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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Windenergiestadt Coesfeld
Quelle: Pixabay / Holger Schuea
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe

Windenergiestadt Coesfeld

In der Stadt in Nordrhein-Westfalen stehen bald drei Windparks mit einer Leistung von 100 MW von unterschiedlichen Betreibern. Warum in Coesfeld die Energiewende gelingt.
Kräne, Lastwagen, Baumaschinen. Wer sich Coesfeld von Südosten nähert, auf den wirkt die Stadt im Westmünsterland wie die Kulisse für „Bob der Baumeister, Der Film“. Der Ortsteil Lette begrüßt Ankommende mit Umleitungsschildern, weil ein junges Baugebiet in Ruhe groß werden will. In der ländlichen Umgebung liegen zudem enorme Brückenteile faul herum, als würden sie sich für das nächste Schwarzbuch des Bunds der Steuerzahler bewerben. In Wahrheit schöpfen sie Kraft für die tragende Rolle, die ihnen die entstehende Bundesstraße „B67neu“ bald überträgt. Und schließlich trennen sie, die B67 neu, von der Windturbine E-147 auf der nächsten Letter Baustelle nur wenige Maisfelder.

Mit der Enercon-Turbine E-147 biegt Coesfeld auf die Zielgerade eines ereignisreichen Windenergiejahres ein, das die Stadt beim Zubau in Deutschland unter den Top drei listet. Von der Anlage ragen im jungen Herbst die ersten Stahlteile des Turms in die Höhe. Noch im Dezember soll die 5-MW-Turbine komplett errichtet sein. Parallel sprießen drei E-138, bis das Quartett im kommenden März den „Bürgerwindpark Letter Görd“ (17,6 MW) bildet. Schneller am Netz waren in diesem Jahr in Coesfeld bereits die benachbarten Parks „Flamschen“ (30 MW) und ein Rekordprojekt. 

Größte und leistungsstärksteTurbinensammlung

Denn im „Letter Bruch“ steht − Stand jetzt − sogar Nordrhein-Westfalens größte und leistungsstärkste Turbinensammlung des Jahres, wie Jürgen Quentin von der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) sagt. Die 13 Anlagen im Bruch mit einer Leistung von 52,8 MW reihen sich bundesweit direkt hinter den niedersächsischen Parks in Haren (Emsland) und Nienburg (Weser) ein, die mit 16 Anlagen auf 67,2 MW beziehungsweise mit 14 Turbinen auf 56 MW kommen.

„Platz drei in Deutschland nehme ich gerne mit“, sagt Coesfelds Bürgermeisterin Eliza Diekmann (35). Sie sei stolz darauf, wie ambitioniert die Stadt bei den Erneuerbaren unterwegs ist und dass es bei allen Bürgerwindparks gelungen sei, die Menschen zu beteiligen. Das spreche für die große Akzeptanz in der Bevölkerung. Andererseits finde sie es „erschreckend, wie untätig viele andere Regionen geblieben sind“.

Entsprechend überreicht Reiner Priggen, Vorsitzender des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE NRW), einen symbolischen Blumenstrauß an die Coesfelder „Lokalpolitik, die zu den Projekten gestanden hat und sie umsetzen wollte“. Bürgermeisterin Diekmann tut sich bei allem persönlichen Einsatz für den Klimaschutz ein wenig schwer, den Strauß in ihr Büro zu stellen. Sie ist als erste Frau und parteilose Politikerin erst seit Oktober 2020 im Amt.
 

Die drei Coesfelder Projekte

Die drei Coesfelder Projekte
Windpark Coesfeld Letter Bruch GmbH & Co. KG: 13 Siemens-Anlagen mit 52,8 MW Leistung neu am Netz. Erweiterung denkbar. Getragen durch SL Naturenergie, Emergy (Stadtwerke Coesfeld/Borken), Letter Wind GmbH (unter anderem Landwirte).
Bürgerwindpark Flamschen GmbH & Co. KG: 9 Enercon-Anlagen mit 30 MW Leistung in Betrieb, vier davon (12 MW) 2021 neu errichtet. 30-köpfiger, lokaler Gesellschafterkreis.
Bürgerwindpark Letter Görd GmbH & Co. KG: 4 Enercon-Anlagen mit 17,6 MW Leistung, Fertigstellung von Dezember 2021 bis März 2022. Ausbau möglich. Zusammenschluss von 34 örtlichen Gesellschaftern.
In Planung
Bürgerwindpark Goxel: 2 Enercon-Anlagen mit 8,4 MW. SL Naturenergie.
Windpark GmbH & Co. Coesfeld-Stevede KG: 2 Enercon-Anlagen.

Zitat: „Die Gemeinde hat klugerweise auf eine große Bürgerbeteiligung gedrungen“ Milan Nitzschke, SL Naturenergie
 

Windkraftprojekte aber brauchen hierzulande Jahre. Also halten andere Aktien am Ausbau in Coesfeld. Diekmanns Vorgänger Heinz Öhmann (CDU) zum Beispiel. Als er 2003 in der Kreisstadt erstmals Bürgermeister wurde, war Diekmann noch nicht volljährig. Öhmann trat nach 17 Jahren im Amt nicht mehr an. Ohne ihn und den parteiübergreifenden Willen aber, den Flächennutzungsplan (FNP) 2015/16 für die Windenergie zu öffnen, wäre Coesfeld noch immer Windenergieentwicklungsland.

„Die Gemeinde hat damals deutlich mehr Konzentrationszonen ausgewiesen, als nötig gewesen wären, und dabei klugerweise frühzeitig auf eine möglichst große Bürgerbeteiligung gedrungen“, sagt Milan Nitzschke, Geschäftsführer des im Letter Bruch beteiligten Projektierers SL Naturenergie. Eliza Diekmann weiß das und schließt in ihr Lob über „gutes Teamwork“ von Politik bis Planungsbüros alle ein. 

Als die FNP-Hürde endlich genommen war, kam es 2017 in NRW zum Regierungswechsel und mit dem neuen Windenergiekurs von CDU und FDP zu „Unsicherheiten“, so Priggen. Der langjährige Grünen-Politiker liegt mit CDU und FDP über Kreuz, weil sie nach lautstarken Ankündigungen schließlich in diesem Jahr strengere Abstandsregeln zur Wohnbebauung (1.000 Meter) festgelegt und den Wald quasi zur Tabuzone erklärt haben.

Dass die FDP sogar 1.500 Meter Abstand zur nächsten Siedlung durchsetzen wollte, ist für Priggen in der Rückschau eine „unsägliche Debatte, die trotz einstimmiger Beschlüsse in Coesfeld für viel Verzögerung gesorgt hat“. Hilfreich empfand auch die Bürgermeisterin die Düsseldorfer Haltung zur Windenergie nicht. 

Wer einen Windpark plant, benötigt schon ohne Irritationen aus der Politik ein gutes Nervenkostüm. Die Genehmigungsprozesse sind lang, die Investitionen immens. „Jetzt, wo der Turm der E-147 in die Höhe wächst, kann ich besser schlafen“, sagt Bruno Wissing. Er bildet mit Hans-Dieter Logermann, Christoph Rawert und Paul Telger die Geschäftsführung des „Bäuerlichen Bürgerwindparks Letter Görd“, dessen Idee über ein Jahrzehnt zurückreicht. Alle sind von Haus aus Landwirte, zwei bewirtschaften noch heute ihre Höfe.

20 Mio. Euro Gesamtinvestitionen in den Park können bei Privatleuten Schwindelgefühle hervorrufen. Es trug enorm zur Beruhigung bei, dass unter den Hof- und Grundstückseigentümern in Lette „kein Windhundrennen“ entstand, so Christoph Rawert. Er meint einen von Neid getriebenen Wettstreit um die Standorte der Windturbinen und den Löwenanteil an Pachtzahlungen.

Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten waren entscheidend

Coesfeld hat durch große Transparenz und umfassende Beteiligungsmöglichkeiten ein Hauen und Stechen um die größten Stücke vom Erneuerbaren-Kuchen verhindern können. „Mir war klar“, sagt Bruno Wissing, „dass wir Windparks von dieser Größe nur gemeinsam und mit Fairness verwirklichen können.“ Wessen Grundstück in der Nähe einer Windturbine liegt, den behandelten die Initiatoren von Beginn an, als stünde die Anlage auch auf dessen Fläche.

So wuchs der Gesellschafterkreis beim Letter Görd auf 34 Menschen, die das Projekt zu ihrem machten. Wenn nun in Kürze Beteiligungsangebote an die örtliche Bevölkerung ergehen, denkt die Gesellschaft wiederum nicht in Ortsgrenzen. Ihr Geld dürfen auch Interessierte aus der Gemeinde Reken einbringen, die bereits zum Nachbarkreis Borken gehört.

Dieses Grenzübergreifende kommt nicht von ungefähr, beim Energieunternehmen Emergy ist es sogar Teil der DNA. Im Stadtwerkeverbund arbeiten Borken und Coesfeld zusammen, über Emergy halten die beiden Kommunen zusammen 25 % der Anteile am Letter Bruch.

Emergy-Geschäftsführer Ron Keßeler ist ähnlich kurz wie Eliza Diekmann im Amt, aber lange genug, um die Klimaschutzanstrengungen vor Ort als „pragmatisch, zukunftsweisend und erfolgreich“ einordnen zu können. Für Keßeler ragt Coesfeld in Sachen Windenergie heraus, „weil es sich hier um eine Mittelstadt mit industriellen Verbrauchern und Dienstleistungsunternehmen“ handele. Viele Münsterland-Kommunen haben Windkraft früher forciert, etwa im Kreis Steinfurt. Dort fehlten aber oft große Stromabnehmer, sodass einige Kommunen einen Überschuss an erzeugter Ökoenergie bilanzierten, so Keßeler. 

Ein weiteres Viertel des größten Coesfelder Windparks teilen sich Landwirte und Grundstückseigentümer, die Hälfte des Letter Bruchs schultert SL Naturenergie. Der Gladbecker Projektentwickler ist der einzige externe Akteur, der am Coesfelder Aufwind beteiligt ist − abgesehen von der BBWind aus Münster, die im Letter Görd als Planungsdienstleister eingebunden ist. SL Naturenergie hat allerdings wohlweislich 400 Bürgerinnen und Bürgern mit ihren Einlagen ins Boot geholt.

„Wer die Energiewende erfolgreich umsetzen will, muss möglichst viel Wertschöpfung vor Ort belassen“, sagt Geschäftsführer Milan Nitzschke. Mehr Teilhabe als in Coesfeld sei kaum möglich. Er zählt auf: Am Letter Bruch seien Landwirte und Stadtwerke beteiligt, die Bevölkerung erhalte hohe Renditen auf ihre Beteiligung, es gebe ein Regionalstromzertifikat und Überschüsse wanderten zudem in eine Bürgerstiftung. Damit bleibt zugleich weniger in den Kassen überregionaler Projektierer. Die Lektion, dass eine breite Akzeptanz über Bürgerbeteiligung wichtiger sei, „muss die Branche insgesamt noch besser lernen“, sagt Nitzschke.

 
Das Foto zur Eröffnung des Bürgerwindparks Letter Bruch in Coesfeld mit Bürgermeisterin Eliza Diekmann
Quelle: SL Naturenergie GmbH


Nicht umsonst beschränkt Oliver Keßler sich beim Bürgerwindpark Flamschen auf die Rolle als einer von drei Geschäftsführern. Als Chef der WI Windinvest GmbH aus Billerbeck wäre auch eine Rolle als Projektplaner denkbar gewesen. Bedeutsamer erschien es ihm als „Kämpfer für die Energiewende“, frühzeitig in der Bauerschaft für ein solidarisches Miteinander zu werben. Das heißt für ihn in der Konsequenz: „Als Grundeigentümer profitiere ich mehr von der Windenergie, wenn ich selbst tätig werde und meine Flächen nicht einfach an die Meistbietenden verpachte.“ So legte ein Gesellschafterkollektiv aus 30 Anwohnerinnen und Grundstückseigentümern schon 2012 den Grundstein für den Windpark.

Keßler sieht Coesfeld gerade wegen der Strategie der Kommunalpolitik, früh auf Eigentümergemeinschaften zu setzen und so einen Wettbewerb externer Planungsbüros zu verhindern, heute als „Hochburg des Bürgerwinds“. Auf Kooperation setzen letztlich auch die Windparks: Flamschen und Letter Görd teilen sich ein Umspannwerk.

Keine Klagen, hohe Akzeptanz, große Beteiligung

Kaum Widerspruch, keine Klagen, hohe Akzeptanz, große Beteiligung. Wahr ist indes auch, dass die Windenergie in Coesfeld lange nicht einmal die zweite Geige spielte. Nur weil der Park Flamschen fünf − von heute neun − Anlagen mit 18 MW schon 2020 in Betrieb nahm, kam die Stadt im vergangenen Jahr überhaupt auf insgesamt 30 MW. Heute, sagt Emergy-Geschäftsführer Ron Keßeler, habe er bereits Windstrom aus 130 MW Kapazität im Netz. Damit habe der Windenergieausbau Coesfeld zur 100-Prozent-Kommune gemacht, die rechnerisch mehr erneuerbaren Strom erzeugt, als die Stadt verbraucht. 

Dass bald knapp drei Dutzend Windkraftanlagen weitgehend geräuschlos ihren Dienst in Coesfeld verrichten, liegt auch daran, dass der Süden weitgehend unbewohnt ist. Der Park Flamschen etwa rankt sich um ein Gewerbegebiet, das früher ein Bundeswehrstandort war. Doch der Boom ist wie die verfügbaren Flächen endlich. Letter Bruch und Görd haben noch Ausbaupotenzial, in der Bauerschaft Stevede sind zwei Anlagen in Planung, ähnlich viele im Ortsteil Goxel, der allerdings dichter besiedelt ist.

Bürgermeisterin Eliza Diekmann hofft dennoch, „auf der Welle weiterschwimmen“ zu können. Beim Strom als Kommune bilanziell autark zu sein, sei das eine, weitere Sektoren mit Ökoenergien zu versorgen, das andere. So setzt Diekmann nicht nur auf Windkraft, sondern hat neben mehr Solarenergie auch eine weitere Biogasanlage auf ihrem Wunschzettel. Auch die Wasserstoffproduktion sei ein Zukunftsfeld. Von der neuen Bundesregierung erwarten sich alle Beteiligten Rückenwind und mehr Flexibilität, damit Energieprojekte wie die Bürgerwindparks keine zehn Jahre mehr bis zur Realisierung benötigen. 

Donnerstag, 18.11.2021, 10:52 Uhr
Volker Stephan
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Windenergiestadt Coesfeld
Quelle: Pixabay / Holger Schuea
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe
Windenergiestadt Coesfeld
In der Stadt in Nordrhein-Westfalen stehen bald drei Windparks mit einer Leistung von 100 MW von unterschiedlichen Betreibern. Warum in Coesfeld die Energiewende gelingt.
Kräne, Lastwagen, Baumaschinen. Wer sich Coesfeld von Südosten nähert, auf den wirkt die Stadt im Westmünsterland wie die Kulisse für „Bob der Baumeister, Der Film“. Der Ortsteil Lette begrüßt Ankommende mit Umleitungsschildern, weil ein junges Baugebiet in Ruhe groß werden will. In der ländlichen Umgebung liegen zudem enorme Brückenteile faul herum, als würden sie sich für das nächste Schwarzbuch des Bunds der Steuerzahler bewerben. In Wahrheit schöpfen sie Kraft für die tragende Rolle, die ihnen die entstehende Bundesstraße „B67neu“ bald überträgt. Und schließlich trennen sie, die B67 neu, von der Windturbine E-147 auf der nächsten Letter Baustelle nur wenige Maisfelder.

Mit der Enercon-Turbine E-147 biegt Coesfeld auf die Zielgerade eines ereignisreichen Windenergiejahres ein, das die Stadt beim Zubau in Deutschland unter den Top drei listet. Von der Anlage ragen im jungen Herbst die ersten Stahlteile des Turms in die Höhe. Noch im Dezember soll die 5-MW-Turbine komplett errichtet sein. Parallel sprießen drei E-138, bis das Quartett im kommenden März den „Bürgerwindpark Letter Görd“ (17,6 MW) bildet. Schneller am Netz waren in diesem Jahr in Coesfeld bereits die benachbarten Parks „Flamschen“ (30 MW) und ein Rekordprojekt. 

Größte und leistungsstärksteTurbinensammlung

Denn im „Letter Bruch“ steht − Stand jetzt − sogar Nordrhein-Westfalens größte und leistungsstärkste Turbinensammlung des Jahres, wie Jürgen Quentin von der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) sagt. Die 13 Anlagen im Bruch mit einer Leistung von 52,8 MW reihen sich bundesweit direkt hinter den niedersächsischen Parks in Haren (Emsland) und Nienburg (Weser) ein, die mit 16 Anlagen auf 67,2 MW beziehungsweise mit 14 Turbinen auf 56 MW kommen.

„Platz drei in Deutschland nehme ich gerne mit“, sagt Coesfelds Bürgermeisterin Eliza Diekmann (35). Sie sei stolz darauf, wie ambitioniert die Stadt bei den Erneuerbaren unterwegs ist und dass es bei allen Bürgerwindparks gelungen sei, die Menschen zu beteiligen. Das spreche für die große Akzeptanz in der Bevölkerung. Andererseits finde sie es „erschreckend, wie untätig viele andere Regionen geblieben sind“.

Entsprechend überreicht Reiner Priggen, Vorsitzender des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE NRW), einen symbolischen Blumenstrauß an die Coesfelder „Lokalpolitik, die zu den Projekten gestanden hat und sie umsetzen wollte“. Bürgermeisterin Diekmann tut sich bei allem persönlichen Einsatz für den Klimaschutz ein wenig schwer, den Strauß in ihr Büro zu stellen. Sie ist als erste Frau und parteilose Politikerin erst seit Oktober 2020 im Amt.
 

Die drei Coesfelder Projekte

Die drei Coesfelder Projekte
Windpark Coesfeld Letter Bruch GmbH & Co. KG: 13 Siemens-Anlagen mit 52,8 MW Leistung neu am Netz. Erweiterung denkbar. Getragen durch SL Naturenergie, Emergy (Stadtwerke Coesfeld/Borken), Letter Wind GmbH (unter anderem Landwirte).
Bürgerwindpark Flamschen GmbH & Co. KG: 9 Enercon-Anlagen mit 30 MW Leistung in Betrieb, vier davon (12 MW) 2021 neu errichtet. 30-köpfiger, lokaler Gesellschafterkreis.
Bürgerwindpark Letter Görd GmbH & Co. KG: 4 Enercon-Anlagen mit 17,6 MW Leistung, Fertigstellung von Dezember 2021 bis März 2022. Ausbau möglich. Zusammenschluss von 34 örtlichen Gesellschaftern.
In Planung
Bürgerwindpark Goxel: 2 Enercon-Anlagen mit 8,4 MW. SL Naturenergie.
Windpark GmbH & Co. Coesfeld-Stevede KG: 2 Enercon-Anlagen.

Zitat: „Die Gemeinde hat klugerweise auf eine große Bürgerbeteiligung gedrungen“ Milan Nitzschke, SL Naturenergie
 

Windkraftprojekte aber brauchen hierzulande Jahre. Also halten andere Aktien am Ausbau in Coesfeld. Diekmanns Vorgänger Heinz Öhmann (CDU) zum Beispiel. Als er 2003 in der Kreisstadt erstmals Bürgermeister wurde, war Diekmann noch nicht volljährig. Öhmann trat nach 17 Jahren im Amt nicht mehr an. Ohne ihn und den parteiübergreifenden Willen aber, den Flächennutzungsplan (FNP) 2015/16 für die Windenergie zu öffnen, wäre Coesfeld noch immer Windenergieentwicklungsland.

„Die Gemeinde hat damals deutlich mehr Konzentrationszonen ausgewiesen, als nötig gewesen wären, und dabei klugerweise frühzeitig auf eine möglichst große Bürgerbeteiligung gedrungen“, sagt Milan Nitzschke, Geschäftsführer des im Letter Bruch beteiligten Projektierers SL Naturenergie. Eliza Diekmann weiß das und schließt in ihr Lob über „gutes Teamwork“ von Politik bis Planungsbüros alle ein. 

Als die FNP-Hürde endlich genommen war, kam es 2017 in NRW zum Regierungswechsel und mit dem neuen Windenergiekurs von CDU und FDP zu „Unsicherheiten“, so Priggen. Der langjährige Grünen-Politiker liegt mit CDU und FDP über Kreuz, weil sie nach lautstarken Ankündigungen schließlich in diesem Jahr strengere Abstandsregeln zur Wohnbebauung (1.000 Meter) festgelegt und den Wald quasi zur Tabuzone erklärt haben.

Dass die FDP sogar 1.500 Meter Abstand zur nächsten Siedlung durchsetzen wollte, ist für Priggen in der Rückschau eine „unsägliche Debatte, die trotz einstimmiger Beschlüsse in Coesfeld für viel Verzögerung gesorgt hat“. Hilfreich empfand auch die Bürgermeisterin die Düsseldorfer Haltung zur Windenergie nicht. 

Wer einen Windpark plant, benötigt schon ohne Irritationen aus der Politik ein gutes Nervenkostüm. Die Genehmigungsprozesse sind lang, die Investitionen immens. „Jetzt, wo der Turm der E-147 in die Höhe wächst, kann ich besser schlafen“, sagt Bruno Wissing. Er bildet mit Hans-Dieter Logermann, Christoph Rawert und Paul Telger die Geschäftsführung des „Bäuerlichen Bürgerwindparks Letter Görd“, dessen Idee über ein Jahrzehnt zurückreicht. Alle sind von Haus aus Landwirte, zwei bewirtschaften noch heute ihre Höfe.

20 Mio. Euro Gesamtinvestitionen in den Park können bei Privatleuten Schwindelgefühle hervorrufen. Es trug enorm zur Beruhigung bei, dass unter den Hof- und Grundstückseigentümern in Lette „kein Windhundrennen“ entstand, so Christoph Rawert. Er meint einen von Neid getriebenen Wettstreit um die Standorte der Windturbinen und den Löwenanteil an Pachtzahlungen.

Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten waren entscheidend

Coesfeld hat durch große Transparenz und umfassende Beteiligungsmöglichkeiten ein Hauen und Stechen um die größten Stücke vom Erneuerbaren-Kuchen verhindern können. „Mir war klar“, sagt Bruno Wissing, „dass wir Windparks von dieser Größe nur gemeinsam und mit Fairness verwirklichen können.“ Wessen Grundstück in der Nähe einer Windturbine liegt, den behandelten die Initiatoren von Beginn an, als stünde die Anlage auch auf dessen Fläche.

So wuchs der Gesellschafterkreis beim Letter Görd auf 34 Menschen, die das Projekt zu ihrem machten. Wenn nun in Kürze Beteiligungsangebote an die örtliche Bevölkerung ergehen, denkt die Gesellschaft wiederum nicht in Ortsgrenzen. Ihr Geld dürfen auch Interessierte aus der Gemeinde Reken einbringen, die bereits zum Nachbarkreis Borken gehört.

Dieses Grenzübergreifende kommt nicht von ungefähr, beim Energieunternehmen Emergy ist es sogar Teil der DNA. Im Stadtwerkeverbund arbeiten Borken und Coesfeld zusammen, über Emergy halten die beiden Kommunen zusammen 25 % der Anteile am Letter Bruch.

Emergy-Geschäftsführer Ron Keßeler ist ähnlich kurz wie Eliza Diekmann im Amt, aber lange genug, um die Klimaschutzanstrengungen vor Ort als „pragmatisch, zukunftsweisend und erfolgreich“ einordnen zu können. Für Keßeler ragt Coesfeld in Sachen Windenergie heraus, „weil es sich hier um eine Mittelstadt mit industriellen Verbrauchern und Dienstleistungsunternehmen“ handele. Viele Münsterland-Kommunen haben Windkraft früher forciert, etwa im Kreis Steinfurt. Dort fehlten aber oft große Stromabnehmer, sodass einige Kommunen einen Überschuss an erzeugter Ökoenergie bilanzierten, so Keßeler. 

Ein weiteres Viertel des größten Coesfelder Windparks teilen sich Landwirte und Grundstückseigentümer, die Hälfte des Letter Bruchs schultert SL Naturenergie. Der Gladbecker Projektentwickler ist der einzige externe Akteur, der am Coesfelder Aufwind beteiligt ist − abgesehen von der BBWind aus Münster, die im Letter Görd als Planungsdienstleister eingebunden ist. SL Naturenergie hat allerdings wohlweislich 400 Bürgerinnen und Bürgern mit ihren Einlagen ins Boot geholt.

„Wer die Energiewende erfolgreich umsetzen will, muss möglichst viel Wertschöpfung vor Ort belassen“, sagt Geschäftsführer Milan Nitzschke. Mehr Teilhabe als in Coesfeld sei kaum möglich. Er zählt auf: Am Letter Bruch seien Landwirte und Stadtwerke beteiligt, die Bevölkerung erhalte hohe Renditen auf ihre Beteiligung, es gebe ein Regionalstromzertifikat und Überschüsse wanderten zudem in eine Bürgerstiftung. Damit bleibt zugleich weniger in den Kassen überregionaler Projektierer. Die Lektion, dass eine breite Akzeptanz über Bürgerbeteiligung wichtiger sei, „muss die Branche insgesamt noch besser lernen“, sagt Nitzschke.

 
Das Foto zur Eröffnung des Bürgerwindparks Letter Bruch in Coesfeld mit Bürgermeisterin Eliza Diekmann
Quelle: SL Naturenergie GmbH


Nicht umsonst beschränkt Oliver Keßler sich beim Bürgerwindpark Flamschen auf die Rolle als einer von drei Geschäftsführern. Als Chef der WI Windinvest GmbH aus Billerbeck wäre auch eine Rolle als Projektplaner denkbar gewesen. Bedeutsamer erschien es ihm als „Kämpfer für die Energiewende“, frühzeitig in der Bauerschaft für ein solidarisches Miteinander zu werben. Das heißt für ihn in der Konsequenz: „Als Grundeigentümer profitiere ich mehr von der Windenergie, wenn ich selbst tätig werde und meine Flächen nicht einfach an die Meistbietenden verpachte.“ So legte ein Gesellschafterkollektiv aus 30 Anwohnerinnen und Grundstückseigentümern schon 2012 den Grundstein für den Windpark.

Keßler sieht Coesfeld gerade wegen der Strategie der Kommunalpolitik, früh auf Eigentümergemeinschaften zu setzen und so einen Wettbewerb externer Planungsbüros zu verhindern, heute als „Hochburg des Bürgerwinds“. Auf Kooperation setzen letztlich auch die Windparks: Flamschen und Letter Görd teilen sich ein Umspannwerk.

Keine Klagen, hohe Akzeptanz, große Beteiligung

Kaum Widerspruch, keine Klagen, hohe Akzeptanz, große Beteiligung. Wahr ist indes auch, dass die Windenergie in Coesfeld lange nicht einmal die zweite Geige spielte. Nur weil der Park Flamschen fünf − von heute neun − Anlagen mit 18 MW schon 2020 in Betrieb nahm, kam die Stadt im vergangenen Jahr überhaupt auf insgesamt 30 MW. Heute, sagt Emergy-Geschäftsführer Ron Keßeler, habe er bereits Windstrom aus 130 MW Kapazität im Netz. Damit habe der Windenergieausbau Coesfeld zur 100-Prozent-Kommune gemacht, die rechnerisch mehr erneuerbaren Strom erzeugt, als die Stadt verbraucht. 

Dass bald knapp drei Dutzend Windkraftanlagen weitgehend geräuschlos ihren Dienst in Coesfeld verrichten, liegt auch daran, dass der Süden weitgehend unbewohnt ist. Der Park Flamschen etwa rankt sich um ein Gewerbegebiet, das früher ein Bundeswehrstandort war. Doch der Boom ist wie die verfügbaren Flächen endlich. Letter Bruch und Görd haben noch Ausbaupotenzial, in der Bauerschaft Stevede sind zwei Anlagen in Planung, ähnlich viele im Ortsteil Goxel, der allerdings dichter besiedelt ist.

Bürgermeisterin Eliza Diekmann hofft dennoch, „auf der Welle weiterschwimmen“ zu können. Beim Strom als Kommune bilanziell autark zu sein, sei das eine, weitere Sektoren mit Ökoenergien zu versorgen, das andere. So setzt Diekmann nicht nur auf Windkraft, sondern hat neben mehr Solarenergie auch eine weitere Biogasanlage auf ihrem Wunschzettel. Auch die Wasserstoffproduktion sei ein Zukunftsfeld. Von der neuen Bundesregierung erwarten sich alle Beteiligten Rückenwind und mehr Flexibilität, damit Energieprojekte wie die Bürgerwindparks keine zehn Jahre mehr bis zur Realisierung benötigen. 

Donnerstag, 18.11.2021, 10:52 Uhr
Volker Stephan

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