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Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe - Mehr Farbe für den Wasserstoff
Bild: Shutterstock, Alexander Limbach
Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe

Mehr Farbe für den Wasserstoff

Der gestützte Markthochlauf des Gases ist Konsens − je nach Wahlausgang wird dann festgelegt, wie schnell es grün werden muss. Das ist die Stunde der Lobbys und Studien.
Deutschland will fünf Jahre früher, 2045, klimaneutral sein, die EU macht für den Hochlauf von Wasserstoff 40 Mrd. Euro locker und seit Mai stehen die 62 deutschen Förderprojekte (IPCEI) fest: Das kleinste Element im Periodensystem kommt bei der Dekarbonisierung ganz groß raus, weil auch eine 100-prozentige Grünstromproduktion rechnerisch nicht ausreichen wird, um das neue Klimaziel zu erreichen. Nur Wasserstoff (H2) kann kohlebasierte Verfahren in der Stahl- und Chemieindustrie ersetzen. Das Produkt von Power-to-Gas-Anlagen (Elektrolyseuren) kann überschüssigen Wind- und Sonnenstrom nutzen und etwa ins Gasnetz eingespeist werden.

Dem stehen Nachteile gegenüber: Der graue Wasserstoff (siehe Kasten) trägt zum Treibhauseffekt bei. Die Elektrolyse wiederum ist teuer, hat einen Wirkungsgrad von lediglich 62 % (Wasserelektrolyse) und noch fehlt der großindustrielle Maßstab.

Nuancen in den Wahlprogrammen

Dass Deutschland diesen grünen Wasserstoff bevorzugt, ist unter jenen Parteien Konsens, die nach der Wahl am 26. September eine Chance haben, in die Regierung zu kommen, wie sich den Wahlprogrammen von Union, SPD, Grünen und FDP entnehmen lässt. Der energiepolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Bernd Westphal, bekräftigte am 16. Juli im Sommergespräch mit dem Bundesverband Windenergie (BWE): „Wir haben entschieden: Wir gehen in der Produktion von Wasserstoff gleich in die Erneuerbaren. Andere Länder machen das anders.“

CDU/CSU wiederum berufen sich auf die Nationale Wasserstoffstrategie vom Juni 2020 und stellen einerseits grünen Wasserstoff in den Vordergrund, andererseits formulieren sie etwas zurückhaltend, mit der betroffenen Chemiebranche solle der Ersatz von grauem H2 „im Dialog erörtert werden“.

Einzig die FDP setzt beim „schnellstmöglichen Hochlauf“ von H2 „auch auf CO2-neutralen blauen und türkisen Wasserstoff aus Erdgas“ mit CO2-Speicherung, weil sich nur so große Mengen bezahlbar erzeugen ließen.
 
Timm Kehler, Geschäftsführer von Zukunft Gas, verteidigte alternative Technologien zur Elektrolyse
Quelle: Screenshot E&M

Da versuchte die Brancheninitiative Zukunft Gas den Konsens, der über alle Koalitionsszenarien hinweg existiert, doch noch in Richtung blauen und türkisen H2 zu bewegen. Zumal die Grünen, jetzt Teil dieser Szenarien, fordern: „Damit Wasserstoff zur Klimaneutralität beiträgt, muss er aus erneuerbaren Energien hergestellt werden.“ Neue Gaskraftwerke und Gasinfrastruktur seien, wenn überhaupt nur noch „H2-ready“ zu genehmigen.

Gasbranche contra Agora

Die Kernbotschaft von Timm Kehler, Geschäftsführer von Zukunft Gas, war daher am 8. Juli beim Auftakt einer Webinar-Reihe zum Wasserstoff: Blauer H2 werde noch länger günstiger sein als grüner. Er zitierte aus der Auftragsstudie von Nymoen zur Wärmewende vom Mai.

Demnach sinkt der Verbraucherendpreis bis 2050 gegenüber 2020 nur von gut 16 auf 13,66 Cent pro kWh, wenn der grüne Anteil lediglich schrittweise steigt, während er im H2-Hochlauf günstiger wird. Herkömmliches Erdgas verdopple zeitgleich seinen Endpreis auf 10,40 Cent. Mit anderen Worten: Jetzt ist eine H2-Beimischung mehr als dreimal so teuer wie Erdgas, 2050 nur noch um 30 %, aber nur im Grün-Blau-Türkis-Mix. Kehler versprach für diesen Fall: „Jeder, der einen Gasanschluss hat, wird bezahlbaren Wasserstoff kriegen.“

Laut einer am selben Tag veröffentlichten Studie des Analysehauses Aurora Energy Research sind bei der Elektrolyse bis 2030 nur im optimistischen Szenario Preise von 2 bis 2,50 Euro zu erzielen − diesmal auf der Erzeugungsebene zuzüglich Speicherung, Verteilung und Verwendung.

Das Ifo-Institut hatte im Juni das verschärfte Klimaschutzgesetz auch in Bezug auf Wasserstoff kritisiert, weil es jahresgenaue Emissionsziele vorsieht. Wann und mit welchen nennenswerten Mengen grüner Wasserstoff wettbewerbsfähig werde, sei aber so genau nicht vorhersagbar.

Ebenfalls am 8. Juli räumte die grüne Denkfabrik Agora Energiewende in einer Studie mit Guidehouse ein, dass die EU grünen Wasserstoff jährlich mit 10 bis 24 Mrd. Euro subventionieren muss, damit er 2030 wettbewerbsfähig werde. Daher sollten Fördermittel zunächst auf jene Sektoren beschränkt sein, die künftig unumstrittenen und unerlässlich Bedarf an grünem H2 haben − etwa in der Industrie als Ersatz für Erdgas oder für Flugzeugtreibstoffe. Agora empfahl verschiedene andere flankierende Maßnahmen.

Aus Sicht von Timm Kehler muss der Staat dagegen ebenso etwa die heute erdgas- und künftig biomethan- und H2-befeuerte Brennstoffzelle fördern sowie türkisen Wasserstoff. Das industriepolitische Argument überließ er Wayne-Daniel Kern von Bosch. Die Gasbrennwertthermen des Herstellers seien mit ein paar Monteursstunden auf H2 umrüstbar, so der kaufmännische Leiter Brennstoffzellen bei Bosch. Dies sei auch bei den Wettbewerbern Viessmann und Vaillant so.

Kern verlangte, die Brennstoffzelle über das Einfamilienhaus (bis 5 kW) hinaus zu fördern. „Wenn wir das verschlafen“, verdeutlichte er, „geht die Fertigung früher oder später nach Asien“ so wie zuvor die Photovoltaikindustrie.

Elektrolyseur mit 10 MW in Betrieb

Derweil hat der bisher größte Elektrolyseur Europas am 2. Juli seinen Betrieb aufgenommen: „Refhyne I“ von Shell auf deren Raffineriegelände in Wesseling bei Köln. Er leistet 10 MW, erzeugt jährlich bis zu 1.300 Tonnen grünen Wasserstoff und ist Teil eines Umbaus des Shell-Konzerns in Richtung Klimaneutralität bis 2050. Am selben Standort sind bereits 100 MW geplant („Refhyne II“) sowie eine Anlage zur Herstellung von Rohbenzin und Flüssigkraftstoff (PtL) aus Biomasse und Ökostrom für die Luftfahrt.
 

Die Farbenlehre zum Wasserstoff

  • grau: Gewinnung aus fossilem Erdgas oder Benzin per Dampfreformierung unter Hitze. Das dabei ebenfalls entstehende CO2 geht ungenutzt in die Atmosphäre.
  • schwarz: Dampfreformierung aus Steinkohle
  • braun: Dampfreformierung aus Braunkohle
  • blau: wie grau, nur klimaneutral, weil das CO2 gespeichert wird (die in Deutschland umstrittene Carbon Capture and Storage, CCS)
  • grün: Elektrolyse von Wasser in H2 und Sauerstoff (O2) mit 100 % Grünstrom und damit klimaneutral (Power-to-Gas)
  • türkis: Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas, wird per Pyrolyse in Wasserstoff und Kohle thermisch gespalten. Klimaneutral, wenn der Hochtemperaturreaktor grün erhitzt und die Kohle gebunden wird
  • orange: klimaneutrale Herstellung aus Bioenergie
  • rot: beinahe klimaneutrale Elektrolyse mithilfe von Atomstrom oder künftig außerhalb Deutschlands durch thermochemische Wasserspaltung (TWS) nuklearer Abwärme
Quelle: IKEM Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität
 


 

Montag, 9.08.2021, 08:56 Uhr
Georg Eble
Energie & Management > Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe - Mehr Farbe für den Wasserstoff
Bild: Shutterstock, Alexander Limbach
Aus Der Aktuellen Zeitungausgabe
Mehr Farbe für den Wasserstoff
Der gestützte Markthochlauf des Gases ist Konsens − je nach Wahlausgang wird dann festgelegt, wie schnell es grün werden muss. Das ist die Stunde der Lobbys und Studien.
Deutschland will fünf Jahre früher, 2045, klimaneutral sein, die EU macht für den Hochlauf von Wasserstoff 40 Mrd. Euro locker und seit Mai stehen die 62 deutschen Förderprojekte (IPCEI) fest: Das kleinste Element im Periodensystem kommt bei der Dekarbonisierung ganz groß raus, weil auch eine 100-prozentige Grünstromproduktion rechnerisch nicht ausreichen wird, um das neue Klimaziel zu erreichen. Nur Wasserstoff (H2) kann kohlebasierte Verfahren in der Stahl- und Chemieindustrie ersetzen. Das Produkt von Power-to-Gas-Anlagen (Elektrolyseuren) kann überschüssigen Wind- und Sonnenstrom nutzen und etwa ins Gasnetz eingespeist werden.

Dem stehen Nachteile gegenüber: Der graue Wasserstoff (siehe Kasten) trägt zum Treibhauseffekt bei. Die Elektrolyse wiederum ist teuer, hat einen Wirkungsgrad von lediglich 62 % (Wasserelektrolyse) und noch fehlt der großindustrielle Maßstab.

Nuancen in den Wahlprogrammen

Dass Deutschland diesen grünen Wasserstoff bevorzugt, ist unter jenen Parteien Konsens, die nach der Wahl am 26. September eine Chance haben, in die Regierung zu kommen, wie sich den Wahlprogrammen von Union, SPD, Grünen und FDP entnehmen lässt. Der energiepolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Bernd Westphal, bekräftigte am 16. Juli im Sommergespräch mit dem Bundesverband Windenergie (BWE): „Wir haben entschieden: Wir gehen in der Produktion von Wasserstoff gleich in die Erneuerbaren. Andere Länder machen das anders.“

CDU/CSU wiederum berufen sich auf die Nationale Wasserstoffstrategie vom Juni 2020 und stellen einerseits grünen Wasserstoff in den Vordergrund, andererseits formulieren sie etwas zurückhaltend, mit der betroffenen Chemiebranche solle der Ersatz von grauem H2 „im Dialog erörtert werden“.

Einzig die FDP setzt beim „schnellstmöglichen Hochlauf“ von H2 „auch auf CO2-neutralen blauen und türkisen Wasserstoff aus Erdgas“ mit CO2-Speicherung, weil sich nur so große Mengen bezahlbar erzeugen ließen.
 
Timm Kehler, Geschäftsführer von Zukunft Gas, verteidigte alternative Technologien zur Elektrolyse
Quelle: Screenshot E&M

Da versuchte die Brancheninitiative Zukunft Gas den Konsens, der über alle Koalitionsszenarien hinweg existiert, doch noch in Richtung blauen und türkisen H2 zu bewegen. Zumal die Grünen, jetzt Teil dieser Szenarien, fordern: „Damit Wasserstoff zur Klimaneutralität beiträgt, muss er aus erneuerbaren Energien hergestellt werden.“ Neue Gaskraftwerke und Gasinfrastruktur seien, wenn überhaupt nur noch „H2-ready“ zu genehmigen.

Gasbranche contra Agora

Die Kernbotschaft von Timm Kehler, Geschäftsführer von Zukunft Gas, war daher am 8. Juli beim Auftakt einer Webinar-Reihe zum Wasserstoff: Blauer H2 werde noch länger günstiger sein als grüner. Er zitierte aus der Auftragsstudie von Nymoen zur Wärmewende vom Mai.

Demnach sinkt der Verbraucherendpreis bis 2050 gegenüber 2020 nur von gut 16 auf 13,66 Cent pro kWh, wenn der grüne Anteil lediglich schrittweise steigt, während er im H2-Hochlauf günstiger wird. Herkömmliches Erdgas verdopple zeitgleich seinen Endpreis auf 10,40 Cent. Mit anderen Worten: Jetzt ist eine H2-Beimischung mehr als dreimal so teuer wie Erdgas, 2050 nur noch um 30 %, aber nur im Grün-Blau-Türkis-Mix. Kehler versprach für diesen Fall: „Jeder, der einen Gasanschluss hat, wird bezahlbaren Wasserstoff kriegen.“

Laut einer am selben Tag veröffentlichten Studie des Analysehauses Aurora Energy Research sind bei der Elektrolyse bis 2030 nur im optimistischen Szenario Preise von 2 bis 2,50 Euro zu erzielen − diesmal auf der Erzeugungsebene zuzüglich Speicherung, Verteilung und Verwendung.

Das Ifo-Institut hatte im Juni das verschärfte Klimaschutzgesetz auch in Bezug auf Wasserstoff kritisiert, weil es jahresgenaue Emissionsziele vorsieht. Wann und mit welchen nennenswerten Mengen grüner Wasserstoff wettbewerbsfähig werde, sei aber so genau nicht vorhersagbar.

Ebenfalls am 8. Juli räumte die grüne Denkfabrik Agora Energiewende in einer Studie mit Guidehouse ein, dass die EU grünen Wasserstoff jährlich mit 10 bis 24 Mrd. Euro subventionieren muss, damit er 2030 wettbewerbsfähig werde. Daher sollten Fördermittel zunächst auf jene Sektoren beschränkt sein, die künftig unumstrittenen und unerlässlich Bedarf an grünem H2 haben − etwa in der Industrie als Ersatz für Erdgas oder für Flugzeugtreibstoffe. Agora empfahl verschiedene andere flankierende Maßnahmen.

Aus Sicht von Timm Kehler muss der Staat dagegen ebenso etwa die heute erdgas- und künftig biomethan- und H2-befeuerte Brennstoffzelle fördern sowie türkisen Wasserstoff. Das industriepolitische Argument überließ er Wayne-Daniel Kern von Bosch. Die Gasbrennwertthermen des Herstellers seien mit ein paar Monteursstunden auf H2 umrüstbar, so der kaufmännische Leiter Brennstoffzellen bei Bosch. Dies sei auch bei den Wettbewerbern Viessmann und Vaillant so.

Kern verlangte, die Brennstoffzelle über das Einfamilienhaus (bis 5 kW) hinaus zu fördern. „Wenn wir das verschlafen“, verdeutlichte er, „geht die Fertigung früher oder später nach Asien“ so wie zuvor die Photovoltaikindustrie.

Elektrolyseur mit 10 MW in Betrieb

Derweil hat der bisher größte Elektrolyseur Europas am 2. Juli seinen Betrieb aufgenommen: „Refhyne I“ von Shell auf deren Raffineriegelände in Wesseling bei Köln. Er leistet 10 MW, erzeugt jährlich bis zu 1.300 Tonnen grünen Wasserstoff und ist Teil eines Umbaus des Shell-Konzerns in Richtung Klimaneutralität bis 2050. Am selben Standort sind bereits 100 MW geplant („Refhyne II“) sowie eine Anlage zur Herstellung von Rohbenzin und Flüssigkraftstoff (PtL) aus Biomasse und Ökostrom für die Luftfahrt.
 

Die Farbenlehre zum Wasserstoff

  • grau: Gewinnung aus fossilem Erdgas oder Benzin per Dampfreformierung unter Hitze. Das dabei ebenfalls entstehende CO2 geht ungenutzt in die Atmosphäre.
  • schwarz: Dampfreformierung aus Steinkohle
  • braun: Dampfreformierung aus Braunkohle
  • blau: wie grau, nur klimaneutral, weil das CO2 gespeichert wird (die in Deutschland umstrittene Carbon Capture and Storage, CCS)
  • grün: Elektrolyse von Wasser in H2 und Sauerstoff (O2) mit 100 % Grünstrom und damit klimaneutral (Power-to-Gas)
  • türkis: Methan, der Hauptbestandteil von Erdgas, wird per Pyrolyse in Wasserstoff und Kohle thermisch gespalten. Klimaneutral, wenn der Hochtemperaturreaktor grün erhitzt und die Kohle gebunden wird
  • orange: klimaneutrale Herstellung aus Bioenergie
  • rot: beinahe klimaneutrale Elektrolyse mithilfe von Atomstrom oder künftig außerhalb Deutschlands durch thermochemische Wasserspaltung (TWS) nuklearer Abwärme
Quelle: IKEM Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität
 


 

Montag, 9.08.2021, 08:56 Uhr
Georg Eble

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