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Georg Eble
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Donnerstag, 30.03.2023, 17:38 Uhr
Windkraft Offshore
E&M News
"Offshore-Ausschreibung kann sich die ganzen Ferien hinziehen"
Am 1. Juni kommen 7.000 MW Windkraft-Flächen auf deutscher See unter den Hammer, siebenmal so viel wie bisher pro Jahr. Ein Experte hält es für möglich, dass ein Bewerber abräumt.
Die erste elektronische und dynamische Vergabe von Windpark-Flächen in der deutschen See kann gemäß ihrem Auktionsdesign zu einer industriepolitischen Belastung werden, die ihre Vorteile entwertet. Dies kann man aus Einschätzungen schließen, die Dominik Hübler, Volkswirt bei Nera Economic Consulting, am 30. März beim "BWO-Talk" des Bundesverbandes der Windparkbetreiber Offshore (BWO) abgab. Nera hatte den BWO zuletzt mit Gutachten gegen eine staatliche Gewinnmaximierung bei der Vergabe unterstützt.

Am 1. Juni vergibt die Bundesnetzagentur zunächst mit 7.000 MW siebenmal so viel Windpark-Leistung in Nord- und Ostsee wie im mehrjährigen Durchschnitt zuvor. Um den Ausbau zu beschleunigen und 2030 mindestens 30.000 MW geschafft zu haben, kommen erstmals Flächen unter den Hammer, die nicht behördlich auf ihre Eignung untersucht wurden. Das müssen die erfolgreichen Bieter hinterher auf eigene Kosten veranlassen.

Erstmals spielt auch ein qualitatives Kriterium eine Rolle, nämlich, dass 20 Prozent der installierten Leistung in den ersten fünf Jahren mit Direktlieferverträgen (PPA) vermarktet wären. Dominik Hübler meint, dass sowohl dieses Kriterium als auch weitere Kriterien für die 1.800 MW behördlich voruntersuchten Flächen, die am 1. August zusätzlich unter den Hammer kommen, von Profis so leicht zu erfüllen wären, dass die quantitative "Gebotskomponente" − also die Bereitschaft, für eine Fläche sogar noch zu zahlen, statt Subventionen zu fordern − "de facto" dominiere. Hübler bezeichnete dieses Verfahren als "reinen Wettbewerb bis aufs Messer".

Verzichten mehrere Bieter um ein und dieselbe Fläche auf eine Subventionierung des dort von ihnen künftig erzeugten Windstroms (Höchstwert: 6,2 Cent/kWh), geben also mehrere Bieter Null-Cent-Gebote ab und liegen eben auch bei den qualitativen Kriterien gleichauf, dann ermittelt die Bundesnetzagentur die Zahlungsbereitschaft für die "Gebotskomponente" bei den Juni-Flächen in einer dynamischen elektronischen Auktion. Das geschieht in der Regel in 30.000-Euro-Schritten, und zwar unbegrenzt, bis nur noch ein Bieter übrig bleibt.
 
Dominik Hübler von Nera Economic Consulting (links) erörterte mit dem BWO-Geschäftsführer Stefan Thimm das Design der deutschen 2023er-Offshore-Auktionen
Quelle: E&M / Georg Eble

Hübler hat diese Auktion durchgespielt, und zwar anhand der Zahlungsbereitschaft bei einer britischen Offshore-Auktion von 2021, mit ebenfalls ungedeckelter Gebotskomponente. Bieter, "die auch in Deutschland aktiv sind", so Hübler, hätten umgerechnet bis zu 1,2 Millionen Euro pro MW geboten.

Dabei könne es schon bis zum 21. Juni dauern, bis die Netzagentur den dynamischen Teil der Auktion beginnen kann. Das wäre einen Tag vor den NRW-Sommerferien. Überträgt man nun die damalige Zahlungsbereitschaft für die britische See, dann stünde erst nach der 43. Runde ein Sieger fest. Bei dem Auktionsdesign der Behörde würde die Auktion zweieinhalb Wochen lang in die großen Ferien hineinragen.

Nicht nur müssen sich damit Bieterteams sowie zuständige Beamte der Netzagentur, die in NRW ihren Sitz hat, auf einen Urlaubsstopp in der Haupturlaubszeit einstellen. Vielmehr würde sich die Auktion mit dem Beginn der zweiten Ausschreibung für vier weitere Flächen am 1. August auch noch ein paar Tage überlappen.

Industrieunternehmen könnten Zuschläge erhalten

Daraus und aus dem Auktionsdesign ergeben sich aus Sicht von Hübler mehrere Probleme:
  • Bieter sehen sich gezwungen, im Juni anfangs auf alle vier Flächen zu bieten, wenn sie einen Informationsvorteil über die Anzahl der Mitbieter haben wollen, und überfordern sich dabei möglicherweise, wenn sie unerwartet zu viele Zuschläge bekommen.
  • Es spreche nichts gegen die Möglichkeit, dass ein Bieter vom Juni an alle vier Flächen mit 7.000 MW abräumt. Im Gegensatz zu anderen Ländern gebe es keine Deckel für die Akteursvielfalt.
  • Dies hätte der Gesetzgeber vermeiden können, indem er die Auktion so organisiert hätte wie beim Mobilfunk. Dort gibt es eine einzige Auktion auf verschiedene Frequenzbänder, die dann erst zugeteilt werden.
  • Theoretisch könnten auch Industrieunternehmen mit hohem Ökostrom-Bedarf direkt mitbieten. Wenn die EU und der Bund aber von 2024 an unter dem Stichwort „Industriestrompreis“ vorschreiben sollten, bereits bezuschlagte installierte Leistungen bestimmten bevorzugten Industrien zu Gestehungskosten zur Verfügung zu stellen, erwartet Hübler Beihilfe-Ärger mit den nicht begünstigten Branchen und deren Widerstand.
  • Die spieltheoretische Notwendigkeit, während der dynamischen Auktionen die Ergebnisse der statischen Vergabe der vier weiteren Flächen (1.800 MW) am 1. August rechtzeitig zu erhalten und in die Gebotstaktik zu integrieren, fordere die Bieterteams. Schließlich dauern die Bieterrunden bei den ersten vier Flächen (7.000 MW) jeweils nur eine Stunde - pro Fläche.