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Energie & Management > Aus Der Zeitung - Wer will noch in die Netze investieren?
Quelle: E&M
Aus Der Zeitung

Wer will noch in die Netze investieren?

Die Energiewende braucht einen ungekannten Stromnetzausbau und einen Umbau sowie teilweisen Rückbau des Gasnetzes. Gleichzeitig verändern sich gerade die Refinanzierungsbedingungen.
Ein immenser zusätzlicher Kapitalbedarf rollt auf die Netze zu. Ein beschleunigter Windstromzubau muss vom Erzeugungsschwerpunkt in Norddeutschland zu den Großverbrauchern im Süden abtransportiert werden, und der COO des Übertragungsnetzbetreibers (ÜNB) Tennet, Tim Meyerjürgens, betonte beim Baustart für eine dieser Stromautobahnen, Südlink, an der Unterelbe im September, dies gelte in 1.000 Stunden des Jahres auch in die umgekehrte Richtung: überschüssiger süddeutscher Solarstrom Richtung Norden.

Die Südlink soll jetzt, bis sie 2028 angeblich fertig ist, 10 Milliarden Euro kosten. Ursprünglich waren 3 Milliarden angesetzt, dann setzte die CSU die Erdverkabelung durch, die Planung ging von vorne los und auch die Verspätung von mittlerweile fünf Jahren treibt die Kosten.
 
Von 3 auf vorläufig 10 Milliarden Euro: die Stromautobahn Südlink, hier der offizielle Baustart des Schachtbauwerks für die Elbquerung im September mit (v.r.) Robert Habeck (Vizekanzler), Tim Meyerjürgens (COO Tennet), Joschka Knuth (Staatssekretär Energiewendeministerium Schleswig-Holstein), Christian Meyer (Umweltminister Niedersachsen)
Quelle: E&M/Georg Eble

Der zweite Entwurf des Netzentwicklungsplans (NEP) Strom 2037/2045, nach dem das Klimaneutralitätsnetz gebaut werden soll und der seit September konsultiert wird, geht allein beim Höchstspannungsnetz an Land in drei Szenarien von einem Investitionsbedarf von gut 106 Milliarden Euro in neue und verstärkte Leitungen aus.

Das sind schon knapp 13 Milliarden Euro mehr als im ersten Entwurf, weil sich in dem halben Jahr seither nach Ansicht der ÜNB und der Netzagentur unter anderem ein zusätzlicher Bedarf an Trafos und Umspannwerken zwischen Verteil- und Übertragungsnetz und höhere Projektkosten ergeben haben. „Dieser Netzentwicklungsplan zeigt erstmals, welches Stromnetz wir brauchen, um die Energiewende zu vollenden“, mit diesen Worten machte sich Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, den von den ÜNB ermittelten Ausbau- und Investitionsbedarf zu eigen.

Tennet hat kürzlich Offshore-Konverterstationen für Deutschland und Holland im Volumen von 40 Milliarden Euro bestellt. Insgesamt fehlen laut NEP noch 34 deutsche Offshore-Anbindungssysteme, um 2045 den Endausbau von 70.000 MW (zum Vergleich: heute 8.400 MW) elektrisch abzuleiten.

Gleichzeitig werden nach Angaben des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) 95 Prozent der Erneuerbaren-Anlagen an die Verteilnetze angeschlossen und Wärmepumpen und E-Autos erzwingen einen weiteren Ausbau. Allein die Teag Thüringer Energie AG rechnet mit 2 Milliarden Euro bis 2030.

Umgekehrt soll im deutschen Gasnetz 2045 so gut wie kein fossiles Erdgas mehr strömen. Weite Teile sollen auf Wasserstoff umgerüstet und bis zu einem Drittel rückgebaut werden. Vorher muss die Infrastruktur an die neuen LNG-Importe angepasst werden.

Der Investitionsbedarf ins Netz ist hierzulande so hoch, dass die holländische Regierung offenbar die Freude am deutschen Versorgungsgebiet des ÜNB Tennet verloren hat und die Bundesrepublik öffentlich dazu gedrängt wird, ihn zu übernehmen. Die Energie Baden-Württemberg wiederum will in ihre ÜNB-Tochter Transnet BW aus ähnlichen Gründen einen 49-Prozent-Aktionär hineinholen.
Der Bund hat allen vier deutschen ÜNB, bislang einmalig, einen Zuschuss von 12,84 Milliarden Euro gegeben, damit die Übertragungsnetzentgelte 2023 stabil blieben. Dies hätten sonst die Stromverbraucher als unsichtbaren Teil der Netzentgelte gezahlt.

Ob die Regulatorik zur Dynamik passt

So sähe es die Anreizregulierung der Strom- und Gasnetze vor, die vor fast 15 Jahren scharfschaltete: Die Netzbetreiber schlagen im Wesentlichen als effizient anerkannte Investitionen und Netzbetriebskosten auf die Netzentgelte um − zuzüglich verschiedener Kapitalkostenaufschläge.

Aber passt die überkommene Regulatorik, zu der die Netzagentur bis Jahresende erneut einen Evaluierungsbericht an die Politik abgeben muss, noch zur Ausbau- und Kostendynamik im Zusammenhang mit der Energiewende? „Nein“, sagt auf Anfrage von E&M der VKU als einer der Verbände, die die Verteilnetzbetreiber (VNB) vertreten; insgesamt sind es etwa 900 VNB bei Strom und 750 bei Gas: „Die bisherige Anreizregulierung hat den Gründungsmythos des ‚eingeschwungenen‘ Zustands der Netze, eines stabilen Netzbetriebs. Sie schreibt Kosten eines bis zu acht Jahre zurückliegenden Basisjahres fort.“ Die Stadtwerkelobby setzte dem „eingeschwungenen Zustand“ im März ein Positionspapier mit dem Titel „Vorausschauender Netzausbau“ entgegen.

Hickhack um Eigenkapitalzinssatz

Da ist zum Beispiel der kalkulatorische Eigenkapitalzinssatz als eine regulatorisch zugelassene Gewinnquelle der Netzbetreiber bei Investitionen in notwendige Netzanlagen. Wenn die Netzbetreiber ihr Eigenkapital investieren, erwarten sie wie jedes Unternehmen eine prozentuale Rendite daraus. Das Problem: Es gibt im Gegensatz zu Fremdkapitalzinsen für Eigenkapitalzinsen keinen Marktpreis. Und die Ansichten darüber, welche Renditeerwartungen aus welchen nationalen oder internationalen Branchen herangezogen werden sollen, gehen naturgemäß mit den Interessen auseinander: Der VKU und andere Verbände der Netzwirtschaft verteidigen traditionell hohe Zinssätze, der netzunabhängige Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) oder Verbraucherschützer fordern zur Dämpfung der Netzentgelte tendenziell möglichst niedrige Sätze.

Die Bundesnetzagentur muss also entscheiden. Für die ablaufende dritte Regulierungsperiode, die bei Gas Anfang des Jahres endete und bei Strom Ende des Jahres enden wird, hatte sie den Eigenkapital (EK)-Zinssatz noch auf 6,91 Prozent festgelegt. Das bedeutet: Netzbetreiber durften auf 40 Prozent ihrer anerkannten Investitionskosten in Anlagen zu jeweiligen Restbuchwerten 6,91 Prozent aufschlagen. Nur auf 40 Prozent der Zinskosten deswegen, weil die Anreizregulierungsverordnung hier einen Deckel eingezogen hat. Eine rein kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung ist für die Netzbetreiber attraktiver und für die Netznutzer teurer als das bloße Durchreichen der anderen tatsächlich anfallenden Zinskosten, nämlich jener für Fremdkapital, an die Netznutzer.

Für die vierte Regulierungsperiode, die bei Gas schon begonnen hat, hatte die Netzagentur den EK-Zinssatz bereits 2021 um ein Viertel auf 5,07 Prozent gesenkt. Dagegen klagten Hunderte Netzbetreiber erfolgreich vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Es urteilte im August, die Netzagentur habe den neuen EK-Zinssatz im sogenannten Kapitalkostenaufschlag und -abzug „nicht ordentlich ermittelt“. Das Gericht bemängelte, dass die Behörde eine Variable ihrer Berechnungen zu dünn abgesichert habe.

Der VKU kommt über den Sieg der Netzwirtschaft kaum ins Jubeln: „Leider gingen solche Verfahren in der Vergangenheit in der nächsten Instanz beim Bundesgerichtshof negativ aus“, teilt ein Sprecher mit. Dem Vernehmen nach räumt der BGH dem Regulierer einen maximalen Ermessensspielraum ein, solange die Berechnungsmethode nicht willkürlich ist.

Im Juni, also vor ihrer Niederlage in Düsseldorf, hatte die Netzagentur für Anlagen, die von 2024 an als „im Bau“ oder „in Betrieb“ in der Geschäftsbilanz aktiviert werden, eine neue Berechnung des EK-Zinssatzes zur Diskussion gestellt. Sie reagierte damit auf Basis einer gesetzgeberischen Ausnahmeregelung von Ende 2022 nicht nur auf den höheren Bedarf, Geld in die Hand zu nehmen, sondern auch auf das Ende der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die sich 2022 abgezeichnet hatte.

Nach den Vorstellungen der Beschlusskammer 4 gilt für den Antrag auf Kapitalkostenaufschlag (KKAuf), der jährlich bis zum 30. Juni für Anlageninvestitionen des Folgejahres zu stellen ist, nicht mehr der Zehn-Jahresdurchschnitt der Umlaufrenditen als Ausgangsbasis, sondern jener des ersten Quartals des Jahres, in dem der KKAuf-Antrag gestellt wird. Auf diese Weise sollen die Nullzinsen der Vergangenheit nicht mehr mitgeschleppt werden. Umlaufrenditen sind der gewichtete Durchschnitt der tatsächlichen Zinsen auf öffentliche und Unternehmensanleihen, die länger als vier Jahre laufen. Damit ändert sich der EK-Zinssatz auf Neuanlagen jedes Jahr, während er bei Altanlagen innerhalb der fünfjährigen Regulierungsperiode gleich bleibt − und wie erwähnt erst einmal gerichtlich angefochten ist.

Der BNE fordert, den langfristigen Zinsdurchschnitt beizubehalten. Dies sei auch in der Vergangenheit so gewesen, als sich das Zinsniveau damals zugunsten der Netzbetreiber gedreht habe, so Arndt Börkey, Leiter Strom und Regulierung. Die Netzagentur habe nicht belegt, dass ein Mangel an Eigenkapital fürs Netz an diesem kalkulatorischen EK-Zinssatz liege. Sie habe zudem unnötigerweise die Gasnetze einbezogen, auf die nur noch geringe Investitionen zukämen.

Dagegen argumentiert ein Sprecher des VKU gegenüber E&M: „Eine Erhöhung des EK-Zinssatzes um einen Punkt kann die Netznutzungsentgelte höchstens im niedrigen Nachkommastellen-Cent-Bereich pro kWh erhöhen.“ Ein großer Verteilnetzbetreiber, dessen Name der Redaktion bekannt ist, nannte unabhängig davon in einem Hintergrundgespräch eine Erhöhung von lediglich 0,11 Cent/kWh bei einem um zwei Basispunkte höheren EK-Zinssatz.

Zinswende auch bei Fremdkapital

Beim Fremdkapitalzinssatz auf Neuanlageninvestitionen, der regulatorisch 60 Prozent der kalkulatorischen Zinsen ausmacht, hat die Beschlusskammer 4 die Zinswende im August vollzogen: Bei Gasnetzen soll auch da statt Zehn-Jahresdurchschnitten der Schnitt des ersten Quartals im Antragsjahr gelten. Es werden hier die Zeitreihen der Bundesbank für Umlaufrenditen von Unternehmensanleihen (keine öffentlichen Anleihen) und für Kreditzinsen an nicht im Finanzsektor tätige Kapitalgesellschaften über 1 Million Euro anteilig herangezogen.

VKU und Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft stören sich daran, dass die Festlegung ebenfalls nur für Anlagen gilt, die von 2024 an fertiggestellt werden. Sie hatten den Einbezug von 2022 und 2023 und andere, für die Netzwirtschaft attraktivere Statistikbezüge gefordert, so etwa die Kreditzinsen unter 1 Million Euro. Dem folgte die Netzagentur nicht. Sie argumentierte, das Verteilnetz werde von wenigen großen Betreibern dominiert, die weit höhere Kredite in Anspruch nehmen. Die Festlegung für die neuen Stromnetze stand zu Redaktionsschluss noch aus.

Donnerstag, 12.10.2023, 09:10 Uhr
Georg Eble
Energie & Management > Aus Der Zeitung - Wer will noch in die Netze investieren?
Quelle: E&M
Aus Der Zeitung
Wer will noch in die Netze investieren?
Die Energiewende braucht einen ungekannten Stromnetzausbau und einen Umbau sowie teilweisen Rückbau des Gasnetzes. Gleichzeitig verändern sich gerade die Refinanzierungsbedingungen.
Ein immenser zusätzlicher Kapitalbedarf rollt auf die Netze zu. Ein beschleunigter Windstromzubau muss vom Erzeugungsschwerpunkt in Norddeutschland zu den Großverbrauchern im Süden abtransportiert werden, und der COO des Übertragungsnetzbetreibers (ÜNB) Tennet, Tim Meyerjürgens, betonte beim Baustart für eine dieser Stromautobahnen, Südlink, an der Unterelbe im September, dies gelte in 1.000 Stunden des Jahres auch in die umgekehrte Richtung: überschüssiger süddeutscher Solarstrom Richtung Norden.

Die Südlink soll jetzt, bis sie 2028 angeblich fertig ist, 10 Milliarden Euro kosten. Ursprünglich waren 3 Milliarden angesetzt, dann setzte die CSU die Erdverkabelung durch, die Planung ging von vorne los und auch die Verspätung von mittlerweile fünf Jahren treibt die Kosten.
 
Von 3 auf vorläufig 10 Milliarden Euro: die Stromautobahn Südlink, hier der offizielle Baustart des Schachtbauwerks für die Elbquerung im September mit (v.r.) Robert Habeck (Vizekanzler), Tim Meyerjürgens (COO Tennet), Joschka Knuth (Staatssekretär Energiewendeministerium Schleswig-Holstein), Christian Meyer (Umweltminister Niedersachsen)
Quelle: E&M/Georg Eble

Der zweite Entwurf des Netzentwicklungsplans (NEP) Strom 2037/2045, nach dem das Klimaneutralitätsnetz gebaut werden soll und der seit September konsultiert wird, geht allein beim Höchstspannungsnetz an Land in drei Szenarien von einem Investitionsbedarf von gut 106 Milliarden Euro in neue und verstärkte Leitungen aus.

Das sind schon knapp 13 Milliarden Euro mehr als im ersten Entwurf, weil sich in dem halben Jahr seither nach Ansicht der ÜNB und der Netzagentur unter anderem ein zusätzlicher Bedarf an Trafos und Umspannwerken zwischen Verteil- und Übertragungsnetz und höhere Projektkosten ergeben haben. „Dieser Netzentwicklungsplan zeigt erstmals, welches Stromnetz wir brauchen, um die Energiewende zu vollenden“, mit diesen Worten machte sich Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, den von den ÜNB ermittelten Ausbau- und Investitionsbedarf zu eigen.

Tennet hat kürzlich Offshore-Konverterstationen für Deutschland und Holland im Volumen von 40 Milliarden Euro bestellt. Insgesamt fehlen laut NEP noch 34 deutsche Offshore-Anbindungssysteme, um 2045 den Endausbau von 70.000 MW (zum Vergleich: heute 8.400 MW) elektrisch abzuleiten.

Gleichzeitig werden nach Angaben des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) 95 Prozent der Erneuerbaren-Anlagen an die Verteilnetze angeschlossen und Wärmepumpen und E-Autos erzwingen einen weiteren Ausbau. Allein die Teag Thüringer Energie AG rechnet mit 2 Milliarden Euro bis 2030.

Umgekehrt soll im deutschen Gasnetz 2045 so gut wie kein fossiles Erdgas mehr strömen. Weite Teile sollen auf Wasserstoff umgerüstet und bis zu einem Drittel rückgebaut werden. Vorher muss die Infrastruktur an die neuen LNG-Importe angepasst werden.

Der Investitionsbedarf ins Netz ist hierzulande so hoch, dass die holländische Regierung offenbar die Freude am deutschen Versorgungsgebiet des ÜNB Tennet verloren hat und die Bundesrepublik öffentlich dazu gedrängt wird, ihn zu übernehmen. Die Energie Baden-Württemberg wiederum will in ihre ÜNB-Tochter Transnet BW aus ähnlichen Gründen einen 49-Prozent-Aktionär hineinholen.
Der Bund hat allen vier deutschen ÜNB, bislang einmalig, einen Zuschuss von 12,84 Milliarden Euro gegeben, damit die Übertragungsnetzentgelte 2023 stabil blieben. Dies hätten sonst die Stromverbraucher als unsichtbaren Teil der Netzentgelte gezahlt.

Ob die Regulatorik zur Dynamik passt

So sähe es die Anreizregulierung der Strom- und Gasnetze vor, die vor fast 15 Jahren scharfschaltete: Die Netzbetreiber schlagen im Wesentlichen als effizient anerkannte Investitionen und Netzbetriebskosten auf die Netzentgelte um − zuzüglich verschiedener Kapitalkostenaufschläge.

Aber passt die überkommene Regulatorik, zu der die Netzagentur bis Jahresende erneut einen Evaluierungsbericht an die Politik abgeben muss, noch zur Ausbau- und Kostendynamik im Zusammenhang mit der Energiewende? „Nein“, sagt auf Anfrage von E&M der VKU als einer der Verbände, die die Verteilnetzbetreiber (VNB) vertreten; insgesamt sind es etwa 900 VNB bei Strom und 750 bei Gas: „Die bisherige Anreizregulierung hat den Gründungsmythos des ‚eingeschwungenen‘ Zustands der Netze, eines stabilen Netzbetriebs. Sie schreibt Kosten eines bis zu acht Jahre zurückliegenden Basisjahres fort.“ Die Stadtwerkelobby setzte dem „eingeschwungenen Zustand“ im März ein Positionspapier mit dem Titel „Vorausschauender Netzausbau“ entgegen.

Hickhack um Eigenkapitalzinssatz

Da ist zum Beispiel der kalkulatorische Eigenkapitalzinssatz als eine regulatorisch zugelassene Gewinnquelle der Netzbetreiber bei Investitionen in notwendige Netzanlagen. Wenn die Netzbetreiber ihr Eigenkapital investieren, erwarten sie wie jedes Unternehmen eine prozentuale Rendite daraus. Das Problem: Es gibt im Gegensatz zu Fremdkapitalzinsen für Eigenkapitalzinsen keinen Marktpreis. Und die Ansichten darüber, welche Renditeerwartungen aus welchen nationalen oder internationalen Branchen herangezogen werden sollen, gehen naturgemäß mit den Interessen auseinander: Der VKU und andere Verbände der Netzwirtschaft verteidigen traditionell hohe Zinssätze, der netzunabhängige Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) oder Verbraucherschützer fordern zur Dämpfung der Netzentgelte tendenziell möglichst niedrige Sätze.

Die Bundesnetzagentur muss also entscheiden. Für die ablaufende dritte Regulierungsperiode, die bei Gas Anfang des Jahres endete und bei Strom Ende des Jahres enden wird, hatte sie den Eigenkapital (EK)-Zinssatz noch auf 6,91 Prozent festgelegt. Das bedeutet: Netzbetreiber durften auf 40 Prozent ihrer anerkannten Investitionskosten in Anlagen zu jeweiligen Restbuchwerten 6,91 Prozent aufschlagen. Nur auf 40 Prozent der Zinskosten deswegen, weil die Anreizregulierungsverordnung hier einen Deckel eingezogen hat. Eine rein kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung ist für die Netzbetreiber attraktiver und für die Netznutzer teurer als das bloße Durchreichen der anderen tatsächlich anfallenden Zinskosten, nämlich jener für Fremdkapital, an die Netznutzer.

Für die vierte Regulierungsperiode, die bei Gas schon begonnen hat, hatte die Netzagentur den EK-Zinssatz bereits 2021 um ein Viertel auf 5,07 Prozent gesenkt. Dagegen klagten Hunderte Netzbetreiber erfolgreich vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Es urteilte im August, die Netzagentur habe den neuen EK-Zinssatz im sogenannten Kapitalkostenaufschlag und -abzug „nicht ordentlich ermittelt“. Das Gericht bemängelte, dass die Behörde eine Variable ihrer Berechnungen zu dünn abgesichert habe.

Der VKU kommt über den Sieg der Netzwirtschaft kaum ins Jubeln: „Leider gingen solche Verfahren in der Vergangenheit in der nächsten Instanz beim Bundesgerichtshof negativ aus“, teilt ein Sprecher mit. Dem Vernehmen nach räumt der BGH dem Regulierer einen maximalen Ermessensspielraum ein, solange die Berechnungsmethode nicht willkürlich ist.

Im Juni, also vor ihrer Niederlage in Düsseldorf, hatte die Netzagentur für Anlagen, die von 2024 an als „im Bau“ oder „in Betrieb“ in der Geschäftsbilanz aktiviert werden, eine neue Berechnung des EK-Zinssatzes zur Diskussion gestellt. Sie reagierte damit auf Basis einer gesetzgeberischen Ausnahmeregelung von Ende 2022 nicht nur auf den höheren Bedarf, Geld in die Hand zu nehmen, sondern auch auf das Ende der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die sich 2022 abgezeichnet hatte.

Nach den Vorstellungen der Beschlusskammer 4 gilt für den Antrag auf Kapitalkostenaufschlag (KKAuf), der jährlich bis zum 30. Juni für Anlageninvestitionen des Folgejahres zu stellen ist, nicht mehr der Zehn-Jahresdurchschnitt der Umlaufrenditen als Ausgangsbasis, sondern jener des ersten Quartals des Jahres, in dem der KKAuf-Antrag gestellt wird. Auf diese Weise sollen die Nullzinsen der Vergangenheit nicht mehr mitgeschleppt werden. Umlaufrenditen sind der gewichtete Durchschnitt der tatsächlichen Zinsen auf öffentliche und Unternehmensanleihen, die länger als vier Jahre laufen. Damit ändert sich der EK-Zinssatz auf Neuanlagen jedes Jahr, während er bei Altanlagen innerhalb der fünfjährigen Regulierungsperiode gleich bleibt − und wie erwähnt erst einmal gerichtlich angefochten ist.

Der BNE fordert, den langfristigen Zinsdurchschnitt beizubehalten. Dies sei auch in der Vergangenheit so gewesen, als sich das Zinsniveau damals zugunsten der Netzbetreiber gedreht habe, so Arndt Börkey, Leiter Strom und Regulierung. Die Netzagentur habe nicht belegt, dass ein Mangel an Eigenkapital fürs Netz an diesem kalkulatorischen EK-Zinssatz liege. Sie habe zudem unnötigerweise die Gasnetze einbezogen, auf die nur noch geringe Investitionen zukämen.

Dagegen argumentiert ein Sprecher des VKU gegenüber E&M: „Eine Erhöhung des EK-Zinssatzes um einen Punkt kann die Netznutzungsentgelte höchstens im niedrigen Nachkommastellen-Cent-Bereich pro kWh erhöhen.“ Ein großer Verteilnetzbetreiber, dessen Name der Redaktion bekannt ist, nannte unabhängig davon in einem Hintergrundgespräch eine Erhöhung von lediglich 0,11 Cent/kWh bei einem um zwei Basispunkte höheren EK-Zinssatz.

Zinswende auch bei Fremdkapital

Beim Fremdkapitalzinssatz auf Neuanlageninvestitionen, der regulatorisch 60 Prozent der kalkulatorischen Zinsen ausmacht, hat die Beschlusskammer 4 die Zinswende im August vollzogen: Bei Gasnetzen soll auch da statt Zehn-Jahresdurchschnitten der Schnitt des ersten Quartals im Antragsjahr gelten. Es werden hier die Zeitreihen der Bundesbank für Umlaufrenditen von Unternehmensanleihen (keine öffentlichen Anleihen) und für Kreditzinsen an nicht im Finanzsektor tätige Kapitalgesellschaften über 1 Million Euro anteilig herangezogen.

VKU und Bundesverband der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft stören sich daran, dass die Festlegung ebenfalls nur für Anlagen gilt, die von 2024 an fertiggestellt werden. Sie hatten den Einbezug von 2022 und 2023 und andere, für die Netzwirtschaft attraktivere Statistikbezüge gefordert, so etwa die Kreditzinsen unter 1 Million Euro. Dem folgte die Netzagentur nicht. Sie argumentierte, das Verteilnetz werde von wenigen großen Betreibern dominiert, die weit höhere Kredite in Anspruch nehmen. Die Festlegung für die neuen Stromnetze stand zu Redaktionsschluss noch aus.

Donnerstag, 12.10.2023, 09:10 Uhr
Georg Eble

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