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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - „Wir gewinnen Zeit für den Netzausbau“
Quelle: Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Ausgabe

„Wir gewinnen Zeit für den Netzausbau“

Der regulatorische Rahmen für das Steuern von Verbrauchern ist geschaffen. Jetzt geht es an die Umsetzung. Dabei kommt es auf eine gute Datengrundlage an, wie Simon Koopmann erläutert.
E&M: Herr Koopmann, die Festlegung der Bundesnetzagentur zur Steuerung von Verbrauchern nach § 14a Energiewirtschaftsgesetz ist vor Kurzem erfolgt. Wie konnten sich die Netzbetreiber darauf vorbereiten?

Koopmann: Sie konnten auf jeden Fall schon eine Reihe von technischen Voraussetzungen für das Steuern schaffen. Dazu war nicht der finale Regulierungsrahmen nötig, der jetzt endlich geschaffen wurde. Zum einen braucht man einen digitalen Zwilling, ein gutes Abbild des Netzes, um Analysen und Simulationen durchführen zu können. Zum anderen müssen Messdaten erfasst werden, etwa an den Abgängen der Ortsnetzstationen, die dann mit dem Netzmodell verknüpft werden. Dies sind die beiden wesentlichen Voraussetzungen, um überhaupt erst einmal den Netzzustand ermitteln zu können, von dem aus man dann auf mögliche Steuerhandlungen oder Ausbaumaßnahmen schließen kann.

E&M: Ist der Weg zum digitalen Zwilling für jeden Verteilnetzbetreiber grundsätzlich der gleiche?

Koopmann: Erst einmal ist es wichtig, das Buzzword ‚digitaler Zwilling‘ zu konkretisieren. Aus unserer Sicht ist der digitale Zwilling ein ganzheitliches Abbild des Netzes mit allen Betriebsmitteln und allen an das Netz angeschlossenen Anlagen. Gleichzeitig müssen alle verfügbaren Daten mit ihren Quellen erfasst sein. Häufig liegen die in irgendwelchen isolierten Systemen vor, die zum Teil schon vor Jahrzehnten implementiert wurden und deshalb auch nicht rechenfähig sind. Entsprechend lassen sich dann auch keine Analysen und Simulationen durchführen. Erst wenn diese möglich sind, kann man meiner Meinung nach von einem digitalen Zwilling sprechen.

E&M: Wie verbreiten sind digitale Zwillinge mittlerweile?

Koopmann: Die Netzbetreiber waren in den vergangenen Jahren nicht untätig. Eine ganze Reihe von ihnen ist schon seit mehreren Jahren dabei, digitale Zwillinge aufzubauen. Mit unserem Kundenstamm decken wir zum Beispiel bereits rund 45 Prozent der deutschen Mittel- und Niederspannungsnetze ab. Einige der Netzbetreiber nutzen solche Modelle schon produktiv für andere Zwecke, wie etwa die Automatisierung der Anschlussprüfung. Die Echtzeitüberwachung der Niederspannungsnetze ist in den meisten Fällen jedoch noch in einer Pilotphase. Die große Herausforderung wird jetzt sein, das Teststadium hinter sich zu lassen und die Modelle zu skalieren.
 
„Man braucht einen digitalen Zwilling“
 
E&M: Ist die Skalierung zwangsläufig mit einem Schub für den Rollout intelligenter Messsysteme verbunden?

Koopmann: Prinzipiell ja. Zumindest in den sogenannten 14a-Gebieten muss die Steuerung der Verbraucher zwangsläufig über das Smart Meter Gateway umgesetzt werden. Damit bekommt der Rollout intelligenter Messsysteme aus meiner Sicht schon einen Push. Aber daneben sind die Messungen an den Trafostationen mindestens genauso wichtig. Denn diese Messdaten an den Abgängen der Ortsnetzstationen haben einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse der Algorithmik zur Netzzustandsermittlung und Netzzustandsschätzung. Durch die gewonnene Transparenz kann man außerdem Hotspots frühzeitig identifizieren und möglicherweise sogar Steuereingriffe vermeiden.

E&M: Das würde bedeuten, man baut frühzeitig aus, was aber doch ein langwieriger Prozess ist.

Koopmann: Das stimmt. Aber die Steuerung nach § 14a bringt Flexibilität in den Werkzeugkasten der Netzbetreiber und wir gewinnen Zeit für den Netzausbau. Auch dafür ist aber eine gute Datengrundlage das A und O.

E&M: Sie haben von isolierten Systemen gesprochen, aus denen Daten verfügbar gemacht werden müssen. Das klingt nach einem Schnittstellenproblem.

Koopmann: Nicht nur. Die Daten müssen zunächst einmal in ausreichender Qualität vorliegen und anschließend ja sinnvoll verknüpft werden. Denken Sie nur an Daten aus Geoinformationssystemen und Daten in SAP- oder anderen ERP-Systemen. Aber die Schnittstellen sind schon eine große Herausforderung. Dafür haben wir allerdings eine Lösung. Denn wir haben in unserer Intelligent Grid Platform mittlerweile eine umfangreiche Bibliothek an Datenintegrationsmodulen. Damit können wir sehr schnell einen Kunden an Bord bringen und seine Daten aus ganz unterschiedlichen Quellen mit ganz unterschiedlichen Formaten integrieren. Damit müssen wir nicht erst für jeden Kunden individuelle Schnittstellen bauen.

E&M: Das klingt nach eierlegender Wollmilchsau …

Koopmann: Das ist das Kernelement unserer Plattformtechnologie und unser Alleinstellungsmerkmal im Markt. Wir holen die Daten bei den Kunden im Rohformat ab und können auch damit umgehen, wenn die Systeme, etwa ein ERP-System, zu einem gewissen Grad auf den jeweiligen Kunden individuell angepasst sind. Dass alle Verteilnetzbetreiber ihre Daten in einem Standardformat zur Verfügung haben und zur Verfügung stellen, ist nun mal nicht die Realität. Deshalb haben wir uns der Realität angepasst.

E&M: Wenn die Daten zusammengetragen und verknüpft sind, muss auch eine Handlungsanweisung oder -empfehlung, gegebenenfalls die Steuerung von Verbrauchern, erfolgen. Welche Rolle spielen die Schnittstellen dabei?

Koopmann: Wenn der Netzbetreiber den Netzzustand ermittelt hat, leitet er ab, ob beziehungsweise welche Anlagen gesteuert werden müssen. Dann werden die Steuersignale generiert und an den Messstellenbetreiber übermittelt. Im betroffenen Netzgebiet kann es aber mehrere Messstellenbetreiber geben, weil es ja grundsätzlich eine wettbewerbliche Funktion ist. Deshalb musste hier eine Standardschnittstelle, die sogenannte Edifact API beziehungsweise BDEW API, geschaffen werden, an deren Entwicklung wir auch beteiligt waren. Sie wurde allerdings erst mit der Festlegung der Bundesnetzagentur abschließend definiert und ist damit ein wesentlicher Teil der Steuerkette nach § 14a EnWG, die jetzt von den Verteilnetzbetreibern aufgebaut wird.

E&M: Ist das der Grund, warum aktuell noch kein Netzbetreiber die Steuersignale erzeugen und verschicken kann?

Koopmann: Das nehmen wir so wahr. Denn wenn man sauber nach § 14a EnWG bei einer entsprechenden Netzsituation steuern möchte, muss man über diese Schnittstelle gehen. Es muss ein Smart Meter Gateway mit dem CLS-Kanal vorhanden sein, eine Steuerbox oder gegebenenfalls ein Heimenergiemanagementsystem, das über EEBus mit dem Smart Meter Gateway verbunden ist. Es kommt aber noch mehr hinzu. Denn erst einmal müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, um das Steuersignal generieren zu können.

E&M: Wie wird das Signal generiert? In einem Leitsystem?

Koopmann: Die klassische Leitwarte gibt es ja nur auf der Hochspannungs- und zum Teil noch auf der Mittelspannungsebene. In der Niederspannung war sie bisher nicht notwendig, weil die Netze passiver betrieben wurden. Wir reden hier über eine neue Lösung, die perspektivisch zu einem Niederspannungsleitsystem entwickelt wird. In unserer Plattform ist es ein Modul, das wir ‚Engpassmanagement‘ nennen. Im Modul ‚Online Monitoring‘ werden zunächst die Netzdaten mit dem digitalen Zwilling verknüpft und der Netzzustand ermittelt und Engpässe identifiziert. Diese lassen sich beispielsweise an gemessenen und geschätzten Spannungswerten und Strömen an den jeweiligen Trafoabgängen festmachen. Davon wird dann das Engpassmanagement getriggert. Das System hat die Informationen, welche Verbraucher an welchem Abgang angeschlossen sind, und generiert dann nach Bedarf ein Steuersignal, das über die Standardschnittstelle an den Messstellenbetreiber geschickt wird. Es geht hier also um eine Ad-hoc-Marktkommunikation. Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck daran, diese Module zu einer ganzheitlichen Niederspannungslösung, wie sie bisher noch nicht am Markt zu finden ist, zu verheiraten.
 
„Die technischen Lösungen sind vorhanden“
 
E&M: Dann müssen also die Netz- und Messstellenbetreiber nur die Standardschnittstelle umsetzen?

Koopmann: Wir als Lieferant aufseiten der Netzbetreiber haben die Schnittstelle umgesetzt und die Smart Meter Gateways, mit denen die Messstellenbetreiber den CLS-Kanal aufbauen, können die Signale auch entgegennehmen.

E&M: Dann gibt es ja keine Probleme mehr.

Koopmann: Die technischen Lösungen sind vorhanden. Die regulatorischen Rahmenbedingungen sind festgelegt und die Standards definiert. Viele Netz- und Messstellenbetreiber sind auch schon in der Umsetzung.

E&M: Ist jetzt, Mitte Januar, schon jemand mit der 14a-Steuerkette operativ?
Koopmann: Mir ist nicht bekannt, dass jemand damit schon operativ ist, auch wenn unsere Kunden gerade in der aktiven Umsetzung sind. Aber ich bin sicher, dass es schon bald die ersten Steuerbefehle entlang der 14a-Kette geben wird. 
 
Simon Koopmann
Quelle: Envelio


 

Zur Person

Dr. Simon Koopmann ist Mitgründer und Geschäftsführer der Envelio GmbH, an der Eon mehrheitlich beteiligt ist. Er hat an der RWTH Aachen studiert, promoviert und dort die Forschungsgruppe „Dezentrale Energiesysteme“ geleitet.
 

 
Freie Bahn für das Steuern
Die Bundesnetzagentur hat am 27. November 2023 die Festlegungen zur Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen in das Stromnetz veröffentlicht. Die Beschlusskammer 6 der Behörde hat Regelungen zum Steuern von Verbrauchern wie Wärmepumpen oder privaten Ladeeinrichtungen und von Netzanschlüssen getroffen. Die Grundlage dafür ist § 14a Energiewirtschaftsgesetz. Darüber hinaus hat die Beschlusskammer 8 die damit verbundene Reduzierung der Netzentgelte geregelt.
Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, betonte vor diesem Hintergrund, dass nun ein Netzbetreiber den Anschluss von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen nicht mehr mit dem Verweis auf mögliche Netzengpässe verweigern dürfe. Die regelnden Eingriffe seien auch nur als Ultima Ratio vorgesehen. Sollten dennoch tatsächlich Engpässe auftreten, sind die Netzbetreiber nun dazu verpflichtet, „unverzüglich Maßnahmen zur Abhilfe“ zu prüfen und diese entsprechend in ihrer Netzausbau- und Netzertüchtigungsplanung für den jeweiligen Netzbereich zu berücksichtigen.
In der öffentlichen Diskussion war lange die Steuerung von Einzelanlagen im Fokus. Allerdings können Letztverbraucher vor Inbetriebnahme einer Anlage sich auch dafür entscheiden, dass der Steuerbefehl eines Netzbetreibers am Netzanschluss ansetzt. Dann muss der Kunde beispielsweise mithilfe eines Energiemanagementsystems dafür Sorge tragen, dass eine vom Netzbetreiber vorgegebene Leistungsgrenze insgesamt nicht überschritten wird. Wie die einzelnen Anlagen dann priorisiert werden, bleibt den Nutzern überlassen. Der Strombezug aus einer eigenen PV-Anlage wird entsprechend auf das Leistungslimit angerechnet. Ein Mindestleistungsbezug von Anlagen oder Netzanschlüssen muss immer gewährleistet bleiben. Dieser beträgt für die Dauer einer Überlastungssituation 4,2 kW.
Die Festlegung erstreckt sich auf nichtöffentliche Ladepunkte, Wärmepumpen, Anlagen zur Raumkühlung sowie Stromspeicher hinsichtlich der Stromentnahme aus dem Netz. Der Verbrauch des täglichen Bedarfs, beispielsweise Küchenherd, Waschmaschine oder Trockner, sind nicht betroffen.
Die Regelungen gelten seit dem 1. Januar 2024. Für die Netzbetreiber gibt es Übergangsregelungen. Wer die notwendigen Vorkehrungen für die netzorientierte Steuerung noch nicht getroffen hat, kann laut Bundesnetzagentur „maximal 24 Monate unter Beachtung einiger Rahmenbedingungen vorsorglich steuern“. Diese präventive Steuerung sei als regelmäßige Maßnahme aufgrund einer prognostizierten Überlastung zu sehen, heißt es in einer Mitteilung der Behörde. Im Gegenzug für die Erduldung eines möglichen steuernden Eingriffs kommen die Anlagenbetreiber in den Genuss eines reduzierten Netzentgelts.
 
Sicherheitsstandard geschaffen
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat am 11. Dezember 2023 die Technische Richtlinie TR-03109-5 „Kommunikationsadapter“ veröffentlicht.
Mit der Veröffentlichung der TR-03109-5 sei ein Standard „für die Komponente geschaffen, die Steuerbefehle an der CLS-Schnittstelle des Smart Meter Gateways sicher und interoperabel entgegennimmt und an nachgelagerte Komponenten wie Wallboxen, Wärmepumpen oder Batteriespeicher weiterreicht“, schrieb Dennis Laupichler, Leiter des Referats Cyber-Sicherheit für die Digitalisierung der Energiewende beim BSI auf Linkedin.
Die Technische Richtlinie TR-03109-5 gilt als wesentliche Voraussetzung für die Anbindung von Steuerungs- und Submeter-Einrichtungen an das Smart Meter Gateway. Sie definiert unter anderem die Mindestvoraussetzungen zur Gewährleistung von IT-Sicherheit und Interoperabilität. Die TR-03109-5 könne somit das Vertrauen in die Infrastruktur rund um das intelligente Messsystem steigern und die Risiken von Cyberangriffen auf die Anlagen im HAN (Home Area Network) des Smart Meter Gateways minimieren, hieß es vonseiten der Behörde.
Mitte Januar gab der Smart-Meter-Gateway-Hersteller PPC bekannt, für das Pilotverfahren der Beschleunigten Sicherheitszertifizierung (BSZ) für CLS- und HAN-Komponenten im Rahmen der BSI TR-03109-5 zugelassen zu sein.
 

Donnerstag, 1.02.2024, 09:05 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - „Wir gewinnen Zeit für den Netzausbau“
Quelle: Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Ausgabe
„Wir gewinnen Zeit für den Netzausbau“
Der regulatorische Rahmen für das Steuern von Verbrauchern ist geschaffen. Jetzt geht es an die Umsetzung. Dabei kommt es auf eine gute Datengrundlage an, wie Simon Koopmann erläutert.
E&M: Herr Koopmann, die Festlegung der Bundesnetzagentur zur Steuerung von Verbrauchern nach § 14a Energiewirtschaftsgesetz ist vor Kurzem erfolgt. Wie konnten sich die Netzbetreiber darauf vorbereiten?

Koopmann: Sie konnten auf jeden Fall schon eine Reihe von technischen Voraussetzungen für das Steuern schaffen. Dazu war nicht der finale Regulierungsrahmen nötig, der jetzt endlich geschaffen wurde. Zum einen braucht man einen digitalen Zwilling, ein gutes Abbild des Netzes, um Analysen und Simulationen durchführen zu können. Zum anderen müssen Messdaten erfasst werden, etwa an den Abgängen der Ortsnetzstationen, die dann mit dem Netzmodell verknüpft werden. Dies sind die beiden wesentlichen Voraussetzungen, um überhaupt erst einmal den Netzzustand ermitteln zu können, von dem aus man dann auf mögliche Steuerhandlungen oder Ausbaumaßnahmen schließen kann.

E&M: Ist der Weg zum digitalen Zwilling für jeden Verteilnetzbetreiber grundsätzlich der gleiche?

Koopmann: Erst einmal ist es wichtig, das Buzzword ‚digitaler Zwilling‘ zu konkretisieren. Aus unserer Sicht ist der digitale Zwilling ein ganzheitliches Abbild des Netzes mit allen Betriebsmitteln und allen an das Netz angeschlossenen Anlagen. Gleichzeitig müssen alle verfügbaren Daten mit ihren Quellen erfasst sein. Häufig liegen die in irgendwelchen isolierten Systemen vor, die zum Teil schon vor Jahrzehnten implementiert wurden und deshalb auch nicht rechenfähig sind. Entsprechend lassen sich dann auch keine Analysen und Simulationen durchführen. Erst wenn diese möglich sind, kann man meiner Meinung nach von einem digitalen Zwilling sprechen.

E&M: Wie verbreiten sind digitale Zwillinge mittlerweile?

Koopmann: Die Netzbetreiber waren in den vergangenen Jahren nicht untätig. Eine ganze Reihe von ihnen ist schon seit mehreren Jahren dabei, digitale Zwillinge aufzubauen. Mit unserem Kundenstamm decken wir zum Beispiel bereits rund 45 Prozent der deutschen Mittel- und Niederspannungsnetze ab. Einige der Netzbetreiber nutzen solche Modelle schon produktiv für andere Zwecke, wie etwa die Automatisierung der Anschlussprüfung. Die Echtzeitüberwachung der Niederspannungsnetze ist in den meisten Fällen jedoch noch in einer Pilotphase. Die große Herausforderung wird jetzt sein, das Teststadium hinter sich zu lassen und die Modelle zu skalieren.
 
„Man braucht einen digitalen Zwilling“
 
E&M: Ist die Skalierung zwangsläufig mit einem Schub für den Rollout intelligenter Messsysteme verbunden?

Koopmann: Prinzipiell ja. Zumindest in den sogenannten 14a-Gebieten muss die Steuerung der Verbraucher zwangsläufig über das Smart Meter Gateway umgesetzt werden. Damit bekommt der Rollout intelligenter Messsysteme aus meiner Sicht schon einen Push. Aber daneben sind die Messungen an den Trafostationen mindestens genauso wichtig. Denn diese Messdaten an den Abgängen der Ortsnetzstationen haben einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Ergebnisse der Algorithmik zur Netzzustandsermittlung und Netzzustandsschätzung. Durch die gewonnene Transparenz kann man außerdem Hotspots frühzeitig identifizieren und möglicherweise sogar Steuereingriffe vermeiden.

E&M: Das würde bedeuten, man baut frühzeitig aus, was aber doch ein langwieriger Prozess ist.

Koopmann: Das stimmt. Aber die Steuerung nach § 14a bringt Flexibilität in den Werkzeugkasten der Netzbetreiber und wir gewinnen Zeit für den Netzausbau. Auch dafür ist aber eine gute Datengrundlage das A und O.

E&M: Sie haben von isolierten Systemen gesprochen, aus denen Daten verfügbar gemacht werden müssen. Das klingt nach einem Schnittstellenproblem.

Koopmann: Nicht nur. Die Daten müssen zunächst einmal in ausreichender Qualität vorliegen und anschließend ja sinnvoll verknüpft werden. Denken Sie nur an Daten aus Geoinformationssystemen und Daten in SAP- oder anderen ERP-Systemen. Aber die Schnittstellen sind schon eine große Herausforderung. Dafür haben wir allerdings eine Lösung. Denn wir haben in unserer Intelligent Grid Platform mittlerweile eine umfangreiche Bibliothek an Datenintegrationsmodulen. Damit können wir sehr schnell einen Kunden an Bord bringen und seine Daten aus ganz unterschiedlichen Quellen mit ganz unterschiedlichen Formaten integrieren. Damit müssen wir nicht erst für jeden Kunden individuelle Schnittstellen bauen.

E&M: Das klingt nach eierlegender Wollmilchsau …

Koopmann: Das ist das Kernelement unserer Plattformtechnologie und unser Alleinstellungsmerkmal im Markt. Wir holen die Daten bei den Kunden im Rohformat ab und können auch damit umgehen, wenn die Systeme, etwa ein ERP-System, zu einem gewissen Grad auf den jeweiligen Kunden individuell angepasst sind. Dass alle Verteilnetzbetreiber ihre Daten in einem Standardformat zur Verfügung haben und zur Verfügung stellen, ist nun mal nicht die Realität. Deshalb haben wir uns der Realität angepasst.

E&M: Wenn die Daten zusammengetragen und verknüpft sind, muss auch eine Handlungsanweisung oder -empfehlung, gegebenenfalls die Steuerung von Verbrauchern, erfolgen. Welche Rolle spielen die Schnittstellen dabei?

Koopmann: Wenn der Netzbetreiber den Netzzustand ermittelt hat, leitet er ab, ob beziehungsweise welche Anlagen gesteuert werden müssen. Dann werden die Steuersignale generiert und an den Messstellenbetreiber übermittelt. Im betroffenen Netzgebiet kann es aber mehrere Messstellenbetreiber geben, weil es ja grundsätzlich eine wettbewerbliche Funktion ist. Deshalb musste hier eine Standardschnittstelle, die sogenannte Edifact API beziehungsweise BDEW API, geschaffen werden, an deren Entwicklung wir auch beteiligt waren. Sie wurde allerdings erst mit der Festlegung der Bundesnetzagentur abschließend definiert und ist damit ein wesentlicher Teil der Steuerkette nach § 14a EnWG, die jetzt von den Verteilnetzbetreibern aufgebaut wird.

E&M: Ist das der Grund, warum aktuell noch kein Netzbetreiber die Steuersignale erzeugen und verschicken kann?

Koopmann: Das nehmen wir so wahr. Denn wenn man sauber nach § 14a EnWG bei einer entsprechenden Netzsituation steuern möchte, muss man über diese Schnittstelle gehen. Es muss ein Smart Meter Gateway mit dem CLS-Kanal vorhanden sein, eine Steuerbox oder gegebenenfalls ein Heimenergiemanagementsystem, das über EEBus mit dem Smart Meter Gateway verbunden ist. Es kommt aber noch mehr hinzu. Denn erst einmal müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, um das Steuersignal generieren zu können.

E&M: Wie wird das Signal generiert? In einem Leitsystem?

Koopmann: Die klassische Leitwarte gibt es ja nur auf der Hochspannungs- und zum Teil noch auf der Mittelspannungsebene. In der Niederspannung war sie bisher nicht notwendig, weil die Netze passiver betrieben wurden. Wir reden hier über eine neue Lösung, die perspektivisch zu einem Niederspannungsleitsystem entwickelt wird. In unserer Plattform ist es ein Modul, das wir ‚Engpassmanagement‘ nennen. Im Modul ‚Online Monitoring‘ werden zunächst die Netzdaten mit dem digitalen Zwilling verknüpft und der Netzzustand ermittelt und Engpässe identifiziert. Diese lassen sich beispielsweise an gemessenen und geschätzten Spannungswerten und Strömen an den jeweiligen Trafoabgängen festmachen. Davon wird dann das Engpassmanagement getriggert. Das System hat die Informationen, welche Verbraucher an welchem Abgang angeschlossen sind, und generiert dann nach Bedarf ein Steuersignal, das über die Standardschnittstelle an den Messstellenbetreiber geschickt wird. Es geht hier also um eine Ad-hoc-Marktkommunikation. Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck daran, diese Module zu einer ganzheitlichen Niederspannungslösung, wie sie bisher noch nicht am Markt zu finden ist, zu verheiraten.
 
„Die technischen Lösungen sind vorhanden“
 
E&M: Dann müssen also die Netz- und Messstellenbetreiber nur die Standardschnittstelle umsetzen?

Koopmann: Wir als Lieferant aufseiten der Netzbetreiber haben die Schnittstelle umgesetzt und die Smart Meter Gateways, mit denen die Messstellenbetreiber den CLS-Kanal aufbauen, können die Signale auch entgegennehmen.

E&M: Dann gibt es ja keine Probleme mehr.

Koopmann: Die technischen Lösungen sind vorhanden. Die regulatorischen Rahmenbedingungen sind festgelegt und die Standards definiert. Viele Netz- und Messstellenbetreiber sind auch schon in der Umsetzung.

E&M: Ist jetzt, Mitte Januar, schon jemand mit der 14a-Steuerkette operativ?
Koopmann: Mir ist nicht bekannt, dass jemand damit schon operativ ist, auch wenn unsere Kunden gerade in der aktiven Umsetzung sind. Aber ich bin sicher, dass es schon bald die ersten Steuerbefehle entlang der 14a-Kette geben wird. 
 
Simon Koopmann
Quelle: Envelio


 

Zur Person

Dr. Simon Koopmann ist Mitgründer und Geschäftsführer der Envelio GmbH, an der Eon mehrheitlich beteiligt ist. Er hat an der RWTH Aachen studiert, promoviert und dort die Forschungsgruppe „Dezentrale Energiesysteme“ geleitet.
 

 
Freie Bahn für das Steuern
Die Bundesnetzagentur hat am 27. November 2023 die Festlegungen zur Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen in das Stromnetz veröffentlicht. Die Beschlusskammer 6 der Behörde hat Regelungen zum Steuern von Verbrauchern wie Wärmepumpen oder privaten Ladeeinrichtungen und von Netzanschlüssen getroffen. Die Grundlage dafür ist § 14a Energiewirtschaftsgesetz. Darüber hinaus hat die Beschlusskammer 8 die damit verbundene Reduzierung der Netzentgelte geregelt.
Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, betonte vor diesem Hintergrund, dass nun ein Netzbetreiber den Anschluss von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen nicht mehr mit dem Verweis auf mögliche Netzengpässe verweigern dürfe. Die regelnden Eingriffe seien auch nur als Ultima Ratio vorgesehen. Sollten dennoch tatsächlich Engpässe auftreten, sind die Netzbetreiber nun dazu verpflichtet, „unverzüglich Maßnahmen zur Abhilfe“ zu prüfen und diese entsprechend in ihrer Netzausbau- und Netzertüchtigungsplanung für den jeweiligen Netzbereich zu berücksichtigen.
In der öffentlichen Diskussion war lange die Steuerung von Einzelanlagen im Fokus. Allerdings können Letztverbraucher vor Inbetriebnahme einer Anlage sich auch dafür entscheiden, dass der Steuerbefehl eines Netzbetreibers am Netzanschluss ansetzt. Dann muss der Kunde beispielsweise mithilfe eines Energiemanagementsystems dafür Sorge tragen, dass eine vom Netzbetreiber vorgegebene Leistungsgrenze insgesamt nicht überschritten wird. Wie die einzelnen Anlagen dann priorisiert werden, bleibt den Nutzern überlassen. Der Strombezug aus einer eigenen PV-Anlage wird entsprechend auf das Leistungslimit angerechnet. Ein Mindestleistungsbezug von Anlagen oder Netzanschlüssen muss immer gewährleistet bleiben. Dieser beträgt für die Dauer einer Überlastungssituation 4,2 kW.
Die Festlegung erstreckt sich auf nichtöffentliche Ladepunkte, Wärmepumpen, Anlagen zur Raumkühlung sowie Stromspeicher hinsichtlich der Stromentnahme aus dem Netz. Der Verbrauch des täglichen Bedarfs, beispielsweise Küchenherd, Waschmaschine oder Trockner, sind nicht betroffen.
Die Regelungen gelten seit dem 1. Januar 2024. Für die Netzbetreiber gibt es Übergangsregelungen. Wer die notwendigen Vorkehrungen für die netzorientierte Steuerung noch nicht getroffen hat, kann laut Bundesnetzagentur „maximal 24 Monate unter Beachtung einiger Rahmenbedingungen vorsorglich steuern“. Diese präventive Steuerung sei als regelmäßige Maßnahme aufgrund einer prognostizierten Überlastung zu sehen, heißt es in einer Mitteilung der Behörde. Im Gegenzug für die Erduldung eines möglichen steuernden Eingriffs kommen die Anlagenbetreiber in den Genuss eines reduzierten Netzentgelts.
 
Sicherheitsstandard geschaffen
Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat am 11. Dezember 2023 die Technische Richtlinie TR-03109-5 „Kommunikationsadapter“ veröffentlicht.
Mit der Veröffentlichung der TR-03109-5 sei ein Standard „für die Komponente geschaffen, die Steuerbefehle an der CLS-Schnittstelle des Smart Meter Gateways sicher und interoperabel entgegennimmt und an nachgelagerte Komponenten wie Wallboxen, Wärmepumpen oder Batteriespeicher weiterreicht“, schrieb Dennis Laupichler, Leiter des Referats Cyber-Sicherheit für die Digitalisierung der Energiewende beim BSI auf Linkedin.
Die Technische Richtlinie TR-03109-5 gilt als wesentliche Voraussetzung für die Anbindung von Steuerungs- und Submeter-Einrichtungen an das Smart Meter Gateway. Sie definiert unter anderem die Mindestvoraussetzungen zur Gewährleistung von IT-Sicherheit und Interoperabilität. Die TR-03109-5 könne somit das Vertrauen in die Infrastruktur rund um das intelligente Messsystem steigern und die Risiken von Cyberangriffen auf die Anlagen im HAN (Home Area Network) des Smart Meter Gateways minimieren, hieß es vonseiten der Behörde.
Mitte Januar gab der Smart-Meter-Gateway-Hersteller PPC bekannt, für das Pilotverfahren der Beschleunigten Sicherheitszertifizierung (BSZ) für CLS- und HAN-Komponenten im Rahmen der BSI TR-03109-5 zugelassen zu sein.
 

Donnerstag, 1.02.2024, 09:05 Uhr
Fritz Wilhelm

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