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Georg Eble
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Mittwoch, 29.03.2023, 19:19 Uhr
E&M-Innovationsarena
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Netze BW rollt digitalen Zwilling von Baustellen aus
Netze BW gehört zu den digitalen Pionieren unter den Verteilnetzbetreibern. Dass dies alternativlos sei, das hat ihr Digitalisierungsstratege Bartholomäus Surmann in Stuttgart belegt.
Dass die deutsche Energiewende an der Basis in atemberaubendem Tempo fortschreitet und eine stärkere Digitalisierung auch des Verteilnetzes erfordert, das hat Bartholomäus Surmann am 29. März als Redner in der E&M-Innovationsarena auf der Messe Volta-X mit Zahlen und Erfahrungsberichten bewiesen. Surmann ist Leiter Technikinnovation und Digitalisierungsstrategie beim größten Verteilnetzbetreiber (VNB) Baden-Württembergs, Netze BW. Die EnBW-Tochter hat allein 2,3 Millionen Netzkunden, und praktisch alle grünen Kraftwerke im Ländle dürften ins Verteilnetz einspeisen.

Surmann zufolge haben Erneuerbare-Anlagen-Betreiber im ersten Quartal 2023 bei Netze BW 80 Prozent mehr Einspeiseanträge gestellt als von Januar bis März 2022. Liefen 2020 noch 19.400 Anträge zusammen, rechnet der VNB fürs laufende Jahr mit 55.000.

Enormer Zuwachs bei Wallboxen, Wärmepumpen und PV-Anlagen

Ähnlich dynamisch ist die Lage bei Wallboxen (im Amtsdeutsch "Ladeeinrichtungen"), einem Indiz für steigenden Strombedarf durch E-Autos, der sich aber potenziell in Zeiten von Überangebot verlagern lässt: Hier erwartet Netze BW bis Jahresende 40 Prozent mehr Anmeldungen als 2022. Im ersten Quartal betrug das Plus auf Jahresbasis 100 Prozent. Zwischen 2020 und 2025 soll die Zahl der Wallboxen im Netze-BW-Versorgungsgebiet von 6.800 auf 78.000 steigen.

In dem zuvor veröffentlichten Entwurf des Netzentwicklungsplans (NEP) Strom 2023 (wir berichteten) haben die Übertragungsnetzbetreiber ihre Prognosen etwa für 2030 gegenüber dem NEP vor zwei Jahren ähnlich drastisch an: Allein in Baden-Württemberg rechnen sie mit 25.300 MW Solarkraft. 2021 hatten sie erst 11.000 MW PV erwartet. Die installierte Windleistung wird im Ländle bei 4.100 MW gesehen, zwei Jahre zuvor war man für 2030 noch von 2.900 MW ausgegangen.
 

Auf der Verbrauchsseite soll die Zahl der Wärmepumpen im Südwesten im selben Zeitraum nicht mehr die Million erreichen, sondern 2,6 Millionen. 4,4 Millionen E-Fahrzeuge wollen 2030 in dem Land mit Fahrstrom versorgt werden, nicht mehr bloß die 1,8 Millionen aus dem NEP 2021.
 
Bartholomäus Surmann, Leiter Technikinnovation und Digitalisierungsstrategie bei Netze BW, auf der E&M-Innovationsarena
Quelle: E&M / Georg Eble


Digitalisierung, Transparenz und Flexibilisierung

"Für das, was kommt, können wir nicht mehr so weitermachen wie bisher", folgerte Surmann daraus. Der Digitalisierungsstratege kündigte an, dass "demnächst" einige Pilotprojekte mit digitalen Zwillingen von kompletten Netzbau-Maßnahmen von der Arbeitsvorbereitung bis zur Dokumentation auf Netze BW ausgerollt werden. Zum Beispiel erhält jeder Netzmonteur ein Smartphone mit Lidar-Scansensoren, mit dem er die Lage von alten und neuen Kabeln ins Geoinformationssystem (Gis) aufspielen und ein 3D-Grabenprofil einer Baustelle erstellt.

Darüber hinaus sind bereits 500 Ortsnetzstationen von Netze BW mit 9.000 Sensoren ausgestattet, um Transparenz ins Nieder- und Mittelspannungsnetz zu bekommen. "Die reichen nicht", mit dieser Bewertung machte Surmann die Richtung klar.

Auch den Flexibitätsgrad, den Netze BW im abgeschlossenen Reallabor "Flexgrid" im Netzgebiet Freiamt im Schwarzwald erreicht hat, "brauchen wir ausgerollt in allen Netzen mit hohem Anteil an Photovoltaik-Einspeisung", so Surmann. Das "bestvermessene Netz Deutschlands", wie der Innovator das Freiamter Netz nannte, hat 2,1 MW Flexibilitäten aus E-Autos, PV-Batterien und Wärmepumpen gebündelt. "Das ist in der Niederspannung viel", gab Surmann zu bedenken. Flexgrid habe in Freiamt eine hohe Akzeptanz, "obwohl wir auch bei E-Fahrzeugen steuernd eingegriffen haben". Die Bevölkerung sei dort "energiewendeaffin".

Auf die Frage von E&M-Chefredakteur Stefan Sagmeister, ob auch die Netztechniker bei der Digitalisierung mitmachen, gab Surmann ein eindeutiges Ja unter der Voraussetzung, dass die digitalen Lösungen "einfach und intuitiv" sind. Netze BW achte darauf, dass die Anwender von vorneherein in den Entwicklungs-Workshops dabei sind. Netze BW hat sich der Agilität verschrieben: Für jede IT-Einführung gebe es einen Scrum Master und ein Change-Projekt. Die Akzeptanz im Personal sei keine Frage des Alters, sondern nur des "Mindsets" und der schrittweisen Vorgehensweise. Privat seien die Netztechniker schon lange digital unterwegs gewesen, so Surmann.