzagentur verbessert werden, sei ein Schritt in die richtige Richtung, sagt Holger Schneidewindt. Doch wie wirkt sich der Schritt aus? Der Energierechtsexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen moniert, dass die Behörde bisher vom "Aufgreif-Ermessen so gut wie nie Gebrauch gemacht hat". Paragraf 5 des EnWG sei bereits ein "scharfes Schwert".

Und wenn sie doch mal gegen fragwürdige Anbieter vorgeht, dann zu langsam, sagt er. Als Beispiel nennt er das Gerichtsurteil gegen Immergrün im Dezember vergangenen Jahres. "Die Bundesnetzagentur hat dem Energiediscounter erst zwei Monate später sein unzulässiges Verhalten untersagt."

Mittwoch, 23.03.2022, 13:11 Uhr
Manfred Fischer

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