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Der Bund wird für die Preisbremse je nach Energieversorger mehr oder weniger viel Geld aufwenden müssen. Oft zu viel?
Um rund zwei Drittel verringert die Ampel-Regierung nach ihren Planungen die Verbrauchskosten von Gaskunden eines anonymisierten Grundversorgers im Nordschwarzwald. Von 13,70
Cent/kWh auf 33,54
Cent/kWh (jeweils brutto) erhöht das kommunale Unternehmen zum 1.
Januar 2023 den Arbeitspreis. Die Gaspreisbremse macht daraus 12
Cent – bei 80
Prozent der übers Jahr verbrauchten Menge.
Ähnliche Bremskraft braucht es auch bei einem niederbayerischen Versorger. Er hat den Erdgastarif in der Grundversorgung im Dezember von 14,38 auf 33,45
Cent angehoben. Noch stärker greifen muss der Mechanismus bei einem Sondertarif, den die Vertriebstochter eines Mineralölkonzerns laut Kundenschreiben hochgeschraubt hat: 43
Cent kostet demnach die Kilowattstunde Erdgas seit November.
„Gaspreise über 20
Cent sind für mich nicht nachvollziehbar“, sagt Steffen Arta. Die Beschaffungspreise seien im Sommer „punktuell“ zwar entsprechend hoch gewesen, aber niemand habe doch die kompletten Energiemengen zu diesen Preisen eingekauft, sagt der Geschäftsführer der Stadtwerke Dreieich (Hessen). So viel hätte man auch gar nicht beschaffen können, denn „der Markt war illiquide“. Arta schrieb kürzlich an Kanzleramt und Wirtschaftsministerium. Seine Befürchtung: Die geplanten Energiepreisbremsen könnten den Wettbewerb bei Grundversorgern verzerren.
Große Preisspanne in der GrundversorgungDort ist die Preisspanne groß geworden. Die Stadtwerke Dreieich verlangen für die Kilowattstunde Erdgas aktuell 11,70
Cent, Strom kostet 37,15 Cent. Beispiele für ähnlich niedrige Arbeitspreise finden sich auch in anderen Ländern. Das Vergleichsportal Verivox zählt für den Zeitraum von November 2022 bis nächsten Februar 817
Grundversorger mit Gaspreiserhöhungen. 808 haben den Strompreis hochgesetzt.
Die jährlichen Gaskosten – Arbeitspreis plus Grundpreis – für Haushalte mit einem Verbrauch von 20.000 kWh liegen nach Verivox-Berechnungen (Stichtag: 29.
November) bundesweit zwischen 1.500 Euro und mehr als 6.000 Euro. In rund 70
Fällen errechnen sich Kosten in Höhe von mehr als 5.000 Euro, der Arbeitspreis macht rund 25
Cent und mehr aus.
Bei den Stromkosten, 4.000 kWh Jahresverbrauch zugrunde gelegt, ergibt sich eine Spanne von rund 1.000 bis 4.000 Euro. In gut 450
Fällen übersteigen die Kosten laut Verivox 2.000 Euro. Bei rund 35
Grundversorgern sind es mehr als 3.000 Euro, die Arbeitspreise liegen jenseits der 70
Cent.
Unterschiede zeigen sich auch auf Länderebene (siehe Tabellen unten) – die Preiserhöhungen zum Jahreswechsel noch nicht eingerechnet. Für einen 4.000-kWh-Haushalt in Bremen belaufen sich die Stromkosten Schnitt auf 1.000
Euro, in Thüringen sind es fast 700
Euro mehr. Gas ist in der Grundversorgung ebenfalls in Bremen am erschwinglichsten, bald doppelt so teuer ist es in Sachsen-Anhalt.
Stromkosten in der Grundversorgung für HaushalteBundesland | Kosten pro Jahr (Euro) (angenommener Jahresverbrauch: 4.000 kWh; Durchschnittsverbrauch lag 2020 wesentlich niedriger) |
Baden-Württemberg | 1.585 |
Bayern | 1.417 |
Berlin | 1.423 |
Brandenburg | 1.562 |
Bremen | 999 |
Hamburg | 1.465 |
Hessen | 1.522 |
Mecklenburg-Vorpommern | 1.551 |
Niedersachsen | 1.501 |
Nordrhein-Westfalen | 1.467 |
Rheinland-Pfalz | 1.488 |
Saarland | 1.244 |
Sachsen | 1.383 |
Sachsen-Anhalt | 1.523 |
Schleswig-Holstein | 1.570 |
Thüringen | 1.685 |
Deutschland | 1.484 |
Gaskosten in der Grundversorgung für HaushalteBundesland | Kosten pro Jahr (Euro) (Jahresverbrauch: 20.000 kWh; Heizleistung: 3 kW) |
Baden-Württemberg | 2.694 |
Bayern | 2.618 |
Berlin | 2.181 |
Brandenburg | 2.838 |
Bremen | 1.672 |
Hamburg | 2.408 |
Hessen | 2.719 |
Mecklenburg-Vorpommern | 2.624 |
Niedersachsen | 2.717 |
Nordrhein-Westfalen | 2.926 |
Rheinland-Pfalz | 2.849 |
Saarland | 2.682 |
Sachsen | 2.937 |
Sachsen-Anhalt | 3.148 |
Schleswig-Holstein | 2.646 |
Thüringen | 2.910 |
Deutschland | 2.724 |
(In den Kosten sind Arbeits- und Grundpreis enthalten. Quelle: Verivox, Stand: Dezember 2022, die Preisanpassungen zum Jahreswechsel sind hier nicht eingerechnet.)VKU: Grundversorgung vor Kundenschwemme schützen„Die politischen Maßnahmen, die gerade bezüglich Energiepreisentlastungen eingeführt werden sollen, werden vermutlich dazu führen, dass es nicht mehr so erhebliche Preisunterschiede geben wird“, erklärt dazu Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). Viele Stadtwerke seien bemüht, „ihre Grundversorgungspreise nicht im gleichen Maß wie die Wettbewerbspreise anzupassen, um die Kunden in ihrer Region zu entlasten. Ob das gelingt, hängt in der Regel von der Vorlieferstruktur und den Verträgen ab. Außerdem kann ein hoher, ungeplanter Zulauf in die Grundversorgung eine frühere Preisanpassung notwendig werden lassen.“
Liebing erinnert daran, dass gerade die Grundversorgung den bekannten Regeln der Preisgestaltung unterliege. „Dort ist niemand frei, Mondpreise zu setzen. Ganz abgesehen davon, dass bei den Stadtwerken gerne auch die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister ein Auge auf Grundversorgungstarife wirft.“ Wichtig wäre es laut dem VKU-Chef, dass die Grundversorgung gegen „hohe, allzu plötzliche und kurzfristige Kundenzugänge“ geschützt werde.
Knackpunkt KontrolleSteffen Arta aus Dreieich sieht das staatliche Bremsmanöver inzwischen nicht mehr so kritisch. Als er das Kanzleramt anschrieb, war Paragraf
39 des Preisbremsen-Gesetzentwurfs noch nicht veröffentlicht. Dieses Missbrauchsverbot hält er für ein „scharfes Schwert“. Die Frage sei nur, ob das Kartellamt mit einer flächendeckenden Kontrolle überfordert wäre.
Auf das Amt könnte viel Arbeit zukommen. Im Oktober stellte die Verbraucherzentrale NRW „verblüffend hohe Preisunterschiede“ bei Grundversorgern in dem Bundesland fest. „Die Aufsichtsbehörden sind gefragt, sich das anzusehen“, sagt Energierechts-Referent Holger Schneidewindt über starke Preisausschläge nach oben.
Schneidewindt bezweifelt, dass das System der Grundversorgung in der jetzigen Form überhaupt noch zukunftsfähig ist. Es häuften sich die Rechtsfragen, sagt er. Er glaubt, dass „statt 800
Grundversorgern 80 ausreichend“ sein könnten. „Das System gehört auf den Prüfstand.“
Donnerstag, 8.12.2022, 13:44 Uhr
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