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Energie & Management > Klimaschutz - Klimarat kritisiert Vollzugsdefizit
Quelle: Shutterstock / Lightspring
Klimaschutz

Klimarat kritisiert Vollzugsdefizit

Die EU ist noch nicht auf dem richtigen Weg zur Klimaneutralität. Vor allem im Verkehr, in der Landwirtschaft und beim Heizen geht es nicht schnell genug voran.
Zu diesem Ergebnis kommt der jüngste Bericht des europäischen Klimarates (European Scientific Advisory Board on Climate Change, kurz ESABCC), der die EU in der Klimapolitik berät. „Die EU hat in den letzten Jahren große Fortschritte dabei gemacht, die richtigen Rahmenbedingungen für ihre Klimapolitik zu schaffen“, sagte der Vorsitzende des ESABCC, Ottmar Edenhofer, bei der Vorstellung des Berichtes: „Aber um die Klimaneutralität 2050 zu erreichen, müssen wir sicherstellen, dass wir schon heute in Ãœbereinstimmung mit unseren langfristigen Zielen handeln und uns darauf vorbereiten, unsere Emissionen nach 2030 weiter zu senken.“

Anhand von 80 Kennziffern hat der ESABCC die Fortschritte in der europäischen Klimapolitik untersucht und dabei zahlreiche Unzulänglichkeiten entdeckt. Die CO2-Emissionen sind zwar deutlich gesunken, das sei aber überwiegend auf den Rückgang in der Industrie und der Elektrizitätswirtschaft zurückzuführen. Im Verkehr oder der Landwirtschaft seien die Emissionen dagegen nur geringfügig zurückgegangen. Auch in der Energiewirtschaft gebe es eine beträchtliche Lücke.

Um ihr Ziel zu erreichen, müssten die Emissionen der Kraftwerke bis 2030 um 1,6 Mal schneller zurückgehen als zwischen 2005 und 2022. Gleichzeitig müsse die Stromproduktion deutlich steigen, um den wachsenden Bedarf zu befriedigen. Der Anteil der fossilen Energien am Energieverbrauch sank zwischen 2005 und 2021 nur von 77 auf 68 Prozent. Es wurde zwar deutlich weniger Kohle, dafür aber mehr Erdgas eingesetzt. Der Klimarat geht davon aus, dass in der EU 2050 überhaupt keine Kohle mehr verwendet werden darf und der Öl- und Gasverbrauch auf weniger als ein Viertel des heutigen Niveaus reduziert werden muss.

Die Experten kritisieren, dass nicht alle nationalen Energie- und Klimapläne (NECP) der EU-Mitgliedsstaaten den Vorgaben aus Brüssel entsprechen. Die Umsetzung der Sektorstrategien im Rahmen des Klimapaktes komme langsamer voran als geplant. Die Gesetzgebung der EU bleibe an vielen Stellen unvereinbar mit den Klimazielen, zum Beispiel im Bereich der Energiebesteuerung. Noch immer würden fossile Brennstoffe in der EU mit 50 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert, Tendenz steigend.

Empfehlungen an die EU und ihre Mitgliedsstaaten

Angesichts der lückenhaften Umsetzung der europäischen Klimapolitik hat sich der ESABCC auf Empfehlungen an die EU und ihre Mitgliedsstaaten verständigt: Oberste Priorität habe die Umsetzung des Fit-for-55-Paketes durch die Mitgliedsstaaten. Sie müssten anspruchsvollere NECP vorlegen und zügig umsetzen. Nur wenn das Emissionsziel 2030 erreicht werde, sei eine Reduzierung der Treibhausgase um 90 Prozent bis 2040, wie sie der Klimarat empfohlen hat, realistisch.

Die Mitgliedsstaaten müssten sich dringend auf neue Vorschriften zur Besteuerung des Energieverbrauchs verständigen und stärkere Anreize zum Einsatz sauberer Energie setzen. Für den Abbau von fossilen Subventionen müssten verbindliche Zeitpläne beschlossen werden. Der Ausbau der Infrastruktur müsse besser auf die langfristigen Klimaziele abgestimmt, sogenannte Lock-in-Effekte zum Beispiel durch den Bau von LNG-Terminals und Gaspipelines müssten vermieden werden.

Der Emissionshandel soll fit gemacht werden für eine emissionsfreie Wirtschaft. Das gelte für das ETS1 (Emissions Trading System, Emissionshandelssystem) und ETS2. Im ETS1 müsse schon bald die Obergrenze (Cap) für die Endphase festgesetzt werden, einschließlich der vorgesehenen CO2-Mengen, die aus der Atmosphäre entnommen und eingelagert würden (carbon removals).

Benötigt werde außerdem ein Ersatz für Gratis-Zertifikate, mit denen die Exportfähigkeit der europäischen Industrie gesichert werde. Sie sollen bis 2035 schrittweise abgeschafft und durch die Einführung des europäischen Klimazolls (CBAM) ersetzt werden.

Ausweitung der Klimazollregelungen

Edenhofer weist darauf hin, dass der CBAM nur für fairen Wettbewerb innerhalb der EU und in wenigen Branchen sorgt. Der Klimazoll solle deswegen auch auf andere Sektoren ausgedehnt werden. Damit sei für die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Waren, die durch den Emissionshandel belastet würden, auf dem Weltmarkt allerdings noch nichts gewonnen.

Im Hinblick auf das ETS2 sollte man sich nach 2030 nicht an der Menge orientieren, sondern an einem „Preissignal, das hoch genug ist, um eine Senkung der Emissionen herbeizuführen, die im Einklang mit dem Ziel der Klimaneutralität steht und zu einer Annäherung der Preise zwischen den beiden Handelssystemen führt“. Dieser Prozess müsse durch zielgerichtete Maßnahmen begleitet werden, um soziale Härten zu vermeiden.

Im übrigen empfiehlt der Rat das System der CO2-Preise auch auf andere Sektoren wie die Landwirtschaft auszudehnen. Eine gerechte und effiziente Umsetzung der Klimapolitik sei nur möglich, wenn ihre Wirkung kontinuierlich bewertet und negative Folgen jedenfalls teilweise ausgeglichen würden. Hier könne auf den Klimasozial- und den Fonds für eine gerechte Transition zurückgegriffen werden. Eine verbesserte Darstellung der Klimapolitik (climate policy narratives) könne dazu beitragen, „Synergien zwischen der Sozial- und Klimapolitik“ zu mobilsieren.

Auch die europäische Agrarpolitik müsse stärker auf die Klimaziele ausgerichtet werden. Der Einsatz kostspieliger Technologien wie CCS, CCU, grüner Wasserstoff oder Bioenergie sollte nur in Sektoren erwogen werden, in denen es keine anderen Optionen zur Senkung der Treibhausgase gebe.

Donnerstag, 18.01.2024, 11:38 Uhr
Tom Weingärtner
Energie & Management > Klimaschutz - Klimarat kritisiert Vollzugsdefizit
Quelle: Shutterstock / Lightspring
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Klimarat kritisiert Vollzugsdefizit
Die EU ist noch nicht auf dem richtigen Weg zur Klimaneutralität. Vor allem im Verkehr, in der Landwirtschaft und beim Heizen geht es nicht schnell genug voran.
Zu diesem Ergebnis kommt der jüngste Bericht des europäischen Klimarates (European Scientific Advisory Board on Climate Change, kurz ESABCC), der die EU in der Klimapolitik berät. „Die EU hat in den letzten Jahren große Fortschritte dabei gemacht, die richtigen Rahmenbedingungen für ihre Klimapolitik zu schaffen“, sagte der Vorsitzende des ESABCC, Ottmar Edenhofer, bei der Vorstellung des Berichtes: „Aber um die Klimaneutralität 2050 zu erreichen, müssen wir sicherstellen, dass wir schon heute in Ãœbereinstimmung mit unseren langfristigen Zielen handeln und uns darauf vorbereiten, unsere Emissionen nach 2030 weiter zu senken.“

Anhand von 80 Kennziffern hat der ESABCC die Fortschritte in der europäischen Klimapolitik untersucht und dabei zahlreiche Unzulänglichkeiten entdeckt. Die CO2-Emissionen sind zwar deutlich gesunken, das sei aber überwiegend auf den Rückgang in der Industrie und der Elektrizitätswirtschaft zurückzuführen. Im Verkehr oder der Landwirtschaft seien die Emissionen dagegen nur geringfügig zurückgegangen. Auch in der Energiewirtschaft gebe es eine beträchtliche Lücke.

Um ihr Ziel zu erreichen, müssten die Emissionen der Kraftwerke bis 2030 um 1,6 Mal schneller zurückgehen als zwischen 2005 und 2022. Gleichzeitig müsse die Stromproduktion deutlich steigen, um den wachsenden Bedarf zu befriedigen. Der Anteil der fossilen Energien am Energieverbrauch sank zwischen 2005 und 2021 nur von 77 auf 68 Prozent. Es wurde zwar deutlich weniger Kohle, dafür aber mehr Erdgas eingesetzt. Der Klimarat geht davon aus, dass in der EU 2050 überhaupt keine Kohle mehr verwendet werden darf und der Öl- und Gasverbrauch auf weniger als ein Viertel des heutigen Niveaus reduziert werden muss.

Die Experten kritisieren, dass nicht alle nationalen Energie- und Klimapläne (NECP) der EU-Mitgliedsstaaten den Vorgaben aus Brüssel entsprechen. Die Umsetzung der Sektorstrategien im Rahmen des Klimapaktes komme langsamer voran als geplant. Die Gesetzgebung der EU bleibe an vielen Stellen unvereinbar mit den Klimazielen, zum Beispiel im Bereich der Energiebesteuerung. Noch immer würden fossile Brennstoffe in der EU mit 50 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert, Tendenz steigend.

Empfehlungen an die EU und ihre Mitgliedsstaaten

Angesichts der lückenhaften Umsetzung der europäischen Klimapolitik hat sich der ESABCC auf Empfehlungen an die EU und ihre Mitgliedsstaaten verständigt: Oberste Priorität habe die Umsetzung des Fit-for-55-Paketes durch die Mitgliedsstaaten. Sie müssten anspruchsvollere NECP vorlegen und zügig umsetzen. Nur wenn das Emissionsziel 2030 erreicht werde, sei eine Reduzierung der Treibhausgase um 90 Prozent bis 2040, wie sie der Klimarat empfohlen hat, realistisch.

Die Mitgliedsstaaten müssten sich dringend auf neue Vorschriften zur Besteuerung des Energieverbrauchs verständigen und stärkere Anreize zum Einsatz sauberer Energie setzen. Für den Abbau von fossilen Subventionen müssten verbindliche Zeitpläne beschlossen werden. Der Ausbau der Infrastruktur müsse besser auf die langfristigen Klimaziele abgestimmt, sogenannte Lock-in-Effekte zum Beispiel durch den Bau von LNG-Terminals und Gaspipelines müssten vermieden werden.

Der Emissionshandel soll fit gemacht werden für eine emissionsfreie Wirtschaft. Das gelte für das ETS1 (Emissions Trading System, Emissionshandelssystem) und ETS2. Im ETS1 müsse schon bald die Obergrenze (Cap) für die Endphase festgesetzt werden, einschließlich der vorgesehenen CO2-Mengen, die aus der Atmosphäre entnommen und eingelagert würden (carbon removals).

Benötigt werde außerdem ein Ersatz für Gratis-Zertifikate, mit denen die Exportfähigkeit der europäischen Industrie gesichert werde. Sie sollen bis 2035 schrittweise abgeschafft und durch die Einführung des europäischen Klimazolls (CBAM) ersetzt werden.

Ausweitung der Klimazollregelungen

Edenhofer weist darauf hin, dass der CBAM nur für fairen Wettbewerb innerhalb der EU und in wenigen Branchen sorgt. Der Klimazoll solle deswegen auch auf andere Sektoren ausgedehnt werden. Damit sei für die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Waren, die durch den Emissionshandel belastet würden, auf dem Weltmarkt allerdings noch nichts gewonnen.

Im Hinblick auf das ETS2 sollte man sich nach 2030 nicht an der Menge orientieren, sondern an einem „Preissignal, das hoch genug ist, um eine Senkung der Emissionen herbeizuführen, die im Einklang mit dem Ziel der Klimaneutralität steht und zu einer Annäherung der Preise zwischen den beiden Handelssystemen führt“. Dieser Prozess müsse durch zielgerichtete Maßnahmen begleitet werden, um soziale Härten zu vermeiden.

Im übrigen empfiehlt der Rat das System der CO2-Preise auch auf andere Sektoren wie die Landwirtschaft auszudehnen. Eine gerechte und effiziente Umsetzung der Klimapolitik sei nur möglich, wenn ihre Wirkung kontinuierlich bewertet und negative Folgen jedenfalls teilweise ausgeglichen würden. Hier könne auf den Klimasozial- und den Fonds für eine gerechte Transition zurückgegriffen werden. Eine verbesserte Darstellung der Klimapolitik (climate policy narratives) könne dazu beitragen, „Synergien zwischen der Sozial- und Klimapolitik“ zu mobilsieren.

Auch die europäische Agrarpolitik müsse stärker auf die Klimaziele ausgerichtet werden. Der Einsatz kostspieliger Technologien wie CCS, CCU, grüner Wasserstoff oder Bioenergie sollte nur in Sektoren erwogen werden, in denen es keine anderen Optionen zur Senkung der Treibhausgase gebe.

Donnerstag, 18.01.2024, 11:38 Uhr
Tom Weingärtner

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