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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Printausgabe - Beschleunigt, ausgebremst oder verhindert
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Printausgabe

Beschleunigt, ausgebremst oder verhindert

Unser Brüsseler E&M-Korrespondent Tom Weingärtner blickt auf das europäische Energiejahr 2022 zurück − und was daraus folgt.
Ob die Energiewende im Jahr 2022 beschleunigt, ausbremst oder am Ende gar verhindert wurde, können erst künftige Generationen abschließend beurteilen. Sicher ist, dass in diesem Jahr die Weichen dafür gestellt wurden. Einerseits spricht die enorme Verteuerung der fossilen Energien für einen Durchbruch der erneuerbaren Energien. Ihre niedrigen Grenzkosten und ihre heimische Verfügbarkeit machen sie zur wettbewerbsfähigsten Energiequelle, über die die Europäer verfügen.

Andererseits ist die vorhandene Kapazität der erneuerbaren Energien begrenzt und längst nicht ausreichend, um selbst unter den widrigen Umständen einer Energiekrise den gesamten Energiebedarf zu decken. Der Ausbau stockt und die Bemühungen, Windräder, Solaranlagen und Stromleitungen schneller ans Netz zu bringen, waren bislang nicht sehr erfolgreich. 

Die EU kommt deswegen nicht umhin, ihre fossilen Kapazitäten auszubauen, um den Ausfall von russischem Gas schnell zu ersetzen. Das Geld dafür fehlt nicht nur beim Ausbau der Erneuerbaren. Die Investitionen in Gastanker und Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) rentieren sich nur, wenn sie über die nächsten Jahre und Jahrzehnte abgeschrieben werden können. Was mit dem Ausstieg aus den fossilen Energien nicht vereinbar wäre.

Erneuerbare contra fossile Energien

In diesem Zielkonflikt bewegte sich die europäische Energiepolitik in diesem Jahr. Bereits bevor Russland in die Ukraine einmarschierte und begann, den Gashahn zuzudrehen, zeigten sich Engpässe in der Energiewirtschaft: Seit Abflauen der Corona-Krise sind Strom und Gas kontinuierlich teurer geworden. Nach dem Ãœberfall der russischen Armee auf die Ukraine gingen die Preise endgültig durch die Decke. Im August musste man im Großhandel fast 350 Euro für eine MWh Gas bezahlen, etwa 15-mal mehr als ein Jahr zuvor. 

Verursacht wurde die Preisexplosion durch den Ausfall der russischen Lieferungen. Um die Europäer unter Druck zu setzen, drehte der russische Präsident Wladimir Putin den Gashahn zu. Auf dem Gasmarkt beflügelte das die Fantasie der Spekulanten. Und es geht nicht nur um Erdgas, denn Russland beliefert die Welt auch mit Öl und Kohle. 

Beides wollen die EU-Staaten den Russen nicht mehr abnehmen, was zumindest vorübergehend zu Verwerfungen und höheren Preisen auch für Öl und Kohle geführt hat. Das hängt auch mit dem schlechten Verhältnis zwischen den USA und Saudi-Arabien zusammen. Die Führungsmacht innerhalb der Opec-Vereinigung ist nicht bereit, mehr Öl zu fördern, um die Lage auf den Energiemärkten zu entspannen. 
Vor allem jedoch hat das Jahr 2022 deutlich gemacht, dass die Welt noch lange nicht auf fossile Energien verzichten kann, die noch immer mehr als 80 Prozent des globalen Bedarfs decken.

In Brüssel und in den Mitgliedstaaten der EU versuchte man verzweifelt, Ersatz für das russische Gas zu beschaffen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihre Energiekommissarin, Kadri Simson, antichambrierten ebenso wie der deutsche Bundeskanzler und dessen Bundeswirtschaftsminister in Norwegen, in den USA, in Japan oder im Nahen Osten, um Gas einzukaufen. 

Am Ende dieses Jahres kann man feststellen, dass das fürs Erste gelungen ist: Gas bleibt zwar teuer, ist aber mit rund 100 Euro je MWh nicht mehr unerschwinglich. Engpässe, die eine Kontingentierung notwendig machen würden, sind gegenwärtig nicht in Sicht. Und die Aussichten, dass die Preise weiter sinken, sind jedenfalls nicht unrealistisch. Ob das reicht, um alle energieintensiven Branchen davon abzuhalten, zumindest einen Teil ihrer Produktion zu verlagern, steht auf einem anderen Blatt. 
Weltweit hat die Krise auf dem Gasmarkt neue Investitionen ausgelöst, um die „russische Gaslücke“ zu füllen. Noch in diesem Winter sollen in der EU (Deutschland, Finnland, Estland, Niederlande) sieben LNG-Terminals für 3,7 Milliarden Euro in Betrieb gehen. Weitere 19 Anlagen sind geplant.

Zahl der großen Öl- und Gasprojekte soll sich verdreifachen

Die Investmentbank Goldman Sachs erwartet, dass sich die weltweite Zahl der großen Öl- und Gasprojekte in den nächsten fünf Jahren verdreifacht. Eine sichere und erschwingliche Energieversorgung sei anders nicht möglich, sagt Chevron-Chef Mike Wirth. Das habe vor allem die amerikanische Fracking-Industrie erkannt. Die US-Behörden haben 16 neue Anlagen zur Verflüssigung von Erdgas an den Küsten genehmigt. Ihre Rentabilität wird nicht mehr durch die Konkurrenz billigen Russengases bedroht. Ihr Bau, der zum Teil schon begonnen hat, würde die Exportkapazität der USA auf Jahre hinaus mehr als verdoppeln. 

Die Internationale Energieagentur (IEA), die noch vor einem Jahr dazu aufrief, kein Geld mehr für neue Öl-, Gas- und Kohlevorkommen auszugeben, geht jetzt davon aus, dass bis 2030 weltweit etwa doppelt so viel in die Nutzung fossiler Energien (970 Milliarden Dollar für Kohle, Öl und Erdgas) investiert wird wie für erneuerbare Energien (480 Milliarden Dollar). Aber im Pariser IEA-Hauptquartier ist man zuversichtlich, dass der Anstieg der fossilen Energien nur vorübergehend ist und der Höhepunkt der globalen CO2-Emissionen 2025 überschritten ist. IEA-Chef Fatih Birol setzt dabei vor allem auf die Industrieländer. Das Anti-Inflationsprogramm der US-Regierung und das Paket „REPowerEU“ würden den Anteil der Erneuerbaren und der Kernenergie im Energiemix deutlich erhöhen.

Repower EU soll den Erdgasverbrauch deutlich reduzieren

Mit Repower EU will die EU-Kommission die Reise in eine emissionsarme Zukunft weiter beschleunigen. Bereits im Sommer 2021 hatte sie das Programm „Fit for 55“ vorgelegt, das gegenwärtig vom Europäischen Parlament und vom Ministerrat beraten wird. Damit soll die Erhöhung des europäischen Klimaziels von 40 auf 57 Prozent bis 2030 glaubwürdig unterlegt werden. Fit for 55 würde den Gasverbrauch der EU bis 2030 um 30 Prozent oder 100 BCM (entspricht 100 Milliarden Kubikmeter) drücken.

Das Repower-EU-Programm soll den Gasverbrauch weiter reduzieren, bis 2030 um 150 BCM. Schon 2027 möchte die EU völlig unabhängig vom Gas aus Russland sein. Bereits im nächsten Jahr sollen zwei Drittel der russischen Gasimporte (von 2021) − das sind 100 BCM − durch Einsparungen, andere Energieträger oder durch andere Lieferanten ersetzt werden. 

Mittelfristig setzt man in Brüssel darauf, durch Investitionen die Energieeffizienz zu verbessern, die erneuerbaren Energien auszubauen sowie Erdgas und Kohle in der Industrie durch Wasserstoff zu ersetzen. Dafür dürfen die Mitgliedstaaten jetzt auch die Gelder aus dem Corona-Fonds verwenden. Vor allem die Engpässe in der Infrastruktur sollen damit gezielt beseitigt werden.

Kurzfristig können die Probleme damit aber nicht gelöst werden. Deswegen werden die Mitgliedstaaten die Corona-Gelder auch dafür verwenden, ihre Unternehmen und Verbraucher vor den Folgen der Energiekrise zu schützen. Die Kommission hat angekündigt, dass sie bei der Beihilfenkontrolle großzügigere Maßstäbe anlegen will als in normalen Zeiten. Das wird auch nötig sein: Nach einer Analyse der Denkfabrik Bruegel hatten die Mitgliedstaaten bis Juli 2022 bereits 280 Milliarden Euro für Subventionen und für die Verbraucher bereitgestellt. Darin ist das deutsche Programm mit 200 Milliarden Euro bis Ende nächsten Jahres noch nicht berücksichtigt.

EU-Staaten uneins über einheitlichen Gaseinkaufspreis

Zwischen den Mitgliedstaaten ist unterdessen ein heftiger Streit darüber entbrannt, ob die Strom- und Gaspreise durch gesetzliche Eingriffe in den Markt gesenkt werden sollen. Die Hoffnung der Kommission, die solche Eingriffe ablehnt, dass sich die Diskussion angesichts der zumindest vorübergehenden Entspannung an der Preisfront beruhigen werde, scheint sich nicht zu erfüllen. 

Während Frankreich, Spanien und 13 weitere Länder ihre Forderung nach einem „Gaspreisdeckel“ aufrechterhalten, fürchten Deutschland, Dänemark oder die Niederlande, dass ein Höchstpreis für Gas die Möglichkeiten der europäischen Unternehmen beeinträchtigen würde, Flüssigerdgas auf dem Weltmarkt zu kaufen. Um den Interventionisten entgegenzukommen, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf dem jüngsten Gipfel der Staats- und Regierungschefs akzeptiert, die EU-Kommission solle prüfen, was gegen die hohen Preisschwankungen auf dem Gasmarkt unternommen werden könne.

Die hat nach eigenen Angaben 13 Modelle geprüft, um zumindest einen Preiskorridor für Gas einzurichten. Keines davon sei geeignet, die Gaspreise dauerhaft zu senken, ließ die Brüsseler Behörde Mitte November zum Verdruss der 15 Regierungen verlauten, die sich einen robusten Eingriff in den Gasmarkt wünschen. Paris wirft vor allem den Amerikanern weiter vor, die Not der Europäer auszunutzen: Während die Megawattstunde Gas auf dem US-Markt für 20 Euro verkauft werde, kassierten die Anbieter aus den USA von den Europäern 100 Euro/MWh.

Europäische Importeure kündigten Importverträge mit US-Firmen

Das scheint aber nur die halbe Wahrheit zu sein. Nach einer Recherche des Brüsseler Onlinedienstes Politico werden 70 Prozent des LNG aus den USA im Rahmen von langfristigen Verträgen zu festen Preisen nach Europa geliefert. In der Regel zahlten die Kunden, die die Ware an der US-Küste übernehmen, 115 Prozent der Notierung am Henry Hub plus 3 Dollar je MWh. Allerdings haben viele europäische Importeure ihre Importverträge mit den US-Firmen in den letzten Jahren wieder verkauft, weil es in Europa billigeres Gas gab. 

Nach Angaben von Politico profitieren vor allem europäische Energiekonzerne von dem Preisunterschied zwischen der EU und Amerika, allen voran Total Energies. Der französische Konzern ist mit langfristigen Lieferverträgen über 10,2 Millionen Tonnen LNG die Nummer eins im transatlantischen LNG-Handel. 

Höchstpreise für Erdgas könnten unter diesen Umständen dazu beitragen, die Spekulation einzudämmen, aber ein Beitrag zur Versorgungssicherheit wären sie auch dann nicht. Die EU-Kommission setzt deswegen weiter darauf, einen gemeinsamen Gaseinkauf zu organisieren, damit sich die Versorger aus den EU-Mitgliedstaaten untereinander weniger Konkurrenz machen. Aber auch hier steht das kurzfristige Ziel, die Preise zu senken, im Widerspruch zum langfristigen Ziel der EU, den Verbrauch von Erdgas zu reduzieren.

Freitag, 16.12.2022, 08:45 Uhr
Tom Weingärtner
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Printausgabe - Beschleunigt, ausgebremst oder verhindert
Quelle: E&M
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Beschleunigt, ausgebremst oder verhindert
Unser Brüsseler E&M-Korrespondent Tom Weingärtner blickt auf das europäische Energiejahr 2022 zurück − und was daraus folgt.
Ob die Energiewende im Jahr 2022 beschleunigt, ausbremst oder am Ende gar verhindert wurde, können erst künftige Generationen abschließend beurteilen. Sicher ist, dass in diesem Jahr die Weichen dafür gestellt wurden. Einerseits spricht die enorme Verteuerung der fossilen Energien für einen Durchbruch der erneuerbaren Energien. Ihre niedrigen Grenzkosten und ihre heimische Verfügbarkeit machen sie zur wettbewerbsfähigsten Energiequelle, über die die Europäer verfügen.

Andererseits ist die vorhandene Kapazität der erneuerbaren Energien begrenzt und längst nicht ausreichend, um selbst unter den widrigen Umständen einer Energiekrise den gesamten Energiebedarf zu decken. Der Ausbau stockt und die Bemühungen, Windräder, Solaranlagen und Stromleitungen schneller ans Netz zu bringen, waren bislang nicht sehr erfolgreich. 

Die EU kommt deswegen nicht umhin, ihre fossilen Kapazitäten auszubauen, um den Ausfall von russischem Gas schnell zu ersetzen. Das Geld dafür fehlt nicht nur beim Ausbau der Erneuerbaren. Die Investitionen in Gastanker und Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) rentieren sich nur, wenn sie über die nächsten Jahre und Jahrzehnte abgeschrieben werden können. Was mit dem Ausstieg aus den fossilen Energien nicht vereinbar wäre.

Erneuerbare contra fossile Energien

In diesem Zielkonflikt bewegte sich die europäische Energiepolitik in diesem Jahr. Bereits bevor Russland in die Ukraine einmarschierte und begann, den Gashahn zuzudrehen, zeigten sich Engpässe in der Energiewirtschaft: Seit Abflauen der Corona-Krise sind Strom und Gas kontinuierlich teurer geworden. Nach dem Ãœberfall der russischen Armee auf die Ukraine gingen die Preise endgültig durch die Decke. Im August musste man im Großhandel fast 350 Euro für eine MWh Gas bezahlen, etwa 15-mal mehr als ein Jahr zuvor. 

Verursacht wurde die Preisexplosion durch den Ausfall der russischen Lieferungen. Um die Europäer unter Druck zu setzen, drehte der russische Präsident Wladimir Putin den Gashahn zu. Auf dem Gasmarkt beflügelte das die Fantasie der Spekulanten. Und es geht nicht nur um Erdgas, denn Russland beliefert die Welt auch mit Öl und Kohle. 

Beides wollen die EU-Staaten den Russen nicht mehr abnehmen, was zumindest vorübergehend zu Verwerfungen und höheren Preisen auch für Öl und Kohle geführt hat. Das hängt auch mit dem schlechten Verhältnis zwischen den USA und Saudi-Arabien zusammen. Die Führungsmacht innerhalb der Opec-Vereinigung ist nicht bereit, mehr Öl zu fördern, um die Lage auf den Energiemärkten zu entspannen. 
Vor allem jedoch hat das Jahr 2022 deutlich gemacht, dass die Welt noch lange nicht auf fossile Energien verzichten kann, die noch immer mehr als 80 Prozent des globalen Bedarfs decken.

In Brüssel und in den Mitgliedstaaten der EU versuchte man verzweifelt, Ersatz für das russische Gas zu beschaffen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihre Energiekommissarin, Kadri Simson, antichambrierten ebenso wie der deutsche Bundeskanzler und dessen Bundeswirtschaftsminister in Norwegen, in den USA, in Japan oder im Nahen Osten, um Gas einzukaufen. 

Am Ende dieses Jahres kann man feststellen, dass das fürs Erste gelungen ist: Gas bleibt zwar teuer, ist aber mit rund 100 Euro je MWh nicht mehr unerschwinglich. Engpässe, die eine Kontingentierung notwendig machen würden, sind gegenwärtig nicht in Sicht. Und die Aussichten, dass die Preise weiter sinken, sind jedenfalls nicht unrealistisch. Ob das reicht, um alle energieintensiven Branchen davon abzuhalten, zumindest einen Teil ihrer Produktion zu verlagern, steht auf einem anderen Blatt. 
Weltweit hat die Krise auf dem Gasmarkt neue Investitionen ausgelöst, um die „russische Gaslücke“ zu füllen. Noch in diesem Winter sollen in der EU (Deutschland, Finnland, Estland, Niederlande) sieben LNG-Terminals für 3,7 Milliarden Euro in Betrieb gehen. Weitere 19 Anlagen sind geplant.

Zahl der großen Öl- und Gasprojekte soll sich verdreifachen

Die Investmentbank Goldman Sachs erwartet, dass sich die weltweite Zahl der großen Öl- und Gasprojekte in den nächsten fünf Jahren verdreifacht. Eine sichere und erschwingliche Energieversorgung sei anders nicht möglich, sagt Chevron-Chef Mike Wirth. Das habe vor allem die amerikanische Fracking-Industrie erkannt. Die US-Behörden haben 16 neue Anlagen zur Verflüssigung von Erdgas an den Küsten genehmigt. Ihre Rentabilität wird nicht mehr durch die Konkurrenz billigen Russengases bedroht. Ihr Bau, der zum Teil schon begonnen hat, würde die Exportkapazität der USA auf Jahre hinaus mehr als verdoppeln. 

Die Internationale Energieagentur (IEA), die noch vor einem Jahr dazu aufrief, kein Geld mehr für neue Öl-, Gas- und Kohlevorkommen auszugeben, geht jetzt davon aus, dass bis 2030 weltweit etwa doppelt so viel in die Nutzung fossiler Energien (970 Milliarden Dollar für Kohle, Öl und Erdgas) investiert wird wie für erneuerbare Energien (480 Milliarden Dollar). Aber im Pariser IEA-Hauptquartier ist man zuversichtlich, dass der Anstieg der fossilen Energien nur vorübergehend ist und der Höhepunkt der globalen CO2-Emissionen 2025 überschritten ist. IEA-Chef Fatih Birol setzt dabei vor allem auf die Industrieländer. Das Anti-Inflationsprogramm der US-Regierung und das Paket „REPowerEU“ würden den Anteil der Erneuerbaren und der Kernenergie im Energiemix deutlich erhöhen.

Repower EU soll den Erdgasverbrauch deutlich reduzieren

Mit Repower EU will die EU-Kommission die Reise in eine emissionsarme Zukunft weiter beschleunigen. Bereits im Sommer 2021 hatte sie das Programm „Fit for 55“ vorgelegt, das gegenwärtig vom Europäischen Parlament und vom Ministerrat beraten wird. Damit soll die Erhöhung des europäischen Klimaziels von 40 auf 57 Prozent bis 2030 glaubwürdig unterlegt werden. Fit for 55 würde den Gasverbrauch der EU bis 2030 um 30 Prozent oder 100 BCM (entspricht 100 Milliarden Kubikmeter) drücken.

Das Repower-EU-Programm soll den Gasverbrauch weiter reduzieren, bis 2030 um 150 BCM. Schon 2027 möchte die EU völlig unabhängig vom Gas aus Russland sein. Bereits im nächsten Jahr sollen zwei Drittel der russischen Gasimporte (von 2021) − das sind 100 BCM − durch Einsparungen, andere Energieträger oder durch andere Lieferanten ersetzt werden. 

Mittelfristig setzt man in Brüssel darauf, durch Investitionen die Energieeffizienz zu verbessern, die erneuerbaren Energien auszubauen sowie Erdgas und Kohle in der Industrie durch Wasserstoff zu ersetzen. Dafür dürfen die Mitgliedstaaten jetzt auch die Gelder aus dem Corona-Fonds verwenden. Vor allem die Engpässe in der Infrastruktur sollen damit gezielt beseitigt werden.

Kurzfristig können die Probleme damit aber nicht gelöst werden. Deswegen werden die Mitgliedstaaten die Corona-Gelder auch dafür verwenden, ihre Unternehmen und Verbraucher vor den Folgen der Energiekrise zu schützen. Die Kommission hat angekündigt, dass sie bei der Beihilfenkontrolle großzügigere Maßstäbe anlegen will als in normalen Zeiten. Das wird auch nötig sein: Nach einer Analyse der Denkfabrik Bruegel hatten die Mitgliedstaaten bis Juli 2022 bereits 280 Milliarden Euro für Subventionen und für die Verbraucher bereitgestellt. Darin ist das deutsche Programm mit 200 Milliarden Euro bis Ende nächsten Jahres noch nicht berücksichtigt.

EU-Staaten uneins über einheitlichen Gaseinkaufspreis

Zwischen den Mitgliedstaaten ist unterdessen ein heftiger Streit darüber entbrannt, ob die Strom- und Gaspreise durch gesetzliche Eingriffe in den Markt gesenkt werden sollen. Die Hoffnung der Kommission, die solche Eingriffe ablehnt, dass sich die Diskussion angesichts der zumindest vorübergehenden Entspannung an der Preisfront beruhigen werde, scheint sich nicht zu erfüllen. 

Während Frankreich, Spanien und 13 weitere Länder ihre Forderung nach einem „Gaspreisdeckel“ aufrechterhalten, fürchten Deutschland, Dänemark oder die Niederlande, dass ein Höchstpreis für Gas die Möglichkeiten der europäischen Unternehmen beeinträchtigen würde, Flüssigerdgas auf dem Weltmarkt zu kaufen. Um den Interventionisten entgegenzukommen, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf dem jüngsten Gipfel der Staats- und Regierungschefs akzeptiert, die EU-Kommission solle prüfen, was gegen die hohen Preisschwankungen auf dem Gasmarkt unternommen werden könne.

Die hat nach eigenen Angaben 13 Modelle geprüft, um zumindest einen Preiskorridor für Gas einzurichten. Keines davon sei geeignet, die Gaspreise dauerhaft zu senken, ließ die Brüsseler Behörde Mitte November zum Verdruss der 15 Regierungen verlauten, die sich einen robusten Eingriff in den Gasmarkt wünschen. Paris wirft vor allem den Amerikanern weiter vor, die Not der Europäer auszunutzen: Während die Megawattstunde Gas auf dem US-Markt für 20 Euro verkauft werde, kassierten die Anbieter aus den USA von den Europäern 100 Euro/MWh.

Europäische Importeure kündigten Importverträge mit US-Firmen

Das scheint aber nur die halbe Wahrheit zu sein. Nach einer Recherche des Brüsseler Onlinedienstes Politico werden 70 Prozent des LNG aus den USA im Rahmen von langfristigen Verträgen zu festen Preisen nach Europa geliefert. In der Regel zahlten die Kunden, die die Ware an der US-Küste übernehmen, 115 Prozent der Notierung am Henry Hub plus 3 Dollar je MWh. Allerdings haben viele europäische Importeure ihre Importverträge mit den US-Firmen in den letzten Jahren wieder verkauft, weil es in Europa billigeres Gas gab. 

Nach Angaben von Politico profitieren vor allem europäische Energiekonzerne von dem Preisunterschied zwischen der EU und Amerika, allen voran Total Energies. Der französische Konzern ist mit langfristigen Lieferverträgen über 10,2 Millionen Tonnen LNG die Nummer eins im transatlantischen LNG-Handel. 

Höchstpreise für Erdgas könnten unter diesen Umständen dazu beitragen, die Spekulation einzudämmen, aber ein Beitrag zur Versorgungssicherheit wären sie auch dann nicht. Die EU-Kommission setzt deswegen weiter darauf, einen gemeinsamen Gaseinkauf zu organisieren, damit sich die Versorger aus den EU-Mitgliedstaaten untereinander weniger Konkurrenz machen. Aber auch hier steht das kurzfristige Ziel, die Preise zu senken, im Widerspruch zum langfristigen Ziel der EU, den Verbrauch von Erdgas zu reduzieren.

Freitag, 16.12.2022, 08:45 Uhr
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