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Quelle: E&M
Stefan Sagmeister
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Dienstag, 02.12.2025, 09:00 Uhr
Aus Dem Jahresmagazin
E&M News
„Überbordende Bürokratie hat mit Misstrauen zu tun“
Constantin H. Alsheimer ist Vorstandsvorsitzender der Thüga AG. Im E&M-Interview erläutert er, wie es mit der „TAP“ weitergeht und warum er den Energiemarkt für überreguliert hält.
E&M: Herr Alsheimer, Sie sind seit Januar 2024 Vorstandsvorsitzender der Thüga AG. Was unterscheidet die Aufgabe bei der Thüga von der Aufgabe als Chef der Frankfurter Mainova, wo Sie vorher tätig waren?

Alsheimer: Das ist schon unterschiedlich. Bei der Mainova war ich mitten in der vollen Breite des operativen Geschäfts: Erzeugung, Netze, Endkundengeschäft. Die Thüga dagegen agiert hinter dem Vorhang. Wir beraten, erbringen Dienstleistungen und entwickeln Lösungen für unsere Partnerunternehmen. Unser Ziel ist, ihnen zu helfen, Kosten zu senken, Prozesse zu skalieren und Effizienzvorteile zu erzielen. Es ist aber gut, dass ich diese 18 Jahre Erfahrung bei der Mainova hatte, um das Geschäft der Thüga zu bewerkstelligen.

E&M: Was steht im Vordergrund Ihrer täglichen Arbeit? Der Blick auf die rund 100 Partnerunternehmen der Thüga oder die strategische Leitung der Thüga-Tochtergesellschaften?

Alsheimer: Das ist kein Entweder-oder, das ist beides. Wir sind Sparringspartner für die Kommunen, die Geschäftsführer und Vorstände, begleiten Aufsichtsräte und beobachten die Entwicklungen vor Ort sehr genau. Nur wenn wir die Sorgen und Herausforderungen der Stadtwerke kennen, können wir Lösungen entwickeln – sei es im Beteiligungsmanagement oder in unseren eigenen Solutions-Gesellschaften.
 

Zur Person

Constantin H. Alsheimer, Jahrgang 1969, ist seit Januar 2024 Vorstandsvorsitzender der Thüga Aktiengesellschaft mit Sitz in München. Der promovierte Jurist kam von der Frankfurter Mainova AG, wo er ab 2006 Mitglied des Vorstands und ab Januar 2009 Vorsitzender war.
 


E&M: Bedeutet das auch, dass die Thüga neue Geschäftsmodelle initiiert?

Alsheimer: Ja, selbstverständlich. Wir prüfen regelmäßig, ob neue Modelle für unsere Partnerunternehmen wirtschaftlich sind – etwa bei Batteriespeichern. Wir analysieren, ob sich Speicherprojekte für Netzbetreiber, Energiehändler oder Vertriebsgesellschaften rechnen, und liefern eine belastbare Einschätzung. Die Umsetzung erfolgt dann durch die Partnerunternehmen oder unsere Thüga Solutions-Gesellschaften.

Die Thüga-Abrechnungsplattform bündelt 13 Millionen Zählpunkte

E&M: Ein großes Projekt in Ihrem Haus ist die Software-as-a-Service-Anwendung Thüga-Abrechnungsplattform, kurz TAP. Warum dieses Projekt?

Alsheimer: Die Thüga will Effizienzpotenziale heben, die ein einzelnes Stadtwerk allein nicht erreichen kann. Stadtwerke können oftmals wenig skalieren, weil ihr Markt regional und überschaubar ist. Die Abrechnung ist ein gutes Beispiel dafür. Mit der TAP bündeln wir die Prozesse. Künftig werden knapp 13 Millionen Zählpunkte über diese einheitliche Plattform abgerechnet. Damit sind wir die Nummer zwei im deutschen Markt nach Eon und vor der EnBW und EWE. Dadurch sinken die spezifischen Abrechnungskosten erheblich, die Stadtwerke werden wettbewerbsfähiger.

E&M: Für die TAP wurde 2025 ein ‚Neustart‘ ausgerufen, nachdem 2024 ein schwieriges Jahr war. Was sind die Hintergründe?

Alsheimer: Die Plattform wird von der IT-Beratung Accenture umgesetzt. Ursprünglich war Powercloud als technischer Partner gesetzt, doch nach dem Verkauf des Unternehmens haben wir umgestellt – nun arbeiten wir mit SAP. Der Zeitplan sieht vor, dass wir Mitte 2026 die ersten Migrationen abgeschlossen haben werden. Dann werden die ersten Stadtwerke mit dem System live gehen. Nach den Irritationen im Jahr 2024 entwickelt sich das Projekt inzwischen sehr positiv.

E&M: Wie viele Thüga-Unternehmen wollen die TAP nutzen?

Alsheimer: In der Thüga-Gruppe betreuen wir insgesamt rund 8 Millionen Zähler. Die TAP nutzen wollen Partnerunternehmen mit rund 7 Millionen Zählern in unterschiedlichen Marktrollen. Geplant ist auch, Versorgern außerhalb der Thüga-Gruppe die TAP anzubieten.

E&M: Die Thüga hat kürzlich die Einführung von vier ‚Leitern der Regionen‘ bekannt gegeben. Warum?

Alsheimer: Neben unseren bundesweiten Lösungen wollen wir die regionale Zusammenarbeit stärken. Es gibt zahlreiche Themen, die Stadtwerke gemeinsam angehen sollten. Damit lassen sich Effizienzen heben. Die neuen Regionalleiter − Nord, Süd, Ost und West − sollen die Thüga in den Regionen sichtbarer machen, Ansprechpartner für Politik und Geschäftsführungen sein und Kooperationen anstoßen. Sie sind Prokuristen, eng vernetzt mit unseren Fachbereichen, und können Themen direkt in die Zentrale tragen.

E&M: Haben diese Regionalleiter auch Eingriffsrechte?

Alsheimer: Sie haben jedenfalls Gewicht. Sie sind Bindeglied zwischen Partnerunternehmen und Thüga und sollen Impulse geben, wenn sie Handlungsbedarf sehen.

Nicht alles 800-mal neu entwickeln

E&M: Die Thüga setzt auf Zusammenarbeit. Spüren Sie bei den Versorgern selbst mehr Bereitschaft zu Kooperationen?

Alsheimer: Ja, absolut. Nach fast drei Jahrzehnten Liberalisierung stehen Stadtwerke heute vor neuen Herausforderungen: Regulierung, Digitalisierung, Fachkräftemangel. Wir sehen bereits Zusammenschlüsse, etwa die länderübergreifende Fusion der Stadtwerke Limburg in Hessen und Diez in Rheinland-Pfalz in diesem Sommer. Auch im Vertrieb wird sich die Branche bewegen müssen: Variable Tarife, digitale Kundenerlebnisse − das alles lässt sich nicht 800-mal neu entwickeln. Stadtwerke müssen kooperieren, sonst verlieren sie den Anschluss. Die Thüga ist dafür ein gutes Beispiel. Wir organisieren gemeinsame Lösungen im Hintergrund und ermöglichen den Stadtwerken, eigenständig, aber effizient zu agieren. Das ist ein Schlüssel für die Zukunft.

E&M: Kommen wir zur Energiepolitik. Es gibt eine Debatte über die Versorgungssicherheit in Deutschland. Die geplanten Gaskraftwerke reichen möglicherweise nicht aus und kommen nicht rechtzeitig ans Netz. Ist das auch Ihre Meinung?

Alsheimer: Wir brauchen diese Kraftwerke, keine Frage. Die Stromversorgung besteht aus vier Schichten: Netze, erneuerbare Erzeugung, Speicher und schließlich regelbare Kraftwerke für längere Dunkelflauten. Diese vierte Schicht ist unverzichtbar − am besten in Form von wasserstofffähigen Gaskraftwerken. Ich teile die Einschätzung von Bundeswirtschaftsministerin Reiche zu diesem Thema. Ob wir diese Anlagen allerdings bis 2030 realisieren können, halte ich für fraglich. Die Auftragspipeline der drei großen Hersteller GE, Siemens und Mitsubishi ist voll.

E&M: Ist für die Thüga der Bau und Betrieb von eigenen Gaskraftwerken eine Option?

Alsheimer: Nein, das überlassen wir unseren Partnerunternehmen. Beispiel Mainova: Sie errichtet derzeit in Frankfurt ein 400-MW-Kraftwerk, wasserstofffähig und hochmodern. Das habe ich in meiner Zeit dort selbst noch angestoßen. So sollte es funktionieren − regional, aber mit Rückhalt durch den Verbund.

E&M: Was halten Sie von einem Kapazitätsmarkt für Kraftwerke?

Alsheimer: Ich halte ihn für notwendig. Wir brauchen einen Kapazitätsmechanismus − und zwar so, dass auch Stadtwerke und deren kleinere und mittlere Anlagen einbezogen werden, nicht nur Großkraftwerke. Ich hoffe, dass die Bundesregierung hier bald handelt.

E&M: Es wird viel über Bürokratie geklagt. Wie stark betrifft sie die Energiebranche?

Alsheimer: Enorm. Die Energiewirtschaft steht beim Bürokratieindex an der Spitze.
Es gibt rund 15.000 Vorschriften. Zu viel wird reguliert, zu wenig dem Markt überlassen. Ein Beispiel: dynamische Tarife. Statt sie zur Pflicht zu machen, sollte man es dem Wettbewerb überlassen, welche Angebote sich durchsetzen. Einem Lebensmitteldiscounter sagt man doch auch nicht, welche Produkte − Bananen, Kartoffeln − er in seinen Märkten anbieten soll. Das regelt der Markt.

E&M: Was schlagen Sie vor, um Bürokratie abzubauen? Ist das überhaupt möglich?

Alsheimer: Überbordende Bürokratie hat auch mit Misstrauen zu tun. Man traut Unternehmen offenbar nicht zu, verantwortungsvoll zu handeln, und schreibt deshalb alles detailliert vor. In den Ministerien möchte niemand eine Regelungslücke lassen. So entstehen Gesetze, die zwar gut gemeint, aber oftmals schwer praktikabel sind. Ein Beispiel ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das selbst bei kleineren Unternehmen für erhebliche Aufwände sorgt. Wir brauchen deshalb dringend eine Überprüfung der Gesetze auf Einfachheit und Wirksamkeit − und mehr Vertrauen in die Wirtschaft.

E&M: Zum Abschluss: Deutschland will bis 2045 klimaneutral wirtschaften. Halten Sie das Ziel für erreichbar?

Alsheimer: Technisch ja, aber es hängt an der Kostenfrage. Wenn die Energiewende immer teurer wird, verliert sie gesellschaftlich die Akzeptanz. Wir müssen bestehende Infrastrukturen intelligent weiter nutzen, technologieoffen bleiben und Projekte konsequent nach Wirtschaftlichkeit priorisieren. Nur so kann Klimaneutralität gelingen − sonst verlieren wir unterwegs die Zustimmung der Bevölkerung.
 
Quelle: Stefan Sagmeister