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Energie & Management > Gas - Regulierer rettet Ferngasfirmen mit nachträglich erhöhtem Entgelt
Quelle: Fotolia / Dmitry Naumov
Gas

Regulierer rettet Ferngasfirmen mit nachträglich erhöhtem Entgelt

Die Gasmangellage bringt einige deutsche Ferngasnetzbetreiber an den Rand der Pleite. Die Netzagentur erhöht daher außer der Reihe deren Entgelte. Die Gashändler schäumen.
Die Bundesnetzagentur hat am 25. Oktober ungeachtet von Protesten erstmals eine nachträgliche Neuberechnung des minimalen Ein- und Ausspeiseentgelts ("Briefmarke") für Gas an der Bundesgrenze für 2023 genehmigt. Hatte die Beschlusskammer 9 (BK 9) bereits im Mai angesichts gestiegener Betriebskosten wegen der gedrosselten russischen Importe eine Erhöhung um 44 Prozent gegenüber 2022 auf 4,82 Euro/(kWh/h)/a durchgewunken, so könnte sich die noch ausstehende neuerliche Veröffentlichung auf etwa 6,60 Euro/(kWh/h)/a belaufen. Das wäre ein Plus von 88 Prozent.

Für die BK 9 haben sich die Liquiditätsprobleme einiger deutscher Ferngasnetzbetreiber (FNB) laut dem Beschluss seit der ursprünglichen Entgeltveröffentlichung im Mai 2022 durch den Stopp der russischen Gasflüsse via Nord Stream 1 noch einmal so verschärft, dass sie "den Betrieb gefährden". Es gebe "außergewöhnliche Umstände". Sie rechtfertigten eine Ausnahme gemäß dem EU-Netzkodex Ferngasnetzentgelte (NC TAR Gas), wonach die Durchleitungsgebühren frühzeitig veröffentlicht werden sollen und verbindlich sind.

Sechs der FNB, die bis September gegenüber der BK 9 zu ihrer Lage Stellung nahmen, zeichnen ein dramatisches Bild:
  • GRT Gaz - Betreiber der Pipeline Megal - erklärte, durch den Stopp von Nord Stream 1 sei "ein Großteil" seiner Einnahmen weggebrochen. Die Treibgaskosten hätten sich verzehnfacht. Der operative Betrieb trage den Geldbedarf nicht, der Vorfinanzierungsbedarf steige auf bis zu 165 Mio. Euro oder 85 % seiner Erlösobergrenze. Für Banken sei das mit "Überschuldung" gleichbedeutend.
  • Für Open Grid fallen seine Erlöse beim Status quo um 40 Prozent unter die Erlösobergrenze. Eine Vorfinanzierung des Liquiditätsbedarfs auf bis zu fünf Jahre, bis reguläre Entgelterhöhungen griffen, sei bei FNB systemwidrig. Die Transportwege und damit auch der Treibgas- und Verdichtungsbedarf hätten sich erhöht durch größere Ersatzmengen aus Norwegen, Holland und Belgien.
  • Ins selbe Horn bläst Terranets BW: Die Nutzung kurzfristiger Kreditlinien für langfristige Liquidität wäre "artfremd" und würde Banken zur Kündigung berechtigen. Die Kosten für die Einholung von Lastflusszusagen (LFZ) seien im Mittel um 3.000 Prozent gestiegen, die Zahl der Anbieter um 90 Prozent gesunken.
  • Thyssengas schließt das "Risiko eines Insolvenzverfahrens" für sich nicht mehr aus. Der FNB sieht die Gefahr, unter anderem wegen Klimaschutz-Richtlinien von Banken und höheren Zinsen zu wenig Kredit zu bekommen. Die Kosten seien um ein Drittel gestiegen. Investitionen in regulatorisch genehmigte Infrastruktur, in die Marktraumumstellung weg von L-Gas und in Biomethan-Anschlüsse seien gefährdet.
Insgesamt halten neun FNB eine Neuberechnung für zwingend. Drei andere sehen keinen Bedarf.

​Die Reaktionen aus dem Markt und von Verbänden

Demgegenüber warnen der Händlerverband Efet Deutschland, EnBW und Equinor vor Mehrkosten einzelner Marktteilnehmer in zweistelliger Millionenhöhe, die sie "nicht unbedingt" an ihre Käufer durchleiten könnten. 

Das Vertrauen in die jüngsten Auktionen von Leitungskapazität auf der Plattform Prisma, die mit der bisherigen "Briefmarke" bereits teilweise für 2023 abgeschlossen wurden, werde untergraben. Dies ziehe Insolvenzen und weitere Rufe nach Stabilisierungsmaßnahmen à la Uniper oder VNG nach sich. Der Verband BDEW sekundiert, künftig würden Transportkunden aus Misstrauen gegenüber den Entgelthöhen "Sicherheitsaufschläge" verlangen.

Efet & Co. sowie der BDEW fordern, dass wenigstens die Auktionserlöse oberhalb des "Briefmarken"-Startpreises angerechnet werden. 

Die nachgelagerten Verteilnetzbetreiber (VNB) und Lieferanten als deren Nutzer, so der BDEW weiter, könnten vielfach die "Briefmarke" nicht pünktlich zum 1. Januar 2023 durch eigene Verteuerungen abwälzen. Die Gasverteilnetzentgelte 2023 mussten schon am 15. Oktober 2022 veröffentlicht werden.

Für den BDEW und andere läge es näher, dass der Bund wie bei Strom, bei dem er mit 13 Milliarden Euro die Übertragungsnetzentgelte 2023 dämpft, in ähnlicher Weise oder mit KfW-Krediten den FNB hilft.

Der Öl- und Gaskonzern OMV bringt eine Verteuerung der "Briefmarke" frühestens zum 1. Oktober 2023 ins Spiel, die britische Centrica fordert eine Verschiebung auf frühestens 2024.

​VKU: Neukalkulation notwendig

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) sieht dagegen die "Notwendigkeit" einer Neukalkulation, fordert allerdings das gleiche Recht für die VNB. Es sei misslich, dass noch nicht feststehe, wann die neue Veröffentlichung kommt.

Centrica kritisiert, Kosten und Risiken würden mit der Maßnahme lediglich von den FNB auf die Händler und Lieferanten verschoben. Dies untergrabe auch das Vertrauen in den Gas-Terminmarkt und senke dessen Handelsliquidität.

Donnerstag, 27.10.2022, 16:45 Uhr
Georg Eble
Energie & Management > Gas - Regulierer rettet Ferngasfirmen mit nachträglich erhöhtem Entgelt
Quelle: Fotolia / Dmitry Naumov
Gas
Regulierer rettet Ferngasfirmen mit nachträglich erhöhtem Entgelt
Die Gasmangellage bringt einige deutsche Ferngasnetzbetreiber an den Rand der Pleite. Die Netzagentur erhöht daher außer der Reihe deren Entgelte. Die Gashändler schäumen.
Die Bundesnetzagentur hat am 25. Oktober ungeachtet von Protesten erstmals eine nachträgliche Neuberechnung des minimalen Ein- und Ausspeiseentgelts ("Briefmarke") für Gas an der Bundesgrenze für 2023 genehmigt. Hatte die Beschlusskammer 9 (BK 9) bereits im Mai angesichts gestiegener Betriebskosten wegen der gedrosselten russischen Importe eine Erhöhung um 44 Prozent gegenüber 2022 auf 4,82 Euro/(kWh/h)/a durchgewunken, so könnte sich die noch ausstehende neuerliche Veröffentlichung auf etwa 6,60 Euro/(kWh/h)/a belaufen. Das wäre ein Plus von 88 Prozent.

Für die BK 9 haben sich die Liquiditätsprobleme einiger deutscher Ferngasnetzbetreiber (FNB) laut dem Beschluss seit der ursprünglichen Entgeltveröffentlichung im Mai 2022 durch den Stopp der russischen Gasflüsse via Nord Stream 1 noch einmal so verschärft, dass sie "den Betrieb gefährden". Es gebe "außergewöhnliche Umstände". Sie rechtfertigten eine Ausnahme gemäß dem EU-Netzkodex Ferngasnetzentgelte (NC TAR Gas), wonach die Durchleitungsgebühren frühzeitig veröffentlicht werden sollen und verbindlich sind.

Sechs der FNB, die bis September gegenüber der BK 9 zu ihrer Lage Stellung nahmen, zeichnen ein dramatisches Bild:
  • GRT Gaz - Betreiber der Pipeline Megal - erklärte, durch den Stopp von Nord Stream 1 sei "ein Großteil" seiner Einnahmen weggebrochen. Die Treibgaskosten hätten sich verzehnfacht. Der operative Betrieb trage den Geldbedarf nicht, der Vorfinanzierungsbedarf steige auf bis zu 165 Mio. Euro oder 85 % seiner Erlösobergrenze. Für Banken sei das mit "Überschuldung" gleichbedeutend.
  • Für Open Grid fallen seine Erlöse beim Status quo um 40 Prozent unter die Erlösobergrenze. Eine Vorfinanzierung des Liquiditätsbedarfs auf bis zu fünf Jahre, bis reguläre Entgelterhöhungen griffen, sei bei FNB systemwidrig. Die Transportwege und damit auch der Treibgas- und Verdichtungsbedarf hätten sich erhöht durch größere Ersatzmengen aus Norwegen, Holland und Belgien.
  • Ins selbe Horn bläst Terranets BW: Die Nutzung kurzfristiger Kreditlinien für langfristige Liquidität wäre "artfremd" und würde Banken zur Kündigung berechtigen. Die Kosten für die Einholung von Lastflusszusagen (LFZ) seien im Mittel um 3.000 Prozent gestiegen, die Zahl der Anbieter um 90 Prozent gesunken.
  • Thyssengas schließt das "Risiko eines Insolvenzverfahrens" für sich nicht mehr aus. Der FNB sieht die Gefahr, unter anderem wegen Klimaschutz-Richtlinien von Banken und höheren Zinsen zu wenig Kredit zu bekommen. Die Kosten seien um ein Drittel gestiegen. Investitionen in regulatorisch genehmigte Infrastruktur, in die Marktraumumstellung weg von L-Gas und in Biomethan-Anschlüsse seien gefährdet.
Insgesamt halten neun FNB eine Neuberechnung für zwingend. Drei andere sehen keinen Bedarf.

​Die Reaktionen aus dem Markt und von Verbänden

Demgegenüber warnen der Händlerverband Efet Deutschland, EnBW und Equinor vor Mehrkosten einzelner Marktteilnehmer in zweistelliger Millionenhöhe, die sie "nicht unbedingt" an ihre Käufer durchleiten könnten. 

Das Vertrauen in die jüngsten Auktionen von Leitungskapazität auf der Plattform Prisma, die mit der bisherigen "Briefmarke" bereits teilweise für 2023 abgeschlossen wurden, werde untergraben. Dies ziehe Insolvenzen und weitere Rufe nach Stabilisierungsmaßnahmen à la Uniper oder VNG nach sich. Der Verband BDEW sekundiert, künftig würden Transportkunden aus Misstrauen gegenüber den Entgelthöhen "Sicherheitsaufschläge" verlangen.

Efet & Co. sowie der BDEW fordern, dass wenigstens die Auktionserlöse oberhalb des "Briefmarken"-Startpreises angerechnet werden. 

Die nachgelagerten Verteilnetzbetreiber (VNB) und Lieferanten als deren Nutzer, so der BDEW weiter, könnten vielfach die "Briefmarke" nicht pünktlich zum 1. Januar 2023 durch eigene Verteuerungen abwälzen. Die Gasverteilnetzentgelte 2023 mussten schon am 15. Oktober 2022 veröffentlicht werden.

Für den BDEW und andere läge es näher, dass der Bund wie bei Strom, bei dem er mit 13 Milliarden Euro die Übertragungsnetzentgelte 2023 dämpft, in ähnlicher Weise oder mit KfW-Krediten den FNB hilft.

Der Öl- und Gaskonzern OMV bringt eine Verteuerung der "Briefmarke" frühestens zum 1. Oktober 2023 ins Spiel, die britische Centrica fordert eine Verschiebung auf frühestens 2024.

​VKU: Neukalkulation notwendig

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) sieht dagegen die "Notwendigkeit" einer Neukalkulation, fordert allerdings das gleiche Recht für die VNB. Es sei misslich, dass noch nicht feststehe, wann die neue Veröffentlichung kommt.

Centrica kritisiert, Kosten und Risiken würden mit der Maßnahme lediglich von den FNB auf die Händler und Lieferanten verschoben. Dies untergrabe auch das Vertrauen in den Gas-Terminmarkt und senke dessen Handelsliquidität.

Donnerstag, 27.10.2022, 16:45 Uhr
Georg Eble

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