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Interview

"Nichts aus der Geschichte gelernt"

Nach dem politischen Tabubruch in Thüringen zu Beginn des Jahres fordert der Energiejurist Professor Martin Maslaton mehr Engagement der erneuerbaren Energiewirtschaft gegen Rechts.
Ein vielfältiger Aufschrei ging Anfang Februar durch das ganze Land. Mit den Stimmen der CDU- und AfD-Fraktion hatte sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten Thüringens wählen lassen. Der gebürtige Rheinländer blieb danach nur wenige Wochen im Amt.
Seine vielfach als Tabubruch empfundene Wahl − erstmals war der Vertreter einer demokratischen Partei mit Stimmen der AfD in ein gehobenes Amt gewählt worden − sorgte nicht nur innerhalb der Liberalen und Christdemokraten für Eruptionen. Der Leipziger Jurist und Energierechtler Professor Martin Maslaton schickte in dem regelmäßigen Newsletter seiner Kanzlei, der immerhin in fünfstelliger Zahl verbreitet wird, eine persönliche Botschaft unter der Ãœberschrift „Ich will nicht schweigen“ an alle Bezieher. Die AfD, so der Tenor seiner Zeilen, nutze den Widerstand gegen den Windkraftausbau im Land als Teil einer strategischen Zersetzung von Parlamenten, Behörden und Justiz.

E&M sprach mit Maslaton über die Reaktionen auf seinen aufrüttelnden Newsletter und die derzeitige Situation beim Windkraftausbau in Thüringen.

E&M: Herr Professor Maslaton, wie sind im Februar die Reaktionen auf Ihren Newsletter ausgefallen?

Maslaton: Abgesehen von zwei, drei Ausreißern habe ich nur positive Rückmeldungen bekommen - und zwar von ganz, ganz großen bis hin zu kleineren Playern. Aus diesem Kreis hatte ich so manchen Anruf oder so manche Mail gar nicht erwartet. Diese Reaktionen haben mir gutgetan. Denn sie haben gezeigt, dass es den Akteuren und Unternehmen bei den erneuerbaren Energien nicht nur allein ums Geldverdienen geht. Die Branche hat noch immer einen gesellschaftlichen Anspruch.

 
Martin Maslaton: "Letztlich geht es um die Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen und mehr Freiheiten für jeden Einzelnen. Solche Haltung und Lebensentwürfe sind unvereinbar mit faschistoidem Denken"
Bild: Maslaton

 
E&M: Öffentliche Stellungnahmen der Wind- und Solarbranche gegen rechtsextreme und neonazistische Positionen sind aber relativ selten. Warum?

Maslaton: Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Akteure der erneuerbaren Energien auch ihre Ablehnung gegen autoritäre, faschistische und nationalsozialistische Strukturen eint. Diese Ablehnung ist meines Erachtens bei allen so etwas wie Common Sense. Warum ich nach der skandalösen Ministerpräsidentenwahl in Thüringen mit meinem persönlichen Bekenntnis ‚Ich will nicht schweigen‘ mehr oder weniger mutterseelenallein die Fahne der erneuerbaren Energien hochgehalten habe, weiß ich nicht.

E&M: Hängt es mit Desinteresse zusammen?

Maslaton: Vielleicht wird in der regenerativen Energiewirtschaft nicht genug über den Tellerrand geschaut. Die Branche ist sicherlich als fortschrittlich zu bezeichnen, wenn energiepolitische Fragen diskutiert werden. Als Stichworte seien nur der Atom- und Kohleausstieg, die Uraltforderung nach dem Umbau unseres Energiesystems auf Basis erneuerbarer Energien oder die Sektorkopplung genannt. Dass mit diesen energiepolitischen Forderungen zugleich gesellschaftliche Veränderungen verbunden sind, wird allzu oft übersehen. Was heißt denn Energiewende konkret? Wir reden über mehr Dezentralität, mehr kommunale Selbstbestimmung, die Eigenbestimmung der Bürger, letztlich geht es um die Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen und mehr Freiheiten für jeden Einzelnen. Solche Haltung und Lebensentwürfe sind unvereinbar mit faschistoidem Denken.

E&M: Dann müsste die Branche der erneuerbaren Energien viel entschlossener gegen Rechts auftreten?

Maslaton: Auf jeden Fall. Die fortschrittlichen Kräfte, um es einmal so zu benennen, müssten meines Erachtens viel offensiver auftreten. Windenergieanlagen zu planen und zu bauen ist mehr als ein reines Business, um Geld zu verdienen. Ich wünsche mir wirklich öfter gesellschaftspolitisches Engagement aus dem Kreis der erneuerbaren Energien. Warum treten der Bundesverband Erneuerbare Energie, der Bundesverband Windenergie und die anderen regenerativen Verbände nicht öffentlich demonstrierend etwa nach rechtsextremistischen Anschlägen auf?
E&M: Hat Ihr Aufschrei spürbare Folgen gehabt?

„Die AfD regiert faktisch mit“

Maslaton: In Thüringen anscheinend nicht. Ich hatte damals davor gewarnt, dem Faschismus und Neonazismus politisch die Tür zu öffnen. Die AfD regiert aber faktisch mit. Im Thüringer Landtag laufen derzeit beispielsweise wieder einige Gesetzgebungsinitiativen gegen den weiteren Windenergieausbau. Die Anträge von der CDU- und FDP-Fraktion unterscheiden sich allenfalls tendenziell, indes nicht substanziell von den Vorschlägen der AfD. Auch anderswo treibt die AfD − unabhängig von Belangen der Windenergie − die demokratischen Parteien immer wieder vor sich her.

E&M: Es hatte in Thüringen vor der Wahl von FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten eine unausgesprochene Anti-Windkraftkoalition zwischen CDU, Liberalen und AfD gegeben. An diesem Bündnis hat sich wirklich nichts geändert?

Maslaton: Das ist so. Dadurch findet leider nach wie vor ein Aufwerten von Höcke und Konsorten statt. Es ist für mich unverständlich, dass in Thüringen politische Kräfte weder aus unserer Geschichte noch aus der jüngsten Vergangenheit etwas gelernt haben. E&M
 

Mittwoch, 6.01.2021, 10:01 Uhr
Ralf Köpke
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Interview
"Nichts aus der Geschichte gelernt"
Nach dem politischen Tabubruch in Thüringen zu Beginn des Jahres fordert der Energiejurist Professor Martin Maslaton mehr Engagement der erneuerbaren Energiewirtschaft gegen Rechts.
Ein vielfältiger Aufschrei ging Anfang Februar durch das ganze Land. Mit den Stimmen der CDU- und AfD-Fraktion hatte sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten Thüringens wählen lassen. Der gebürtige Rheinländer blieb danach nur wenige Wochen im Amt.
Seine vielfach als Tabubruch empfundene Wahl − erstmals war der Vertreter einer demokratischen Partei mit Stimmen der AfD in ein gehobenes Amt gewählt worden − sorgte nicht nur innerhalb der Liberalen und Christdemokraten für Eruptionen. Der Leipziger Jurist und Energierechtler Professor Martin Maslaton schickte in dem regelmäßigen Newsletter seiner Kanzlei, der immerhin in fünfstelliger Zahl verbreitet wird, eine persönliche Botschaft unter der Ãœberschrift „Ich will nicht schweigen“ an alle Bezieher. Die AfD, so der Tenor seiner Zeilen, nutze den Widerstand gegen den Windkraftausbau im Land als Teil einer strategischen Zersetzung von Parlamenten, Behörden und Justiz.

E&M sprach mit Maslaton über die Reaktionen auf seinen aufrüttelnden Newsletter und die derzeitige Situation beim Windkraftausbau in Thüringen.

E&M: Herr Professor Maslaton, wie sind im Februar die Reaktionen auf Ihren Newsletter ausgefallen?

Maslaton: Abgesehen von zwei, drei Ausreißern habe ich nur positive Rückmeldungen bekommen - und zwar von ganz, ganz großen bis hin zu kleineren Playern. Aus diesem Kreis hatte ich so manchen Anruf oder so manche Mail gar nicht erwartet. Diese Reaktionen haben mir gutgetan. Denn sie haben gezeigt, dass es den Akteuren und Unternehmen bei den erneuerbaren Energien nicht nur allein ums Geldverdienen geht. Die Branche hat noch immer einen gesellschaftlichen Anspruch.

 
Martin Maslaton: "Letztlich geht es um die Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen und mehr Freiheiten für jeden Einzelnen. Solche Haltung und Lebensentwürfe sind unvereinbar mit faschistoidem Denken"
Bild: Maslaton

 
E&M: Öffentliche Stellungnahmen der Wind- und Solarbranche gegen rechtsextreme und neonazistische Positionen sind aber relativ selten. Warum?

Maslaton: Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Akteure der erneuerbaren Energien auch ihre Ablehnung gegen autoritäre, faschistische und nationalsozialistische Strukturen eint. Diese Ablehnung ist meines Erachtens bei allen so etwas wie Common Sense. Warum ich nach der skandalösen Ministerpräsidentenwahl in Thüringen mit meinem persönlichen Bekenntnis ‚Ich will nicht schweigen‘ mehr oder weniger mutterseelenallein die Fahne der erneuerbaren Energien hochgehalten habe, weiß ich nicht.

E&M: Hängt es mit Desinteresse zusammen?

Maslaton: Vielleicht wird in der regenerativen Energiewirtschaft nicht genug über den Tellerrand geschaut. Die Branche ist sicherlich als fortschrittlich zu bezeichnen, wenn energiepolitische Fragen diskutiert werden. Als Stichworte seien nur der Atom- und Kohleausstieg, die Uraltforderung nach dem Umbau unseres Energiesystems auf Basis erneuerbarer Energien oder die Sektorkopplung genannt. Dass mit diesen energiepolitischen Forderungen zugleich gesellschaftliche Veränderungen verbunden sind, wird allzu oft übersehen. Was heißt denn Energiewende konkret? Wir reden über mehr Dezentralität, mehr kommunale Selbstbestimmung, die Eigenbestimmung der Bürger, letztlich geht es um die Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen und mehr Freiheiten für jeden Einzelnen. Solche Haltung und Lebensentwürfe sind unvereinbar mit faschistoidem Denken.

E&M: Dann müsste die Branche der erneuerbaren Energien viel entschlossener gegen Rechts auftreten?

Maslaton: Auf jeden Fall. Die fortschrittlichen Kräfte, um es einmal so zu benennen, müssten meines Erachtens viel offensiver auftreten. Windenergieanlagen zu planen und zu bauen ist mehr als ein reines Business, um Geld zu verdienen. Ich wünsche mir wirklich öfter gesellschaftspolitisches Engagement aus dem Kreis der erneuerbaren Energien. Warum treten der Bundesverband Erneuerbare Energie, der Bundesverband Windenergie und die anderen regenerativen Verbände nicht öffentlich demonstrierend etwa nach rechtsextremistischen Anschlägen auf?
E&M: Hat Ihr Aufschrei spürbare Folgen gehabt?

„Die AfD regiert faktisch mit“

Maslaton: In Thüringen anscheinend nicht. Ich hatte damals davor gewarnt, dem Faschismus und Neonazismus politisch die Tür zu öffnen. Die AfD regiert aber faktisch mit. Im Thüringer Landtag laufen derzeit beispielsweise wieder einige Gesetzgebungsinitiativen gegen den weiteren Windenergieausbau. Die Anträge von der CDU- und FDP-Fraktion unterscheiden sich allenfalls tendenziell, indes nicht substanziell von den Vorschlägen der AfD. Auch anderswo treibt die AfD − unabhängig von Belangen der Windenergie − die demokratischen Parteien immer wieder vor sich her.

E&M: Es hatte in Thüringen vor der Wahl von FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten eine unausgesprochene Anti-Windkraftkoalition zwischen CDU, Liberalen und AfD gegeben. An diesem Bündnis hat sich wirklich nichts geändert?

Maslaton: Das ist so. Dadurch findet leider nach wie vor ein Aufwerten von Höcke und Konsorten statt. Es ist für mich unverständlich, dass in Thüringen politische Kräfte weder aus unserer Geschichte noch aus der jüngsten Vergangenheit etwas gelernt haben. E&M
 

Mittwoch, 6.01.2021, 10:01 Uhr
Ralf Köpke

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