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Energie & Management > Politik - Mister Green Deal geht von Bord
Quelle: Pixabay / NakNakNak
Politik

Mister Green Deal geht von Bord

Der Architekt des europäischen Klimapaktes, Frans Timmermans, verlässt Brüssel in einem kritischen Moment.
Der Architekt des europäischen Klimapaktes, Frans Timmermans, verlässt Brüssel in einem kritischen Moment. Timmermans überreichte sein Rücktrittsschreiben am 22. August, nachdem ihn ein Bündnis aus linken und grünen Parteien zum Spitzenkandidaten für die bevorstehende Parlamentswahl in den Niederlanden bestimmt hatte.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dankte Timmermans für seinen „leidenschaftlichen und unermüdlichen Einsatz“ im Dienste der europäischen Klimapolitik: „Dank seines außerordentlichen Beitrags und seines persönlichen Einsatzes sind wir dem Ziel, die EU zum ersten, klimaneutralen Kontinent zu machen und so die globalen Klimaambitionen anzuheben, ein großes Stück näher gekommen.“

Die Kommissionspräsidentin bestimmte den Vize-Präsidenten der EU-Kommission, Maros Sefovic, die Aufgaben Timmermans kommissarisch zu übernehmen. Er wird damit zumindest vorübergehend Chef des Klimaressorts in der Kommission und Chefunterhändler der EU in den internationalen Klimaverhandlungen. Sefcovic war in der Juncker-Kommission für die Energiepolitik zuständig. Zurzeit kümmert er sich unter anderem um die gemeinsame Gas-Beschaffung der EU-Staaten und die Batterieallianz.

​Mehrere Kandidaten im Gespräch

Gleichzeitig informierte von der Leyen die amtierende Regierung der Niederlande, die jetzt einen neuen, niederländischen Kandidaten vorschlagen muss. Im Gespräch sind die stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes, Sigrid Kaag, Außenminister Wopke Hoekstra, Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren und die christdemokratische Europa-Abgeordnete Esther de Lange. Ob der neue Kommissar oder die Kommissarin weiter für die Klimapolitik zuständig sein wird, ist offen. Die Kommissionspräsidentin kann die Zuständigkeiten innerhalb des Kollegiums jederzeit neu regeln.

Der Ausstieg Timmermans, der sich immer für besonders anspruchsvolle Klimaziele eingesetzt hat, trifft die europäische Klimapolitik in einer schwierigen Phase. Einerseits sind ihre gesetzlichen Grundlagen weitgehend gelegt. Es stünden auch erhebliche Mittel für die Dekarbonisierung bereit, heißt es in der Erklärung Ursula von der Leyens. In den nächsten Jahren gehe es darum, die Umsetzung des Klimapaktes (Green Deal) sicherzustellen. Dagegen wachsen jedoch die Widerstände, gerade in den eigenen Reihen der Kommissionspräsidentin.

Auch in den Mitgliedsstaaten sind noch längst nicht alle Widerstände überwunden. Vor allem die Osteuropäer verlangen mehr Rücksicht auf ihre ökonomischen Interessen. In der ihr verbleibenden Amtszeit muss die Kommission noch wichtige Entscheidungen treffen. Da ist zum einen die Festlegung eines Klimazieles für 2040. Bislang hat sich die Union darauf verständigt, ihre Treibhausgase bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren und bis 2050 „klimaneutral“ zu sein. Das Reduktionsziel für 2040 soll sicherstellen, dass die Klimaneutralität zehn Jahre später auch erreicht wird. Der Expertenrat der EU fordert für 2040 eine Reduktion der Treibhausgase um mindestens 90 Prozent gegenüber 1990.

Die Kommission muss ihren Vorschlag im ersten Semester 2024 vorlegen, wenn der Wahlkampf zum nächsten EU-Parlament im vollen Gange sein wird. Der Appetit für anspruchsvolle Ziele dürfte dann überschaubar sein. Wichtige Entscheidungen kommen auf die EU im Rahmen der nächsten Klimakonferenz in Doha zu. Unklar ist, wer die Europäer dort vertreten wird. Timmermans hat auf den letzten Klimakonferenzen immer eine zentrale Rolle gespielt. Er hat ein gutes Verhältnis zum Vertreter der USA, John Kerry, aber auch zum chinesischen Verhandlungsführer, Xie Zhenhua.

CCS und Renaturierungs-Richtlinie

Gut vertraut mit den Themen wäre Timmermans' bisheriger Kabinettschef, Diederik Samson. Er könnte die EU aber nicht auf Ministerebene repräsentieren. Die Kommission hat zwar den größten Teil der Klimagesetzgebung inzwischen auf den Weg und zum größten Teil auch schon durch den Ministerrat und das Europäische Parlament gebracht. Ihr Plan für das sogenannte „Carbon Management“ steht aber noch aus. Dabei geht es darum, welche Rolle das Abscheiden und Einlagern von CO2 spielen sollen, das durch die Industrie freigesetzt wird.

Im Rahmen ihrer Industriepolitik hat die Kommission bislang das Ziel vorgegeben, Kapazitäten zum Einlagern von 50 Millionen Tonnen CO2 bis 2030 zu schaffen. Dabei kann es aber nicht bleiben, wenn die EU ihre Klimaziele erreichen und wichtige Branchen wie die Stahl- oder Zementindustrie behalten will. Das Carbon-Management ist gegenwärtig Gegenstand eines intensiven Lobbying. Die meisten Klima- und Umweltverbände sehen darin den Versuch, die Anstrengungen zur Senkung der Emissionen zu unterlaufen. Die Industrie hält CCS/CCU für den einzigen Weg, wichtige Wertschöpfungsketten auch in Zukunft weiterzubetreiben.

Die nächste Herausforderung für Sefcovic werden die Verhandlungen über die Renaturierungs-Richtlinie, die den Landwirten neue Verpflichtungen zur „Wiederherstellung der Natur“ und zur Reduzierung ihrer CO2-Emissionen auferlegen soll. Der Europäischen Volkspartei ist es im Europäischen Parlament zwar nicht gelungen, das Projekt der Kommission zu Fall zu bringen. In den Verhandlungen mit dem Ministerrat könnte die Richtlinie aber weiter verwässert werden.

Mittwoch, 23.08.2023, 16:18 Uhr
Tom Weingärtner
Energie & Management > Politik - Mister Green Deal geht von Bord
Quelle: Pixabay / NakNakNak
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Mister Green Deal geht von Bord
Der Architekt des europäischen Klimapaktes, Frans Timmermans, verlässt Brüssel in einem kritischen Moment.
Der Architekt des europäischen Klimapaktes, Frans Timmermans, verlässt Brüssel in einem kritischen Moment. Timmermans überreichte sein Rücktrittsschreiben am 22. August, nachdem ihn ein Bündnis aus linken und grünen Parteien zum Spitzenkandidaten für die bevorstehende Parlamentswahl in den Niederlanden bestimmt hatte.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dankte Timmermans für seinen „leidenschaftlichen und unermüdlichen Einsatz“ im Dienste der europäischen Klimapolitik: „Dank seines außerordentlichen Beitrags und seines persönlichen Einsatzes sind wir dem Ziel, die EU zum ersten, klimaneutralen Kontinent zu machen und so die globalen Klimaambitionen anzuheben, ein großes Stück näher gekommen.“

Die Kommissionspräsidentin bestimmte den Vize-Präsidenten der EU-Kommission, Maros Sefovic, die Aufgaben Timmermans kommissarisch zu übernehmen. Er wird damit zumindest vorübergehend Chef des Klimaressorts in der Kommission und Chefunterhändler der EU in den internationalen Klimaverhandlungen. Sefcovic war in der Juncker-Kommission für die Energiepolitik zuständig. Zurzeit kümmert er sich unter anderem um die gemeinsame Gas-Beschaffung der EU-Staaten und die Batterieallianz.

​Mehrere Kandidaten im Gespräch

Gleichzeitig informierte von der Leyen die amtierende Regierung der Niederlande, die jetzt einen neuen, niederländischen Kandidaten vorschlagen muss. Im Gespräch sind die stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes, Sigrid Kaag, Außenminister Wopke Hoekstra, Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren und die christdemokratische Europa-Abgeordnete Esther de Lange. Ob der neue Kommissar oder die Kommissarin weiter für die Klimapolitik zuständig sein wird, ist offen. Die Kommissionspräsidentin kann die Zuständigkeiten innerhalb des Kollegiums jederzeit neu regeln.

Der Ausstieg Timmermans, der sich immer für besonders anspruchsvolle Klimaziele eingesetzt hat, trifft die europäische Klimapolitik in einer schwierigen Phase. Einerseits sind ihre gesetzlichen Grundlagen weitgehend gelegt. Es stünden auch erhebliche Mittel für die Dekarbonisierung bereit, heißt es in der Erklärung Ursula von der Leyens. In den nächsten Jahren gehe es darum, die Umsetzung des Klimapaktes (Green Deal) sicherzustellen. Dagegen wachsen jedoch die Widerstände, gerade in den eigenen Reihen der Kommissionspräsidentin.

Auch in den Mitgliedsstaaten sind noch längst nicht alle Widerstände überwunden. Vor allem die Osteuropäer verlangen mehr Rücksicht auf ihre ökonomischen Interessen. In der ihr verbleibenden Amtszeit muss die Kommission noch wichtige Entscheidungen treffen. Da ist zum einen die Festlegung eines Klimazieles für 2040. Bislang hat sich die Union darauf verständigt, ihre Treibhausgase bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren und bis 2050 „klimaneutral“ zu sein. Das Reduktionsziel für 2040 soll sicherstellen, dass die Klimaneutralität zehn Jahre später auch erreicht wird. Der Expertenrat der EU fordert für 2040 eine Reduktion der Treibhausgase um mindestens 90 Prozent gegenüber 1990.

Die Kommission muss ihren Vorschlag im ersten Semester 2024 vorlegen, wenn der Wahlkampf zum nächsten EU-Parlament im vollen Gange sein wird. Der Appetit für anspruchsvolle Ziele dürfte dann überschaubar sein. Wichtige Entscheidungen kommen auf die EU im Rahmen der nächsten Klimakonferenz in Doha zu. Unklar ist, wer die Europäer dort vertreten wird. Timmermans hat auf den letzten Klimakonferenzen immer eine zentrale Rolle gespielt. Er hat ein gutes Verhältnis zum Vertreter der USA, John Kerry, aber auch zum chinesischen Verhandlungsführer, Xie Zhenhua.

CCS und Renaturierungs-Richtlinie

Gut vertraut mit den Themen wäre Timmermans' bisheriger Kabinettschef, Diederik Samson. Er könnte die EU aber nicht auf Ministerebene repräsentieren. Die Kommission hat zwar den größten Teil der Klimagesetzgebung inzwischen auf den Weg und zum größten Teil auch schon durch den Ministerrat und das Europäische Parlament gebracht. Ihr Plan für das sogenannte „Carbon Management“ steht aber noch aus. Dabei geht es darum, welche Rolle das Abscheiden und Einlagern von CO2 spielen sollen, das durch die Industrie freigesetzt wird.

Im Rahmen ihrer Industriepolitik hat die Kommission bislang das Ziel vorgegeben, Kapazitäten zum Einlagern von 50 Millionen Tonnen CO2 bis 2030 zu schaffen. Dabei kann es aber nicht bleiben, wenn die EU ihre Klimaziele erreichen und wichtige Branchen wie die Stahl- oder Zementindustrie behalten will. Das Carbon-Management ist gegenwärtig Gegenstand eines intensiven Lobbying. Die meisten Klima- und Umweltverbände sehen darin den Versuch, die Anstrengungen zur Senkung der Emissionen zu unterlaufen. Die Industrie hält CCS/CCU für den einzigen Weg, wichtige Wertschöpfungsketten auch in Zukunft weiterzubetreiben.

Die nächste Herausforderung für Sefcovic werden die Verhandlungen über die Renaturierungs-Richtlinie, die den Landwirten neue Verpflichtungen zur „Wiederherstellung der Natur“ und zur Reduzierung ihrer CO2-Emissionen auferlegen soll. Der Europäischen Volkspartei ist es im Europäischen Parlament zwar nicht gelungen, das Projekt der Kommission zu Fall zu bringen. In den Verhandlungen mit dem Ministerrat könnte die Richtlinie aber weiter verwässert werden.

Mittwoch, 23.08.2023, 16:18 Uhr
Tom Weingärtner

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