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Energie & Management > Stromnetz - Wasserkraft liefert Momentanreserve wie ein Kernkraftwerk
Rotierende Schwungmasse in einem Wasserkraftwerk, Quelle: VBW
Stromnetz

Wasserkraft liefert Momentanreserve wie ein Kernkraftwerk

Nach dem Rückbau der Kern- und Kohlekraftwerke in Deutschland können Wasserkraftwerke einen substanziellen Beitrag zur Netzstabilisierung leisten, zeigt eine Studie der RWTH Aachen.
Wenn 2022 die letzten Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen, fällt im Stromversorgungssystem auch ein erhebliches Maß an Momentanreserve zur Stabilisierung der Netze bei Störungen weg. Wie eine Studie nun ergeben hat, können die Wasserkraftwerke in Deutschland eine Störung − etwa einen ungeplanten Kraftwerksausfall − von bis zu 500 MW hinsichtlich der Momentanreserve ausgleichen.

Wind- und Photovoltaikanlagen gelten als die Hauptsäulen der künftigen regenerativen Energieproduktion. Diese üblicherweise leistungselektronisch angebundenen Anlagen liefern jedoch nach derzeitigem Stand der Technik noch keine Momentanreserve. Wasserkraftwerke hingegen sind dazu in der Lage.

Stichwort: Momentanreserve

Als Momentanreserve wird die unverzögert verfügbare Leistungsreserve in einem Energieübertragungssystem bezeichnet. Sie entsteht aus der Trägheit der rotierenden Schwungmassen der Synchrongeneratoren konventioneller Kraftwerke. Kommt es im Stromnetz zu einem abrupten Lastwechsel, kann das Leistungsdefizit nicht unmittelbar durch Regelkraftwerksleistung ausgeglichen werden. Denn diese ist immer mit einer gewissen Verzögerungszeit verbunden. Daher muss, um Instabilitäten und Unterbrechungen zu verhindern, unmittelbar nach dem Störungsfall genügend kinetische Energie aus rotierenden Schwungmassen von Kraftwerken im Versorgungssystem vorhanden sein.
 

Ein Team von Prof. Albert Moser, Lehrstuhlinhaber Übertragungsnetze und Energiewirtschaft am Institut für elektrische Anlagen und Netze, Digitalisierung und Energiewirtschaft (IAEW) an der RWTH Aachen, hat nun die Momentanreserve der Wasserkraftanlagen in Deutschland ermittelt und quantifiziert. Die Berechnungen basieren auf 7.988 Wasserkraftanlagen mit insgesamt 6.280 MW Nettonennleistung, die im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur erfasst sind. Die Wissenschaftler ermittelten die gespeicherte kinetische Energie der Wasserkraftanlagen, die sich aus der Trägheitskonstante und Nennleistung der Generatoren bestimmen lässt.

Den Berechnungen zufolge ist eine kinetische Energie von rund 10.320 Megawattsekunden (MWs) in den rotierenden Massen der Wasserkraftanlagen in Deutschland gespeichert. Zum Vergleich: Das Braunkohlekraftwerk Weisweiler Block H weist eine kinetische Energie von 2.400 MWs auf, das Kernkraftwerk Isar/Ohu 2 kommt auf 8.880 MWs. Die bereitgestellte kinetische Energie der Wasserkraftanlagen entspricht damit der Momentanreserve eines Kernkraftwerks. 

Die Studie zeigt weiter, dass ein Störereignis von 462,5 MW allein durch die Momentanreserve der Wasserkraftanlagen aufgefangen werden könne. „Die deutschen Wasserkraftwerke tragen in dieser Höhe auch zur Beherrschung von größeren Leistungsdefiziten, etwa Netzauftrennungen, bei. Weitere Beiträge zur Beherrschung müssen dann aus anderen Anlagen bereitgestellt werden“, fasst Martin Knechtges, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IAEW, zusammen.

„Die Studie zeigt einmal mehr, dass Wasserkraftanlagen gerade vor dem Hintergrund der Abschaltung der Kernkraftwerke 2022 und anschließend der Kohlekraftwerke wichtige Systemdienstleistungen zur Netzstabilisierung erfüllen. Neben der Momentanreserve ist diesbezüglich auch die Schwarzstartfähigkeit zu nennen“, kommentiert Fritz Schweiger, Vorstandsvorsitzender der Vereinigung Wasserkraftwerke in Bayern (VWB). Das heißt, nach einem großflächigen Stromausfall ist die Wasserkraft technisch in der Lage, den Wiederaufbau der Stromversorgung zu unterstützen.

Die Studie macht aber auch deutlich, dass die bestehende Wasserkraft allein nicht die notwendige Momentanreserve im Stromversorgungssystem bereitstellen kann. 

Für die Erbringung von Netzdienstleistungen sind auch Windturbinen grundsätzlich geeignet, haben Forscher des Fraunhofer-Instituts IEE im Projekt "Grid Loads" herausgefunden. „Auf dem Papier eignet sich kinetische Energie in den Rotoren von Windenergieanlagen hervorragend, den Verlust an Massenträgheit beim Abschalten konventioneller Kraftwerke auszugleichen. Unser Forschungsprojekt zeigt ganz deutlich, dass dies auch in der Praxis möglich ist – selbst Momentanreserve können die Anlagen bereitstellen“, fasst Projektleiter Boris Fischer die Ergebnisse von Grid Loads zusammen.

Die Minderung der Netzträgheit durch die vermehrte Einspeisung von Windenergieanlagen lasse sich somit in den allermeisten Fällen durch die Anlagen selbst ausgleichen, betont Projektleiter Fischer. Dies gelte aber nur, wenn die Anlagenhersteller ihre Regelungsmodule für die Leistungselektronik zuvor an die neuen Aufgaben angepasst haben. 

Die Studie "Ermittlung der Momentanreserve von Wasserkraftanlagen in Deutschland" wurde im Auftrag des Bundesverbands Deutscher Wasserkraftwerke (BDW), der Initiative „Wasserkraft Ja bitte!“ im Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) und der Interessengemeinschaft Wassernutzung NRW durchgeführt. 

Donnerstag, 12.08.2021, 14:15 Uhr
Peter Koller
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Rotierende Schwungmasse in einem Wasserkraftwerk, Quelle: VBW
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Wasserkraft liefert Momentanreserve wie ein Kernkraftwerk
Nach dem Rückbau der Kern- und Kohlekraftwerke in Deutschland können Wasserkraftwerke einen substanziellen Beitrag zur Netzstabilisierung leisten, zeigt eine Studie der RWTH Aachen.
Wenn 2022 die letzten Kernkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen, fällt im Stromversorgungssystem auch ein erhebliches Maß an Momentanreserve zur Stabilisierung der Netze bei Störungen weg. Wie eine Studie nun ergeben hat, können die Wasserkraftwerke in Deutschland eine Störung − etwa einen ungeplanten Kraftwerksausfall − von bis zu 500 MW hinsichtlich der Momentanreserve ausgleichen.

Wind- und Photovoltaikanlagen gelten als die Hauptsäulen der künftigen regenerativen Energieproduktion. Diese üblicherweise leistungselektronisch angebundenen Anlagen liefern jedoch nach derzeitigem Stand der Technik noch keine Momentanreserve. Wasserkraftwerke hingegen sind dazu in der Lage.

Stichwort: Momentanreserve

Als Momentanreserve wird die unverzögert verfügbare Leistungsreserve in einem Energieübertragungssystem bezeichnet. Sie entsteht aus der Trägheit der rotierenden Schwungmassen der Synchrongeneratoren konventioneller Kraftwerke. Kommt es im Stromnetz zu einem abrupten Lastwechsel, kann das Leistungsdefizit nicht unmittelbar durch Regelkraftwerksleistung ausgeglichen werden. Denn diese ist immer mit einer gewissen Verzögerungszeit verbunden. Daher muss, um Instabilitäten und Unterbrechungen zu verhindern, unmittelbar nach dem Störungsfall genügend kinetische Energie aus rotierenden Schwungmassen von Kraftwerken im Versorgungssystem vorhanden sein.
 

Ein Team von Prof. Albert Moser, Lehrstuhlinhaber Übertragungsnetze und Energiewirtschaft am Institut für elektrische Anlagen und Netze, Digitalisierung und Energiewirtschaft (IAEW) an der RWTH Aachen, hat nun die Momentanreserve der Wasserkraftanlagen in Deutschland ermittelt und quantifiziert. Die Berechnungen basieren auf 7.988 Wasserkraftanlagen mit insgesamt 6.280 MW Nettonennleistung, die im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur erfasst sind. Die Wissenschaftler ermittelten die gespeicherte kinetische Energie der Wasserkraftanlagen, die sich aus der Trägheitskonstante und Nennleistung der Generatoren bestimmen lässt.

Den Berechnungen zufolge ist eine kinetische Energie von rund 10.320 Megawattsekunden (MWs) in den rotierenden Massen der Wasserkraftanlagen in Deutschland gespeichert. Zum Vergleich: Das Braunkohlekraftwerk Weisweiler Block H weist eine kinetische Energie von 2.400 MWs auf, das Kernkraftwerk Isar/Ohu 2 kommt auf 8.880 MWs. Die bereitgestellte kinetische Energie der Wasserkraftanlagen entspricht damit der Momentanreserve eines Kernkraftwerks. 

Die Studie zeigt weiter, dass ein Störereignis von 462,5 MW allein durch die Momentanreserve der Wasserkraftanlagen aufgefangen werden könne. „Die deutschen Wasserkraftwerke tragen in dieser Höhe auch zur Beherrschung von größeren Leistungsdefiziten, etwa Netzauftrennungen, bei. Weitere Beiträge zur Beherrschung müssen dann aus anderen Anlagen bereitgestellt werden“, fasst Martin Knechtges, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IAEW, zusammen.

„Die Studie zeigt einmal mehr, dass Wasserkraftanlagen gerade vor dem Hintergrund der Abschaltung der Kernkraftwerke 2022 und anschließend der Kohlekraftwerke wichtige Systemdienstleistungen zur Netzstabilisierung erfüllen. Neben der Momentanreserve ist diesbezüglich auch die Schwarzstartfähigkeit zu nennen“, kommentiert Fritz Schweiger, Vorstandsvorsitzender der Vereinigung Wasserkraftwerke in Bayern (VWB). Das heißt, nach einem großflächigen Stromausfall ist die Wasserkraft technisch in der Lage, den Wiederaufbau der Stromversorgung zu unterstützen.

Die Studie macht aber auch deutlich, dass die bestehende Wasserkraft allein nicht die notwendige Momentanreserve im Stromversorgungssystem bereitstellen kann. 

Für die Erbringung von Netzdienstleistungen sind auch Windturbinen grundsätzlich geeignet, haben Forscher des Fraunhofer-Instituts IEE im Projekt "Grid Loads" herausgefunden. „Auf dem Papier eignet sich kinetische Energie in den Rotoren von Windenergieanlagen hervorragend, den Verlust an Massenträgheit beim Abschalten konventioneller Kraftwerke auszugleichen. Unser Forschungsprojekt zeigt ganz deutlich, dass dies auch in der Praxis möglich ist – selbst Momentanreserve können die Anlagen bereitstellen“, fasst Projektleiter Boris Fischer die Ergebnisse von Grid Loads zusammen.

Die Minderung der Netzträgheit durch die vermehrte Einspeisung von Windenergieanlagen lasse sich somit in den allermeisten Fällen durch die Anlagen selbst ausgleichen, betont Projektleiter Fischer. Dies gelte aber nur, wenn die Anlagenhersteller ihre Regelungsmodule für die Leistungselektronik zuvor an die neuen Aufgaben angepasst haben. 

Die Studie "Ermittlung der Momentanreserve von Wasserkraftanlagen in Deutschland" wurde im Auftrag des Bundesverbands Deutscher Wasserkraftwerke (BDW), der Initiative „Wasserkraft Ja bitte!“ im Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) und der Interessengemeinschaft Wassernutzung NRW durchgeführt. 

Donnerstag, 12.08.2021, 14:15 Uhr
Peter Koller

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