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Energie & Management > Recht - Phantom-Windturbine wird nach Bau zur großen Verliererin
Quelle: Fotolia / H-J Paulsen
Recht

Phantom-Windturbine wird nach Bau zur großen Verliererin

Wettrennen gehen oft schnell zu Ende. Bei zwei Windturbinen aber war zwölf Jahre unklar, wer zuerst da war und der anderen im Wind stehen darf. Ein kurioser Rechtsstreit ist nun vorbei.
Treffen sich zwei alte Enercon E-82 an einem Feld. Sagt die eine: Ich war zuerst hier und muss daher keine Rücksicht nehmen, falls ich den Wind zu deinem Schaden verwirble. Sagt die andere: Erstens war ich zuerst hier und zweitens wollen wir das mit allen Feinheiten doch mal ein Gericht klären lassen.

Und damit beginnt eine ungewöhnliche und an Skurrilität kaum zu überbietende Geschichte aus Ostwestfalen, wo zwei unterschiedliche Projektierer Anfang der 2010er-Jahre die damals gängigen Anlagentypen zu bauen gedachten. Es war schließlich nicht ein Gericht, sondern gleich mehrere Instanzen bis hin zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), die teils aberwitzige Streitfragen klären mussten.

Alles beginnt mit dem Wettlauf darum, wer in einer Windvorrangzone in Bad Wünnenberg am schnellsten zu seiner Genehmigung kommt. Das kann von Bedeutung sein, wenn später genehmigte Anlagen den Platzhirschen im Wind stehen. Dann gilt meist das Recht des Älteren, und die spätere Anlage muss bei entsprechenden Windverhältnissen das Rotieren drosseln oder gar einstellen.

Projektierer wartet zehn Jahre mit dem Aufstellen der uralten E-82

Während im vorliegenden Fall das Rennen um die früheste Genehmigung bereits 2011 beginnt, besteht die Konkurrenz der beiden benachbarten Anlagen dagegen faktisch erst seit ein paar Monaten. Klingt komisch, doch die Scharfwind GmbH hatte bis zum März 2023 damit gewartet, ihre schon 2013 per Vorbescheid genehmigte Enercon E-82 aufs Feld zu stellen. Fast zehn Jahre. Und damit handelt es sich bei der „neuen“ Turbine mit 2,3 MW Kapazität um eine, die völlig aus der Zeit gefallen ist, weil sie im Vergleich zu den heute an Land verbauten 6-MW-Anlagen viel zu klein und damit ertragsschwach ist.

Dennoch schaffte die Phantom-Anlage es über die Jahre indirekt bis vors BVerwG. Das hatte im Jahr 2020 grundsätzlich darüber geurteilt, was für die Rangfolge von konkurrierenden Turbinen den Ausschlag gibt. Und zwar ist es der Zeitpunkt des positiven Vorbescheids durch die Genehmigungsbehörde, nicht jedoch der Termin der vollständigen Genehmigung. Damit waren die landauf, landab stattfindenden Windhundrennen von Projektierern an vielen Standorten entschieden.

Und für Bad Wünnenberg stand nach sechs Jahren Betrieb der ersten Anlage fest, dass die noch nicht gebaute Enercon Vorrechte genießt. Wenn sie denn gebaut würde. Die bereits im Dezember 2014 ans Netz gegangene Anlage der SFW I GmbH habe Rücksicht zu nehmen – auf eine Anlage, die es 2020 eben noch gar nicht gab. Was es nach dem Urteil von 2020 gab, war der Anspruch auf Schadenersatz, den die Scharfwind GmbH beim Kreis Paderborn durchsetzen konnte. Denn die Genehmigungsbehörde hatte seinerzeit der anderen E-82 Platz eins im Rennen zuerkannt, wegen der schnelleren Gesamtgenehmigung.

Kritisch wurde es dann im März 2023. Die Jahre zuvor genehmigte E-82 nahm nach einigen Monaten Bauzeit doch noch den Dienst auf, in 200 Metern Entfernung zur baugleichen Anlage. In diesem Moment galt im Rahmen der Rücksichtnahme, die „alte“ Enercon abzuschalten, wenn der Wind mit einer Stärke von 9 bis 20 Metern pro Sekunde und aus einer Richtung von 208,5 Grad (mit einer Abweichung von 10 Grad) weht. Das hatte der Kreis Paderborn im Zuge des BverwG-Urteils verfügt.

Auf einmal schadet die ältere Mühle der anderen gar nicht mehr

Doch diese Ordnungsverfügung galt wiederum nur bis Mitte Oktober. Denn die SFW I GmbH hatte inzwischen ein neues Gutachten beim Kreis eingereicht, das die Turbulenzen vor Ort neu berechnete. Danach waren die Auswirkungen auf die ein halbes Jahr alte E-82 so gering, dass sie in rechtlichem Sinne zumutbar erschienen und in der Folge keinerlei Abschaltung mehr gerechtfertigt war.

Gut eine Woche vor der für den 27. Oktober angesetzten OVG-Verhandlung kam es also zur größtmöglichen Kuriosität. Der Betreiber der frisch aufgestellten Anlage klagte gegen den Kreis Paderborn auf noch weiter gehendere Abschaltregelungen, weil die Standfestigkeit und Betriebssicherheit durch die Nähe gefährdet seien. Doch der Kreis hatte gerade sämtliche Einschränkungen für die neun Jahre alte Mühle aufgrund des neuen Gutachtens aufgehoben.

Der 12. Senat des OVG in Münster unter Vorsitz von Hans-Joachim Hüwelmeier hörte sich viel über Turbulenzintensität, Ertragsrosen und Lastrechnungen an. Um schließlich herauszuarbeiten, dass es kein Standardmodell zur Berechnung der Windverwirbelungen gibt. Damit ergibt fast jede Berechnung unterschiedliche Ergebnisse und kann richtig sein.

Richter Hüwelmeier zog dann einen Schlussstrich unter die Fehde der alten Enercons E-82. Die junge Turbine ist zwar, obwohl erst frisch vor Ort, die Nummer eins der beiden. Doch die vorgelegten Gutachten seien nicht dazu geeignet, eine Beeinträchtigung durch die seit langem rotierende Anlage nachzuweisen. Damit dürfen beide Anlagen munter vor sich hin drehen, Gewinnerin ist die 2014 ans Netz gegangene.

Freitag, 27.10.2023, 16:26 Uhr
Volker Stephan
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Quelle: Fotolia / H-J Paulsen
Recht
Phantom-Windturbine wird nach Bau zur großen Verliererin
Wettrennen gehen oft schnell zu Ende. Bei zwei Windturbinen aber war zwölf Jahre unklar, wer zuerst da war und der anderen im Wind stehen darf. Ein kurioser Rechtsstreit ist nun vorbei.
Treffen sich zwei alte Enercon E-82 an einem Feld. Sagt die eine: Ich war zuerst hier und muss daher keine Rücksicht nehmen, falls ich den Wind zu deinem Schaden verwirble. Sagt die andere: Erstens war ich zuerst hier und zweitens wollen wir das mit allen Feinheiten doch mal ein Gericht klären lassen.

Und damit beginnt eine ungewöhnliche und an Skurrilität kaum zu überbietende Geschichte aus Ostwestfalen, wo zwei unterschiedliche Projektierer Anfang der 2010er-Jahre die damals gängigen Anlagentypen zu bauen gedachten. Es war schließlich nicht ein Gericht, sondern gleich mehrere Instanzen bis hin zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), die teils aberwitzige Streitfragen klären mussten.

Alles beginnt mit dem Wettlauf darum, wer in einer Windvorrangzone in Bad Wünnenberg am schnellsten zu seiner Genehmigung kommt. Das kann von Bedeutung sein, wenn später genehmigte Anlagen den Platzhirschen im Wind stehen. Dann gilt meist das Recht des Älteren, und die spätere Anlage muss bei entsprechenden Windverhältnissen das Rotieren drosseln oder gar einstellen.

Projektierer wartet zehn Jahre mit dem Aufstellen der uralten E-82

Während im vorliegenden Fall das Rennen um die früheste Genehmigung bereits 2011 beginnt, besteht die Konkurrenz der beiden benachbarten Anlagen dagegen faktisch erst seit ein paar Monaten. Klingt komisch, doch die Scharfwind GmbH hatte bis zum März 2023 damit gewartet, ihre schon 2013 per Vorbescheid genehmigte Enercon E-82 aufs Feld zu stellen. Fast zehn Jahre. Und damit handelt es sich bei der „neuen“ Turbine mit 2,3 MW Kapazität um eine, die völlig aus der Zeit gefallen ist, weil sie im Vergleich zu den heute an Land verbauten 6-MW-Anlagen viel zu klein und damit ertragsschwach ist.

Dennoch schaffte die Phantom-Anlage es über die Jahre indirekt bis vors BVerwG. Das hatte im Jahr 2020 grundsätzlich darüber geurteilt, was für die Rangfolge von konkurrierenden Turbinen den Ausschlag gibt. Und zwar ist es der Zeitpunkt des positiven Vorbescheids durch die Genehmigungsbehörde, nicht jedoch der Termin der vollständigen Genehmigung. Damit waren die landauf, landab stattfindenden Windhundrennen von Projektierern an vielen Standorten entschieden.

Und für Bad Wünnenberg stand nach sechs Jahren Betrieb der ersten Anlage fest, dass die noch nicht gebaute Enercon Vorrechte genießt. Wenn sie denn gebaut würde. Die bereits im Dezember 2014 ans Netz gegangene Anlage der SFW I GmbH habe Rücksicht zu nehmen – auf eine Anlage, die es 2020 eben noch gar nicht gab. Was es nach dem Urteil von 2020 gab, war der Anspruch auf Schadenersatz, den die Scharfwind GmbH beim Kreis Paderborn durchsetzen konnte. Denn die Genehmigungsbehörde hatte seinerzeit der anderen E-82 Platz eins im Rennen zuerkannt, wegen der schnelleren Gesamtgenehmigung.

Kritisch wurde es dann im März 2023. Die Jahre zuvor genehmigte E-82 nahm nach einigen Monaten Bauzeit doch noch den Dienst auf, in 200 Metern Entfernung zur baugleichen Anlage. In diesem Moment galt im Rahmen der Rücksichtnahme, die „alte“ Enercon abzuschalten, wenn der Wind mit einer Stärke von 9 bis 20 Metern pro Sekunde und aus einer Richtung von 208,5 Grad (mit einer Abweichung von 10 Grad) weht. Das hatte der Kreis Paderborn im Zuge des BverwG-Urteils verfügt.

Auf einmal schadet die ältere Mühle der anderen gar nicht mehr

Doch diese Ordnungsverfügung galt wiederum nur bis Mitte Oktober. Denn die SFW I GmbH hatte inzwischen ein neues Gutachten beim Kreis eingereicht, das die Turbulenzen vor Ort neu berechnete. Danach waren die Auswirkungen auf die ein halbes Jahr alte E-82 so gering, dass sie in rechtlichem Sinne zumutbar erschienen und in der Folge keinerlei Abschaltung mehr gerechtfertigt war.

Gut eine Woche vor der für den 27. Oktober angesetzten OVG-Verhandlung kam es also zur größtmöglichen Kuriosität. Der Betreiber der frisch aufgestellten Anlage klagte gegen den Kreis Paderborn auf noch weiter gehendere Abschaltregelungen, weil die Standfestigkeit und Betriebssicherheit durch die Nähe gefährdet seien. Doch der Kreis hatte gerade sämtliche Einschränkungen für die neun Jahre alte Mühle aufgrund des neuen Gutachtens aufgehoben.

Der 12. Senat des OVG in Münster unter Vorsitz von Hans-Joachim Hüwelmeier hörte sich viel über Turbulenzintensität, Ertragsrosen und Lastrechnungen an. Um schließlich herauszuarbeiten, dass es kein Standardmodell zur Berechnung der Windverwirbelungen gibt. Damit ergibt fast jede Berechnung unterschiedliche Ergebnisse und kann richtig sein.

Richter Hüwelmeier zog dann einen Schlussstrich unter die Fehde der alten Enercons E-82. Die junge Turbine ist zwar, obwohl erst frisch vor Ort, die Nummer eins der beiden. Doch die vorgelegten Gutachten seien nicht dazu geeignet, eine Beeinträchtigung durch die seit langem rotierende Anlage nachzuweisen. Damit dürfen beide Anlagen munter vor sich hin drehen, Gewinnerin ist die 2014 ans Netz gegangene.

Freitag, 27.10.2023, 16:26 Uhr
Volker Stephan

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