Zufrieden mit der Tiefenerkundung: Stadt und Stadtwerke Münster. Quelle: E&M / Volker Stephan
Münster sucht heiße Thermalwasser in der Tiefe. Schritt für Schritt bewegen die Stadtwerke sich auf das erste Geothermie-Kraftwerk in NRW zu.
Ein wenig Fantasie ist erforderlich, um sich einen Leuchtturm gut fünf Kilometer unter der Erdoberfläche vorzustellen. Münster ist so etwas. Die Domstadt gilt als strahlendes Beispiel für Nordrhein-Westfalens Versuch, Wärmequellen in der Tiefe anzuzapfen. In Münster wollen die Stadtwerke das erste Geothermie-Kraftwerk des Bundeslandes errichten, die erforderlichen Daten über den Untergrund liegen nun vor.
Allerdings ist nach all dem Rütteln und den Erschütterungen aus dem vergangenen November und Dezember nun erst einmal Ruhe eingekehrt. Die Stille soll laut Stadtwerke-Geschäftsführer Sebastian Jurczyk das ganze Jahr über andauern. Denn die Fachleute benötigen Zeit, mehr als 500
Terabyte aufgezeichneter Daten auszuwerten und in ein 3D-Abbild der Gesteinsschichten zu gießen.
Das spätabendliche Rattern war die Begleitmusik für das Auskundschaften von Münsters Tiefe. Spezialfahrzeuge des beauftragten Unternehmens DMT
Group sendeten Schallimpulse ins Erdreich, die auch in der Umgebung deutlich zu hören waren. Verniedlicht heißen die Krachmacher „Vibrotruck“, eine Wortschöpfung aus Vibration und dem englischen Begriff für Laster.
 |
Geben jetzt Ruhe: die Vibrotrucks. Quelle: Stadtwerke Münster / Michael C. Möller |
Geophone: Gedroschen, geworfen, gestohlen, gespeichertDas zweimonatige Tun der Trucks löste den Schall aus, den die Erdschichten als Echo zurückschickten. Oben nahmen 36.580 Geophone die Signale auf und speicherten sie. Die Handball-großen, viereckigen Geräte sollten eigentlich 46.000 Rüttelstellen abdecken, letztlich wurden es 25.603.
Den geringeren Wert erklärt Stadtwerke-Projektleiter Carsten Lehmann teils mit der Witterung – durchnässte Ackerflächen konnten die Trucks nicht befahren. Auch ließen befestigte Straßen aufgrund von baulichen Hindernissen oder zugeparkten Engstellen nicht immer ein Durchkommen zu. Letztlich umfuhren die Vibrotrucks auch Denkmäler und andere „sensible“ Einrichtungen.
Dennoch hätten es noch mehr Daten werden können, wenn nicht 518
Geophone sich in Luft oder Einzelteile aufgelöst hätten. Über einige fuhren Mähdrescher, andere krachten als Wurfgeschosse gegen Garagentore oder stehen heute womöglich als erbeutete Hingucker in Privatregalen. Bei bis zu 400
Euro Kosten je Geophon sind somit rund 200.000 Euro Minus allein durch Schäden oder Diebstahl zu beklagen.
„Schwerer wiegt aber der Verlust der Daten“, so Carsten Lehmann. Weil allerdings nur etwa 1,4
Prozent der Geräte nichts beitragen konnten, werteten die Stadtwerke am 12.
Februar vor einer Medienrunde Münsters Vermessung der Unterwelt dennoch als vollen Erfolg. Es handle sich mit 350
Quadratkilometern um die bislang größte Untersuchung einer zusammenhängenden Fläche in Deutschland. Der aufgezeichnete Datenpool werde zu einem aussagekräftigen, dreidimensionalen Bild der Erdschichten führen.
 |
Arbeiteten im Liegen: die Geophone. Quelle: E&M / Volker Stephan |
150 Grad heißes Wasser für die FernwärmeDie Stadtwerke haben also genügend Zielwasser getrunken, um später einmal die 150
Grad heißes Wasser führenden Kalkriffe in 4,7 bis 6,7
Kilometern Tiefe auch zu treffen. Damit sind auch die beiden wesentlichen Projektschritte markiert. Allein die laufende 3D-Seismik ist ein 11,7
Millionen Euro teures Unterfangen, wozu die Stadtwerke einen Eigenbetrag von 5,7
Millionen Euro leisten müssen. Dabei sind solche Schäden wie durch verschwundene Geophone eingepreist. Auch Setzrisse oder Putzschäden an Gebäuden, die in mindestens 38
Fällen durch die Vibrotrucks entstanden, oder Löcher in (Rad-)Wegen gehen in diese Rechnung ein.
Der zweite Projektschritt soll ab 2026 einsetzen. Wenn das 3D-Bild von Münsters Unterseite vorliegt, geht es an zwei verschiedenen, noch festzulegenden Stellen an Probebohrungen. Läuft alles glatt, wird an einem der beiden Standorte ein Geothermie-Kraftwerk entstehen. „Nicht vor 2030“, lautet hier die Sprachregelung der Stadtwerke.
10
Millionen Euro ist bei den Erkundungsbohrungen der Stadtwerke die geschätzte Richtmarke. So teuer soll es maximal werden, die NRW-Landesregierung geht mit einem Unterstützungsfonds in Vorleistung. Auch mildert das Land das Risiko der Stadtwerke ab, bei den Bohrungen keine Thermalwasser zu treffen („Fündigkeitsrisiko“). Münster kann bei einem Fehlschlag 4,5
Millionen Euro behalten, müsste bei einem Volltreffer aber den gesamten Zuschuss zurückzahlen. Die Hoffnung ist, dass der Topf im Rahmen des „Masterplans Geothermie NRW“ für andere Versorger stets gefüllt bleibt.
Während Münster für NRW Pionierarbeit leistet, setzen die Westfalen selbst auf 43
andere Unternehmen in Deutschland. Diese sind in Geothermie-Projekten – siehe München – schon viel weiter, daraus lasse sich für Genehmigungsprozesse und andere Organisationsfragen Honig saugen, so Arno Minas, Dezernent für Wohnungsversorgung, Immobilien und Nachhaltigkeit der Stadt.
Sebastian Jurczyk ist optimistisch, die Fernwärme der Kommune bis 2040 zu 50
Prozent klimaneutral stellen zu können. Heute sind 6.000
Anschlüsse am Netz, das noch am Gas hängt. Mit dem Ausbau und dem Verdichten der Fernwärme könnten entsprechend mehr Menschen in Münster von der Geothermie profitieren. Andere Projekte wie Großwärmepumpen sollen den Rest besorgen. Dass ein Teil der Thermalwasser auch zur Stromproduktion beiträgt, schließt der Stadtwerke-Geschäftsführer zum jetzigen Zeitpunkt aus.
Mittwoch, 12.02.2025, 16:15 Uhr
© 2025 Energie & Management GmbH