Von links: Peter Lopion (Amprion), Tobias Lengner-Ludwig (Bundesnetzagentur), Oliver Kopp (MVV Energie) und Moderator beim Strommarkt-Forum. Quelle: E&M / Susanne Harmsen
Auf einem Online-Forum der Übertragungsnetzbetreiber forderten die Teilnehmer einhellig, dass wichtige Energiegesetze noch vor der Bildung einer neuen Bundesregierung kommen müssen.
Das Kraftwerkssicherungsgesetz (KWSG) und die Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) sind schon weit gediehen und stehen zur Abstimmung bereit. Auch die Verlängerung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWKG) werde von rot-grüner Regierung und oppositioneller Unionsfraktion im Bundestag befürwortet. Daher sollten sie jetzt im Bundestag verabschiedet werden − von einer „Koalition der Vernunft“. Dazu riefen Vertreter der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber in einer Online-Diskussion am 19. November auf. Andernfalls ginge zu viel Zeit für notwendige Maßnahmen zur Energiewende verloren.
„2030 ist ‚morgen‘ in den Planungs-, Bestell- und Bauzeiten“, mahnte Werner Götz, CEO der Transnet BW. Ohne die im KWSG geplanten neuen Kraftwerke könne der Kohleausstieg nicht gelingen. „Und die aktuell in Reserve befindlichen Kohlekraftwerke kosten viel Geld, um sie betriebsbereit zu halten“, erinnerte er. Auch Peter Lopion, Verantwortlicher für Marktentwicklung bei Amprion bekräftigte, die bisherigen Reservekraftwerke könnten nicht unbegrenzt genutzt werden. „Anlagenteile verschleißen und die Betreiber müssen wissen, wo eine Ertüchtigung noch lohnt“, sagte Lopion. Auch die Beschäftigten benötigten eine Perspektive, gab er zu bedenken.
Zentraler Kapazitätsmarkt vorteilhaft
Verzögere sich der Kohleausstieg wirklich bis 2038, blieben parallel nur noch sieben weitere Jahre, um auch aus dem Erdgas auszusteigen, erinnerte Lopion. Eine netzdienliche Verortung der neuen Kapazitäten nach dem KWSG sei nötig, appellierte Götz. Er appellierte, sich an den bewährten Kapazitätsmärkten anderer europäischer Länder zu orientieren und keinen unerprobten Sonderweg mit dem dualen Modell der Bundesregierung gehen.
Alle Erfahrungen inklusive der Franzosen hätten einen zentralen Kapazitätsmarkt mit dem Schwerpunkt auf Versorgungssicherheit als bewährte Variante gezeigt. Das solle Deutschland auch als Steuerinstrument nutzen, empfahl Lopion. Dann könnten technologieoffen alle Kapazitäten sich am Markt beteiligen.
Der regulatorische Rahmen müsse dafür noch den Smart-Meter-Rollout und beschleunigen, da er die Voraussetzung für die Nutzung des flexiblen Verbrauchs und der netzdienlichen Erzeugung beispielsweise durch Speicher ist. In Großbritannien hätten bei der letzten Auktion 15 Prozent der Ausschreibungen Speichertechnologien gewonnen, berichtete er.
Strompreise könnten sinken
Zum Problem der hohen Strompreise in Deutschland sagte Götz, dass bereits 29 Prozent der Strompreise für Haushalte aus Netzentgelten bestehen. „Wir könnten 20 Milliarden Euro und Zeit sparen, indem künftige Netzausbauprojekte als Freileitungen umgesetzt werden“, schlug er vor. In naher Zukunft lägen die Redispatchkosten noch bei über drei Milliarden Euro, sie werden aber sinken mit Umsetzung des Netzausbaus, stellte er in Aussicht.
Peter Lopion sagte, im Mittel aller Studien benötige Deutschland 50 MW neue Kraftwerkskapazität, um die erneuerbare Erzeugung sicher abzufedern, auch in Zeiten einer Dunkelflaute. Das bedeute über den Daumen gepeilt, Investitionen von 50 Milliarden Euro. Dies höre sich viel an, entspreche aber der Summe, die Deutschland aktuell jährlich für Ölimporte ausgibt. Die dann errichteten Kraftwerke würde vierzig Jahre laufen, daher müsse ihre Dekarbonisierung mitgedacht werden. Daher müsse bei der Entwicklung der Herstellung und Verstromung von Wasserstoff ebenfalls die Systemdienlichkeit mitgedacht werden, forderte Lopion.
Bundesnetzagentur benötigt Zeit für Kraftwerksausschreibung
Tobias Lengner-Ludwig, Referent bei der Bundesnetzagentur, erläuterte, seine Behörde wolle einen kostengünstigen und regionalisierten Kraftwerksaufbau. Aber die Ausschreibungen sollen nicht zu kleinteilig gestaltet werden, weil das teurer und langsamer werde. Zeitgleich mit der Kapazitätssicherung müsse die Wasserstoffwirtschaft angefangen werden, daher sei die aktuell angelegt Komplexität der Ausschreibungsbedingungen wie im KWSG notwendig, argumentierte er.
Mit dem gültigen Gesetz werde es die Bundesnetzagentur ein halbes Jahr kosten, Ausschreibungen zu entwerfen. „Wird am vorliegenden Entwurf des KWSG noch geändert, beginnt die Diskussion mit der EU-Kommission für die staatlichen Beihilfen möglicherweise neu“, gab er zu bedenken. Zudem sei die Kommission neu eingesetzt und plane, sowohl Beihilfen als auch Kapazitätsmarktregeln noch einmal neu zu bewerten, ergänzte Oliver Kopp, Abteilungsleiter Energiepolitik der MVV Energie AG. Auch er warnte vor dadurch entstehenden Verzögerungen.
„Auch die Unternehmen planen ihren Kohleausstieg, darunter viele KWK-Anlagen, die auch Wärme produzieren“, sagte Kopp. Daher benötigten sowohl die Betreiber wie die Energienutzer verlässliche Perspektiven. Schnelle Gesetze würden eine beschleunigte Sicherheit für die Kraftwerksbetreiber und damit den Ausbau der benötigten Kapazitäten bringen, appellierte Kopp.
Dienstag, 19.11.2024, 16:53 Uhr
Susanne Harmsen
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