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Milliarden Tonnen CO2 sind pro Jahr aus der Atmosphäre zu entfernen, um das globale Netto-Emissionsziel von Null zu erreichen. Unter dieser Vorgabe läuft in München eine Expertentagung.
Das vom Bund geförderte Forschungsprogramm „CDRterra“ geht erstmals umfassend an die Öffentlichkeit. Mit einer „CDR-Dialog“ genannten Fachtagung in München wollen rund 200 Beteiligte aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Bildung untermauern, dass die angestrebte Treibhausgasneutralität ohne die Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre nicht zu erreichen sein wird.
CDR ist die Abkürzung für Carbon Dioxide Removal, also die Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Klimamodelliererin und CDRterra-Sprecherin Julia Pongratz geht davon aus, „dass wir für eine Netto-Null global gesehen mehrere Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr aus der Atmosphäre herausnehmen müssen“. Sie ist zugleich Leiterin des Departments für Geographie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, die das Forschungsprogramm CDRterra koordiniert.
Bei ihrer Eröffnungsrede zum CDR-Dialog im Deutschen Museum in München betonte Julia Pongratz, dass gesellschaftlich noch nicht ausgehandelt sei, „wie viele Restemissionen wir uns leisten wollen“. In die Atmosphäre gelangten derweil weltweit mehr als 40 Milliarden Tonnen CO2 im Jahr. Breiter wissenschaftlicher Konsens sei, dass die CO2-Entnahme eine zentrale Ergänzung zu einer drastischen und schnellen Emissionsreduktion ist, um das Netto-Null-Ziel erreichen zu können.
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Julia Pongratz warb bei der Eröffnungsrede zum "CDR-Dialog" für die CO2-Entnahme aus der Atmosphäre Quelle: CDRterra / Domagoj Photography |
Finanzierung, technische Entwicklung und BildungsarbeitIm Forschungsprogramm gebe es keine zwei Meinungen darüber, dass Deutschland ohne landbasierte Entnahmemethoden das Ziel der Treibhausgasneutralität verfehlen werde. Ein Ersatz für eine ambitionierte Klimapolitik mit vermindertem CO2-Ausstoß könnten die Techniken allerdings nicht sein. CDRterra entwickelt einen Bewertungsrahmen für die denkbaren Verfahren, die von der Aufforstung über spezielle Filteranlagen bis hin zu künstlicher Fotosynthese reichen.
Im Bewusstsein, dass jede dieser Methoden auch Nachteile – etwa im Konflikt mit der Nahrungsmittelproduktion – birgt, bringt CDRterra die Potenziale und Problemstellungen nun verstärkt in die Öffentlichkeit. „Wichtig ist zu prüfen, was nicht nur technisch möglich ist, sondern auch gesellschaftlich machbar und wünschenswert“, sagt Julia Pongratz. Oft sei CDR unbekannt oder mit Vorurteilen belegt. Dann gebe es Vorbehalte, dass CDR zu weniger Anstrengungen bei der Reduktion von Emissionen führe.
Im Sinne vermehrter Öffentlichkeitsarbeit liegen zwei Schwerpunkte des dreitägigen und bis 12. Oktober laufenden Dialogs auf dem Einbinden von Nichtregierungsorganisationen, Think Tanks und Verbänden sowie einer „Bildungskonferenz“. In ihr arbeiten Lehrkräfte und andere in der Bildung Tätige gemeinsam mit den Forschenden an Möglichkeiten, CDR zum Teil von Unterrichtsinhalten zu machen. Ein weiterer Fokus liegt auf dem wissenschaftlichen Austausch innerhalb des CDRterra-Forschungsprogramms.
Der CDR-Dialog könne perspektivisch die wissenschaftlichen Erkenntnisse liefern, um ein risikoarmes und nachhaltiges Portfolio an CO2-Methoden zu entwickeln, damit die Kohlendioxidentnahme in Deutschland „sozial, ökonomisch und ökologisch verträglich“ erfolgen könne, so Julia Pongratz.
CO2-Entnahme werde „ein integraler Bestandteil deutscher und europäischer Klimapolitik“, sagt Jessica Strefler, leitende Wissenschaftlerin Kohlenstoffmanagement am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Wichtig sei, die Weichen zu stellen für eine schnelle und drastische Emissionsreduktion in allen Sektoren, für die Erforschung und Entwicklung von Entnahmemethoden sowie den Aufbau von CO2-Transportinfrastruktur und geologischen Speichermöglichkeiten sowie für Konzepte zur Überwachung, Berichterstattung und Prüfung von CO2-Entnahmen.
Matthias Honegger, Leiter des Geschäftsfeldes CO2-Entnahme beim Freiburger Unternehmen Perspectives Climate Research, mahnte „eine robuste und gezielte Anstrengung in der Politik“ zur Finanzierung der Entnahmemaßnahmen an. Denn diese seien teuer und dürften nicht mit einer „maßlosen Last für den Steuerzahler“ einhergehen. Die Kosten seien „möglichst fair und machbar“ auf die Emissionsverursacher zu verteilen.
Warum CDR als Fragestellung der Klimaforschung Eingang in die Schulen finden sollte, erklärt Katrin Geneuss, Leiterin des CDRterra-Bildungsprogramms und Koordinatorin des Nachhaltigkeitsprogramms „el mundo“ an der LMU: „Dort erreichen wir die Generation, die die Folgen des Klimawandels am stärksten spüren wird und Lösungen über alle Fachgrenzen hinweg erarbeiten und umsetzen muss.“
Der Öffentlichkeit ist es möglich, virtuell am CDR-Dialog teilzunehmen. Besondere Erwartungen richten sich dabei an die Präsentation von CDRterra-Forschenden am 11. Oktober. Die hybride Vortragsreihe „Wissenschaft für jedermann“ ist von 19.00 bis 20.30 Uhr
im Internet zu verfolgen.
Dienstag, 10.10.2023, 16:32 Uhr
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