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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Mit Contractingmodellen zu mehr Abwärmenutzung
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe

Mit Contractingmodellen zu mehr Abwärmenutzung

Eine klimaneutrale Wärmeversorgung gelingt nur, wenn auch die Abwärmepotenziale mitgenutzt werden. Viele Abwärmequellen wurden allerdings im Koalitionsvertrag nicht mit bedacht.
Die nutzbaren Potenziale von Abwärme in Deutschland sind groß − aus Industrie, Abwasserkanälen oder anderen Quellen. Die neue Bundesregierung hat jedoch nur explizit Abwärme aus Rechenzentren in ihrem Koalitionsvertrag bedacht. Es bedarf also eines wirtschaftlichen Anschubs, um die Potenziale zu heben. Könnte Contracting hierbei helfen?

Bis 2030 sollen 50 % der Wärme klimaneutral erzeugt werden. Gelingen wird dies nur mit der Nutzung der Abwärmepotenziale, die es hierzulande in Industrie und bei Dienstleistern, etwa in deren Rechenzentren, gibt. Nach einer Studie des Ifeu von 2021 („Analyse des wirtschaftlichen Potenzials für eine effiziente Wärme- und Kälteversorgung“) liegt das derzeit noch brachliegende Potenzial an Abwärme im verarbeitenden Gewerbe bei 76 Mrd. kWh. „Das ist ein Luxus, den wir uns als Gesellschaft angesichts ambitionierter CO2-Klimaziele und knapper erneuerbarer und klimaneutraler Wärmequellen in Zukunft kaum mehr leisten können“, erklärt John Miller, stellvertretender Geschäftsführer des Energieeffizienzverbands AGFW und Bereichsleiter Energiewirtschaft und Politik.

Das technische Nachfragepotenzial netzgebundener Abwärme wird laut Ifeu auf 32,1 Mrd. kWh geschätzt. Direkt davon genutzt werden könnten 22 Mrd.; weitere 6 Mrd. kWh wären mittels Wärmepumpen in Nahwärmenetzen und Niedertemperaturnetzen verfügbar.

Abwärme auch aufgrund der Kosten interessant

Hinsichtlich der Kosten wäre eine Abwärmenutzung ebenfalls interessant. Das Ifeu gibt die durchschnittlichen Kosten für die Nutzung von industrieller Abwärme mit 409 Euro pro kW thermisch und die Fixkosten mit 8,2 Euro pro kW thermisch an (zum Vergleich: Geothermie: 2.885 Euro/27 Euro; Erdgas-KWK: 126 Euro/9 Euro; Biomassekessel 505 Euro/4 Euro).

Ein leicht zu nutzendes Abwärmepotenzial wäre das aus Rechenzentren. „Auch wenn ihr Beitrag im Vergleich zu anderen Quellen geringer ist, haben sie es unter dem Stichwort ‚Nachhaltigkeit und Digitalisierung‘ in den Koalitionsvertrag geschafft. Richtig so“, argumentiert Miller.

Den verengten Blick der Bundesregierung auf die Rechenzentren sieht Erik Pfeifer, Referatsleiter betrieblicher Klimaschutz beim DIHK, kritisch. Diese produzierten zwar rund um die Uhr Wärme, was sie von vielen anderen Abwärmequellen auch im industriellen Bereich unterscheide. Aber die Temperaturniveaus seien zu niedrig, etwa zur direkten Nutzung in einem Fernwärmenetz.

Bei neuen Nahwärmeprojekten mit Rechenzentren mache das Einschalten eines Contractors Sinn, ebenso wenn ein Industriebetrieb seine eigenen Abwärmepotenziale heben will und ihm das nötige Know-how fehle. Bei einer Einspeisung ins Fernwärmenetz hingegen bringe der Versorger in der Regel alles Notwendige mit. „Auf jeden Fall wird das ein Thema sein, bei dem zukünftig mehr Musik drin ist“, meint Pfeifer.

Rechenzentren prädestiniert

Das Berliner Borderstep Institut hat ermittelt, dass die Hälfte der über 50.000 Betreiber von Rechenzentren denkt, so Energie sparen zu können. Ein knappes Drittel macht das schon. Alle deutschen Rechenzentren zusammen produzieren jedes Jahr 13 Mrd. kWh Abwärme. Das entspricht etwa 14 % des gesamten Energieverbrauchs der Haushalte.

In Frankfurt am Main, dem Hotspot deutscher Rechenzentren, wurde auch ein erstes Projekt zur Abwärmenutzung realisiert. Auf dem ehemaligen Avaya-Gelände im Gallusviertel entsteht ein Wohnquartier mit über 1.300 Wohneinheiten. Der größte Teil der Wärme kommt aus einem nahe gelegenen Rechenzentrum.
Mainova übernimmt als Contractor 15 Jahre lang die Wärmelieferung, die zu mindestens 60 % aus der Abwärme des Rechenzentrums gewonnen wird. Der Rest kommt aus dem Fernwärmeangebot des Frankfurter Energiekonzerns, so aus einem Müllheizkraftwerk (MHKW).

 
Im neuen Frankfurter Quartier Westville im Gallus-Viertel wird die Abwärme eines Rechenzentrums genutzt
Quelle: Mainova
 
Für eine generelle Nutzung in Wärmenetzen über die Unternehmensgrenzen hinaus, wie in diesem Fall, bräuchte es noch geeignete rechtliche Rahmenbedingungen. „Es gibt hier ja keinen Einspeisevorrang und keine verpflichtende Durchleitung wie beim Strom. Es bedarf also immer einer Verhandlung mit dem jeweiligen Netzbetreiber“, so Pfeifer. Zwar wirke die Erneuerbare-Energien-Richtline (RED II) der EU in diese Richtung. Doch in Deutschland werde diese noch nicht umgesetzt. Allenfalls gebe es regionale Regelungen.

„Zu oft wird Abwärme heute von der falschen Seite betrachtet. Wenn im Hauptprozess fossile Brennstoffe eingesetzt werden, um beispielsweise ein Produkt herzustellen, dann wird die Abwärme oftmals auch als CO2-belastet angesehen. Das ist aber grundlegend falsch, denn die CO2-Emissionen sind dem erzeugten Produkt zuzuordnen und nicht der dabei entstehenden Wärme“, so Miller. Diese falle sowieso an und werde heute häufig ungenutzt über den Schornstein abgegeben. Der AGFW fordere daher, dass Abwärme jeglicher Herkunft zu 100 % als CO2-frei anerkannt und entsprechend in sämtlichen Gesetzen, Förderprogrammen und Potenzialuntersuchungen als klimafreundlich definiert wird.

Bundesförderung für Abwärmenutzung nötig

Zudem, so Miller weiter, bedürfe es eines verlässlichen und unbürokratischen Förderrahmens für die Abwärmenutzung. Dazu zähle beispielsweise, dass endlich die lang angekündigte Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) an den Start geht. Ein besonders wichtiger Punkt aus Sicht des AGFW ist die Absicherung des Ausfallrisikos von Abwärmequellen durch Einführung eines öffentlichen Abwärmefonds, da nur so ein schneller und flächendeckender Einsatz der Abwärme angereizt werden kann (siehe auch „Absicherung von Abwärme-Investitionen nötig“). Schließlich könne auch der Aufbau eines bundesweiten öffentlichen Abwärmekatasters nach einheitlichem Standard hilfreich sein.

Doch welche Rolle könnten Contractoren dabei spielen? „Das Prinzip der Abwärmenutzung ist immer gleich: Eine Quelle wird mit einer Senke verbunden. Welcher Nutzer, welcher Anbieter dahintersteht − ob nun Contractor, Wärmeversorger, Wohnungswirtschaft, Industrie, Dienstleister, Gewerbe −, ist zunächst sekundär. Wichtig ist, dass das Konzept für beide Parteien aufgeht: nicht nur ökonomisch, sondern vorrangig energetisch. Es muss also einen ‚Match‘ zwischen Qualität der Abwärme und ihrer beabsichtigten Verwendung geben“, erklärt AGFW-Mann Miller.

Dabei orientiere sich die Qualität der Abwärme in erster Linie am Temperaturniveau. Grundsätzlich gelte: Je höher das Temperaturniveau und je häufiger, regelmäßiger und planbarer die Wärme zur Verfügung steht, desto besser könne sie vom Wärmeversorgungsunternehmen genutzt werden. Je geringer, unregelmäßiger und weniger planbar der Abwärmeanfall, desto höher sei der Bedarf an Wärmespeichern und einer Absicherung der Versorgung, etwa durch Verbundlösungen mit mehreren Wärmequellen, und desto aufwendiger die Wärmenetzführung.

Das Thema auf nur ein Geschäftsmodell zu beschränken, wäre nach Miller zu kurz gedacht: „Wir brauchen in Zukunft deutlich mehr Abwärmeprojekte, um das zur Verfügung stehende Potenzial voll auszunutzen. Dafür benötigen wir bessere Rahmenbedingungen für die Abwärmenutzung, als sie uns heute zur Verfügung stehen. Daran müssen wir im Dialog mit der Politik arbeiten, um den Unternehmen vor Ort, die die Bedingungen jeweils am besten kennen, die bestmöglichen Handlungsoptionen zu bieten.“ 
 
Ein Beispiel für die erfolgreiche Nutzung industrieller Abwärme unter Einbeziehung eines Contractors liefert Aurubis in der Hamburger Hafencity. Der Anbieter von Nicht-Eisenmetallen stellt hier seine industrielle Abwärme für die Wärmeversorgung einer Bruttogrundfläche von 1.4 Mio. Quadratmeter in einem neuen Wohn- und Gewerbegebiet zur Verfügung. Seit 2018 werden jährlich rund 160 Mio. kWh Abwärme ausgekoppelt, die bei der Kupferherstellung entstehen. Drei Viertel davon werden nun mithilfe des Projektpartners Enercity Contracting Nord zur Wärmeversorgung verwendet. Die Energieeinsparung liegt bei 160.000 MWh pro Jahr, die CO2-Einsparung bei 17.230 Tonnen. Insgesamt wurden 32.800.000 Euro investiert, unter anderem für eine Wärmetransportleitung mit einer Gesamttrassenlänge von 2.700 Metern
Quelle: Aurubis
 

„Absicherung von Abwärme-Investitionen nötig“

Armin Kühn, Team Leader Energy Efficiency Industry von der Deutschen Energie-Agentur (Dena), erklärt im Gespräch, warum etwa fehlende Absicherungsmöglichkeiten Abwärmeprojekten in der Industrie im Weg stehen und wie hier eine Lösung aussehen könnte.
 
Armin Kühn, Team Leader Energy Efficiency Industry von der Dena
Quelle: Dena

E&M: Herr Kühn, stimmt der derzeitige rechtliche Rahmen für die Abwärmenutzung oder bedarf es hier einer Verbesserung durch die neue Bundesregierung?
Kühn: Einen konkreten rechtlichen Zwang gibt es bisher noch nicht. Allerdings implizieren einige Rechtsvorschriften diesen und halten Unternehmen zur Nutzung an, so etwa das Bundes-Immissionsschutzgesetz, Energiemanagementsysteme und natürlich Audits. Deutliche Verbesserung sollen die novellierten Fördermöglichkeiten bringen. Grundsätzlich wird im Bundeswirtschaftsministerium dem Thema Abwärmenutzung eine hohe Wertigkeit eingeräumt. Vor allem die Industrie ist dabei adressiert. Es soll damit die Energie- und Ressourceneffizienz gestärkt werden. Bundesförderprogramme sollen dabei helfen, noch mehr Abwärmepotenziale als bisher zu erschließen.
E&M: Welche organisatorischen und technischen Voraussetzungen wären dafür nötig?
Kühn: Eine umfassendere Nutzung der Potenziale erfordert noch weitergehende Unterstützung der beteiligten Akteure. Eine besondere Herausforderung stellt für die Unternehmen die fehlende Absicherungsmöglichkeit wirtschaftlicher Risiken bei der Projektumsetzung dar. Kann die Abwärme nicht wie geplant zur Verfügung gestellt werden, etwa durch Änderungen im Produktionsprozess, können die Investitionen in die Trassenerweiterungen nicht refinanziert werden. Hier fehlt es noch an einem flankierenden Absicherungsinstrument wie über Bürgschaften oder Effizienzfonds.
E&M: Könnten diese besser von einem Contractoren erfüllt werden oder wären die Anbieter der Abwärmequellen selbst in der Lage, dies zu bewerkstelligen?
Kühn: Hier ist eine Einzelfallprüfung erforderlich, welche Akteure jeweils am besten geeignet sind. In bestimmten Fallkonstellationen können auch Contractoren eine wichtige Funktion übernehmen.
E&M: Hätte das Contracting von Abwärmeprozessen einen Vorteil?
Kühn: Vorteilhaft kann die Einbindung zusätzlicher Manpower und weiterer Kompetenzen bei der Projektentwicklung sein. E&M

Die Dena baut in Halle das KWW Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende auf. Es soll perspektivisch die Schlüsselstelle zur systematischen Aufbereitung der kommunalen Abwärmepotenziale sein. Diese sollen in ein Wärmeregister einfließen, an dem die Dena im Projekt KWW bereits arbeitet.
 

Mittwoch, 25.05.2022, 09:00 Uhr
Frank Urbansky
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe - Mit Contractingmodellen zu mehr Abwärmenutzung
Quelle: E&M
Aus Der Aktuellen Zeitungsausgabe
Mit Contractingmodellen zu mehr Abwärmenutzung
Eine klimaneutrale Wärmeversorgung gelingt nur, wenn auch die Abwärmepotenziale mitgenutzt werden. Viele Abwärmequellen wurden allerdings im Koalitionsvertrag nicht mit bedacht.
Die nutzbaren Potenziale von Abwärme in Deutschland sind groß − aus Industrie, Abwasserkanälen oder anderen Quellen. Die neue Bundesregierung hat jedoch nur explizit Abwärme aus Rechenzentren in ihrem Koalitionsvertrag bedacht. Es bedarf also eines wirtschaftlichen Anschubs, um die Potenziale zu heben. Könnte Contracting hierbei helfen?

Bis 2030 sollen 50 % der Wärme klimaneutral erzeugt werden. Gelingen wird dies nur mit der Nutzung der Abwärmepotenziale, die es hierzulande in Industrie und bei Dienstleistern, etwa in deren Rechenzentren, gibt. Nach einer Studie des Ifeu von 2021 („Analyse des wirtschaftlichen Potenzials für eine effiziente Wärme- und Kälteversorgung“) liegt das derzeit noch brachliegende Potenzial an Abwärme im verarbeitenden Gewerbe bei 76 Mrd. kWh. „Das ist ein Luxus, den wir uns als Gesellschaft angesichts ambitionierter CO2-Klimaziele und knapper erneuerbarer und klimaneutraler Wärmequellen in Zukunft kaum mehr leisten können“, erklärt John Miller, stellvertretender Geschäftsführer des Energieeffizienzverbands AGFW und Bereichsleiter Energiewirtschaft und Politik.

Das technische Nachfragepotenzial netzgebundener Abwärme wird laut Ifeu auf 32,1 Mrd. kWh geschätzt. Direkt davon genutzt werden könnten 22 Mrd.; weitere 6 Mrd. kWh wären mittels Wärmepumpen in Nahwärmenetzen und Niedertemperaturnetzen verfügbar.

Abwärme auch aufgrund der Kosten interessant

Hinsichtlich der Kosten wäre eine Abwärmenutzung ebenfalls interessant. Das Ifeu gibt die durchschnittlichen Kosten für die Nutzung von industrieller Abwärme mit 409 Euro pro kW thermisch und die Fixkosten mit 8,2 Euro pro kW thermisch an (zum Vergleich: Geothermie: 2.885 Euro/27 Euro; Erdgas-KWK: 126 Euro/9 Euro; Biomassekessel 505 Euro/4 Euro).

Ein leicht zu nutzendes Abwärmepotenzial wäre das aus Rechenzentren. „Auch wenn ihr Beitrag im Vergleich zu anderen Quellen geringer ist, haben sie es unter dem Stichwort ‚Nachhaltigkeit und Digitalisierung‘ in den Koalitionsvertrag geschafft. Richtig so“, argumentiert Miller.

Den verengten Blick der Bundesregierung auf die Rechenzentren sieht Erik Pfeifer, Referatsleiter betrieblicher Klimaschutz beim DIHK, kritisch. Diese produzierten zwar rund um die Uhr Wärme, was sie von vielen anderen Abwärmequellen auch im industriellen Bereich unterscheide. Aber die Temperaturniveaus seien zu niedrig, etwa zur direkten Nutzung in einem Fernwärmenetz.

Bei neuen Nahwärmeprojekten mit Rechenzentren mache das Einschalten eines Contractors Sinn, ebenso wenn ein Industriebetrieb seine eigenen Abwärmepotenziale heben will und ihm das nötige Know-how fehle. Bei einer Einspeisung ins Fernwärmenetz hingegen bringe der Versorger in der Regel alles Notwendige mit. „Auf jeden Fall wird das ein Thema sein, bei dem zukünftig mehr Musik drin ist“, meint Pfeifer.

Rechenzentren prädestiniert

Das Berliner Borderstep Institut hat ermittelt, dass die Hälfte der über 50.000 Betreiber von Rechenzentren denkt, so Energie sparen zu können. Ein knappes Drittel macht das schon. Alle deutschen Rechenzentren zusammen produzieren jedes Jahr 13 Mrd. kWh Abwärme. Das entspricht etwa 14 % des gesamten Energieverbrauchs der Haushalte.

In Frankfurt am Main, dem Hotspot deutscher Rechenzentren, wurde auch ein erstes Projekt zur Abwärmenutzung realisiert. Auf dem ehemaligen Avaya-Gelände im Gallusviertel entsteht ein Wohnquartier mit über 1.300 Wohneinheiten. Der größte Teil der Wärme kommt aus einem nahe gelegenen Rechenzentrum.
Mainova übernimmt als Contractor 15 Jahre lang die Wärmelieferung, die zu mindestens 60 % aus der Abwärme des Rechenzentrums gewonnen wird. Der Rest kommt aus dem Fernwärmeangebot des Frankfurter Energiekonzerns, so aus einem Müllheizkraftwerk (MHKW).

 
Im neuen Frankfurter Quartier Westville im Gallus-Viertel wird die Abwärme eines Rechenzentrums genutzt
Quelle: Mainova
 
Für eine generelle Nutzung in Wärmenetzen über die Unternehmensgrenzen hinaus, wie in diesem Fall, bräuchte es noch geeignete rechtliche Rahmenbedingungen. „Es gibt hier ja keinen Einspeisevorrang und keine verpflichtende Durchleitung wie beim Strom. Es bedarf also immer einer Verhandlung mit dem jeweiligen Netzbetreiber“, so Pfeifer. Zwar wirke die Erneuerbare-Energien-Richtline (RED II) der EU in diese Richtung. Doch in Deutschland werde diese noch nicht umgesetzt. Allenfalls gebe es regionale Regelungen.

„Zu oft wird Abwärme heute von der falschen Seite betrachtet. Wenn im Hauptprozess fossile Brennstoffe eingesetzt werden, um beispielsweise ein Produkt herzustellen, dann wird die Abwärme oftmals auch als CO2-belastet angesehen. Das ist aber grundlegend falsch, denn die CO2-Emissionen sind dem erzeugten Produkt zuzuordnen und nicht der dabei entstehenden Wärme“, so Miller. Diese falle sowieso an und werde heute häufig ungenutzt über den Schornstein abgegeben. Der AGFW fordere daher, dass Abwärme jeglicher Herkunft zu 100 % als CO2-frei anerkannt und entsprechend in sämtlichen Gesetzen, Förderprogrammen und Potenzialuntersuchungen als klimafreundlich definiert wird.

Bundesförderung für Abwärmenutzung nötig

Zudem, so Miller weiter, bedürfe es eines verlässlichen und unbürokratischen Förderrahmens für die Abwärmenutzung. Dazu zähle beispielsweise, dass endlich die lang angekündigte Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) an den Start geht. Ein besonders wichtiger Punkt aus Sicht des AGFW ist die Absicherung des Ausfallrisikos von Abwärmequellen durch Einführung eines öffentlichen Abwärmefonds, da nur so ein schneller und flächendeckender Einsatz der Abwärme angereizt werden kann (siehe auch „Absicherung von Abwärme-Investitionen nötig“). Schließlich könne auch der Aufbau eines bundesweiten öffentlichen Abwärmekatasters nach einheitlichem Standard hilfreich sein.

Doch welche Rolle könnten Contractoren dabei spielen? „Das Prinzip der Abwärmenutzung ist immer gleich: Eine Quelle wird mit einer Senke verbunden. Welcher Nutzer, welcher Anbieter dahintersteht − ob nun Contractor, Wärmeversorger, Wohnungswirtschaft, Industrie, Dienstleister, Gewerbe −, ist zunächst sekundär. Wichtig ist, dass das Konzept für beide Parteien aufgeht: nicht nur ökonomisch, sondern vorrangig energetisch. Es muss also einen ‚Match‘ zwischen Qualität der Abwärme und ihrer beabsichtigten Verwendung geben“, erklärt AGFW-Mann Miller.

Dabei orientiere sich die Qualität der Abwärme in erster Linie am Temperaturniveau. Grundsätzlich gelte: Je höher das Temperaturniveau und je häufiger, regelmäßiger und planbarer die Wärme zur Verfügung steht, desto besser könne sie vom Wärmeversorgungsunternehmen genutzt werden. Je geringer, unregelmäßiger und weniger planbar der Abwärmeanfall, desto höher sei der Bedarf an Wärmespeichern und einer Absicherung der Versorgung, etwa durch Verbundlösungen mit mehreren Wärmequellen, und desto aufwendiger die Wärmenetzführung.

Das Thema auf nur ein Geschäftsmodell zu beschränken, wäre nach Miller zu kurz gedacht: „Wir brauchen in Zukunft deutlich mehr Abwärmeprojekte, um das zur Verfügung stehende Potenzial voll auszunutzen. Dafür benötigen wir bessere Rahmenbedingungen für die Abwärmenutzung, als sie uns heute zur Verfügung stehen. Daran müssen wir im Dialog mit der Politik arbeiten, um den Unternehmen vor Ort, die die Bedingungen jeweils am besten kennen, die bestmöglichen Handlungsoptionen zu bieten.“ 
 
Ein Beispiel für die erfolgreiche Nutzung industrieller Abwärme unter Einbeziehung eines Contractors liefert Aurubis in der Hamburger Hafencity. Der Anbieter von Nicht-Eisenmetallen stellt hier seine industrielle Abwärme für die Wärmeversorgung einer Bruttogrundfläche von 1.4 Mio. Quadratmeter in einem neuen Wohn- und Gewerbegebiet zur Verfügung. Seit 2018 werden jährlich rund 160 Mio. kWh Abwärme ausgekoppelt, die bei der Kupferherstellung entstehen. Drei Viertel davon werden nun mithilfe des Projektpartners Enercity Contracting Nord zur Wärmeversorgung verwendet. Die Energieeinsparung liegt bei 160.000 MWh pro Jahr, die CO2-Einsparung bei 17.230 Tonnen. Insgesamt wurden 32.800.000 Euro investiert, unter anderem für eine Wärmetransportleitung mit einer Gesamttrassenlänge von 2.700 Metern
Quelle: Aurubis
 

„Absicherung von Abwärme-Investitionen nötig“

Armin Kühn, Team Leader Energy Efficiency Industry von der Deutschen Energie-Agentur (Dena), erklärt im Gespräch, warum etwa fehlende Absicherungsmöglichkeiten Abwärmeprojekten in der Industrie im Weg stehen und wie hier eine Lösung aussehen könnte.
 
Armin Kühn, Team Leader Energy Efficiency Industry von der Dena
Quelle: Dena

E&M: Herr Kühn, stimmt der derzeitige rechtliche Rahmen für die Abwärmenutzung oder bedarf es hier einer Verbesserung durch die neue Bundesregierung?
Kühn: Einen konkreten rechtlichen Zwang gibt es bisher noch nicht. Allerdings implizieren einige Rechtsvorschriften diesen und halten Unternehmen zur Nutzung an, so etwa das Bundes-Immissionsschutzgesetz, Energiemanagementsysteme und natürlich Audits. Deutliche Verbesserung sollen die novellierten Fördermöglichkeiten bringen. Grundsätzlich wird im Bundeswirtschaftsministerium dem Thema Abwärmenutzung eine hohe Wertigkeit eingeräumt. Vor allem die Industrie ist dabei adressiert. Es soll damit die Energie- und Ressourceneffizienz gestärkt werden. Bundesförderprogramme sollen dabei helfen, noch mehr Abwärmepotenziale als bisher zu erschließen.
E&M: Welche organisatorischen und technischen Voraussetzungen wären dafür nötig?
Kühn: Eine umfassendere Nutzung der Potenziale erfordert noch weitergehende Unterstützung der beteiligten Akteure. Eine besondere Herausforderung stellt für die Unternehmen die fehlende Absicherungsmöglichkeit wirtschaftlicher Risiken bei der Projektumsetzung dar. Kann die Abwärme nicht wie geplant zur Verfügung gestellt werden, etwa durch Änderungen im Produktionsprozess, können die Investitionen in die Trassenerweiterungen nicht refinanziert werden. Hier fehlt es noch an einem flankierenden Absicherungsinstrument wie über Bürgschaften oder Effizienzfonds.
E&M: Könnten diese besser von einem Contractoren erfüllt werden oder wären die Anbieter der Abwärmequellen selbst in der Lage, dies zu bewerkstelligen?
Kühn: Hier ist eine Einzelfallprüfung erforderlich, welche Akteure jeweils am besten geeignet sind. In bestimmten Fallkonstellationen können auch Contractoren eine wichtige Funktion übernehmen.
E&M: Hätte das Contracting von Abwärmeprozessen einen Vorteil?
Kühn: Vorteilhaft kann die Einbindung zusätzlicher Manpower und weiterer Kompetenzen bei der Projektentwicklung sein. E&M

Die Dena baut in Halle das KWW Kompetenzzentrum Kommunale Wärmewende auf. Es soll perspektivisch die Schlüsselstelle zur systematischen Aufbereitung der kommunalen Abwärmepotenziale sein. Diese sollen in ein Wärmeregister einfließen, an dem die Dena im Projekt KWW bereits arbeitet.
 

Mittwoch, 25.05.2022, 09:00 Uhr
Frank Urbansky

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