Wenn Windenergieanlagen in Deutschland aus dem Boden wachsen, gleicht das dem Turmbau zu Bögl. Mittlerweile jede zweite Gondel sitzt auf einer Konstruktion des Marktführers Max Bögl aus dem bayerischen Sengenthal. Die Bögl-Spargel gedeihen mit den Zutaten Beton und Stahl. Alternative Bauweisen sind ebenso rar wie alternative Anbieter. „Aber der Markt schreit nach Konkurrenten“, sagt Holger Lange.
Der Professor für Windenergietechnik an der Hochschule Bremerhaven meint: Der erforderliche Zubau an Windenergie bis zur Mitte des Jahrhunderts benötigt nicht nur weitere Fertigungsstätten, wie Max Bögl sie derzeit ausbaut oder mit denen er kooperiert, wenn man an die ehemalige Enercon-Tochter WEC Turmbau Emden denkt, die jetzt zur Bettels-Gruppe gehört. Vielmehr braucht es auch mehr Bögls. Lange begleitet mit seinem Essener Ingenieurbüro auch Firmen bei der Entwicklung von Türmen. Die sollen immer höher, aber gleichzeitig in der Produktion günstiger und emissionsärmer werden.
Innerhalb der Betonfraktion hat sich etwas bewegt: In Max Bögls unmittelbarer Nachbarschaft will die Fuchs-Gruppe mit ihrer jungen Tochter Fuchs Europoles Wind GmbH von 2025 an Betontürme in Serie fertigen.
Der eine Holzturm in SchwedenSchreit der Markt indes auch nach Konkurrenz-Turmtypen? Nun, hier ähnelt die Lautstärke eher einem Wispern. So vernehmbar der schwedische Holzpionier Modvion für seinen Werkstoff wirbt, bleibt es bisher bei genau einem Ausrufezeichen: In Skara bei Göteborg erzeugt seit Ende 2023 eine 2-MW-Anlage des dänischen Windturbinenherstellers (OEM) Vestas, der in Modvion investiert hat, regulär Strom. Sie sitzt auf einem 105
Meter hohen, fast ganz holzigen Spargel. Vestas sieht den Holzturm „als starkes Signal an den Markt, nachhaltigere Windturbinen zu bauen, als man bisher für möglich hielt“, so Yannick Kramm, Sprecher von Vestas Deutschland, zu E&M.
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Hasslacher Green Tower setzt auf einen Holzturm mit Stahlaufsatz − hier eine ältere Animation. Im jüngsten Modell kommen ein Stahlrohr und ein hölzerner Versorgungsschacht in der Turmmitte hinzu Quelle: Hasslacher |
Vestas steht ihm zufolge mit anderen
OEM aus Europa, auch aus Deutschland, im Austausch über Holztürme. Die Dänen planen mit Modvion den nächsten Ausbauschritt: Der Turm soll wie ein Baum allmählich in die Höhe wachsen und künftig 6,2-MW-Kraftpakete der Enventus-Plattform schultern können, mit Rotoren vom Durchmesser 162
Meter.
Ein Forstbetrieb verlangt HolzIn Österreich will man derweil ohne den nordischen Umweg beim Onshore-„Marktstandard“ anfangen, den Werner Mussnig bei 6
MW aufwärts erkennt. Der Geschäftsführer der Hasslacher-Tochter Green Tower aus Sachsenburg in Kärnten lässt Türme mit viel Holz für Nabenhöhen von beispielsweise 165 Metern und Rotordurchmessern von 175 Metern entwickeln. Die ersten fünf Windkrafttürme der Firmengeschichte sollen in einem hessischen Waldgebiet entstehen, bei Kaltenborn.
ort hatte Hessenforst 2020 dezidiert Flächen für Windenergieanlagen in Holzbauweise vergeben, wie der Landesbetrieb auf Anfrage mitteilt. Die Genehmigung sei in Vorbereitung. Hasslacher glaubt, den hölzernen Windpark mit seinem Projektentwickler Ende 2026 ans Netz anschließen zu können.
Die relativ lange Projektdauer liegt laut Werner Mussnig am zwischenzeitlichen Wechsel eines Kooperationspartners − Namen bleiben aktuell noch unter Verschluss.
Der für das laufende Jahr angekündigte Prototyp jedenfalls musste in die Warteschleife. Die Österreicher wollen den ersten Holzturm nun im Herbst 2025 an einem von zwei ostdeutschen Standorten errichten, die zur Auswahl stehen. Der Turm allein soll 137
Meter hoch werden, samt Rotorspitze sind es 200 Meter.
Ein bisschen Stahl muss seinBeim Blick auf eine aktuelle Werkszeichnung fällt schnell auf, dass aus dem fachwerkartigen Unterbau aus Fichte ein Stahlrohr in die Höhe ragt. Green Tower, sagt Werner Mussnig, habe sich von einer reinen Holzkonstruktion verabschiedet. Er nennt dafür ökonomische und − dreimal auf Holz geklopft − physikalische Gründe: Weil ein Holzturm oben einen größeren Durchmesser bräuchte, nämlich 4,5
Meter, müsse man „sehr viel mehr Holz investieren“. Die starken Verwindungskräfte, die durch die Rotordrehungen entstehen, ließen sich durch Stahl besser abfedern.
Hasslachers Holzturm ist also ein Hybrid ähnlich den gängigen Unterbauten, die Stahlteile auf Betonringe setzen. Bei den Kärntner Konstruktionen kommen Holz und Stahl auf jeweils etwa die Hälfte der Höhenmeter. Werner Mussnig betont daher: „90
Prozent des eingesetzten Materials sind Holz.“
Zum Wesen der Hasslacher-Türme gehört mittig ein Holzschacht. Die Erfahrung zeige, so der Geschäftsführer von Green Tower, dass für Wartung und Instandsetzung (O&M) der Aufstieg bei Wind und Wetter durch die vertikale Röhre angenehmer sei als ohne Schutz im Fachwerk.
Die offene Bauweise des Holzabschnitts steht im Kontrast zu den geschlossenen Konstruktionen der Holzpioniere: Bei Modvion in Schweden sind dies gebogene, verklebte und zu einem Ring verbundene Wandelemente. Der Turm wird mit einer Wetterschutzfolie beklebt und sieht daher gar nicht nach Holz aus. Auch der Holzturm der ersten Stunde, den die 2016 liquidierte Timber Tower 2012 in Hannover-Marienwerder mit einer 1,5-MW-Anlage der Saarbrücker Vensys errichtet hatte, ist sozusagen ein Rundbau.
Die Kärtner Green Tower dagegen hat sich laut Werner Mussnig für „erprobte Technologien“ entschieden. Ihre Mutter Hasslacher baut schon länger Holzgebäude, Holzbrücken und eben auch Holztürme. Die Holztürme für Wind sollen ähnlich viel kosten wie die aus Beton und Stahl, Vorteile ergäben sich aus geringeren O&M-Kosten, einfachem Rückbau, hoher Recyclingquote und nicht zuletzt aus der CO2-Bilanz.
Personell durchlässige BrancheEin bisschen Timber Tower findet sich durchaus bei Green Tower: Den Cheftechniker der Deutschen übernahmen die Österreicher auf ihrem Holzweg. Seitenwechsel in der Branche sind keine Seltenheit. So bediente Fuchs Europoles Wind sich bei der Nummer eins nebenan und engagierte Bögls vormaligen kaufmännischen Leiter Wind, Jürgen Joos. Der Marktführer selbst sieht auf Anfrage von E&M Holztürme bei immer höheren Höhen und Lasten im Nachteil.
Holz mache allenfalls dem reinen Stahlturm Konkurrenz. Bei Nabenhöhen von 100
Metern sei aber Schluss. Der Beton-Stahl-Hybridturm hingegen ermögliche Bögl aktuell bis zu 199
Meter hohe Türme. Er erlaube es, selbst in Schwachwind-Gebieten wirtschaftlich Energie zu erzeugen. Gegenüber reinen Stahltürmen eigne er sich auch für bergiges Gelände.
Stahl und der Betonbestandteil Zement haben in der Herstellung indes eine schlechte CO2-Bilanz. Holger Lange nennt als Faustformel, dass eine Tonne Zement für eine Tonne CO2 stehe. Bögls Forschende treibt dies − neben dem Aufbau einer Kreislaufwirtschaft für alle Materialien − seit geraumer Zeit um. Bei der Betonproduktion setzt das Unternehmen daher zunehmend auf Zusatz- und Ersatzstoffe, um den Zementanteil signifikant zu verringern, und auf immer dünnere Turmwände. Langfristiges Ziel sei der „Null-CO2-Beton“, sagt die Nachhaltigkeitsbeauftragte Johanna Grad.
Bereits jetzt sei eine Betonrezeptur im Einsatz, die bis zu 50
Prozent des Zements einspare. Dies führe etwa zu einer Halbierung des CO2-Aufkommens gegenüber vergleichbaren Betonen der Festigkeitsklasse (C80/95). „Darauf sind wir stolz“, so Johanna Grad.
Professor Lange spricht in diesem Zusammenhang von einer „Coca-Cola-Rezeptur“, also einem gut gehüteten Geheimnis in der Branche. Nach dem Vorbild der dunklen Brause müsse es nicht nur auf die CO2-Bilanz des Geheimnisträgers einzahlen, sondern lasse sich gegebenenfalls über Patente oder Lizenzen auch zu Geld machen.
Vestas als Gondelbauer richtet den Blick naturgemäß auch weiter gen Turmspitze. Mit Partnerunternehmen arbeiten die Dänen als eine von mehreren Dekarbonisierungsmaßnahmen in Produktion und Logistik laut Vestas-Deutschland-Sprecher Kramm an emissionsarm hergestelltem Stahl für die Türme, an Land und auf See. Bei einem anderen Dänen, dem Offshore-Projektierer Orsted, wird das schrittweise konkreter (zu den Besonderheiten offshore siehe „Oder der Stahl wird grün“). Grün, grün, grün ist alles, was ich habe? Die Ökoenergie-Technologien sind in ihrer Farbenlehre noch lange nicht am besten Ende angekommen.
Die Ökobilanz von Erneuerbaren-Anlagen zu dokumentieren, ist ein komplexer Prozess. Das Umweltbundesamt (UBA) rechnet die Emissionen bei Herstellung und Transport von Komponenten zusammen und gibt dabei die Auswirkungen auf das Klima mit dem GWP-Wert (Global Warming Potential) je erzeugter kWh Strom an. Was Windenergieanlagen angeht, schrieb das UBA 2021 der Herstellung von Turm und Fundament 60 Prozent der relevanten Treibhausgasemissionen zu.
Wer auf Holztürme setzt, kann hier theoretisch die größte CO2-Minderung erreichen. Denn weniger Beton bedeutet Verzicht auf den CO2-intensiven Zement. Zudem sind für die Turmfüße jeweils nur noch kleinere Einzelfundamente nötig. Der Holzfabrikant Hasslacher rechnet mit 80 Prozent eingespartem Beton. Das im Holz bereits gebundene CO2 verbessert die Bilanz ebenfalls.
Holger Lange, Professor für Windenergietechnik an der Hochschule Bremerhaven, kommt für Holztürme bei einem Preis von 25 Euro/Tonne CO2 auf CO2-Kosten von 16.000 Euro. Gittermasten liegen etwa doppelt so hoch. Hybridvarianten aus Beton und Stahl erreichen fast 100.000 Euro. Derzeit schwankt der CO2-Börsenpreis um die 60 Euro/Tonne. (vs)
Oder der Stahl wird grün
Auf See dürften Holztürme für Windenergieanlagen im Vergleich zum Land unrealistisch sein, wegen des Salzwassers, der raueren Winde und der ungleich höheren Lasten auf den bis zu 260 Meter hohen Ungetümen. Dafür können Offshore-Windtürme im Vergleich zu ihren Pendants auf dem Festland dekarbonisierungstechnisch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Während onshore ein Holzturm immer noch auf einem herkömmlichen Betonfundament steht, ist der stählerne Monopfahl (Monopile) offshore Turm und Fundament in einem. Seine Herstellung macht 21 Prozent der produktionsbedingten CO2-Emissionen bei Offshore-Windturbinen aus, teilen der dänische Projektierer Orsted und der saarländische Stahlhersteller Dillinger mit.
Die beiden Großunternehmen hatten 2022 eine Absichtserklärung über die großvolumige und langfristige Lieferung von Monopfählen unterzeichnet, auf deren Basis von diesem Jahr an „erhebliche Mengen an konventionell hergestelltem Stahl“ von der Saar aufs Meer kommen. Von 2027/2028 an will Dillinger Grobbleche als Monopfähle ausliefern, deren herstellungsbedingte CO2-Emissionen um bis zu 60 Prozent geringer sind. Die Stahl-Holding Saar (SHS), zu der Dillinger gehört, will dies per Direktreduktion mit Wasserstoff sowie mit vermehrtem Einsatz des Elektrostahlverfahrens und von Stahlschrott erreichen. Der Umbau der Stahlhütten kostet schätzungsweise 3,5 Milliarden Euro. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) übergab Ende 2023 unter EU-Vorbehalt einen Förderbescheid über 2,6 Milliarden Euro an SHS.
Orsted plant, von 2040 an netto keine Treibhausgase mehr auszustoßen, und zwar inklusive seiner Lieferanten. 2021 starteten die Dänen ein entsprechendes Programm zur Dekarbonisierung der Lieferkette. Bis heute haben zwei Drittel von Orsteds strategischen Lieferanten auf Grünstrom umgestellt. Mitte 2023 kündigte der Projektierer und Betreiber als erster in seiner Branche zudem Dekarbonisierungsprojekte für alle wichtigen Offshore-Windkomponenten an. Orsted sieht sich damit auch gut gerüstet für die nichtpreislichen Kriterien, die der Net Zero Industry Act (NZIA) der EU künftig bei nationalen Erneuerbaren-Ausschreibungen vorschreibt. (geo)
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Was außen gelb-beige-ocker aussieht, wird künftig innen aus grünem Stahl sein: Monopfähle für Offshore-Windparks von Orsted Quelle: Orsted |
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Gut Holz: Auf einem Holzturm von Modvion drehen die Rotoren dieser Vestas-Anlage im schwedischen Skara Quelle: Modvion |
Montag, 15.04.2024, 08:24 Uhr
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