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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Zwischen Freiheitsenergie und Realität
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Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe

Zwischen Freiheitsenergie und Realität

Die Landtage in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein werden im Mai gewählt. Die Energiepolitik rückt immer mehr in den Fokus. 
Landtagswahlen im Zeichen des Krieges. An Nord- und Ostsee sowie zwischen Rhein und Weser sind die Menschen im Mai aufgerufen, unter den Parteien die Rollen Regierung und Opposition neu zu vergeben. Der russische Angriff auf die Ukraine bleibt dabei nicht ohne Folgen für den Wahlkampf und die Frage, welche Schwerpunkte die energiepolitische Agenda bestimmen.

In Schleswig-Holstein, das am 8. Mai den Urnengang abhält, und in Nordrhein-Westfalen, das einen Sonntag später folgt, erscheint die Notwendigkeit zur schnellen Energiewende in neuem Licht. Neben die Klimakrise sind als beschleunigende Faktoren Themen wie Versorgungssicherheit, steigende Energiepreise und das Ungemach über die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten aus Russland getreten. Je schneller die Dekarbonisierung in Industrie und Gesellschaft gelinge, so der Tenor, desto eher endeten die Geschäfte mit Russlands schmutziger Energieware und die indirekte Finanzierung von Putins grausamer Allmachtsfantasie.

Nuancen bei der Haltung zum Erneuerbaren-Ausbau

Den Ton gesetzt hat Berlin: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit dem pathosumflorten Begriff der „Freiheitsenergien“; der grüne Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, mit dem ab Jahresmitte greifenden „Osterpaket“. Darin enthalten der gesetzliche Hebel, vormals lästige Genehmigungshürden zu knacken, weil Erneuerbare künftig der „öffentlichen Sicherheit“ dienten. Freiheit, Sicherheit: Wer in der Politik wollte der überragenden Bedeutung regenerativer Ideen da noch widersprechen?

In Kiel und Düsseldorf zumindest kaum jemand. Zwischen den Landesparlamenten liegen etwa 500 Straßenkilometer, aber nur Nuancen in der Haltung zum Ausbau der Erneuerbaren − jedenfalls unter den Parteien, die aller Voraussicht nach an den künftigen Koalitionen beteiligt sein werden. Der Wahlkampf allerdings unterscheidet sich gleichwohl in der Tonlage. Das ist in den bisherigen Regierungsbündnissen begründet.

In Düsseldorf haben die regierenden CDU und FDP laut aktuellen Umfragen ihre ohnehin knappe Ein-Stimmen-Mehrheit deutlich eingebüßt, SPD und Grüne trommeln laut für den Machtwechsel, wittern zumindest aber die Beteiligung an einer Mehr-Parteien-Regierung. Die Kieler Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP dagegen überdeckt seit fünf Jahren erfolgreich ihre Widersprüche und scheint eigentlich ungefährdet.

Die Zustimmung im Norden ist sogar so hoch, dass Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) womöglich allein mit den Grünen weiterregieren kann. Laut Umfragen muss der Amtsinhaber allerdings fürchten, als Wahlgewinner (oberhalb 30 % Stimmenanteil) dennoch fünf Jahre vor einer Ampel stehen zu müssen. Aus der Regierung heraus ist an der Förde kaum Profilierung auf Kosten der anderen Koalitionspartner möglich. Dadurch seien für das Wahlvolk zwischen Elbe und Ostsee in Energiefragen „keine großen Unterschiede auszumachen“, sagt Frank Osterwald, Geschäftsführer der Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein GmbH (EKSH). Das öffentlich geförderte Kieler Institut bringt die Forschung und Entwicklung bei Ökoenergien voran und intensiviert den Dialog mit der Bevölkerung.

Denn weitere Windturbinen im Land aufzustellen, ist kein Selbstläufer. Ende 2021 kam Schleswig-Holstein mit 3.000 Anlagen bereits auf 7.000 MW installierte Leistung. Damit, so Frank Osterwald, erreiche das Bundesland nahezu die Marke von 2 % der Landesfläche für Windenergie. Diesen Anteil per Bundesgesetz jedem Land vorzuschreiben, ist für Habeck noch eine harte Nuss. Mit dem von Energiewende-Minister Jan Philipp Albrecht (Grüne) ausgegebenen Ziel, bis 2025 auf 10.000 MW installierter Leistung zu kommen, würde Schleswig-Holstein das Flächenziel sogar übererfüllen und damit Defizite anderer Bundesländer ausgleichen, wirft Frank Osterwald ein. „Auch deswegen müssen wir weiter für Akzeptanz werben“, so der EKSH-Geschäftsführer.

So ist es eher eine Randnotiz, wenn die Liberalen fordern, Windenergie an Land nur noch maßvoll und unter Ausschluss von Wäldern zuzubauen sowie längere Laufzeiten für Atomkraftwerke (alle drei verbliebenen liegen indes außerhalb Schleswig-Holsteins und auch Nordrhein-Westfalens) neu zu bedenken. Es bleibt der SPD als größter Oppositionspartei vorbehalten, energiepolitisch Druck aufzubauen. Günther-Herausforderer Thomas Losse-Müller geht es mit der Energiewende nicht schnell genug. Er will Schleswig-Holstein bis 2040 klimaneutral machen, fünf Jahre eher als „Jamaika“. Losse-Müllers Manko: Sein Bekanntheitsgrad ist überschaubar, die Partei liegt in Umfragen weit hinter der CDU und auch unter dem eigenen Ergebnis von 2017 (27 %).

Zeit der Unsicherheit soll enden

Für die im Energiebereich tätigen Unternehmen ist es laut Björn Meyer wichtig, dass die Zeit der Unsicherheit im Windkraftausbau seit Anfang 2021 vorbei ist. In Erinnerung bringt der Referent der in Energiethemen federführenden Industrie- und Handelskammer (IHK) Flensburg, dass Jamaika zu Beginn der vergangenen Legislatur ein Ausbau-Moratorium für Onshore-Windenergie verhängt hatte. Zubau erfolgte ausschließlich über Ausnahmegenehmigungen. „Das hat die Branche und die Projektierer stark getroffen“, sagt Meyer. Vier Jahre benötigte die Politik für eine rechtssichere Regionalplanung. Mitgetragen habe die Wirtschaft dies, „weil die Politik den Austausch mit uns gesucht hat und wir gehört wurden“, so Meyer. Jetzt solle der weitere Ausbau wieder Fahrt aufnehmen.

Grundsätzlich, so Meyer, seien sich die Parteien in Schleswig-Holstein einig, Erneuerbare auch in anderen Bereichen zu fördern, mit Windkraft vor den Küsten, Solarzubau und über die Sektorenkopplung. Im Zuge des Krieges in der Ukraine spielt plötzlich auch das eingemottete LNG-Terminal vor Brunsbüttel wieder eine Rolle. Björn Meyer sieht die Pläne dafür, die die IHK auch in schwierigen Zeiten befürwortet habe, gerade jetzt im Gesamtzusammenhang. Brückentechnologien und -energieträger wie verflüssigtes Erdgas (LNG), synthetische Kraftstoffe und auch Ammoniak benötigten eine Infrastruktur, bei der das Ziel des grünen Wasserstoffs gleich mitzudenken sei. So überzeuge auch die in Heide bis 2025 entstehende Giga-Factory des schwedischen Batterieherstellers Northvolt besonders durch die Versorgung mit dem regional produzierten Ökostrom. „Für Schleswig-Holstein ist der Überfluss günstigen Grünstroms eine große Chance, energieintensive Industrie anzusiedeln“, so Björn Meyer.

Dagegen treten die Konfliktlinien bei der Landtagswahl am 15. Mai in Nordrhein-Westfalen deutlicher zutage. Der um sein Amt bangende Kurzzeit-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat als Laschet-Nachfolger alle Hände voll zu tun, die mit der FDP verantwortete Energiepolitik der vergangenen fünf Jahre in ein gutes Licht zu rücken. Da werden − wie allgemein üblich − installierte MW-Zahlen als Erfolg vereinnahmt, auch wenn die Grundlagen dafür vor der eigenen Amtszeit entstanden. Da sind bei den Genehmigungen Top-3-Platzierungen im Ländervergleich ein Beweis guter Arbeit, obwohl eigentlich ein Vielfaches für die eigenen Klimaziele nötig wäre.

Rot-Grün wird dabei nicht müde zu betonen, was Minister Andreas Pinkwart (FDP) in seinem Verantwortungsbereich Wirtschaft und Energie alles blockiert habe. NRW spiele nach wie vor bei der Solarpflicht für öffentliche wie private Neubauten auf Zeit, bis der Bund 2023 ein entsprechendes Gesetz in Kraft setze. Die Windkraft leide unter dem von der FDP eingeführten Mindestabstand von 1000 Metern selbst zu einzelnen Wohngebäuden und dem Verbot für Turbinen in Wirtschaftswäldern. Andre Stinka, Energieexperte der SPD-Fraktion, kündigte an, es werde die erste Amtshandlung einer neuen Regierung unter Wüsts Widersacher Thomas Kutschaty, die Abstandsregelung zu kassieren. Windkraft im Wald war unter Auflagen ohnehin bereits unter Rot-Grün bis 2017 erlaubt.

"Hehre Ziele, keine konkreten Maßnahmen"

Erst unter dem Druck der verschärften Klimaziele der Berliner Ampel, so die Opposition, habe Pinkwart seine „Energieversorgungsstrategie 2.0“ vorgelegt. Eine Strategie, die dem Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW) nur ein müdes Lächeln abringt. „Hehre Ziele, keine konkreten Maßnahmen“: So geißelte LEE-Vorsitzender Reiner Priggen, ehemals Grünen-Parlamentarier, das im Wahlkampf präsentierte Pinkwart-Papier. Es sei nicht ersichtlich, wie Schwarz-Gelb den jährlichen Ausbau von derzeit 250 MW auf die erforderlichen 1.000 MW (gut 200 Anlagen) hieven wolle.

Der Branchenverband boykottierte angesichts der jahrelangen Differenzen auch den von Pinkwart zuletzt ausgelobten „Gigawatt-Pakt“ für das rheinische Braunkohlerevier. Dort sollen 5.000 MW an erneuerbarer Kapazität entstehen. „Abermals vage“, kritisierte Priggen. Gegen Ende der Wahlperiode hat Pinkwart immerhin mit einem Mantra gebrochen: dass Windenergie im Wald ein Tabu sei. Durch Unwetter oder Schädlinge beeinträchtigte Nutzwälder dürften nun für 30 Jahre Windturbinen beherbergen, damit seien bis zu 3.000 MW an Zubau möglich.

Jamaika wie in Kiel erscheint am Rhein angesichts der Unterschiede zwischen Liberalen und Grünen aktuell kaum vorstellbar. Womöglich öffnet aber ein Rückzug Pinkwarts auch diese Option. Für die Energiewende zählen angesichts der Klimakrise und des Krieges in der Ukraine ohnehin nur Taten, weniger die Zuspitzung im Wahlkampf. Doch auch sie gehöre zur guten Kultur, erinnerte Reiner Priggen bei einer Diskussionsrunde des LEE NRW. „Wir setzen uns hart in der Sache auseinander, sind aber keine Feinde, sondern politische Wettbewerber, die sich hinterher in die Augen gucken müssen.“ Landtagswahlen haben damit selbst im Zeichen des Krieges auch etwas Beruhigendes, weil es sich um das friedliche Verteilen demokratisch legitimierter Gestaltungsmacht handelt.

Mittwoch, 4.05.2022, 08:57 Uhr
Volker Stephan
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Zwischen Freiheitsenergie und Realität
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe
Zwischen Freiheitsenergie und Realität
Die Landtage in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein werden im Mai gewählt. Die Energiepolitik rückt immer mehr in den Fokus. 
Landtagswahlen im Zeichen des Krieges. An Nord- und Ostsee sowie zwischen Rhein und Weser sind die Menschen im Mai aufgerufen, unter den Parteien die Rollen Regierung und Opposition neu zu vergeben. Der russische Angriff auf die Ukraine bleibt dabei nicht ohne Folgen für den Wahlkampf und die Frage, welche Schwerpunkte die energiepolitische Agenda bestimmen.

In Schleswig-Holstein, das am 8. Mai den Urnengang abhält, und in Nordrhein-Westfalen, das einen Sonntag später folgt, erscheint die Notwendigkeit zur schnellen Energiewende in neuem Licht. Neben die Klimakrise sind als beschleunigende Faktoren Themen wie Versorgungssicherheit, steigende Energiepreise und das Ungemach über die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten aus Russland getreten. Je schneller die Dekarbonisierung in Industrie und Gesellschaft gelinge, so der Tenor, desto eher endeten die Geschäfte mit Russlands schmutziger Energieware und die indirekte Finanzierung von Putins grausamer Allmachtsfantasie.

Nuancen bei der Haltung zum Erneuerbaren-Ausbau

Den Ton gesetzt hat Berlin: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit dem pathosumflorten Begriff der „Freiheitsenergien“; der grüne Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, mit dem ab Jahresmitte greifenden „Osterpaket“. Darin enthalten der gesetzliche Hebel, vormals lästige Genehmigungshürden zu knacken, weil Erneuerbare künftig der „öffentlichen Sicherheit“ dienten. Freiheit, Sicherheit: Wer in der Politik wollte der überragenden Bedeutung regenerativer Ideen da noch widersprechen?

In Kiel und Düsseldorf zumindest kaum jemand. Zwischen den Landesparlamenten liegen etwa 500 Straßenkilometer, aber nur Nuancen in der Haltung zum Ausbau der Erneuerbaren − jedenfalls unter den Parteien, die aller Voraussicht nach an den künftigen Koalitionen beteiligt sein werden. Der Wahlkampf allerdings unterscheidet sich gleichwohl in der Tonlage. Das ist in den bisherigen Regierungsbündnissen begründet.

In Düsseldorf haben die regierenden CDU und FDP laut aktuellen Umfragen ihre ohnehin knappe Ein-Stimmen-Mehrheit deutlich eingebüßt, SPD und Grüne trommeln laut für den Machtwechsel, wittern zumindest aber die Beteiligung an einer Mehr-Parteien-Regierung. Die Kieler Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP dagegen überdeckt seit fünf Jahren erfolgreich ihre Widersprüche und scheint eigentlich ungefährdet.

Die Zustimmung im Norden ist sogar so hoch, dass Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) womöglich allein mit den Grünen weiterregieren kann. Laut Umfragen muss der Amtsinhaber allerdings fürchten, als Wahlgewinner (oberhalb 30 % Stimmenanteil) dennoch fünf Jahre vor einer Ampel stehen zu müssen. Aus der Regierung heraus ist an der Förde kaum Profilierung auf Kosten der anderen Koalitionspartner möglich. Dadurch seien für das Wahlvolk zwischen Elbe und Ostsee in Energiefragen „keine großen Unterschiede auszumachen“, sagt Frank Osterwald, Geschäftsführer der Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein GmbH (EKSH). Das öffentlich geförderte Kieler Institut bringt die Forschung und Entwicklung bei Ökoenergien voran und intensiviert den Dialog mit der Bevölkerung.

Denn weitere Windturbinen im Land aufzustellen, ist kein Selbstläufer. Ende 2021 kam Schleswig-Holstein mit 3.000 Anlagen bereits auf 7.000 MW installierte Leistung. Damit, so Frank Osterwald, erreiche das Bundesland nahezu die Marke von 2 % der Landesfläche für Windenergie. Diesen Anteil per Bundesgesetz jedem Land vorzuschreiben, ist für Habeck noch eine harte Nuss. Mit dem von Energiewende-Minister Jan Philipp Albrecht (Grüne) ausgegebenen Ziel, bis 2025 auf 10.000 MW installierter Leistung zu kommen, würde Schleswig-Holstein das Flächenziel sogar übererfüllen und damit Defizite anderer Bundesländer ausgleichen, wirft Frank Osterwald ein. „Auch deswegen müssen wir weiter für Akzeptanz werben“, so der EKSH-Geschäftsführer.

So ist es eher eine Randnotiz, wenn die Liberalen fordern, Windenergie an Land nur noch maßvoll und unter Ausschluss von Wäldern zuzubauen sowie längere Laufzeiten für Atomkraftwerke (alle drei verbliebenen liegen indes außerhalb Schleswig-Holsteins und auch Nordrhein-Westfalens) neu zu bedenken. Es bleibt der SPD als größter Oppositionspartei vorbehalten, energiepolitisch Druck aufzubauen. Günther-Herausforderer Thomas Losse-Müller geht es mit der Energiewende nicht schnell genug. Er will Schleswig-Holstein bis 2040 klimaneutral machen, fünf Jahre eher als „Jamaika“. Losse-Müllers Manko: Sein Bekanntheitsgrad ist überschaubar, die Partei liegt in Umfragen weit hinter der CDU und auch unter dem eigenen Ergebnis von 2017 (27 %).

Zeit der Unsicherheit soll enden

Für die im Energiebereich tätigen Unternehmen ist es laut Björn Meyer wichtig, dass die Zeit der Unsicherheit im Windkraftausbau seit Anfang 2021 vorbei ist. In Erinnerung bringt der Referent der in Energiethemen federführenden Industrie- und Handelskammer (IHK) Flensburg, dass Jamaika zu Beginn der vergangenen Legislatur ein Ausbau-Moratorium für Onshore-Windenergie verhängt hatte. Zubau erfolgte ausschließlich über Ausnahmegenehmigungen. „Das hat die Branche und die Projektierer stark getroffen“, sagt Meyer. Vier Jahre benötigte die Politik für eine rechtssichere Regionalplanung. Mitgetragen habe die Wirtschaft dies, „weil die Politik den Austausch mit uns gesucht hat und wir gehört wurden“, so Meyer. Jetzt solle der weitere Ausbau wieder Fahrt aufnehmen.

Grundsätzlich, so Meyer, seien sich die Parteien in Schleswig-Holstein einig, Erneuerbare auch in anderen Bereichen zu fördern, mit Windkraft vor den Küsten, Solarzubau und über die Sektorenkopplung. Im Zuge des Krieges in der Ukraine spielt plötzlich auch das eingemottete LNG-Terminal vor Brunsbüttel wieder eine Rolle. Björn Meyer sieht die Pläne dafür, die die IHK auch in schwierigen Zeiten befürwortet habe, gerade jetzt im Gesamtzusammenhang. Brückentechnologien und -energieträger wie verflüssigtes Erdgas (LNG), synthetische Kraftstoffe und auch Ammoniak benötigten eine Infrastruktur, bei der das Ziel des grünen Wasserstoffs gleich mitzudenken sei. So überzeuge auch die in Heide bis 2025 entstehende Giga-Factory des schwedischen Batterieherstellers Northvolt besonders durch die Versorgung mit dem regional produzierten Ökostrom. „Für Schleswig-Holstein ist der Überfluss günstigen Grünstroms eine große Chance, energieintensive Industrie anzusiedeln“, so Björn Meyer.

Dagegen treten die Konfliktlinien bei der Landtagswahl am 15. Mai in Nordrhein-Westfalen deutlicher zutage. Der um sein Amt bangende Kurzzeit-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat als Laschet-Nachfolger alle Hände voll zu tun, die mit der FDP verantwortete Energiepolitik der vergangenen fünf Jahre in ein gutes Licht zu rücken. Da werden − wie allgemein üblich − installierte MW-Zahlen als Erfolg vereinnahmt, auch wenn die Grundlagen dafür vor der eigenen Amtszeit entstanden. Da sind bei den Genehmigungen Top-3-Platzierungen im Ländervergleich ein Beweis guter Arbeit, obwohl eigentlich ein Vielfaches für die eigenen Klimaziele nötig wäre.

Rot-Grün wird dabei nicht müde zu betonen, was Minister Andreas Pinkwart (FDP) in seinem Verantwortungsbereich Wirtschaft und Energie alles blockiert habe. NRW spiele nach wie vor bei der Solarpflicht für öffentliche wie private Neubauten auf Zeit, bis der Bund 2023 ein entsprechendes Gesetz in Kraft setze. Die Windkraft leide unter dem von der FDP eingeführten Mindestabstand von 1000 Metern selbst zu einzelnen Wohngebäuden und dem Verbot für Turbinen in Wirtschaftswäldern. Andre Stinka, Energieexperte der SPD-Fraktion, kündigte an, es werde die erste Amtshandlung einer neuen Regierung unter Wüsts Widersacher Thomas Kutschaty, die Abstandsregelung zu kassieren. Windkraft im Wald war unter Auflagen ohnehin bereits unter Rot-Grün bis 2017 erlaubt.

"Hehre Ziele, keine konkreten Maßnahmen"

Erst unter dem Druck der verschärften Klimaziele der Berliner Ampel, so die Opposition, habe Pinkwart seine „Energieversorgungsstrategie 2.0“ vorgelegt. Eine Strategie, die dem Landesverband Erneuerbare Energien (LEE NRW) nur ein müdes Lächeln abringt. „Hehre Ziele, keine konkreten Maßnahmen“: So geißelte LEE-Vorsitzender Reiner Priggen, ehemals Grünen-Parlamentarier, das im Wahlkampf präsentierte Pinkwart-Papier. Es sei nicht ersichtlich, wie Schwarz-Gelb den jährlichen Ausbau von derzeit 250 MW auf die erforderlichen 1.000 MW (gut 200 Anlagen) hieven wolle.

Der Branchenverband boykottierte angesichts der jahrelangen Differenzen auch den von Pinkwart zuletzt ausgelobten „Gigawatt-Pakt“ für das rheinische Braunkohlerevier. Dort sollen 5.000 MW an erneuerbarer Kapazität entstehen. „Abermals vage“, kritisierte Priggen. Gegen Ende der Wahlperiode hat Pinkwart immerhin mit einem Mantra gebrochen: dass Windenergie im Wald ein Tabu sei. Durch Unwetter oder Schädlinge beeinträchtigte Nutzwälder dürften nun für 30 Jahre Windturbinen beherbergen, damit seien bis zu 3.000 MW an Zubau möglich.

Jamaika wie in Kiel erscheint am Rhein angesichts der Unterschiede zwischen Liberalen und Grünen aktuell kaum vorstellbar. Womöglich öffnet aber ein Rückzug Pinkwarts auch diese Option. Für die Energiewende zählen angesichts der Klimakrise und des Krieges in der Ukraine ohnehin nur Taten, weniger die Zuspitzung im Wahlkampf. Doch auch sie gehöre zur guten Kultur, erinnerte Reiner Priggen bei einer Diskussionsrunde des LEE NRW. „Wir setzen uns hart in der Sache auseinander, sind aber keine Feinde, sondern politische Wettbewerber, die sich hinterher in die Augen gucken müssen.“ Landtagswahlen haben damit selbst im Zeichen des Krieges auch etwas Beruhigendes, weil es sich um das friedliche Verteilen demokratisch legitimierter Gestaltungsmacht handelt.

Mittwoch, 4.05.2022, 08:57 Uhr
Volker Stephan

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