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Susanne Harmsen
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Donnerstag, 30.03.2023, 15:12 Uhr
Kernkraft
E&M News
Ende einer Ära
Die letzten drei deutschen Kernkraftwerke gehen Mitte April in Ruhestand und werden abgebaut. Die Einlagerung der strahlenden Reste wird mindestens 60 Jahre dauern, so die Prognose.
60 Jahre lang wurde in Deutschland Strom aus Kernkraft erzeugt. Diese Ära geht am 15. April 2023 zu Ende, wie Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am 30. März in Berlin sagte. Ursprünglich sollten die drei letzten verbliebenen Reaktoren schon zum 31. Dezember 2022 vom Netz gehen. Doch wegen der fehlenden Erdgaslieferungen aus Russland bekamen sie eine Gnadenfrist über den Winter. Die Ministerin dankte allen Menschen, die für den Atomausstieg gekämpft hatten, wie auch allen Mitarbeitenden in den Kraftwerken, die viele Jahrzehnte lang für sicheren Betrieb sorgten.

„Mindestens weitere 60 Jahre wird die Einlagerung der radioaktiven Abfälle aller Art in verschiedene Endlager benötigen“, prognostizierte Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Schwach- und mittelradioaktive Abfälle in einem Volumen von 100 olympischen Schwimmbecken sollen ab 2027 in den Schacht Konrad bei Salzgitter verbracht werden. Ein Endlager für die hochradioaktiven Abfälle, das für 30.000 Generationen sicher sein muss, sei noch nicht gefunden. Dank des Ausstiegs könne man nun aber wenigstens die Abfallmenge beziffern, für die das Lager reichen muss, sagte König.

Bislang lagert hochradioaktiver Müll an 16 über Deutschland verteilten Zwischenlagerstandorten. Der Bundesgesellschaft für Endlagerung zufolge wird bis spätestens zur zweiten Jahreshälfte 2027 ein Vorschlag zur Eingrenzung der Suche auf bestimmte Regionen vorgelegt. Momentan sind 90 sogenannte Teilgebiete für ein Endlager im Gespräch.

Ausstieg aus einer riskanten Technologie

Lemke legte vor Journalisten zusammen mit dem Bundesamt für Strahlenschutz (BFS) die Gründe für den Ausstieg dar. „Atomkraft ist und bleibt ein Sicherheitsrisiko, wie die umkämpften AKW in der Ukraine und die Warnungen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO aktuell bestätigen“, sagte die Ministerin. Darum sei der Ausstieg, den die schwarz-gelbe Bundesregierung 2011 unter dem Eindruck des Reaktorunglücks im japanischen Fukushima beschlossen hatte, richtig.

BfS-Präsidentin Inge Paulini betonte, dass damit nicht alle radioaktiven Gefahren gebannt seien. Alte, störanfällige Kraftwerke in ganz Europa seien ebenso eine Gefahr wie Anschläge und kriegerische Ereignisse, wie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine beweise. Ihre Behörde habe aber das flächenmäßig größte Strahlungsmessnetz in Europa und mit den Bundesländern Notfallpläne entwickelt.

Für die Betreiber der drei Kraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim war der aufgeschobene Ausstieg kein Gewinn. Für Neckarwestheim 2 nannte der Betreiber Energie Baden-Württemberg (EnBW) einen Betrag im unteren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich an Mehrkosten für den Weiterbetrieb und aufgeschobenen Abbau. „Dafür gibt es keine Entschädigung“, sagte der Chef der EnBW-Kernkraftsparte, Jörg Michels, in Karlsruhe. Weil die Strompreise gedeckelt wurden, sei die auch die Gewinnspanne „nicht so hoch“. Sein Unternehmen investiere inzwischen zunehmend in erneuerbare Energieerzeugung.
 
v.li.: Bundesumweltministerin Steffi Lemke, Wolfram König (Präsident des BASE) und Inge Paulini (Präsidentin des BfS)
Quelle: E&M/Harmsen

Mehr Platz im Stromnetz für erneuerbare Energie

„Die Entscheidung ist auch energiewirtschaftlich relevant“, wertete Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE). Kernkraftwerke seien inflexibel mit hohen Volllaststunden und daher nicht mehr kompatibel mit den Bedürfnissen der erneuerbaren Energien. Selbst zu Zeiten mit einem Überangebot an Strom hätten die Kernkraftanlagen in den letzten sieben Jahren im Durchschnitt mit über 65 Prozent ihrer Nennleistung ins Netz eingespeist. Dafür hätten beispielsweise Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen.

„Aufgrund der wachsenden Leistung der erneuerbaren Anlagen werden die Kernkraftwerke nicht mehr für die Versorgungssicherheit benötigt“, versicherte Peter unter Berufung auf Studien des BEE. Vielmehr müsse im Rahmen der Plattform Klimaneutrales Stromsystem (PKNS) über ein flexibel steuerbares Back-up erneuerbarer Energien, Speicher und grüner Kraft-Wärme-Kopplung diskutiert werden, das den Ausgleich ohne Atomkraft oder auch überdimensionale fossile Kapazitäten gewährleiste, forderte Peter abschließend.