Neben historischen Fassaden und schmalen Straßen steht am Schweriner See ein Gebäude, das Zukunft zeigt: das Ludwig-Bölkow-Haus der Wirtschaft. Von außen wirkt der 2014 fertiggestellte Neubau der Industrie- und Handelskammer zu Schwerin (IHK) modern, aber nicht futuristisch. Doch unter der Erde verbirgt sich ein technisches System, das die Energiewende im Gebäudesektor greifbar macht. E&M besichtigte es im Rahmen einer Führung mit dem Bundesverband Wärmepumpe (BWP).
Das ab 2011 errichtete Haus ist ein Beispiel dafür, wie sich Energieeffizienz, Wirtschaftlichkeit und Architektur verbinden lassen. Das Herzstück des Energiekonzepts liegt im Fundament: 218 geothermisch aktivierte Gründungspfähle nutzen die Temperaturstabilität des Untergrunds, um Wärme und Kälte bereitzustellen. Zusammen mit einer Wärmepumpe deckt das System direkt vor Ort rund 75 Prozent des Heizbedarfs des Gebäudes und den gesamten Kühlbedarf.
„Bundesweit sind wir Vorreiter mit diesem Gebäude und können zeigen: Es funktioniert und ist wirtschaftlich“, erläutert Klaus Uwe Scheifler, Geschäftsbereichsleiter für Existenzgründung, Unternehmensförderung, Innovation und Umwelt bei der IHK zu Schwerin. Die Zahlen geben ihm recht: Rund 92 Tonnen CO2 spart das System jedes Jahr im Vergleich zu einer konventionellen Gasheizung mit Kältemaschine. Dafür wurde es 2015 mit dem Zertifikat „Nachhaltiges Bauen“ des Bundesumweltministeriums ausgezeichnet.
Ein Fundament als EnergiequelleDie Idee, Gründungspfähle als Wärmetauscher zu nutzen, ist nicht neu, doch in Norddeutschland bis heute selten umgesetzt. Beim Ludwig-Bölkow-Haus bot sie sich an, weil es mit der malerischen Lage direkt am Schweriner See ohnehin eine Pfahlgründung benötigte. Nun bilden etwa sechs Kilometer Betonpfähle und zwölf Kilometer Geothermieleitungen den Primärkreislauf der Anlage. Über sechs Geothermieschächte wird die gewonnene Energie in eine Zentrale geführt, wo Wärmepumpen sie für das Gebäude nutzbar machen.
Im Sommer dient der Untergrund als Wärmesenke, im Winter als Wärmequelle. Die Temperatur im Erdreich liegt je nach Jahreszeit zwischen 8 und 20 Grad Celsius. Über Fußbodenheizungen, Heiz- und Kühldecken sowie die Betonkernaktivierung in den oberen Stockwerken wird die Energie effizient verteilt. Eine Gaszusatzheizung sorgt lediglich dafür, dass an sehr kalten Tagen keine Kaltluftströmungen an den Fensterfronten entstehen.
Das Ergebnis ist ein System, das Energieflüsse im Gebäude ausgleicht und saisonal speichert. „Im Grunde atmet das Haus mit dem Boden“, beschrieb ein beteiligter Ingenieur das Prinzip.
Wirtschaftlich durch geringere BetriebskostenDie Investitionskosten für die Pfahlaktivierung, Wärmepumpe und Planung lagen bei rund 187.000 Euro. Hinzu kamen höhere Baukosten, die laut IHK insgesamt etwa 450.000 Euro über denen eines herkömmlichen Gebäudes lagen. Doch die Mehrkosten amortisierten sich in wenigen Jahren. Geringe Wartungs- und Betriebskosten sowie die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen machen das Konzept bereits heute, zehn Jahre nach Inbetriebnahme, wirtschaftlich.
Die Wärmepumpenanlage erreicht im aktiven Betrieb eine Jahresarbeitszahl von etwa 4. Für die passive Kühlung liegt der COP-Wert bei rund 30 − ein Hinweis auf die hohe Effizienz des Systems. In der Gaspreiskrise durch den russischen Angriff auf die Ukraine stellte sich heraus, dass der Gaskessel gar nicht benötigt wird, sagt Klaus Uwe Scheifler.
Architektur folgt EnergieflüssenDie Energieeffizienz beeinflusste auch das architektonische Konzept. Außen liegende Jalousien mit Sonnen- und Windsteuerung reduzieren den Wärmeeintrag. Tief gesetzte Stützen im Erdgeschoss beschatten die Glasflächen, ohne Licht zu nehmen. Massive Decken und eine gut gedämmte Hülle sorgen für thermische Stabilität. Innen kamen pflegeleichte, langlebige Materialien zum Einsatz, um Wartungs- und Instandhaltungskosten gering zu halten.
„Form follows function“ − das Prinzip gilt hier im energietechnischen Sinne. Die Architektur des Gebäudes ist Ergebnis einer ganzheitlichen Planung, die Nutzerverhalten, Technik und Bauphysik gleichermaßen berücksichtigt. Ein wichtiger Faktor sind aber auch die Nutzerinnen und Nutzer. Auch wer sich daran gewöhnt hat, die Fenster besser nicht zu öffnen, hat unterschiedliche Wärmebedürfnisse. Deshalb wurden 2016 Einzelventilsteuerungen für jeden Büroraum nachgerüstet, die individuelle Einstellungen ermöglichen.
Daten und FaktenDie Heizleistung des Systems beträgt 120 kW, die Kühlleistung 229 kW. Der jährliche Heizwärmebedarf liegt bei etwa 260 MWh, der Kältebedarf bei 170 MWh. Im Vergleich zu einer konventionellen Versorgung mit Gasbrennwertkessel und elektrischer Kältemaschine werden jährlich rund 92 Tonnen CO2 vermieden.
Der Primärenergiebedarf des Gebäudes beträgt laut Energieausweis 197,7 kWh pro Quadratmeter und Jahr und liegt damit deutlich unter dem EnEV-Anforderungswert von 289,4 kWh. Die Qualität der Gebäudehülle liegt mit 0,59 W/(m²·K) ebenfalls weit unter den gesetzlichen Vorgaben.
Seit 2024 betreibt die IHK zudem auf dem Dach des Gebäudes eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 74 kW Peak in Ost-West- und Südausrichtung. Der erzeugte Strom deckt den Eigenbedarf des Hauses und der Geothermieanlage weitgehend ab. Damit arbeitet das Ludwig-Bölkow-Haus heute bilanziell klimaneutral.
Symbol für technologieoffene EnergiewendeFür die IHK Schwerin ist das Gebäude nicht nur Sitz, sondern auch Statement. „Energiefragen der Zukunft sind ohne erneuerbare Energien kaum darstellbar“, heißt es in einer Stellungnahme der Kammer. Sie fordert verlässliche Rahmenbedingungen, technologieoffene Förderung und weniger bürokratische Hürden bei der Umsetzung der Wärmewende. Besonders der Mittelstand brauche Planungssicherheit, um in Wärmepumpen, Geothermie und andere klimafreundliche Technologien investieren zu können.
Zugleich mahnt die IHK, dass die Sanierung des Gebäudebestands stärker in den Fokus rücken müsse. Nur dort lasse sich ein Großteil des Energieverbrauchs reduzieren. Eine Ausweitung kommunaler Fernwärmesatzungen lehnt sie ab − der Wettbewerb der Energieträger müsse offen bleiben.
Der Name verpflichtetBenannt ist das Haus nach dem Schweriner Ingenieur und Luftfahrtpionier Ludwig Bölkow (1912−2003), der schon in den 1980er-Jahren die ökologische Verantwortung bei der Entwicklung von Technologien betonte. Bölkow prägte die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie und gründete 1983 eine Stiftung zur Förderung nachhaltiger Technik.
Die IHK benannte ihr energieeffizientes Gebäude nach ihm als Hommage und in Fortführung seiner Idee, Fortschritt und Umweltbewusstsein zu verbinden. Das Haus der Wirtschaft trägt diesen Anspruch sichtbar in seiner Struktur − von den geothermischen Fundamenten bis zur solar betriebenen Technikzentrale.
Das Ludwig-Bölkow-Haus sollte Beispiel sein für eine neue Generation von Büro- und Verwaltungsgebäuden, die Energieeffizienz als Systemleistung begreifen. Die Verbindung von Geothermie, Wärmepumpen und Eigenstromversorgung zeigt, dass nachhaltige Gebäudetechnik auch wirtschaftlich tragfähig ist. Die Energiewende sollte bei Neubauten schon im Fundament beginnen.
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Blick vom IHK-Haus aufs Schweriner Schloss − Sitz des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern Quelle: BWP / Bernd Lauter Photographie |