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Energie & Management > Aus Der Zeitung - RechtEck: Die Halbzeitbilanz
Quelle: E&M
Aus Der Zeitung

RechtEck: Die Halbzeitbilanz

Zur Halbzeit der Ampelkoalition ziehen Ines Zenke und Christian Dessau* eine erste Bilanz. Sie fällt gar nicht so schlecht aus. 
Zur Mitte einer Legislaturperiode ist es üblich, Bilanz zur Arbeit der Bundesregierung zu ziehen. Das ist auch diesmal nicht anders und so gab es diverse Rück- und Einblicke und die Frage nach dem, was nun noch kommen muss bis zur nächsten Wahl 2025. Und weil Sie, verehrte Leserinnen und Leser von E&M, die berechtigte Erwartung haben dürfen, dass es hier um Energie geht, konzentrieren wir uns auch darauf.

Wie alles begann: „Mehr Fortschritt wagen“

Die letzte Wahl liegt gefühlt weit weg, tatsächlich aber war sie erst am 26. September 2021; der 20. Deutsche Bundestag konstituierte sich einen Monat später. Nach Sondierungs- und dann auch Koalitionsgesprächen einigte sich die Ampel wiederum einen Monat später auf ein gemeinsames Miteinander. SPD, Grüne und FDP unterschrieben schließlich am 7. Dezember 2021 den Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“. Am nächsten Tag wurden Bundeskanzler Olaf Scholz gewählt und die Minister vereidigt. Die neue Regierung war endlich am Start. 

Transformation: erneuerbare Energien 

Eines der ersten großen Gesetzespakete war das sogenannte Osterpaket, mit dem das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die − nach eigenen Worten − „größte energiepolitische Novelle seit Jahrzehnten“ vorlegte. Von der Quantität stimmte das schon mal, denn das Vorhaben ging mit gleich über 600 Seiten (am 6. April 2022) durch das Kabinett.

Fest steht: Das Paket war ganz klar mehr als ein Sammelsurium vieler Änderungsvorschläge für verschiedene Gesetze. Ein Highlight war der Ehrgeiz, schon 2035 „nahezu“ 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien zu haben, wobei der erwartete Bruttostromverbrauch auf 750 TWh im Jahr 2030 nach oben korrigiert wurde. Auch die Finanzierung wurde gleich mitgedacht: Bis zu 23 Milliarden Euro pro Jahr sollte das Sondervermögen des Bundes „Energie- und Klimafonds“ geben. Daneben fiel die EEG-Umlage, und ein ganzes Bündel von Maßnahmen sollte die unverzügliche Energie-, Ressourcen- und Klimawende flankieren. Zentral war dabei sicher das Hochleveln von EE-Anlagen als „im öffentlichen Interesse“ liegend.
 
Die neue Zielmarke 2035 jedenfalls schaffte es nicht in die Endfassung des Osterpakets, die von der Energiekrise überrollt wurde. Neue Pläne und alte Gewissheiten wurden über den Haufen geworfen.

Energiekrise

Am 24. Februar 2022 marschierten russische Truppen in die Ukraine ein. Neben dem hiermit einhergehenden schrecklichen menschlichen Leid erneuerte sich die Erkenntnis, dass Energie eine gefährliche Waffe ist − gerade wenn man sich so abhängig gemacht hatte. Die Parallelen zu der Ölkrise der 1970er-Jahre wurden deutlich, und das nicht nur, weil die Einführung eines Tankgutscheins diskutiert wurde. Es galt, Energie zu sparen und kurzfristige Alternativen zu den weggefallenen Energieimporten zu finden.

Krisenpläne wurden aufgestellt, es wurde gespart, LNG-Terminals schossen wie Pilze aus dem Boden. Atom- und Kohlekraftwerke liefen länger und/oder intensiver. Am Ende spielte das Wetter mit. Die Bundesregierung hatte die physikalische Lage im Griff.

Doch neben der Physik zählt auch das Portemonnaie. Gas (und im Einklang Strom) wurden extrem teuer. Die Ampel konterte mit Entlastungspaketen und dem „Doppelwumms-Abwehrschirm“ im dreistelligen Milliardenbereich und der Reduktion der Mehrwertsteuer. Anstatt einer unausgegorenen Gasumlage wurde Uniper verstaatlicht. Trotzdem rissen Lieferketten und das Ausmaß der Verflechtung unserer Wirtschaft zeigte sich besonders bei den Grundstoffen. Heute wissen wir: Das Schlimmste wurde abgewendet, auch dank der Energiepreisbremsen. Die Märkte beruhigten sich und auf die Ampel wartete die nächste ungeplante Herausforderung.

Der IRA und die Konjunktur

Am 16. August 2022 unterzeichnete US-Präsident Biden den Inflation Reduction Act (IRA) und damit neue Maßstäbe für eine aktive Industrie- und Ansiedlungspolitik. Knapp 370 Milliarden US-Dollar wurden allein für Investitionen in die ökologische Transformation bereitgestellt. Daneben stehen Steuergutschriften, die der Höhe nach völlig ungedeckelt sind, und eine ungewöhnliche Einfachheit und Technologieoffenheit.

Tatsächlich kündig(t)en immer mehr europäische Unternehmen an, über eine Verlagerung ihrer Standorte nachzudenken und dies auch bereits umzusetzen. Eine adäquate Antwort hierauf fanden bislang weder die EU noch Deutschland. Einigkeit besteht mittlerweile immerhin darin, dass es nicht reicht, über Protektionismus zu schimpfen. Bürokratieabbau, der Turbo beim Ausbau der EE, ein Industriestrompreis − das sind einige der großen Themen, um deren Umsetzung aktuell politisch gerungen wird. Grundsätzlich muss die Politik der konjunkturellen Abschwächung Deutliches entgegensetzen.

Bilanz

Die Transformation zur Treibhausgasneutralität bei gleichzeitigem Ausstieg aus Atom und Kohle und dem Hochfahren der erneuerbaren Energien − das war die Jahrhundertaufgabe, mit der die Ampel im November 2021 gerechnet hat. Mit dem Rest natürlich nicht. Am Ende zählen aber Fakten. Was also hat die Ampel zur Halbzeit geschafft?

Zunächst einmal muss man ein gutes Krisenmanagement attestieren. Nicht in allen Punkten optimal, aber dennoch robust, pragmatisch und insgesamt erfolgreich. Und außerhalb der Krise? Bertelsmann-Stiftung, Universität Trier und Progressives Zentrum bilanzierten kürzlich: 64 Prozent des als ambitioniert eingestuften Koalitionsvertrags sind entweder umgesetzt (38 Prozent) oder mit ihrer Umsetzung wurde begonnen (26 Prozent).

Das klingt ja gar nicht mal so schlecht. Und wenn die Ampel noch die Konjunktur stabilisiert, die großen und angestauten Themen wie den Bürokratieabbau beherzter anfasst, die finanzielle Situation in den Kommunen klärt und so weiter und so weiter, dann lassen wir uns überraschen, wie viel Energie für die Energie dann freigesetzt werden kann.

* Ines Zenke und Christian Dessau, Rechtsanwälte, Becker Büttner Held, Berlin

Freitag, 10.11.2023, 09:05 Uhr
Redaktion
Energie & Management > Aus Der Zeitung - RechtEck: Die Halbzeitbilanz
Quelle: E&M
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RechtEck: Die Halbzeitbilanz
Zur Halbzeit der Ampelkoalition ziehen Ines Zenke und Christian Dessau* eine erste Bilanz. Sie fällt gar nicht so schlecht aus. 
Zur Mitte einer Legislaturperiode ist es üblich, Bilanz zur Arbeit der Bundesregierung zu ziehen. Das ist auch diesmal nicht anders und so gab es diverse Rück- und Einblicke und die Frage nach dem, was nun noch kommen muss bis zur nächsten Wahl 2025. Und weil Sie, verehrte Leserinnen und Leser von E&M, die berechtigte Erwartung haben dürfen, dass es hier um Energie geht, konzentrieren wir uns auch darauf.

Wie alles begann: „Mehr Fortschritt wagen“

Die letzte Wahl liegt gefühlt weit weg, tatsächlich aber war sie erst am 26. September 2021; der 20. Deutsche Bundestag konstituierte sich einen Monat später. Nach Sondierungs- und dann auch Koalitionsgesprächen einigte sich die Ampel wiederum einen Monat später auf ein gemeinsames Miteinander. SPD, Grüne und FDP unterschrieben schließlich am 7. Dezember 2021 den Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“. Am nächsten Tag wurden Bundeskanzler Olaf Scholz gewählt und die Minister vereidigt. Die neue Regierung war endlich am Start. 

Transformation: erneuerbare Energien 

Eines der ersten großen Gesetzespakete war das sogenannte Osterpaket, mit dem das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die − nach eigenen Worten − „größte energiepolitische Novelle seit Jahrzehnten“ vorlegte. Von der Quantität stimmte das schon mal, denn das Vorhaben ging mit gleich über 600 Seiten (am 6. April 2022) durch das Kabinett.

Fest steht: Das Paket war ganz klar mehr als ein Sammelsurium vieler Änderungsvorschläge für verschiedene Gesetze. Ein Highlight war der Ehrgeiz, schon 2035 „nahezu“ 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien zu haben, wobei der erwartete Bruttostromverbrauch auf 750 TWh im Jahr 2030 nach oben korrigiert wurde. Auch die Finanzierung wurde gleich mitgedacht: Bis zu 23 Milliarden Euro pro Jahr sollte das Sondervermögen des Bundes „Energie- und Klimafonds“ geben. Daneben fiel die EEG-Umlage, und ein ganzes Bündel von Maßnahmen sollte die unverzügliche Energie-, Ressourcen- und Klimawende flankieren. Zentral war dabei sicher das Hochleveln von EE-Anlagen als „im öffentlichen Interesse“ liegend.
 
Die neue Zielmarke 2035 jedenfalls schaffte es nicht in die Endfassung des Osterpakets, die von der Energiekrise überrollt wurde. Neue Pläne und alte Gewissheiten wurden über den Haufen geworfen.

Energiekrise

Am 24. Februar 2022 marschierten russische Truppen in die Ukraine ein. Neben dem hiermit einhergehenden schrecklichen menschlichen Leid erneuerte sich die Erkenntnis, dass Energie eine gefährliche Waffe ist − gerade wenn man sich so abhängig gemacht hatte. Die Parallelen zu der Ölkrise der 1970er-Jahre wurden deutlich, und das nicht nur, weil die Einführung eines Tankgutscheins diskutiert wurde. Es galt, Energie zu sparen und kurzfristige Alternativen zu den weggefallenen Energieimporten zu finden.

Krisenpläne wurden aufgestellt, es wurde gespart, LNG-Terminals schossen wie Pilze aus dem Boden. Atom- und Kohlekraftwerke liefen länger und/oder intensiver. Am Ende spielte das Wetter mit. Die Bundesregierung hatte die physikalische Lage im Griff.

Doch neben der Physik zählt auch das Portemonnaie. Gas (und im Einklang Strom) wurden extrem teuer. Die Ampel konterte mit Entlastungspaketen und dem „Doppelwumms-Abwehrschirm“ im dreistelligen Milliardenbereich und der Reduktion der Mehrwertsteuer. Anstatt einer unausgegorenen Gasumlage wurde Uniper verstaatlicht. Trotzdem rissen Lieferketten und das Ausmaß der Verflechtung unserer Wirtschaft zeigte sich besonders bei den Grundstoffen. Heute wissen wir: Das Schlimmste wurde abgewendet, auch dank der Energiepreisbremsen. Die Märkte beruhigten sich und auf die Ampel wartete die nächste ungeplante Herausforderung.

Der IRA und die Konjunktur

Am 16. August 2022 unterzeichnete US-Präsident Biden den Inflation Reduction Act (IRA) und damit neue Maßstäbe für eine aktive Industrie- und Ansiedlungspolitik. Knapp 370 Milliarden US-Dollar wurden allein für Investitionen in die ökologische Transformation bereitgestellt. Daneben stehen Steuergutschriften, die der Höhe nach völlig ungedeckelt sind, und eine ungewöhnliche Einfachheit und Technologieoffenheit.

Tatsächlich kündig(t)en immer mehr europäische Unternehmen an, über eine Verlagerung ihrer Standorte nachzudenken und dies auch bereits umzusetzen. Eine adäquate Antwort hierauf fanden bislang weder die EU noch Deutschland. Einigkeit besteht mittlerweile immerhin darin, dass es nicht reicht, über Protektionismus zu schimpfen. Bürokratieabbau, der Turbo beim Ausbau der EE, ein Industriestrompreis − das sind einige der großen Themen, um deren Umsetzung aktuell politisch gerungen wird. Grundsätzlich muss die Politik der konjunkturellen Abschwächung Deutliches entgegensetzen.

Bilanz

Die Transformation zur Treibhausgasneutralität bei gleichzeitigem Ausstieg aus Atom und Kohle und dem Hochfahren der erneuerbaren Energien − das war die Jahrhundertaufgabe, mit der die Ampel im November 2021 gerechnet hat. Mit dem Rest natürlich nicht. Am Ende zählen aber Fakten. Was also hat die Ampel zur Halbzeit geschafft?

Zunächst einmal muss man ein gutes Krisenmanagement attestieren. Nicht in allen Punkten optimal, aber dennoch robust, pragmatisch und insgesamt erfolgreich. Und außerhalb der Krise? Bertelsmann-Stiftung, Universität Trier und Progressives Zentrum bilanzierten kürzlich: 64 Prozent des als ambitioniert eingestuften Koalitionsvertrags sind entweder umgesetzt (38 Prozent) oder mit ihrer Umsetzung wurde begonnen (26 Prozent).

Das klingt ja gar nicht mal so schlecht. Und wenn die Ampel noch die Konjunktur stabilisiert, die großen und angestauten Themen wie den Bürokratieabbau beherzter anfasst, die finanzielle Situation in den Kommunen klärt und so weiter und so weiter, dann lassen wir uns überraschen, wie viel Energie für die Energie dann freigesetzt werden kann.

* Ines Zenke und Christian Dessau, Rechtsanwälte, Becker Büttner Held, Berlin

Freitag, 10.11.2023, 09:05 Uhr
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