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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Anspruchsvolle Ökostromprodukte haben sich nicht durchgesetzt
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

Anspruchsvolle Ökostromprodukte haben sich nicht durchgesetzt

E&M wollte von Dominik Seebach, Vorstand von Energievision, dem Trägerverein des Gütesiegels „ok-power“, wissen, wie er die Entwicklung und Perspektiven des Ökostrommarkts sieht.
E&M: Herr Seebach, welche Entwicklung sehen Sie als langjähriger Kenner des Ökostrommarktes derzeit in diesem Segment?

Seebach: Als eigentlichen Treiber für den Ökostrommarkt sehe ich weniger die Haushalte als vor allem die Industrie. Der Wunsch, in seiner Klimabilanz niedrige Emissionen ausweisen zu können, treibt hier die Nachfrage nach Strom aus erneuerbaren Energien. Und vor allem nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine kommt anscheinend unsere Botschaft an, dass Ökostrom nicht nur ein Beitrag zum Klimaschutz ist, sondern auch Basis für preiswerte, verlässliche und gut planbare Strompreise sein kann − was für die Wettbewerbsfähigkeit vieler Industrie- und Gewerbebetriebe zu den wichtigsten Voraussetzungen zählt.

E&M: Für ihre grüne Stromversorgung greifen immer mehr Industrieunternehmen nicht mehr auf den nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz eingespeisten und vergüteten Strom zurück, sondern auch auf sogenannte Power Purchase Agreements.

Seebach: Das stimmt, das betrifft vor allem große Industriebetriebe. Aber der Strombezug über konventionelle Ökostromprodukte mit Herkunftsnachweisen überwiegt nach wie vor und wird es auch auf absehbare Zeit tun.

E&M: Wann werden wirklich alle Haushalte hierzulande ein Grünstromprodukt beziehen?

„Nicht jedes Ökostromprodukt verdient diesen Namen“

Seebach: Wann es eine solche Vollversorgung gibt, hängt davon ab, wie schnell wir hierzulande die Stromerzeugung weiter in Richtung erneuerbare Energien umstellen, wie viel Ökostrom wir importieren und wie das Angebot dann zwischen Haushaltskunden und Industrie aufgeteilt wird. Entscheidend ist aber aus Energiewendesicht gar nicht die Frage, wann alle Verbraucher ein Ökostromprodukt beziehen − zumal wir als OK-Power-Siegel ja immer betonen, dass nicht jedes vermeintliche ‚Ökostromprodukt‘ diesen Namen auch verdient. Viel wichtiger ist der tatsächliche Ersatz der fossilen und nuklearen Erzeugung durch erneuerbare Energien. Nach den Plänen der Ampelregierung sollen die erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 an die 80 Prozent der Stromerzeugung decken. Das wäre ein Hinweis, um die Frage zu beantworten. 

E&M: Wenn es nach Teilen der Bundesregierung geht, soll die 100-Prozent-Erzeugung Mitte der 2030er-Jahre erreicht werden, was auch auf die Versorgung mit Ökostrom durchschlägt. War es für Sie als alten Hasen in der Ökostromszene Anfang der 2000er-Jahre vorstellbar, dass es innerhalb von dreieinhalb Dekaden zu dieser grünen Vollversorgung kommen könnte?

Seebach: Dass diese technische Entwicklung innerhalb so kurzer Zeit politisch und gesellschaftlich wirklich umsetzbar ist, hatte ich nicht erwartet. Das ist eine durchaus positive Entwicklung − mit allerdings einem dicken Wermutstropfen aus Sicht der Ökostrombranche. Es hat in den Anfangsjahren durchaus den Anspruch gegeben, dass anspruchsvolle Ökostromprodukte marktführend sein sollten. Anspruchsvoll − das heißt, dass diese Produkte den Ausbau erneuerbarer Energien schnell voranbringen sollten. Es gab und gibt nach wie vor solche Angebote, bei den Verbraucherinnen und Verbraucher haben diese Produkte sich aber leider nicht in der Breite durchgesetzt. 

„Viel Aufklärungsarbeit bei Verbrauchern und Politik“

E&M: Was haben die Premiumanbieter im Markt bewegen können?

Seebach: Neben so einigen technischen Neuerungen hat diese Gruppe viel Aufklärungsarbeit bei Verbrauchern und in politischen Kreisen geleistet. Der Gedanke, dass Ökostromtarife vor allem mit einem Zusatznutzen Sinn ergeben, ist durchaus in den richtigen Kreisen angekommen. Das lässt sich nach meiner Einschätzung beispielsweise an der jüngsten Erneuerbare-Energien-Richtlinie aus Brüssel und dem dazugehörenden Rechtsakt ablesen: Dass Wasserstoff nur dann als erneuerbar gewertet wird, wenn der Strombedarf hierfür aus wirklich zusätzlichen erneuerbaren Energien stammt, ist sicherlich ein wichtiges Ergebnis dieser Überzeugungsarbeit.

E&M: Apropos Brüssel: Wird es von EU-Seite demnächst noch Initiativen geben, die dem deutschen Ökostrommarkt neue Impulse geben könnten?

Seebach: Das Europäische Parlament wird wohl im September die novellierte Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die RED III, verabschieden. Wie schon die RED II wird auch die neue Fassung der Europäischen Kommission ins Pflichtenheft schreiben, sich zu möglichem Sinn und Nutzen eines EU-weiten Ökostromlabels zu positionieren. 

E&M: Besteht die Hoffnung, dass es dieses Label jemals geben wird?

Seebach: In der letzten Legislaturperiode hat die EU-Kommission das Öko-Institut gemeinsam mit weiteren Forschungseinrichtungen beauftragt, die wissenschaftlichen Grundlagen für die Ausgestaltung und Bewertung eines solchen Ökostromlabels auszuarbeiten. Was auch passiert ist. Danach ist aber nichts geschehen. In der RED III gibt es nun erneut die Forderung an die Kommission, sich zu einem solchen Label klar zu positionieren − dieses Mal aber mit Ende 2025 als klarem Stichtag für die Umsetzung.

E&M: Gesetzt den Fall, ein solches Label käme wirklich schnell nach der nächsten Wahl des Europa-Parlaments, die im kommenden Jahr ansteht, hätte das Auswirkungen auf den deutschen Ökostrommarkt?

Seebach: Ein solches EU-Label würde sicherlich auf vielen Kompromissen basieren. Die Kriterien hätten vermutlich nicht die gleiche Qualität, die hierzulande seit Jahren Standard und teilweise auch optimiert worden ist. Mehr Hoffnung setze ich darauf, dass auf globaler Ebene Kriterien etabliert werden, dass Unternehmen sich nur dann Strom aus erneuerbaren Energien gezielt im Rahmen ihrer Klimabilanz anrechnen dürfen, wenn hierdurch auch konkret der Ausbau der erneuerbaren Energien gefördert wird, statt nur den Bestand umzuverteilen. Wenn das passiert, würde das das Bohren von ganz dicken Brettern bedeuten.

Freitag, 14.07.2023, 09:46 Uhr
Ralf Köpke
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - Anspruchsvolle Ökostromprodukte haben sich nicht durchgesetzt
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
Anspruchsvolle Ökostromprodukte haben sich nicht durchgesetzt
E&M wollte von Dominik Seebach, Vorstand von Energievision, dem Trägerverein des Gütesiegels „ok-power“, wissen, wie er die Entwicklung und Perspektiven des Ökostrommarkts sieht.
E&M: Herr Seebach, welche Entwicklung sehen Sie als langjähriger Kenner des Ökostrommarktes derzeit in diesem Segment?

Seebach: Als eigentlichen Treiber für den Ökostrommarkt sehe ich weniger die Haushalte als vor allem die Industrie. Der Wunsch, in seiner Klimabilanz niedrige Emissionen ausweisen zu können, treibt hier die Nachfrage nach Strom aus erneuerbaren Energien. Und vor allem nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine kommt anscheinend unsere Botschaft an, dass Ökostrom nicht nur ein Beitrag zum Klimaschutz ist, sondern auch Basis für preiswerte, verlässliche und gut planbare Strompreise sein kann − was für die Wettbewerbsfähigkeit vieler Industrie- und Gewerbebetriebe zu den wichtigsten Voraussetzungen zählt.

E&M: Für ihre grüne Stromversorgung greifen immer mehr Industrieunternehmen nicht mehr auf den nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz eingespeisten und vergüteten Strom zurück, sondern auch auf sogenannte Power Purchase Agreements.

Seebach: Das stimmt, das betrifft vor allem große Industriebetriebe. Aber der Strombezug über konventionelle Ökostromprodukte mit Herkunftsnachweisen überwiegt nach wie vor und wird es auch auf absehbare Zeit tun.

E&M: Wann werden wirklich alle Haushalte hierzulande ein Grünstromprodukt beziehen?

„Nicht jedes Ökostromprodukt verdient diesen Namen“

Seebach: Wann es eine solche Vollversorgung gibt, hängt davon ab, wie schnell wir hierzulande die Stromerzeugung weiter in Richtung erneuerbare Energien umstellen, wie viel Ökostrom wir importieren und wie das Angebot dann zwischen Haushaltskunden und Industrie aufgeteilt wird. Entscheidend ist aber aus Energiewendesicht gar nicht die Frage, wann alle Verbraucher ein Ökostromprodukt beziehen − zumal wir als OK-Power-Siegel ja immer betonen, dass nicht jedes vermeintliche ‚Ökostromprodukt‘ diesen Namen auch verdient. Viel wichtiger ist der tatsächliche Ersatz der fossilen und nuklearen Erzeugung durch erneuerbare Energien. Nach den Plänen der Ampelregierung sollen die erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 an die 80 Prozent der Stromerzeugung decken. Das wäre ein Hinweis, um die Frage zu beantworten. 

E&M: Wenn es nach Teilen der Bundesregierung geht, soll die 100-Prozent-Erzeugung Mitte der 2030er-Jahre erreicht werden, was auch auf die Versorgung mit Ökostrom durchschlägt. War es für Sie als alten Hasen in der Ökostromszene Anfang der 2000er-Jahre vorstellbar, dass es innerhalb von dreieinhalb Dekaden zu dieser grünen Vollversorgung kommen könnte?

Seebach: Dass diese technische Entwicklung innerhalb so kurzer Zeit politisch und gesellschaftlich wirklich umsetzbar ist, hatte ich nicht erwartet. Das ist eine durchaus positive Entwicklung − mit allerdings einem dicken Wermutstropfen aus Sicht der Ökostrombranche. Es hat in den Anfangsjahren durchaus den Anspruch gegeben, dass anspruchsvolle Ökostromprodukte marktführend sein sollten. Anspruchsvoll − das heißt, dass diese Produkte den Ausbau erneuerbarer Energien schnell voranbringen sollten. Es gab und gibt nach wie vor solche Angebote, bei den Verbraucherinnen und Verbraucher haben diese Produkte sich aber leider nicht in der Breite durchgesetzt. 

„Viel Aufklärungsarbeit bei Verbrauchern und Politik“

E&M: Was haben die Premiumanbieter im Markt bewegen können?

Seebach: Neben so einigen technischen Neuerungen hat diese Gruppe viel Aufklärungsarbeit bei Verbrauchern und in politischen Kreisen geleistet. Der Gedanke, dass Ökostromtarife vor allem mit einem Zusatznutzen Sinn ergeben, ist durchaus in den richtigen Kreisen angekommen. Das lässt sich nach meiner Einschätzung beispielsweise an der jüngsten Erneuerbare-Energien-Richtlinie aus Brüssel und dem dazugehörenden Rechtsakt ablesen: Dass Wasserstoff nur dann als erneuerbar gewertet wird, wenn der Strombedarf hierfür aus wirklich zusätzlichen erneuerbaren Energien stammt, ist sicherlich ein wichtiges Ergebnis dieser Überzeugungsarbeit.

E&M: Apropos Brüssel: Wird es von EU-Seite demnächst noch Initiativen geben, die dem deutschen Ökostrommarkt neue Impulse geben könnten?

Seebach: Das Europäische Parlament wird wohl im September die novellierte Erneuerbare-Energien-Richtlinie, die RED III, verabschieden. Wie schon die RED II wird auch die neue Fassung der Europäischen Kommission ins Pflichtenheft schreiben, sich zu möglichem Sinn und Nutzen eines EU-weiten Ökostromlabels zu positionieren. 

E&M: Besteht die Hoffnung, dass es dieses Label jemals geben wird?

Seebach: In der letzten Legislaturperiode hat die EU-Kommission das Öko-Institut gemeinsam mit weiteren Forschungseinrichtungen beauftragt, die wissenschaftlichen Grundlagen für die Ausgestaltung und Bewertung eines solchen Ökostromlabels auszuarbeiten. Was auch passiert ist. Danach ist aber nichts geschehen. In der RED III gibt es nun erneut die Forderung an die Kommission, sich zu einem solchen Label klar zu positionieren − dieses Mal aber mit Ende 2025 als klarem Stichtag für die Umsetzung.

E&M: Gesetzt den Fall, ein solches Label käme wirklich schnell nach der nächsten Wahl des Europa-Parlaments, die im kommenden Jahr ansteht, hätte das Auswirkungen auf den deutschen Ökostrommarkt?

Seebach: Ein solches EU-Label würde sicherlich auf vielen Kompromissen basieren. Die Kriterien hätten vermutlich nicht die gleiche Qualität, die hierzulande seit Jahren Standard und teilweise auch optimiert worden ist. Mehr Hoffnung setze ich darauf, dass auf globaler Ebene Kriterien etabliert werden, dass Unternehmen sich nur dann Strom aus erneuerbaren Energien gezielt im Rahmen ihrer Klimabilanz anrechnen dürfen, wenn hierdurch auch konkret der Ausbau der erneuerbaren Energien gefördert wird, statt nur den Bestand umzuverteilen. Wenn das passiert, würde das das Bohren von ganz dicken Brettern bedeuten.

Freitag, 14.07.2023, 09:46 Uhr
Ralf Köpke

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