Quelle: E&M
Die Bundesnetzagentur hat erste Regelungen zu Netzentgelten und Refinanzierung eines Wasserstoff-Kernnetzes getroffen. Wie dies ausgestaltet werden soll, erläutert Stefan Missling*.
Die Große Beschlusskammer der Bundesnetzagentur (BNetzA) hat erste Regelungen getroffen, wie das Wasserstoff-Kernnetz bis zum Jahr 2055 durch Netzentgelte refinanziert werden soll. Wasserstoff gilt als zentraler Baustein für eine fossilfreie Energieversorgung und Industrieproduktion und ist damit zum Hoffnungsträger einer erfolgreichen Energiewende avanciert. Für die bundesweite Nutzung dieses Einsatzstoffes bedarf es allerdings einer Transport- und Verteilernetzstruktur. Das Wasserstoff-Kernnetz soll zukünftig als Transportnetz dazu dienen, die großen Erzeugungsanlagen und Importstationen mit den Verbrauchsgebieten zu verbinden. Es wird damit zur Vorstufe für eine regionale Netzinfrastruktur zur Versorgung von Industrie und Gewerbe, gegebenenfalls auch für eine lokale Versorgung.
Eine solche Aufbauphase ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet: Einem bereits erheblichen Investitionsvolumen stehen zunächst lediglich wenige Netznutzer gegenüber. Dies würde bei kostendeckenden Entgelten zu sehr hohen spezifischen Preisen führen, die wiederum der Attraktivität des Mediums entgegenstehen würden. Um dieser − von der BNetzA als „Henne-Ei-Problem“ bezeichneten − Herausforderung zu begegnen, wurde die am 10. Juli im Amtsblatt veröffentlichte Festlegung „WANDA“ beschlossen. Sie setzt die regulatorischen Rahmenvorgaben zur Refinanzierung bis (maximal) zum Jahr 2055. Also ein Regelwerk mit einer intendierten Haltbarkeit von über 30 Jahren; insoweit ein Novum in der turbulenten Welt der Energiewirtschaft.
Das Kernelement für diesen Regulierungsansatz bildet ein Hochlaufentgelt. Dieses wird − zu einem späteren Zeitpunkt − bundeseinheitlich durch die BNetzA festlegt und für die Bereitstellung von Kapazität an Ein- und Ausspeisepunkten des Kernnetzes erhoben. Während das Hochlaufentgelt anfänglich geringer als reguläre, kostendeckende Netzentgelte nach den Vorgaben der WasserstoffNEV ausfallen wird, soll sich dies mit zunehmender Anzahl an Netznutzern und gebuchter Kapazität zu einem späteren Zeitpunkt umkehren. Ab einem gewissen Absatzvolumen würde das Hochlaufentgelt die eigentlich für eine Kostendeckung erforderlichen Netzentgelte übersteigen und so auf der Zeitachse die anfänglichen Mindereinnahmen ausgleichen. Mit einem solchen intertemporalen Kostenallokationsmechanismus betritt die BNetzA in der Regulierung der Energiewirtschaft Neuland.
Kostenallokationskont soll 2055 Null betragen
Die aufgrund der zuvor beschriebenen Ausgangssituation zu erwartenden Mehr- und Mindereinnahmen eines jeden Betreibers des Wasserstoff-Kernnetzes werden auf einem sog. Kostenallokationskonto verbucht. Dieses Konto soll zum Ende der Amortisierungsphase, also spätestens zum Jahresende 2055, Null betragen. Um die individuellen Netzkosten abzubilden, werden die Erlöse unter den Wasserstoff-Kernnetzbetreibern unter Beachtung des prozentualen Anteils am Kernnetz ermittelt und untereinander ausgeglichen.
Für den Zeitraum der Amortisierungsphase soll das Hochlaufentgelt grundsätzlich stabil bleiben; lediglich angepasst über die vom Statistischen Bundesamt festgestellte allgemeine Preisentwicklung (VPI). Erstmals in 2028 und anschließend alle drei Jahre wird die BNetzA prüfen, ob das Hochlaufentgelt voraussichtlich noch geeignet ist, die Netzkosten innerhalb der Amortisierungsphase zu refinanzieren. Entsprechend dieser Prognose hat sie das Hochlaufentgelt so anzupassen, dass ein Ausgleich ermöglicht wird. Entstehende Liquiditätslücken der Netzbetreiber können während der Amortisationsphase über einen staatlichen Fördermechanismus ausgeglichen werden.
Die Idee dieser Amortisierungsphase mit einem intertemporalen Ausgleich ist dabei grundsätzlich zu begrüßen. Ansonsten wäre ein sowohl für Netznutzer als auch für Investoren wirtschaftlich tragbarer Hochlauf einer neuen, sehr kostenintensiven Infrastruktur nicht leistbar. Der Mechanismus schlägt in zeitlicher Hinsicht die Brücke zwischen den Startschwierigkeiten der ersten Jahre und einem in absehbarer Zukunft etablierten Markt für die Anwendung von Wasserstoff.
Fraglich ist jedoch, ob der nunmehr geschaffene Regelungsrahmen ausreichen wird, die hohen Erwartungen zu erfüllen, die von der Politik in den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft gesetzt werden. Dies gilt zum einen für den Anwendungsbereich der Festlegung WANDA: Neben der Errichtung der Transportnetzstruktur wird auch der Aufbau von Verteilernetzen erforderlich werden.
Auch wenn sich hier die Problemstellung nicht in gleichem Maße zeigt, wie beim Wasserstoff-Kernnetz, so wäre hierfür jedenfalls ein vergleichbarer Mechanismus zu implementieren. Zum anderen ist höchst zweifelhaft, ob die gesetzten Rahmenbedingungen trotz des intertemporalen Ausgleichs attraktiv genug sind, in erheblichem Umfang Kapitalgeber anzuziehen. Der Eigenkapitalzinssatz vor Steuern ist gesetzlich bis 2027 auf eine Höhe von 6,69 Prozent bestimmt. Dies erscheint deutlich zu wenig; in dieser Höhe sollte mindestens das Renditeniveau von Strom- und Gasnetzen liegen. Investitionen in Wasserstoffnetze weisen jedoch ein deutlich höheres Risikoprofil auf. Hier wären eher Eigenkapitalrenditen von 9 bis 10 Prozent, angezeigt.
Es wird regelmäßig betont, dass der Aufbau dieser Infrastruktur auf „privatwirtschaftlicher Grundlage“ erfolgen soll. Dies wird indes nur gelingen, wenn auch die Renditeerwartungen von privaten Kapitalgebern erfüllt werden.
*Rechtsanwalt Stefan Missling, Becker Büttner Held, Berlin
Dienstag, 13.08.2024, 13:59 Uhr
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