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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - „Wir bringen die Sektoren zusammen“
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung

„Wir bringen die Sektoren zusammen“

Die Stadtwerke Jena arbeiten eng mit der örtlichen Uniklinik zusammen. Ein Gespräch mit Tobias Wolfrum, Geschäftsführer der Stadtwerke Jena und Jenawohnen.
E&M: Herr Wolfrum, die Stadtwerke Jena haben vor einigen Wochen eine Mitteilung veröffentlicht über die Einrichtung eines Telemedizinraums. Werden Sie noch zum Gesundheitsdienstleister?

Wolfrum: Wir sind davon überzeugt, dass die medizinische Versorgung ein ganz wesentliches Element eines smarten Quartiers ist. Wir werden aber kein Klinikbetreiber werden oder eine Tochtergesellschaft im Gesundheitssektor gründen.

E&M: Sie stimmen aber sicherlich zu, dass es eher ungewöhnlich für ein Stadtwerk ist, sich mit Gesundheitsthemen zu beschäftigen.

Wolfrum: Das mag auf den ersten Blick so sein. Aber wir haben viele Anknüpfungspunkte zum Universitätsklinikum hier in Jena, das in unmittelbarer Nachbarschaft des ‚Smarten Quartiers Jena-Lobeda‘ liegt. Zum einen natürlich die Energieversorgung, zum anderen beispielsweise die Abwasserbeseitigung, um die sich der Zweckverband Jenawasser kümmert, dessen Betriebsführung auch in der Stadtwerke Jena Gruppe liegt. Wir arbeiten auf vielen Gebieten eng mit dem Klinikum zusammen. Und da wir uns auch immer wieder in Forschungsprojekten engagieren, kommt uns die DNA eines Universitätskrankenhauses, das ja auch eine Forschungseinrichtung ist, oft sehr entgegen.

E&M: Ist Telemedizin eher ein medizinisches Thema oder eher ein Infrastrukturthema?

Wolfrum: Aus meiner Sicht beides. Damit kann man ein Krankenhaus entlasten und beispielsweise die Nachsorge für Patienten, die einen stationären Aufenthalt hinter sich haben, ambulant organisieren. Ich will Ihnen einmal ein Beispiel geben: Patienten mit Fazialisparese, also einer Gesichtslähmung etwa nach einem Schlaganfall, müssen bestimmte Übungen machen. Diese können sie im Telemedizinraum mit dem Personal dort absolvieren oder sogar zu Hause vor dem Bildschirm.

E&M: Wie bei einem Teams-Meeting?

Wolfrum: Genau. Dazu braucht man aber ein hoch aufgelöstes Bild und vor allem eine stabile Internetverbindung. Die Telekommunikation haben wir im Themenfeld Wohnen mitgedacht. Es gab einen großen Sanierungsbedarf hier in Jena. Deshalb haben wir mit unserer Tochtergesellschaft Jenawohnen im smarten Quartier rund 300 Wohnungen zukunftsfähig mit Glasfaser ausgestattet. Einen Glasfaseranschluss mit 1 Gigabit haben bereits jetzt schon alle Wohnungen von Jenawohnen. Im Quartier haben wir Wohnungen gebaut und saniert, in denen mithilfe der Digitalisierung die Mieter den Kontakt zu medizinischen Einrichtungen halten können und ein altersgerechtes und vor allem selbstständiges Leben führen können. Wir glauben nämlich nicht, dass Sonderwohnformen wie betreutes Wohnen oder Wohnheime die alleinige Lösung sind. Deshalb wollen wir angesichts der demografischen Entwicklung unserer Gesellschaft den Menschen das Wohnen in den eigenen vier Wänden so lange, wie es nur irgendwie geht, ermöglichen. Dazu gehört beispielsweise auch ein ÖPNV.

„Wir widmen uns vier Themenfeldern“

E&M: Was macht für Sie ein smartes Quartier aus?

Wolfrum: Wir widmen uns vier Themenfeldern: Wohnen, Energie, Mobilität und Logistik und Gesundheit. Die ersten drei Bereiche decken wir mit unseren Tochtergesellschaften ab. Im Gesundheitssektor haben wir das Uniklinikum als Partner.

E&M: Ist ein smartes Quartier ein ‚richtiges‘ Geschäftsmodell für Stadtwerke?

Wolfrum: Man muss hier etwas differenzieren. Wir haben zwar von Anfang an die Telemedizin als wesentliches Element eines smarten Quartiers gesehen. Die Gesundheitsthemen rücken aber erst jetzt so richtig in den öffentlichen Fokus. Unser Telemedizin-Workshop mit dem Uniklinikum, den wir kürzlich veranstaltet haben, ist auf großes Interesse gestoßen. Welche Geschäftsmodelle daraus hervorgehen werden, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings noch nicht sagen. Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass wir welche identifizieren werden. Denn die flächendeckende medizinische Versorgung ist mittel- und langfristig eines der wichtigsten Themen in einer Gesellschaft, die zunehmend älter wird. In den anderen Sektoren − Wohnen, Energie und Mobilität − haben wir ja schon Geschäftsmodelle. Aber diese müssen wir im Kontext eines smarten Quartiers aus ganzheitlicher Perspektive sehen.

E&M: Ist das die neue Definition der Daseinsvorsorge − ein smartes Quartier zu schaffen?

Wolfrum: Wir bringen die Sektoren zusammen und begreifen sie am Ende als eine Einheit. So kommt man zu einem zukunftsfähigen Quartier und im nächsten Schritt auch zu einer zukunftsfähigen Stadt. Dafür die Grundlage zu schaffen, ist sicherlich eine der Hauptaufgaben der Stadtwerke in den kommenden Jahren.

E&M: Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen künftig aber keine medizinische Ausbildung, oder?

Wolfrum: Nein, aber sie müssen verstehen, welche Prozesse es im medizinischen Sektor gibt und wie sie ablaufen. Oder nehmen Sie beispielsweise unsere neu gebaute Sportschwimmhalle: Man kann heute kein Schwimmbad mehr betreiben, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie man es energetisch in die Zukunft tragen kann. Für die Wohnungswirtschaft gilt das Gleiche. Einerseits haben wir die energetischen Beziehungen, auf der anderen Seite müssen der Mobilitätssektor und das Wohnen stärker miteinander verzahnt werden, die Telekommunikation und das Wohnen, und so weiter.

E&M: Es gibt aber genug Stadtwerke, die Bäder betreiben oder den ÖPNV im Konzern haben und die wenig rentablen Bereiche als Klotz am Bein empfinden.

Wolfrum: Diese Bereiche gehören aber zur Daseinsvorsorge und sind ganz essenziell für Städte. In manchen Fällen übernehmen das auch überregionale Unternehmen. Aber ich kann nur immer wieder betonen: Wenn man die Sektoren zusammen als Einheit begreift, wird man auch Lösungen finden, die eine umfassende Daseinsvorsorge ermöglichen. Hier eignet sich ein Quartier sehr gut, um alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und Erkenntnisse im Kleinen zu sammeln, die dann auf größere Einheiten übertragen werden können.

„Mit dem smarten Quartier den Grundstein für ein Reallabor der Energiewende gelegt“

E&M: Dafür brauchen Sie aber sicher einen langen Atem.

Wolfrum: Ja, den braucht man. Aber wir haben in der Stadtwerke Jena Gruppe die Jenergie GmbH, die 2020 speziell zur Entwicklung und Vermarktung von smarten Quartierskonzepten gegründet wurde. In dieser Gesellschaft können wir für eine begrenzte Zeit innovative Konzepte ausprobieren und prüfen, ob sich daraus Geschäftsmodelle entwickeln lassen. Mit dem ‚Smarten Quartier Jena-Lobeda‘ haben wir auch den Grundstein für ein Reallabor der Energiewende gelegt. Davon versprechen wir uns konkrete Impulse für Geschäftsmodelle. Mit einer intelligenten Heizungssteuerung, die wir für das smarte Quartier entwickelt haben, ist es uns gelungen, 20 Prozent Energie einzusparen. Damit sind wir schon sehr nahe an einem Geschäftsmodell, das auf das Klimaneutralitätsziel der Stadt im Jahr 2035 einzahlt.

E&M: Hilft Ihnen die Vernetzung der Sektoren und die damit einhergehende Sichtbarkeit der Stadtwerke auch im klassischen Commodity-Geschäft? Sehen Sie Vorteile bei der Kundenbindung?

Wolfrum: Wir sind Grundversorger und können aus dieser Verantwortung heraus aufgrund einer strukturierten Beschaffung die Preise nicht beliebig senken. Es gibt Kunden, die auf jeden Cent achten und schauen müssen, wie sie finanziell über die Runden kommen, und deshalb immer den billigsten Anbieter wählen und nicht langfristig bei uns bleiben. Ich bin aber sicher, dass viele Kunden einen Mehrwert darin sehen, alles vor Ort aus einer Hand beziehen zu können und in unserem Kundencenter unter einem Dach beispielsweise einen Mietvertrag abschließen, sich über Stromtarife beraten lassen und eine Jahreskarte für die neue Sportschwimmhalle oder den Jenaer Nahverkehr kaufen können. Und es gibt natürlich auch Kunden, die das Engagement der Stadtwerke hier in Jena und die Sicherheit, die wir bieten, wertschätzen und uns deshalb die Treue halten. 

 
Tobias Wolfrum
Quelle: Stadtwerke Jena/Tina Peißker


Zur Person:
Tobias Wolfrum ist seit 2016 Geschäftsführer der Jenawohnen GmbH. Zuvor, ab 2014, hatte der studierte Architekt − diesen Beruf übte er als Selbstständiger in Berlin und Nürnberg zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn auch aus − den Bereich Technisches Management bei der Stadtwerketochter geleitet. Seit 2020 ist er ebenfalls Geschäftsführer der Jenergie GmbH. Ein Jahr später wurde er zusätzlich zum Geschäftsführer der Stadtwerke Jena GmbH bestellt, die die Stadtwerke Energie, den Jenaer Nahverkehr und die Bäder- und Freizeitgesellschaft unter ihrem Dach vereint.

 
Die Stadtwerketochter Jenawohnen ist maßgeblich an der Entwicklung des „Smarten Quartiers Jena-Lobeda“ beteiligt
Quelle: Stadtwerke Jena/Gunnar Poschmann
 

Übergreifende Daseinsvorsorge

Die Stadtwerke Jena hatten eingeladen und rund 40 Experten aus dem Gesundheitswesen und angrenzenden Branchen waren gekommen. Ziel der Zusammenarbeit ist es, einen neuen Baustein kommunaler Gesundheitslösungen zu entwickeln und so ein smartes Quartier im Stadtteil Lobeda mitzugestalten. So steht es in einer Mitteilung der Stadtwerke.
Noch im ersten Halbjahr 2024 soll ein Telemedizinraum eröffnet werden. Zunächst werde er den Charakter eines Reallabors haben, heißt es in der Mitteilung weiter. Als fester Bestandteil der Smart-City-Strategie der Stadt Jena soll der Telemedizinraum dann bis 2027 technisch und inhaltlich weiterentwickelt werden. Dazu steuert die Stadt Fördermittel in Höhe von 750.000 Euro bei.
Mit „Wohnen der Zukunft“ haben die Stadtwerke Jena das Zielbild überschrieben, in das sich unter anderem die Telemedizin einfügen soll. Sie planen nach eigenen Angaben, die entsprechenden Ideen auf weitere Regionen und Anwendungsfälle auszudehnen.
In ihrem Innovationsworkshop diskutierten die Teilnehmer konkrete medizinische Anwendungsfälle und erarbeiteten auch Ideen für ein Betreiberkonzept. Gleichzeitig wurden weitere Austausch- und Workshoptermine des neu entstandenen Netzwerks der kommunalen Daseinsvorsorge vereinbart.
Die Stadtwerke Jena haben mit dem ‚Smarten Quartier Jena-Lobeda‘ ein Modellprojekt geschaffen, das vor allem Mieter im Alltag entlasten soll. Dazu gehören die Ausstattung von Gebäuden mit Smart-Home-Komponenten sowie buchbare Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Mobilität und Logistik. Bis zum Jahresende 2024 sollen nach Angaben der Stadtwerke im Quartier rund 250 Wohnungen unterschiedlicher Größe entstehen, die etwa zur Hälfte eine Mietpreisbindung haben.
Bereits 2023 haben die Stadtwerke zusammen mit der Kommune und dem Universitätsklinikum Jena zwei Gesundheitsapartments im Quartier in Betrieb genommen. Die Wohnungen ermöglichen zahlreiche Gesundheitsdienstleistungen außerhalb des Krankenhauses und eine enge Kommunikation mit dem Klinikpersonal. Sie sind barrierearm und funktional ausgestattet, unter anderem mit Smart-Home-Komponenten wie Sprachsteuerung, Pflegebetten, höhenverstellbaren Küchen- und Badzeilen, Notfallsystemen, E-Rollstühlen und Smart-TVs. Sofern es erforderlich ist, kann ein mobiler Pflegedienst das Betreuungsangebot vor Ort noch ergänzen.
Die Gesundheitsapartments im smarten Quartier werden im Rahmen des Modellprojekts Smart City der Stadt Jena durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und die KfW gefördert. Bis 2027 werden sie außerdem von der Stadt Jena mitfinanziert.
 
 

Ganzheitliche Versorgung

2019 war „JenErgieReal“ eines von 20 Gewinnerprojekten, die vom Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen eines bundesweiten Wettbewerbs eine Förderzusage erhalten haben. Im November 2022 wurde der Förderbescheid über 20,4 Millionen Euro übergeben.
Ziel der Reallabore der Energiewende ist es, Konzepte für eine bedarfsgerechte und kostengünstige Energiewende zu entwickeln und diese in der Praxis umzusetzen. Dafür hat sich die Stadtwerke Jena Gruppe mit der Kommune und Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammengeschlossen. Auch der AWO Regionalverband Mitte-West-Thüringen e.V. ist als Projektpartner mit an Bord.
Bis 2027 sollen Konzepte zur Sektorkopplung für die Versorgung der Stadt mit Strom und Wärme umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund werden über das Stadtgebiet verteilt elektrische Großspeichersysteme sowie Photovoltaik- und Solarthermieanlagen errichtet. Gemeinsam bilden sie ein virtuelles Kraftwerk.
Gerade den Speichern kommt dabei eine wesentliche Rolle zu. Sie sollen als Wohnquartiersspeicher mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen kombiniert, als netzdienliche Speicher im Umfeld von Ladesäulen errichtet und auch Gestalt der Elektrofahrzeuge selbst ins Netz integriert werden. Zusätzlich seien PV-Anlagen zur Deckung von Netzverlusten geplant, heißt es auf der Internetseite zum virtuellen Kraftwerk. Geplant sind Speicher mit einer Gesamtleistung von 3,75 MW.
Für die neuen dezentralen Wärmeerzeugungsanlagen ist eine installierte Leistung von 2,94 MW vorgesehen. Es soll sogar untersucht werden, ob die bei Schnellladevorgängen auftretende Abwärme in ein dezentrales Wärmesystem eingespeist werden kann.
 
 
 

Donnerstag, 18.04.2024, 08:50 Uhr
Fritz Wilhelm
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitung - „Wir bringen die Sektoren zusammen“
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitung
„Wir bringen die Sektoren zusammen“
Die Stadtwerke Jena arbeiten eng mit der örtlichen Uniklinik zusammen. Ein Gespräch mit Tobias Wolfrum, Geschäftsführer der Stadtwerke Jena und Jenawohnen.
E&M: Herr Wolfrum, die Stadtwerke Jena haben vor einigen Wochen eine Mitteilung veröffentlicht über die Einrichtung eines Telemedizinraums. Werden Sie noch zum Gesundheitsdienstleister?

Wolfrum: Wir sind davon überzeugt, dass die medizinische Versorgung ein ganz wesentliches Element eines smarten Quartiers ist. Wir werden aber kein Klinikbetreiber werden oder eine Tochtergesellschaft im Gesundheitssektor gründen.

E&M: Sie stimmen aber sicherlich zu, dass es eher ungewöhnlich für ein Stadtwerk ist, sich mit Gesundheitsthemen zu beschäftigen.

Wolfrum: Das mag auf den ersten Blick so sein. Aber wir haben viele Anknüpfungspunkte zum Universitätsklinikum hier in Jena, das in unmittelbarer Nachbarschaft des ‚Smarten Quartiers Jena-Lobeda‘ liegt. Zum einen natürlich die Energieversorgung, zum anderen beispielsweise die Abwasserbeseitigung, um die sich der Zweckverband Jenawasser kümmert, dessen Betriebsführung auch in der Stadtwerke Jena Gruppe liegt. Wir arbeiten auf vielen Gebieten eng mit dem Klinikum zusammen. Und da wir uns auch immer wieder in Forschungsprojekten engagieren, kommt uns die DNA eines Universitätskrankenhauses, das ja auch eine Forschungseinrichtung ist, oft sehr entgegen.

E&M: Ist Telemedizin eher ein medizinisches Thema oder eher ein Infrastrukturthema?

Wolfrum: Aus meiner Sicht beides. Damit kann man ein Krankenhaus entlasten und beispielsweise die Nachsorge für Patienten, die einen stationären Aufenthalt hinter sich haben, ambulant organisieren. Ich will Ihnen einmal ein Beispiel geben: Patienten mit Fazialisparese, also einer Gesichtslähmung etwa nach einem Schlaganfall, müssen bestimmte Übungen machen. Diese können sie im Telemedizinraum mit dem Personal dort absolvieren oder sogar zu Hause vor dem Bildschirm.

E&M: Wie bei einem Teams-Meeting?

Wolfrum: Genau. Dazu braucht man aber ein hoch aufgelöstes Bild und vor allem eine stabile Internetverbindung. Die Telekommunikation haben wir im Themenfeld Wohnen mitgedacht. Es gab einen großen Sanierungsbedarf hier in Jena. Deshalb haben wir mit unserer Tochtergesellschaft Jenawohnen im smarten Quartier rund 300 Wohnungen zukunftsfähig mit Glasfaser ausgestattet. Einen Glasfaseranschluss mit 1 Gigabit haben bereits jetzt schon alle Wohnungen von Jenawohnen. Im Quartier haben wir Wohnungen gebaut und saniert, in denen mithilfe der Digitalisierung die Mieter den Kontakt zu medizinischen Einrichtungen halten können und ein altersgerechtes und vor allem selbstständiges Leben führen können. Wir glauben nämlich nicht, dass Sonderwohnformen wie betreutes Wohnen oder Wohnheime die alleinige Lösung sind. Deshalb wollen wir angesichts der demografischen Entwicklung unserer Gesellschaft den Menschen das Wohnen in den eigenen vier Wänden so lange, wie es nur irgendwie geht, ermöglichen. Dazu gehört beispielsweise auch ein ÖPNV.

„Wir widmen uns vier Themenfeldern“

E&M: Was macht für Sie ein smartes Quartier aus?

Wolfrum: Wir widmen uns vier Themenfeldern: Wohnen, Energie, Mobilität und Logistik und Gesundheit. Die ersten drei Bereiche decken wir mit unseren Tochtergesellschaften ab. Im Gesundheitssektor haben wir das Uniklinikum als Partner.

E&M: Ist ein smartes Quartier ein ‚richtiges‘ Geschäftsmodell für Stadtwerke?

Wolfrum: Man muss hier etwas differenzieren. Wir haben zwar von Anfang an die Telemedizin als wesentliches Element eines smarten Quartiers gesehen. Die Gesundheitsthemen rücken aber erst jetzt so richtig in den öffentlichen Fokus. Unser Telemedizin-Workshop mit dem Uniklinikum, den wir kürzlich veranstaltet haben, ist auf großes Interesse gestoßen. Welche Geschäftsmodelle daraus hervorgehen werden, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings noch nicht sagen. Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass wir welche identifizieren werden. Denn die flächendeckende medizinische Versorgung ist mittel- und langfristig eines der wichtigsten Themen in einer Gesellschaft, die zunehmend älter wird. In den anderen Sektoren − Wohnen, Energie und Mobilität − haben wir ja schon Geschäftsmodelle. Aber diese müssen wir im Kontext eines smarten Quartiers aus ganzheitlicher Perspektive sehen.

E&M: Ist das die neue Definition der Daseinsvorsorge − ein smartes Quartier zu schaffen?

Wolfrum: Wir bringen die Sektoren zusammen und begreifen sie am Ende als eine Einheit. So kommt man zu einem zukunftsfähigen Quartier und im nächsten Schritt auch zu einer zukunftsfähigen Stadt. Dafür die Grundlage zu schaffen, ist sicherlich eine der Hauptaufgaben der Stadtwerke in den kommenden Jahren.

E&M: Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brauchen künftig aber keine medizinische Ausbildung, oder?

Wolfrum: Nein, aber sie müssen verstehen, welche Prozesse es im medizinischen Sektor gibt und wie sie ablaufen. Oder nehmen Sie beispielsweise unsere neu gebaute Sportschwimmhalle: Man kann heute kein Schwimmbad mehr betreiben, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wie man es energetisch in die Zukunft tragen kann. Für die Wohnungswirtschaft gilt das Gleiche. Einerseits haben wir die energetischen Beziehungen, auf der anderen Seite müssen der Mobilitätssektor und das Wohnen stärker miteinander verzahnt werden, die Telekommunikation und das Wohnen, und so weiter.

E&M: Es gibt aber genug Stadtwerke, die Bäder betreiben oder den ÖPNV im Konzern haben und die wenig rentablen Bereiche als Klotz am Bein empfinden.

Wolfrum: Diese Bereiche gehören aber zur Daseinsvorsorge und sind ganz essenziell für Städte. In manchen Fällen übernehmen das auch überregionale Unternehmen. Aber ich kann nur immer wieder betonen: Wenn man die Sektoren zusammen als Einheit begreift, wird man auch Lösungen finden, die eine umfassende Daseinsvorsorge ermöglichen. Hier eignet sich ein Quartier sehr gut, um alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und Erkenntnisse im Kleinen zu sammeln, die dann auf größere Einheiten übertragen werden können.

„Mit dem smarten Quartier den Grundstein für ein Reallabor der Energiewende gelegt“

E&M: Dafür brauchen Sie aber sicher einen langen Atem.

Wolfrum: Ja, den braucht man. Aber wir haben in der Stadtwerke Jena Gruppe die Jenergie GmbH, die 2020 speziell zur Entwicklung und Vermarktung von smarten Quartierskonzepten gegründet wurde. In dieser Gesellschaft können wir für eine begrenzte Zeit innovative Konzepte ausprobieren und prüfen, ob sich daraus Geschäftsmodelle entwickeln lassen. Mit dem ‚Smarten Quartier Jena-Lobeda‘ haben wir auch den Grundstein für ein Reallabor der Energiewende gelegt. Davon versprechen wir uns konkrete Impulse für Geschäftsmodelle. Mit einer intelligenten Heizungssteuerung, die wir für das smarte Quartier entwickelt haben, ist es uns gelungen, 20 Prozent Energie einzusparen. Damit sind wir schon sehr nahe an einem Geschäftsmodell, das auf das Klimaneutralitätsziel der Stadt im Jahr 2035 einzahlt.

E&M: Hilft Ihnen die Vernetzung der Sektoren und die damit einhergehende Sichtbarkeit der Stadtwerke auch im klassischen Commodity-Geschäft? Sehen Sie Vorteile bei der Kundenbindung?

Wolfrum: Wir sind Grundversorger und können aus dieser Verantwortung heraus aufgrund einer strukturierten Beschaffung die Preise nicht beliebig senken. Es gibt Kunden, die auf jeden Cent achten und schauen müssen, wie sie finanziell über die Runden kommen, und deshalb immer den billigsten Anbieter wählen und nicht langfristig bei uns bleiben. Ich bin aber sicher, dass viele Kunden einen Mehrwert darin sehen, alles vor Ort aus einer Hand beziehen zu können und in unserem Kundencenter unter einem Dach beispielsweise einen Mietvertrag abschließen, sich über Stromtarife beraten lassen und eine Jahreskarte für die neue Sportschwimmhalle oder den Jenaer Nahverkehr kaufen können. Und es gibt natürlich auch Kunden, die das Engagement der Stadtwerke hier in Jena und die Sicherheit, die wir bieten, wertschätzen und uns deshalb die Treue halten. 

 
Tobias Wolfrum
Quelle: Stadtwerke Jena/Tina Peißker


Zur Person:
Tobias Wolfrum ist seit 2016 Geschäftsführer der Jenawohnen GmbH. Zuvor, ab 2014, hatte der studierte Architekt − diesen Beruf übte er als Selbstständiger in Berlin und Nürnberg zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn auch aus − den Bereich Technisches Management bei der Stadtwerketochter geleitet. Seit 2020 ist er ebenfalls Geschäftsführer der Jenergie GmbH. Ein Jahr später wurde er zusätzlich zum Geschäftsführer der Stadtwerke Jena GmbH bestellt, die die Stadtwerke Energie, den Jenaer Nahverkehr und die Bäder- und Freizeitgesellschaft unter ihrem Dach vereint.

 
Die Stadtwerketochter Jenawohnen ist maßgeblich an der Entwicklung des „Smarten Quartiers Jena-Lobeda“ beteiligt
Quelle: Stadtwerke Jena/Gunnar Poschmann
 

Übergreifende Daseinsvorsorge

Die Stadtwerke Jena hatten eingeladen und rund 40 Experten aus dem Gesundheitswesen und angrenzenden Branchen waren gekommen. Ziel der Zusammenarbeit ist es, einen neuen Baustein kommunaler Gesundheitslösungen zu entwickeln und so ein smartes Quartier im Stadtteil Lobeda mitzugestalten. So steht es in einer Mitteilung der Stadtwerke.
Noch im ersten Halbjahr 2024 soll ein Telemedizinraum eröffnet werden. Zunächst werde er den Charakter eines Reallabors haben, heißt es in der Mitteilung weiter. Als fester Bestandteil der Smart-City-Strategie der Stadt Jena soll der Telemedizinraum dann bis 2027 technisch und inhaltlich weiterentwickelt werden. Dazu steuert die Stadt Fördermittel in Höhe von 750.000 Euro bei.
Mit „Wohnen der Zukunft“ haben die Stadtwerke Jena das Zielbild überschrieben, in das sich unter anderem die Telemedizin einfügen soll. Sie planen nach eigenen Angaben, die entsprechenden Ideen auf weitere Regionen und Anwendungsfälle auszudehnen.
In ihrem Innovationsworkshop diskutierten die Teilnehmer konkrete medizinische Anwendungsfälle und erarbeiteten auch Ideen für ein Betreiberkonzept. Gleichzeitig wurden weitere Austausch- und Workshoptermine des neu entstandenen Netzwerks der kommunalen Daseinsvorsorge vereinbart.
Die Stadtwerke Jena haben mit dem ‚Smarten Quartier Jena-Lobeda‘ ein Modellprojekt geschaffen, das vor allem Mieter im Alltag entlasten soll. Dazu gehören die Ausstattung von Gebäuden mit Smart-Home-Komponenten sowie buchbare Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Mobilität und Logistik. Bis zum Jahresende 2024 sollen nach Angaben der Stadtwerke im Quartier rund 250 Wohnungen unterschiedlicher Größe entstehen, die etwa zur Hälfte eine Mietpreisbindung haben.
Bereits 2023 haben die Stadtwerke zusammen mit der Kommune und dem Universitätsklinikum Jena zwei Gesundheitsapartments im Quartier in Betrieb genommen. Die Wohnungen ermöglichen zahlreiche Gesundheitsdienstleistungen außerhalb des Krankenhauses und eine enge Kommunikation mit dem Klinikpersonal. Sie sind barrierearm und funktional ausgestattet, unter anderem mit Smart-Home-Komponenten wie Sprachsteuerung, Pflegebetten, höhenverstellbaren Küchen- und Badzeilen, Notfallsystemen, E-Rollstühlen und Smart-TVs. Sofern es erforderlich ist, kann ein mobiler Pflegedienst das Betreuungsangebot vor Ort noch ergänzen.
Die Gesundheitsapartments im smarten Quartier werden im Rahmen des Modellprojekts Smart City der Stadt Jena durch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und die KfW gefördert. Bis 2027 werden sie außerdem von der Stadt Jena mitfinanziert.
 
 

Ganzheitliche Versorgung

2019 war „JenErgieReal“ eines von 20 Gewinnerprojekten, die vom Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen eines bundesweiten Wettbewerbs eine Förderzusage erhalten haben. Im November 2022 wurde der Förderbescheid über 20,4 Millionen Euro übergeben.
Ziel der Reallabore der Energiewende ist es, Konzepte für eine bedarfsgerechte und kostengünstige Energiewende zu entwickeln und diese in der Praxis umzusetzen. Dafür hat sich die Stadtwerke Jena Gruppe mit der Kommune und Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammengeschlossen. Auch der AWO Regionalverband Mitte-West-Thüringen e.V. ist als Projektpartner mit an Bord.
Bis 2027 sollen Konzepte zur Sektorkopplung für die Versorgung der Stadt mit Strom und Wärme umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund werden über das Stadtgebiet verteilt elektrische Großspeichersysteme sowie Photovoltaik- und Solarthermieanlagen errichtet. Gemeinsam bilden sie ein virtuelles Kraftwerk.
Gerade den Speichern kommt dabei eine wesentliche Rolle zu. Sie sollen als Wohnquartiersspeicher mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen kombiniert, als netzdienliche Speicher im Umfeld von Ladesäulen errichtet und auch Gestalt der Elektrofahrzeuge selbst ins Netz integriert werden. Zusätzlich seien PV-Anlagen zur Deckung von Netzverlusten geplant, heißt es auf der Internetseite zum virtuellen Kraftwerk. Geplant sind Speicher mit einer Gesamtleistung von 3,75 MW.
Für die neuen dezentralen Wärmeerzeugungsanlagen ist eine installierte Leistung von 2,94 MW vorgesehen. Es soll sogar untersucht werden, ob die bei Schnellladevorgängen auftretende Abwärme in ein dezentrales Wärmesystem eingespeist werden kann.
 
 
 

Donnerstag, 18.04.2024, 08:50 Uhr
Fritz Wilhelm

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