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Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe

"Infrastruktur ist die strategische Aufgabe der Zukunft"

Wie sich die Stadtwerke ihren eigenen Markt schaffen und zur Sicherheit Deutschlands beitragen können, weiß Ben Schlemmermeier, Geschäftsführer der LBD-Beratungsgesellschaft. 

Zur Person: 

Ben Schlemmermeier ist einer von vier Geschäftsführern der LBD-Beratungsgesellschaft mit Sitz in Berlin. In der deutschen Energiewirtschaft ist er seit rund 30 Jahren ein gut bekanntes Gesicht. Bei LBD ist er verantwortlich für den Bereich Strategie und berät zu allen Wertschöpfungsstufen der Energiewirtschaft, insbesondere zur Weiterentwicklung hin zu klimaneutralen Lebensräumen. Die LBD ist eine strategische Unternehmensberatung, zu den Kunden zählen Stadtwerke und internationale Energieversorger, aber auch Kommunen und Verbände.
 
 
E&M: Herr Schlemmermeier, viele Energieversorger prüfen gerade angesichts der Verwerfungen auf dem Energiemarkt ihre Strategie. Was sehen Sie als Berater als die große Zukunftsaufgabe für lokale Energieversorger?

Schlemmermeier: Wenn wir auf die großen Aufgaben für die Energieversorger blicken, dann liegt der Fokus auf der Infrastruktur und der lokalen Entwicklung hin zur Klimaneutralität. Das ist die große, große strategische Aufgabe für die nächsten 20 Jahre − für Klimaschutz, aber auch für Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit von Energieimporten. Das bedeutet in der Konsequenz den Ausbau der Strominfrastruktur auf lokaler Ebene beispielsweise für Elektromobilität, aber auch den Ausbau der Fernwärme und die Dekarbonisierung des Gasnetzes − und damit einhergehend, weil die Chance da ist, Breitbandausbau. Wir empfehlen unseren Kunden, daran aktiv mitzuwirken, da sie sich damit am Ende ihren eigenen Markt schaffen.

E&M: Ist das schon angekommen bei den Stadtwerken?

Schlemmermeier: Ja und nein. Wir haben Kunden, die sind mit Tempo unterwegs. Und dann gibt es andere, die denken bei Klimaneutralität immer noch nur an Solar und Wind. Wir denken aber an Infrastruktur, an Leitungen. Wir müssen die Infrastruktur mit den Gebäuden und der Mobilität verzahnen. Diese Verzahnung findet durch Stadtentwicklung statt.

E&M: Was bedeutet das konkret?

Schlemmermeier: Die Energieversorger müssen die Kommunen bei der Stadtentwicklung an die Hand nehmen. Die Stadtgebiete müssen so strukturiert werden, dass in den Quartieren eine effiziente und bezahlbare Umstellung von Gas auf Wasserstoff, auf Wärmepumpen, auf Fernwärme vorgenommen werden kann. Wie gesagt, die Stadtwerke schaffen sich so ihren eigenen Markt.

E&M: Wo sind die Hürden?

Schlemmermeier: Die Unternehmen müssen in die Infrastruktur investieren. Ein Problem sind aber die sinkenden Zinsen im Netzgeschäft, diese führen zu sinkenden Gewinnen. Ihre Gesellschafter wollen aber weiter Ausschüttungen sehen. Das bedeutet, Investitionsmittel sind knapp.

E&M: Es ist nur das Geld?

Schlemmermeier: Sie brauchen einen echten Plan und müssen diesen aktiv gestalten. Sonst drohen Doppelinvestitionen durch Doppelsanierungen.

E&M: Was noch?

Schlemmermeier: Eine weitere Baustelle ist der riesige Ressourcenmangel. Es fehlt oftmals an Mitarbeitern. Dazu gibt es nur zwei Lösungen: Die eine ist die Digitalisierung. Hier haben wir einen großen Rückstand im Bereich Planung und Bau. Die andere ist Migration. Es gibt Leute, die sind entsetzt, wenn ich das sage. Aber die Frage, wo die Arbeitskräfte herkommen sollen für die Errichtung der Infrastruktur, für den Breitbandausbau, für die Umsetzung von Energieeffizienz, ist bislang völlig ungelöst.

E&M: Bleiben wir bei der Digitalisierung. Oft wird beklagt, Deutschland und auch die Energiewirtschaft hinken bei der Digitalisierung hinterher. Sehen Sie das auch so?

Schlemmermeier: Nicht in allen Bereichen ist die Energiewirtschaft hinten dran, aber vor allem im Infrastrukturbereich und im Dienstleistungsgeschäft sind die Rückstände enorm groß. Da wird vieles noch von Hand und zu Fuß erledigt. Aus unseren Projekten wissen wir, dass im Bereich Asset Management sowie Planung und Bau von Projekten − damit meine ich nicht das Baggerfahren − ein Produktivitätspotenzial von 30 bis 50 Prozent bei den Unternehmen liegt.

E&M: Digitalisierung verursacht zunächst einmal Kosten. Skaleneffekte spielen eine große Rolle wie zum Beispiel beim Smart Meter Rollout. Glauben Sie, dass Zusammenschlüsse, Fusionen, Übernahmen hier helfen könnten?

„Im Infrastrukturbereich glaube ich nicht an Fusionen“

Schlemmermeier: Im Infrastrukturbereich glaube ich nicht an Fusionen, speziell wenn mehrere Gemeinden mit eigenen Interessen beteiligt sind. Dort sollten die Unternehmen lokal und nah an der Kommune agieren. Im Commodity-Bereich hingegen ergibt es schon Sinn, gewisse Geschäfte zusammenzulegen. Man kann ja die Marken durchaus erhalten.

E&M: Arbeitskräfte sind rar, Kapazitäten sind knapp, die Digitalisierung steht an. Würden Sie Energieversorgern empfehlen, in neue Geschäftsfelder wie Breitbandausbau und Telekommunikation zu investieren?

Schlemmermeier: Das Geschäftsfeld des Breitbandausbaus ist aus meiner Sicht ein Muss, vor allem für kommunale Stadtwerke, weil das Förderregime der öffentlichen Hand derzeit sehr attraktiv ist. Wir haben für neun Landkreise und 275 Kommunen ein Referenznetz geplant und analysiert und dann geprüft, wie wirtschaftlich es ist. Wir kommen auf vernünftige und nachhaltige Renditen für die passive Infrastruktur. Das ist ein gutes Geschäft.

E&M: Gibt es ein Problem?

Schlemmermeier: Die Herausforderungen sind die gleichen wie bei Strom und Fernwärme. Wo kommen die Baukapazitäten her, wo das Eigenkapital? Und, und, und. Aber es ist attraktiv.

E&M: Wasserstoff ist in aller Munde. Teilen Sie die Euphorie in Bereichen der Politik, aber auch der Wirtschaft?

Schlemmermeier: Ich sehe das nicht euphorisch, aber Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein, um erneuerbare Energien zu speichern. Wir brauchen Wasserstoff in der Industrie, in der Mobilität, beispielsweise in der Schifffahrt und in Teilen im Luftverkehr.

E&M: Was raten Sie Stadtwerken mit einem eigenen Gasnetz in Sachen Wasserstoff?

Schlemmermeier: Die Sache ernst zu nehmen und anzugehen. Im ersten Schritt sollte eine Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz erfolgen, im zweiten Schritt eine Umstellung des Erdgasnetzes.

E&M: Wo soll denn der ganze Wasserstoff herkommen?

Schlemmermeier: Das künftige Wasserstoffgeschäft muss ein Pipelinegeschäft sein, da der Transport mittels Schiff zu teuer ist. Der Wasserstoff muss also aus Europa kommen. Das Problem ist, dass viele Länder im Mittelmeerraum politisch instabil sind. Nichtsdestotrotz kann es aber ein Weg sein, diese Länder zu stabilisieren, indem man sie letztendlich an der Energieversorgung in Europa teilhaben lässt.

E&M: Welche kurzfristigen Handlungsempfehlungen geben Sie als Berater den Stadtwerken angesichts der Lage in der Ukraine und der hohen Preise für Strom und Gas an die Hand?

Schlemmermeier: Die Unternehmen sollten Risikovorsorge treffen und ihre Beschaffung am Großhandelsmarkt konsequent mit Gegengeschäften absichern. Wir sehen bei einer Reihe von Kunden das Problem, dass sie nicht vollständig abgehedget waren und sich vielleicht zehn oder 20 Prozent ihrer Positionen offengehalten haben. In der Vergangenheit ist man damit gut gefahren, das konnte einen ordentlichen Ergebnisbeitrag liefern. Aber wenn das Risiko eintritt und ich als Unternehmen nachbeschaffen muss, kann es ebenso dazu führen, dass das Ergebnis gegen null geht.

E&M: Viel ist aktuell von Versorgungssicherheit die Rede. Kann ein einzelnes Stadtwerk darauf überhaupt Einfluss nehmen?

Schnell weg von russischem Erdgas

Schlemmermeier: Jede Investition in Energieautarkie, in Energieinfrastrukturen dient am Ende unserer Sicherheit. Auf lokaler Ebene müssen wir schnellstmöglich die erneuerbaren Energien ausbauen, Erdgas durch Wasserstoff ersetzen, Gasinfrastruktur nur noch, wenn H2-ready. Das ist gesellschaftliche Verantwortung, Daseinsvorsorge, aber auch eine Chance für die Geschäftsentwicklung von Stadtwerken. Und die Maßnahmen auf Bundesebene müssen natürlich auch auf lokaler Ebene unterstützt und umgesetzt werden.

E&M: Welche Maßnahmen sehen Sie da?

Schlemmermeier: Ohne Frage müssen wir uns schnellstmöglich unabhängig von russischem Erdgas, Erdöl und anderen Rohstoffen machen. Auf Bundesebene brauchen wir eine staatliche regulierte Erdgasbevorratung mit 180 Tagen Reichweite. Wir müssen eine weltweite LNG-Beschaffungsallianz bilden, um LNG ausreichend verfügbar zu haben. Wir müssen sofort mit der Planung, Genehmigung und dem Bau von zwei sehr großen LNG-Terminals in Deutschland beginnen, in absoluter Rekordzeit in die Infrastruktur einbinden und in Betrieb nehmen. Anschließend schalten wir Nord Stream 1 ab.

E&M: Wir schauen noch mal auf die Preise am Markt. Wer hat aktuell alles richtig gemacht?

Schlemmermeier: Sicherlich die Anlagenbetreiber fossiler Kraftwerke, die freie Position haben, die sie momentan am Strommarkt anbieten können. Ganz zufrieden sind sicher auch die EEG-Anlagenbetreiber in der Direktvermarktung.

E&M: Wer noch?

Schlemmermeier: Auf der Vertriebsseite gehören zu den Gewinnern die Grundversorgungsunternehmen, denen durch die Pleite von Energieanbietern neue Kunden zugefallen sind. Ein Wehrmutstropfen ist dabei, dass sie zuvor keinen Strom und kein Gas für die Kunden eingekauft haben. Aber auf der anderen Seite ist die Wettbewerbsintensität durch die vielen Marktaustritte von Stromio und Co. radikal zurückgegangen. Bei Verivox finden sie aktuell nur noch ein Drittel der Angebote im Vergleich zu vor der Krise. Das wirkt sich auch stabilisierend für Stadtwerke aus, wenn die Intensität in dem Maße abnimmt. Und sie haben natürlich den Vertrauensbonus auf der Kundenseite.

E&M: Kann man von einer Auslese am Markt sprechen zwischen Unternehmen, die sich strategisch gut aufgestellt haben, und denen, die das nicht gemacht haben?

Schlemmermeier: Das kann man so nicht sagen. Die Discounter am Energiemarkt haben sich nicht abgehedget, da ihnen die Finanzkraft fehlte. Die sind am Spotmarkt auf Sicht gefahren. Das hat immer Risiko bedeutet. Aber wie schon gesagt, aus meiner Sicht sollte der strategische Fokus nicht mehr auf dem Commodity-Geschäft, sondern auf der Infrastruktur liegen.
 
Ben Schlemmermeier
Quelle: LBD

Donnerstag, 21.04.2022, 08:45 Uhr
Stefan Sagmeister
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Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe
"Infrastruktur ist die strategische Aufgabe der Zukunft"
Wie sich die Stadtwerke ihren eigenen Markt schaffen und zur Sicherheit Deutschlands beitragen können, weiß Ben Schlemmermeier, Geschäftsführer der LBD-Beratungsgesellschaft. 

Zur Person: 

Ben Schlemmermeier ist einer von vier Geschäftsführern der LBD-Beratungsgesellschaft mit Sitz in Berlin. In der deutschen Energiewirtschaft ist er seit rund 30 Jahren ein gut bekanntes Gesicht. Bei LBD ist er verantwortlich für den Bereich Strategie und berät zu allen Wertschöpfungsstufen der Energiewirtschaft, insbesondere zur Weiterentwicklung hin zu klimaneutralen Lebensräumen. Die LBD ist eine strategische Unternehmensberatung, zu den Kunden zählen Stadtwerke und internationale Energieversorger, aber auch Kommunen und Verbände.
 
 
E&M: Herr Schlemmermeier, viele Energieversorger prüfen gerade angesichts der Verwerfungen auf dem Energiemarkt ihre Strategie. Was sehen Sie als Berater als die große Zukunftsaufgabe für lokale Energieversorger?

Schlemmermeier: Wenn wir auf die großen Aufgaben für die Energieversorger blicken, dann liegt der Fokus auf der Infrastruktur und der lokalen Entwicklung hin zur Klimaneutralität. Das ist die große, große strategische Aufgabe für die nächsten 20 Jahre − für Klimaschutz, aber auch für Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit von Energieimporten. Das bedeutet in der Konsequenz den Ausbau der Strominfrastruktur auf lokaler Ebene beispielsweise für Elektromobilität, aber auch den Ausbau der Fernwärme und die Dekarbonisierung des Gasnetzes − und damit einhergehend, weil die Chance da ist, Breitbandausbau. Wir empfehlen unseren Kunden, daran aktiv mitzuwirken, da sie sich damit am Ende ihren eigenen Markt schaffen.

E&M: Ist das schon angekommen bei den Stadtwerken?

Schlemmermeier: Ja und nein. Wir haben Kunden, die sind mit Tempo unterwegs. Und dann gibt es andere, die denken bei Klimaneutralität immer noch nur an Solar und Wind. Wir denken aber an Infrastruktur, an Leitungen. Wir müssen die Infrastruktur mit den Gebäuden und der Mobilität verzahnen. Diese Verzahnung findet durch Stadtentwicklung statt.

E&M: Was bedeutet das konkret?

Schlemmermeier: Die Energieversorger müssen die Kommunen bei der Stadtentwicklung an die Hand nehmen. Die Stadtgebiete müssen so strukturiert werden, dass in den Quartieren eine effiziente und bezahlbare Umstellung von Gas auf Wasserstoff, auf Wärmepumpen, auf Fernwärme vorgenommen werden kann. Wie gesagt, die Stadtwerke schaffen sich so ihren eigenen Markt.

E&M: Wo sind die Hürden?

Schlemmermeier: Die Unternehmen müssen in die Infrastruktur investieren. Ein Problem sind aber die sinkenden Zinsen im Netzgeschäft, diese führen zu sinkenden Gewinnen. Ihre Gesellschafter wollen aber weiter Ausschüttungen sehen. Das bedeutet, Investitionsmittel sind knapp.

E&M: Es ist nur das Geld?

Schlemmermeier: Sie brauchen einen echten Plan und müssen diesen aktiv gestalten. Sonst drohen Doppelinvestitionen durch Doppelsanierungen.

E&M: Was noch?

Schlemmermeier: Eine weitere Baustelle ist der riesige Ressourcenmangel. Es fehlt oftmals an Mitarbeitern. Dazu gibt es nur zwei Lösungen: Die eine ist die Digitalisierung. Hier haben wir einen großen Rückstand im Bereich Planung und Bau. Die andere ist Migration. Es gibt Leute, die sind entsetzt, wenn ich das sage. Aber die Frage, wo die Arbeitskräfte herkommen sollen für die Errichtung der Infrastruktur, für den Breitbandausbau, für die Umsetzung von Energieeffizienz, ist bislang völlig ungelöst.

E&M: Bleiben wir bei der Digitalisierung. Oft wird beklagt, Deutschland und auch die Energiewirtschaft hinken bei der Digitalisierung hinterher. Sehen Sie das auch so?

Schlemmermeier: Nicht in allen Bereichen ist die Energiewirtschaft hinten dran, aber vor allem im Infrastrukturbereich und im Dienstleistungsgeschäft sind die Rückstände enorm groß. Da wird vieles noch von Hand und zu Fuß erledigt. Aus unseren Projekten wissen wir, dass im Bereich Asset Management sowie Planung und Bau von Projekten − damit meine ich nicht das Baggerfahren − ein Produktivitätspotenzial von 30 bis 50 Prozent bei den Unternehmen liegt.

E&M: Digitalisierung verursacht zunächst einmal Kosten. Skaleneffekte spielen eine große Rolle wie zum Beispiel beim Smart Meter Rollout. Glauben Sie, dass Zusammenschlüsse, Fusionen, Übernahmen hier helfen könnten?

„Im Infrastrukturbereich glaube ich nicht an Fusionen“

Schlemmermeier: Im Infrastrukturbereich glaube ich nicht an Fusionen, speziell wenn mehrere Gemeinden mit eigenen Interessen beteiligt sind. Dort sollten die Unternehmen lokal und nah an der Kommune agieren. Im Commodity-Bereich hingegen ergibt es schon Sinn, gewisse Geschäfte zusammenzulegen. Man kann ja die Marken durchaus erhalten.

E&M: Arbeitskräfte sind rar, Kapazitäten sind knapp, die Digitalisierung steht an. Würden Sie Energieversorgern empfehlen, in neue Geschäftsfelder wie Breitbandausbau und Telekommunikation zu investieren?

Schlemmermeier: Das Geschäftsfeld des Breitbandausbaus ist aus meiner Sicht ein Muss, vor allem für kommunale Stadtwerke, weil das Förderregime der öffentlichen Hand derzeit sehr attraktiv ist. Wir haben für neun Landkreise und 275 Kommunen ein Referenznetz geplant und analysiert und dann geprüft, wie wirtschaftlich es ist. Wir kommen auf vernünftige und nachhaltige Renditen für die passive Infrastruktur. Das ist ein gutes Geschäft.

E&M: Gibt es ein Problem?

Schlemmermeier: Die Herausforderungen sind die gleichen wie bei Strom und Fernwärme. Wo kommen die Baukapazitäten her, wo das Eigenkapital? Und, und, und. Aber es ist attraktiv.

E&M: Wasserstoff ist in aller Munde. Teilen Sie die Euphorie in Bereichen der Politik, aber auch der Wirtschaft?

Schlemmermeier: Ich sehe das nicht euphorisch, aber Wasserstoff ist ein wichtiger Baustein, um erneuerbare Energien zu speichern. Wir brauchen Wasserstoff in der Industrie, in der Mobilität, beispielsweise in der Schifffahrt und in Teilen im Luftverkehr.

E&M: Was raten Sie Stadtwerken mit einem eigenen Gasnetz in Sachen Wasserstoff?

Schlemmermeier: Die Sache ernst zu nehmen und anzugehen. Im ersten Schritt sollte eine Beimischung von Wasserstoff ins Erdgasnetz erfolgen, im zweiten Schritt eine Umstellung des Erdgasnetzes.

E&M: Wo soll denn der ganze Wasserstoff herkommen?

Schlemmermeier: Das künftige Wasserstoffgeschäft muss ein Pipelinegeschäft sein, da der Transport mittels Schiff zu teuer ist. Der Wasserstoff muss also aus Europa kommen. Das Problem ist, dass viele Länder im Mittelmeerraum politisch instabil sind. Nichtsdestotrotz kann es aber ein Weg sein, diese Länder zu stabilisieren, indem man sie letztendlich an der Energieversorgung in Europa teilhaben lässt.

E&M: Welche kurzfristigen Handlungsempfehlungen geben Sie als Berater den Stadtwerken angesichts der Lage in der Ukraine und der hohen Preise für Strom und Gas an die Hand?

Schlemmermeier: Die Unternehmen sollten Risikovorsorge treffen und ihre Beschaffung am Großhandelsmarkt konsequent mit Gegengeschäften absichern. Wir sehen bei einer Reihe von Kunden das Problem, dass sie nicht vollständig abgehedget waren und sich vielleicht zehn oder 20 Prozent ihrer Positionen offengehalten haben. In der Vergangenheit ist man damit gut gefahren, das konnte einen ordentlichen Ergebnisbeitrag liefern. Aber wenn das Risiko eintritt und ich als Unternehmen nachbeschaffen muss, kann es ebenso dazu führen, dass das Ergebnis gegen null geht.

E&M: Viel ist aktuell von Versorgungssicherheit die Rede. Kann ein einzelnes Stadtwerk darauf überhaupt Einfluss nehmen?

Schnell weg von russischem Erdgas

Schlemmermeier: Jede Investition in Energieautarkie, in Energieinfrastrukturen dient am Ende unserer Sicherheit. Auf lokaler Ebene müssen wir schnellstmöglich die erneuerbaren Energien ausbauen, Erdgas durch Wasserstoff ersetzen, Gasinfrastruktur nur noch, wenn H2-ready. Das ist gesellschaftliche Verantwortung, Daseinsvorsorge, aber auch eine Chance für die Geschäftsentwicklung von Stadtwerken. Und die Maßnahmen auf Bundesebene müssen natürlich auch auf lokaler Ebene unterstützt und umgesetzt werden.

E&M: Welche Maßnahmen sehen Sie da?

Schlemmermeier: Ohne Frage müssen wir uns schnellstmöglich unabhängig von russischem Erdgas, Erdöl und anderen Rohstoffen machen. Auf Bundesebene brauchen wir eine staatliche regulierte Erdgasbevorratung mit 180 Tagen Reichweite. Wir müssen eine weltweite LNG-Beschaffungsallianz bilden, um LNG ausreichend verfügbar zu haben. Wir müssen sofort mit der Planung, Genehmigung und dem Bau von zwei sehr großen LNG-Terminals in Deutschland beginnen, in absoluter Rekordzeit in die Infrastruktur einbinden und in Betrieb nehmen. Anschließend schalten wir Nord Stream 1 ab.

E&M: Wir schauen noch mal auf die Preise am Markt. Wer hat aktuell alles richtig gemacht?

Schlemmermeier: Sicherlich die Anlagenbetreiber fossiler Kraftwerke, die freie Position haben, die sie momentan am Strommarkt anbieten können. Ganz zufrieden sind sicher auch die EEG-Anlagenbetreiber in der Direktvermarktung.

E&M: Wer noch?

Schlemmermeier: Auf der Vertriebsseite gehören zu den Gewinnern die Grundversorgungsunternehmen, denen durch die Pleite von Energieanbietern neue Kunden zugefallen sind. Ein Wehrmutstropfen ist dabei, dass sie zuvor keinen Strom und kein Gas für die Kunden eingekauft haben. Aber auf der anderen Seite ist die Wettbewerbsintensität durch die vielen Marktaustritte von Stromio und Co. radikal zurückgegangen. Bei Verivox finden sie aktuell nur noch ein Drittel der Angebote im Vergleich zu vor der Krise. Das wirkt sich auch stabilisierend für Stadtwerke aus, wenn die Intensität in dem Maße abnimmt. Und sie haben natürlich den Vertrauensbonus auf der Kundenseite.

E&M: Kann man von einer Auslese am Markt sprechen zwischen Unternehmen, die sich strategisch gut aufgestellt haben, und denen, die das nicht gemacht haben?

Schlemmermeier: Das kann man so nicht sagen. Die Discounter am Energiemarkt haben sich nicht abgehedget, da ihnen die Finanzkraft fehlte. Die sind am Spotmarkt auf Sicht gefahren. Das hat immer Risiko bedeutet. Aber wie schon gesagt, aus meiner Sicht sollte der strategische Fokus nicht mehr auf dem Commodity-Geschäft, sondern auf der Infrastruktur liegen.
 
Ben Schlemmermeier
Quelle: LBD

Donnerstag, 21.04.2022, 08:45 Uhr
Stefan Sagmeister

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