E&M exklusiv Newsletter:
E&M gratis testen:
Energie & Management > Gasnetz - Kurzfristig nicht ohne russisches Gas
Quelle: Shutterstock / Dabarti CGI
Gasnetz

Kurzfristig nicht ohne russisches Gas

Die EU kann die Gasimporte aus Russland nicht bis Jahresende um 100 Mrd. Kubikmeter verringern, betonte ein Experte von Wood Mackenzie bei der European Gas Conference in Wien.
Das Ziel der EU, ihre Erdgasimporte aus Russland bis Jahresende um 100 Mrd. Kubikmeter (bcm) zu verringern, ist unrealistisch. Das erklärte Massimo Di Odoari, Vice President Gas and LNG Research, beim Beratungsunternehmen Wood Mackenzie, am 21. März gegenüber Journalisten am Rande der European Gas Conference in Wien. Zwar werde heuer weniger russisches Gas importiert als 2021: „Aber wenn die EU-Mitgliedsstaaten genug Gas einspeichern wollen, um sicher durch den Winter 2022/23 zu kommen, müssen sie so viel importieren wie möglich.“

Letzten Endes sei das Ziel politisch zu verstehen: Wegen der russischen Invasion in der Ukraine müsse die EU zeigen, „dass sie ohne russisches Gas auskommen kann. Aber zumindest kurzfristig entspricht das nicht der Wahrheit“. Bis etwa 2025 sind die Alternativen begrenzt. Zwar dürfte die EU heuer rund 135 bcm an verflüssigtem Erdgas (LNG) aus anderen Ländern als Russland importieren, um etwa 30 bcm mehr als 2021. Die Gesamtmenge deckt damit mehr als ein Viertel des Gasbedarfs der EU ab. In den nächsten Jahren ist laut Di Odoari indessen nicht mit einem weiteren Anstieg der LNG-Importe zu rechnen. Denn voraussichtlich erst nach 2026 dürften in Umsetzung befindliche Projekte in Lieferländern wie den USA „on stream“ kommen.

Auch Importe aus Israel eine Option

Um diese Zeit könnte Di Odoari zufolge zusätzliches Erdgas auch über neue Pipelines importiert werden, etwa aus dem östlichen Mittelmeerraum. Als Option betrachtet er die Nutzung des israelischen Offshorefelds Leviathan, dessen Reserven auf etwa 470 bcm geschätzt werden, also etwa 70 bcm mehr als den Jahresbedarf der EU. Die Ausbeutung des Felds ist seit Anfang 2020 im Gange. Vorerst dient dieses der Versorgung Israels und anderer Staaten der Levante.

Ebenfalls als möglich erachtet DI Odoari die Steigerung der Gasimporte aus Aserbaidschan. Er räumte auf Anfrage jedoch ein, dass die Kapazität der dafür zur Verfügung stehenden Trans-Anatolischen Pipeline (TANAP) zurzeit mit rund zehn bcm/Jahr begrenzt ist. Die grundsätzlich mögliche Steigerung auf etwa 20 bcm/Jahr wäre mit nicht zu unterschätzendem Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Nur als „entfernte Optionen“ sieht Di Odoari den Import von Gas aus dem Nordirak und aus dem Iran.

Nicht kommentieren wollte Di Odoari die in Kreisen der Gaswirtschaft kolportierte These, dass die USA seit langem bestrebt gewesen seien, im Sinne ihrer eigenen ökonomischen Interessen die guten energiewirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Russland zu unterminieren. Daher sei ihnen der Angriff auf die Ukraine und in der Folge der Bruch der oft beschworenen „europäisch-russischen Energiepartnerschaft“ nur allzu gelegen gekommen.

Di Odoari erläuterte, bekanntermaßen versuchten die USA schon seit längerer Zeit, LNG nach in die EU zu exportieren. Manche der Mitgliedsländer, darunter Deutschland, seien indessen „mit der sicheren Gasversorgung aus Russland in einer sehr bequemen Lage“ gewesen: „Mir scheint, als hätte die deutsche Bundesregierung ihre Ansicht über die Verlässlichkeit Russlands als Gaslieferant geändert. Daher sieht sie sich nach Alternativen um.“ Und darunter befände sich nun einmal auch US-amerikanisches LNG.

Als durchaus realistisch erachtet DI Odoari das Risiko einer Unterbrechung der Gasimporte aus Russland in den kommenden Monaten: „Es kann sein, dass die EU solche Importe verbietet, es kann ebenso sein, dass Russland die Exporte stoppt.“ Diese Befürchtung in Gaswirtschaftskreisen sei einer der Gründe für die nach wie vor hohen Preise an den Gasbörsen.

Noch überwiege indessen ein gewisser Pragmatismus: Die EU brauche russisches Gas, Russland wiederum benötige die Einnahmen aus dem Gasgeschäft. „Wenn der Pragmatismus weiter anhält, werden auch die Gaslieferungen weitergehen. Aber die Krise ist tief und grundlegend. Wir haben gesehen, wie schnell die Lage eskalieren kann“, warnte Di Odoari.

Montag, 21.03.2022, 15:25 Uhr
Klaus Fischer
Energie & Management > Gasnetz - Kurzfristig nicht ohne russisches Gas
Quelle: Shutterstock / Dabarti CGI
Gasnetz
Kurzfristig nicht ohne russisches Gas
Die EU kann die Gasimporte aus Russland nicht bis Jahresende um 100 Mrd. Kubikmeter verringern, betonte ein Experte von Wood Mackenzie bei der European Gas Conference in Wien.
Das Ziel der EU, ihre Erdgasimporte aus Russland bis Jahresende um 100 Mrd. Kubikmeter (bcm) zu verringern, ist unrealistisch. Das erklärte Massimo Di Odoari, Vice President Gas and LNG Research, beim Beratungsunternehmen Wood Mackenzie, am 21. März gegenüber Journalisten am Rande der European Gas Conference in Wien. Zwar werde heuer weniger russisches Gas importiert als 2021: „Aber wenn die EU-Mitgliedsstaaten genug Gas einspeichern wollen, um sicher durch den Winter 2022/23 zu kommen, müssen sie so viel importieren wie möglich.“

Letzten Endes sei das Ziel politisch zu verstehen: Wegen der russischen Invasion in der Ukraine müsse die EU zeigen, „dass sie ohne russisches Gas auskommen kann. Aber zumindest kurzfristig entspricht das nicht der Wahrheit“. Bis etwa 2025 sind die Alternativen begrenzt. Zwar dürfte die EU heuer rund 135 bcm an verflüssigtem Erdgas (LNG) aus anderen Ländern als Russland importieren, um etwa 30 bcm mehr als 2021. Die Gesamtmenge deckt damit mehr als ein Viertel des Gasbedarfs der EU ab. In den nächsten Jahren ist laut Di Odoari indessen nicht mit einem weiteren Anstieg der LNG-Importe zu rechnen. Denn voraussichtlich erst nach 2026 dürften in Umsetzung befindliche Projekte in Lieferländern wie den USA „on stream“ kommen.

Auch Importe aus Israel eine Option

Um diese Zeit könnte Di Odoari zufolge zusätzliches Erdgas auch über neue Pipelines importiert werden, etwa aus dem östlichen Mittelmeerraum. Als Option betrachtet er die Nutzung des israelischen Offshorefelds Leviathan, dessen Reserven auf etwa 470 bcm geschätzt werden, also etwa 70 bcm mehr als den Jahresbedarf der EU. Die Ausbeutung des Felds ist seit Anfang 2020 im Gange. Vorerst dient dieses der Versorgung Israels und anderer Staaten der Levante.

Ebenfalls als möglich erachtet DI Odoari die Steigerung der Gasimporte aus Aserbaidschan. Er räumte auf Anfrage jedoch ein, dass die Kapazität der dafür zur Verfügung stehenden Trans-Anatolischen Pipeline (TANAP) zurzeit mit rund zehn bcm/Jahr begrenzt ist. Die grundsätzlich mögliche Steigerung auf etwa 20 bcm/Jahr wäre mit nicht zu unterschätzendem Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Nur als „entfernte Optionen“ sieht Di Odoari den Import von Gas aus dem Nordirak und aus dem Iran.

Nicht kommentieren wollte Di Odoari die in Kreisen der Gaswirtschaft kolportierte These, dass die USA seit langem bestrebt gewesen seien, im Sinne ihrer eigenen ökonomischen Interessen die guten energiewirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Russland zu unterminieren. Daher sei ihnen der Angriff auf die Ukraine und in der Folge der Bruch der oft beschworenen „europäisch-russischen Energiepartnerschaft“ nur allzu gelegen gekommen.

Di Odoari erläuterte, bekanntermaßen versuchten die USA schon seit längerer Zeit, LNG nach in die EU zu exportieren. Manche der Mitgliedsländer, darunter Deutschland, seien indessen „mit der sicheren Gasversorgung aus Russland in einer sehr bequemen Lage“ gewesen: „Mir scheint, als hätte die deutsche Bundesregierung ihre Ansicht über die Verlässlichkeit Russlands als Gaslieferant geändert. Daher sieht sie sich nach Alternativen um.“ Und darunter befände sich nun einmal auch US-amerikanisches LNG.

Als durchaus realistisch erachtet DI Odoari das Risiko einer Unterbrechung der Gasimporte aus Russland in den kommenden Monaten: „Es kann sein, dass die EU solche Importe verbietet, es kann ebenso sein, dass Russland die Exporte stoppt.“ Diese Befürchtung in Gaswirtschaftskreisen sei einer der Gründe für die nach wie vor hohen Preise an den Gasbörsen.

Noch überwiege indessen ein gewisser Pragmatismus: Die EU brauche russisches Gas, Russland wiederum benötige die Einnahmen aus dem Gasgeschäft. „Wenn der Pragmatismus weiter anhält, werden auch die Gaslieferungen weitergehen. Aber die Krise ist tief und grundlegend. Wir haben gesehen, wie schnell die Lage eskalieren kann“, warnte Di Odoari.

Montag, 21.03.2022, 15:25 Uhr
Klaus Fischer

Haben Sie Interesse an Content oder Mehrfachzugängen für Ihr Unternehmen?

Sprechen Sie uns an, wenn Sie Fragen zur Nutzung von E&M-Inhalten oder den verschiedenen Abonnement-Paketen haben.
Das E&M-Vertriebsteam freut sich unter Tel. 08152 / 93 11-77 oder unter vertrieb@energie-und-management.de über Ihre Anfrage.