E&M exklusiv Newsletter:
E&M gratis testen:
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - Türkei nutzt Gaskrise in Europa
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Ausgabe

Türkei nutzt Gaskrise in Europa

In der Suche nach Alternativen, um die Gaskrise in Europa zu überwinden, sieht die Türkei eine Gelegenheit, ihre Schlüsselrolle auszuspielen. Es geht um TANAP.

Die Transanatolische Gaspipeline TANAP bildet den zentralen Abschnitt des südlichen Gaskorridors, der Gas aus Aserbaidschan nach Europa transportiert. Im Zuge von Rekordgaspreisen durch den Krieg Russlands in der Ukraine bemüht sich die Europäische Union wieder verstärkt um Aserbaidschan. War der südliche Gaskorridor sang- und klanglos in Betrieb gegangen und transportierte Ende 2020 erstmals Gas aus Aserbaidschan nach Süditalien, reiste EU-Energiekommissarin Kadri Simson in den letzten Monaten mehrmals nach Baku, um Möglichkeiten nach erhöhten Gaslieferungen auszuloten.

Der Gefangenenchor aus „Nabucco“, so hieß das Vorgängerprojekt des südlichen Gaskorridors, scheint angesichts der Gaskrise in Europa laut vernehmlich nachzuklingen. Nabucco sollte einst 30 Mrd. Kubikmeter Gas aus der kaspischen Region bis nach Österreich transportieren können. Jetzt ist es lediglich ein Drittel, das vom Kaspischen Meer in Aserbaidschan über Georgien, die Türkei und von dort über die Transadriatische Pipeline TAP nach Süditalien gelangen kann.

Energieabkommen der EU mit Aserbaidschan

Am 18. Juli trafen sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Energiekommissarin Simson mit Präsident Ilham Aliyev und dem aserbaidschanischen Energieminister Parviz Shahbazov schließlich in Baku. Dort unterzeichneten die Kommissionspräsidentin und Präsident Aliyev ein neues Abkommen über eine strategische Partnerschaft im Energiebereich. „Mit dieser Absichtserklärung bekennen wir uns zur Erweiterung des südlichen Gaskorridors. Er ist schon heute ein sehr wichtiger Versorgungsweg für die Europäische Union und liefert derzeit mehr als acht Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr. Und wir werden seine Kapazität in einigen Jahren auf 20 Milliarden Kubikmeter erhöhen. Ab dem nächsten Jahr dürften wir bereits zwölf Milliarden Kubikmeter erreichen. Dies wird helfen, Kürzungen der russischen Gaslieferungen auszugleichen, und erheblich zur Versorgungssicherheit Europas beitragen“, erklärte von der Leyen.

Ganz auf dieser Linie strich Simson die strategische Rolle des südlichen Gaskorridors bei den Diversifizierungsbemühungen heraus. Aserbaidschan habe die Erdgaslieferungen an die EU bereits erhöht. „In diesem Jahr werden bis zu vier Mrd. Kubikmeter zusätzliches Gas geliefert und die Mengen dürften sich bis 2027 mehr als verdoppeln“, stellte sie in Aussicht. In der Strategie für ein auswärtiges Engagement der EU im Energiebereich vom Mai steht, dass die EU bestrebt sei, „die Zusammenarbeit mit Aserbaidschan angesichts der strategischen Bedeutung des südlichen Gaskorridors zu intensivieren. Durch den Ausbau der Kapazität der Transadriatischen Pipeline würde die Gasversorgung der EU und der westlichen Balkanländer erhöht.“ Der Ausbau der TAP erfordere laut „REPowerEU“-Plan beschleunigte zusätzliche Infrastrukturinvestitionen in das italienische Gasnetz, um mehr Gas von Süd- nach Norditalien transportieren zu können.

Ausbau der TANAP

Der Ausbau des Gaskorridors stärkt die Position der Türkei als Energiestandort. Alle diesbezüglichen Entscheidungen Europas, das sich in der kommenden Wintersaison absichern will, führten in die Türkei, machte die türkische Zeitung Yeni Safak am 8. August deutlich. Mit ihren 1.850 Kilometern quer durch die Türkei nimmt die TANAP dort gut die Hälfte des 3.500 Kilometer langen Gaskorridors ein. Sie ist auf eine Transportkapazität von 16 Mrd. Kubikmeter ausgelegt, wovon 10 Mrd. für Europa und der Rest für die Türkei vorgesehen sind.

Um die doppelte Menge nach Europa durchleiten zu können, seien Investitionen für einen Ausbau der jährlichen Transportkapazität auf zunächst 24 Mrd. Kubikmeter und dann auf 31 Mrd. Kubikmeter Gas nötig, berichtete Yeni Safak. Eine Umsetzung dieser Ziele vor fünf Jahren scheine jedoch nicht möglich zu sein, da zusätzliche Protokolle und Vereinbarungen erforderlich seien, auch wenn Investitionen zur Erhöhung der Kapazität getätigt werden. Seit 2018 seien über die TANAP und TAP über 30 Mrd. Kubikmeter Gas transportiert worden. Ein Drittel davon nahm die TAP nach Angaben des Pipelinebetreibers im März an der türkischen Grenze zu Griechenland auf und leitete 8,5 Mrd. Kubikmeter Gas bis nach Süditalien durch.

Türkei tritt als Garant für russische Gaslieferungen auf

Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am 5. August mit Präsident Wladimir Putin in Sotschi Leitlinien zum Getreideexport aus der Ukraine vereinbarte, ging es auch um die Energiebeziehungen. „In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass Turk Stream, dessen Bau wir vor einiger Zeit abgeschlossen haben, heute eine der wichtigsten Verkehrsadern für die Versorgung Europas mit russischem Gas ist“, betonte Putin. Die Schwarzmeergasleitung arbeite im Gegensatz zu anderen Pipelines ordnungsgemäß und ohne Ausfälle. Es gingen nicht nur Lieferungen an Verbraucher in der Türkei, sondern auch nach Europa. Die europäischen Partner sollten der Türkei dankbar sein, dass sie den ununterbrochenen Gastransport zum europäischen Markt sicherstellt.

In den ersten zwei Jahren flossen laut Yeni Safak über Turk Stream 18 Mrd. Kubikmeter Gas in die Türkei und 16,8 Mrd. Kubikmeter nach Europa. Zwei Leitungsstränge verbinden die russische Schwarzmeerküste mit dem westlichen Bosporus. Auf dem Festland sind sie an das türkische Gasnetz angeschlossen. Zusammen können sie 31,5 Mrd. Kubikmeter Gas im Jahr durchleiten. Der Weg für den Weitertransport führt von der Türkei an die bulgarische Grenze und von dort nach Serbien und Ungarn. Nach Verhandlungen zwischen Moskau und dem ungarischen Außenminister Peter Szijjarto im Juli habe der russische Gaskonzern Gazprom begonnen, mehr Gas als „bereits vertraglich vereinbart“ zu liefern, teilte der ungarische Ministeriumsvertreter Tamas Menczer am 13. August auf Facebook mit.

Um gut durch den Winter zu kommen, habe die Regierung beschlossen, zusätzlich zu den kontraktierten Mengen rund 700 Mio. Kubikmeter Erdgas zu beschaffen. In Kenntnis der heutigen europäischen Marktbedingungen sei „der Erwerb einer so großen Menge ohne russische Quellen unmöglich“, so Menczer. Bis Ende August sollen aus dem Süden über die Pipeline Turk Stream zunächst 2,6 Mio. Kubikmeter Gas mehr am Tag ankommen. Die Verhandlungen für September liefen bereits. „Es ist die Pflicht der ungarischen Regierung, die sichere Erdgasversorgung des Landes zu gewährleisten, und wir erfüllen diese Pflicht“, unterstrich Menczer. Die Sparziele im EU-Gasnotfallplan lehnte Ungarn indessen ab. Nachschub aus Russland über die Türkei, Bulgarien und Serbien scheint sicher zu sein.


Freitag, 2.09.2022, 09:25 Uhr
Josephine Bollinger-Kanne
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - Türkei nutzt Gaskrise in Europa
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Ausgabe
Türkei nutzt Gaskrise in Europa
In der Suche nach Alternativen, um die Gaskrise in Europa zu überwinden, sieht die Türkei eine Gelegenheit, ihre Schlüsselrolle auszuspielen. Es geht um TANAP.

Die Transanatolische Gaspipeline TANAP bildet den zentralen Abschnitt des südlichen Gaskorridors, der Gas aus Aserbaidschan nach Europa transportiert. Im Zuge von Rekordgaspreisen durch den Krieg Russlands in der Ukraine bemüht sich die Europäische Union wieder verstärkt um Aserbaidschan. War der südliche Gaskorridor sang- und klanglos in Betrieb gegangen und transportierte Ende 2020 erstmals Gas aus Aserbaidschan nach Süditalien, reiste EU-Energiekommissarin Kadri Simson in den letzten Monaten mehrmals nach Baku, um Möglichkeiten nach erhöhten Gaslieferungen auszuloten.

Der Gefangenenchor aus „Nabucco“, so hieß das Vorgängerprojekt des südlichen Gaskorridors, scheint angesichts der Gaskrise in Europa laut vernehmlich nachzuklingen. Nabucco sollte einst 30 Mrd. Kubikmeter Gas aus der kaspischen Region bis nach Österreich transportieren können. Jetzt ist es lediglich ein Drittel, das vom Kaspischen Meer in Aserbaidschan über Georgien, die Türkei und von dort über die Transadriatische Pipeline TAP nach Süditalien gelangen kann.

Energieabkommen der EU mit Aserbaidschan

Am 18. Juli trafen sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Energiekommissarin Simson mit Präsident Ilham Aliyev und dem aserbaidschanischen Energieminister Parviz Shahbazov schließlich in Baku. Dort unterzeichneten die Kommissionspräsidentin und Präsident Aliyev ein neues Abkommen über eine strategische Partnerschaft im Energiebereich. „Mit dieser Absichtserklärung bekennen wir uns zur Erweiterung des südlichen Gaskorridors. Er ist schon heute ein sehr wichtiger Versorgungsweg für die Europäische Union und liefert derzeit mehr als acht Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr. Und wir werden seine Kapazität in einigen Jahren auf 20 Milliarden Kubikmeter erhöhen. Ab dem nächsten Jahr dürften wir bereits zwölf Milliarden Kubikmeter erreichen. Dies wird helfen, Kürzungen der russischen Gaslieferungen auszugleichen, und erheblich zur Versorgungssicherheit Europas beitragen“, erklärte von der Leyen.

Ganz auf dieser Linie strich Simson die strategische Rolle des südlichen Gaskorridors bei den Diversifizierungsbemühungen heraus. Aserbaidschan habe die Erdgaslieferungen an die EU bereits erhöht. „In diesem Jahr werden bis zu vier Mrd. Kubikmeter zusätzliches Gas geliefert und die Mengen dürften sich bis 2027 mehr als verdoppeln“, stellte sie in Aussicht. In der Strategie für ein auswärtiges Engagement der EU im Energiebereich vom Mai steht, dass die EU bestrebt sei, „die Zusammenarbeit mit Aserbaidschan angesichts der strategischen Bedeutung des südlichen Gaskorridors zu intensivieren. Durch den Ausbau der Kapazität der Transadriatischen Pipeline würde die Gasversorgung der EU und der westlichen Balkanländer erhöht.“ Der Ausbau der TAP erfordere laut „REPowerEU“-Plan beschleunigte zusätzliche Infrastrukturinvestitionen in das italienische Gasnetz, um mehr Gas von Süd- nach Norditalien transportieren zu können.

Ausbau der TANAP

Der Ausbau des Gaskorridors stärkt die Position der Türkei als Energiestandort. Alle diesbezüglichen Entscheidungen Europas, das sich in der kommenden Wintersaison absichern will, führten in die Türkei, machte die türkische Zeitung Yeni Safak am 8. August deutlich. Mit ihren 1.850 Kilometern quer durch die Türkei nimmt die TANAP dort gut die Hälfte des 3.500 Kilometer langen Gaskorridors ein. Sie ist auf eine Transportkapazität von 16 Mrd. Kubikmeter ausgelegt, wovon 10 Mrd. für Europa und der Rest für die Türkei vorgesehen sind.

Um die doppelte Menge nach Europa durchleiten zu können, seien Investitionen für einen Ausbau der jährlichen Transportkapazität auf zunächst 24 Mrd. Kubikmeter und dann auf 31 Mrd. Kubikmeter Gas nötig, berichtete Yeni Safak. Eine Umsetzung dieser Ziele vor fünf Jahren scheine jedoch nicht möglich zu sein, da zusätzliche Protokolle und Vereinbarungen erforderlich seien, auch wenn Investitionen zur Erhöhung der Kapazität getätigt werden. Seit 2018 seien über die TANAP und TAP über 30 Mrd. Kubikmeter Gas transportiert worden. Ein Drittel davon nahm die TAP nach Angaben des Pipelinebetreibers im März an der türkischen Grenze zu Griechenland auf und leitete 8,5 Mrd. Kubikmeter Gas bis nach Süditalien durch.

Türkei tritt als Garant für russische Gaslieferungen auf

Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am 5. August mit Präsident Wladimir Putin in Sotschi Leitlinien zum Getreideexport aus der Ukraine vereinbarte, ging es auch um die Energiebeziehungen. „In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass Turk Stream, dessen Bau wir vor einiger Zeit abgeschlossen haben, heute eine der wichtigsten Verkehrsadern für die Versorgung Europas mit russischem Gas ist“, betonte Putin. Die Schwarzmeergasleitung arbeite im Gegensatz zu anderen Pipelines ordnungsgemäß und ohne Ausfälle. Es gingen nicht nur Lieferungen an Verbraucher in der Türkei, sondern auch nach Europa. Die europäischen Partner sollten der Türkei dankbar sein, dass sie den ununterbrochenen Gastransport zum europäischen Markt sicherstellt.

In den ersten zwei Jahren flossen laut Yeni Safak über Turk Stream 18 Mrd. Kubikmeter Gas in die Türkei und 16,8 Mrd. Kubikmeter nach Europa. Zwei Leitungsstränge verbinden die russische Schwarzmeerküste mit dem westlichen Bosporus. Auf dem Festland sind sie an das türkische Gasnetz angeschlossen. Zusammen können sie 31,5 Mrd. Kubikmeter Gas im Jahr durchleiten. Der Weg für den Weitertransport führt von der Türkei an die bulgarische Grenze und von dort nach Serbien und Ungarn. Nach Verhandlungen zwischen Moskau und dem ungarischen Außenminister Peter Szijjarto im Juli habe der russische Gaskonzern Gazprom begonnen, mehr Gas als „bereits vertraglich vereinbart“ zu liefern, teilte der ungarische Ministeriumsvertreter Tamas Menczer am 13. August auf Facebook mit.

Um gut durch den Winter zu kommen, habe die Regierung beschlossen, zusätzlich zu den kontraktierten Mengen rund 700 Mio. Kubikmeter Erdgas zu beschaffen. In Kenntnis der heutigen europäischen Marktbedingungen sei „der Erwerb einer so großen Menge ohne russische Quellen unmöglich“, so Menczer. Bis Ende August sollen aus dem Süden über die Pipeline Turk Stream zunächst 2,6 Mio. Kubikmeter Gas mehr am Tag ankommen. Die Verhandlungen für September liefen bereits. „Es ist die Pflicht der ungarischen Regierung, die sichere Erdgasversorgung des Landes zu gewährleisten, und wir erfüllen diese Pflicht“, unterstrich Menczer. Die Sparziele im EU-Gasnotfallplan lehnte Ungarn indessen ab. Nachschub aus Russland über die Türkei, Bulgarien und Serbien scheint sicher zu sein.


Freitag, 2.09.2022, 09:25 Uhr
Josephine Bollinger-Kanne

Haben Sie Interesse an Content oder Mehrfachzugängen für Ihr Unternehmen?

Sprechen Sie uns an, wenn Sie Fragen zur Nutzung von E&M-Inhalten oder den verschiedenen Abonnement-Paketen haben.
Das E&M-Vertriebsteam freut sich unter Tel. 08152 / 93 11-77 oder unter vertrieb@energie-und-management.de über Ihre Anfrage.