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Energie & Management > Windkraft Onshore - In Simmeraths Märchenwald fordert der Kanzler mehr Mut
Kanzler Olaf Scholz und NRW-Regierungschef Hendrik Wüst im Dialog. Quelle: Volker Stephan
Windkraft Onshore

In Simmeraths Märchenwald fordert der Kanzler mehr Mut

Bundeskanzler Scholz besucht einen Vorzeige-Windpark in der Eifel, der in dem von ihm propagierten Deutschland-Tempo entstanden ist. Binnen dreieinhalb Jahren, ganz ohne Widerstände.
Waldbaden mit dem Kanzler. Während es in Berlins Ampel dauerrumort und längst auch Gewerkschaften und Teile der SPD ein Einlenken beim Industriestrompreis fordern (siehe separate Meldung), entspannt Olaf Scholz im Vorzeige-Windpark Simmerath-Lammersdorf. Für gute Nachrichten, beste Laune und Schönwetter-Stimmung muss der Sozialdemokrat ausgerechnet in die Arme seines möglichen Rivalen und Nachfolgers im Kanzleramt, Hendrik Wüst (CDU).

Und der NRW-Ministerpräsident ist an diesem Vormittag guter Gastgeber und sagt nichts zum Industriestrompreis, jedenfalls nichts, was zur stattlichen Abordnung von Presse, Funk und Fernsehen an diesem Vormittag des 22. Augusts durchdringen würde. Dabei hatte Wüsts Stellvertreterin, Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), Scholz’ Besuch in der Eifel gerade erst eine leicht vergiftete Grußbotschaft vorausgeschickt. Einen günstigeren Strompreis für die unter enormem Kostendruck stehende energieintensive Industrie abzulehnen, worin Scholz und Finanzminister Christian Lindner (FDP) vereint sind, zeuge vom „destruktiven Handeln“ des Kanzlers, so Neubaur.
 
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, links) zu Besuch im Windpark Simmerath-Lammersdorf auf Einladung von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). (Zum Vergrößern bitte Bild anklicken)
Quelle: Volker Stephan

Nein, weil auch kaum Pressefragen erlaubt sind, dient das Flanieren im Fichtenforst allein der Erbauung sowie dem allgemeinen Bekenntnis zur Bedeutung der erneuerbaren Energien und zu deren schnellerem Ausbau. Simmerath bei Aachen steht für all dies. Als sei er ein Märchenwald, entstand im Lammersdorfer Unterholz binnen dreieinhalb Jahren ein Windpark mit sieben Anlagen. Dreieinhalb Jahre! So lange ziehen sich häufig allein die Rechtsstreitigkeiten hin, wenn ein Windpark ins Visier von Naturschützern oder Bürgerinitiativen geraten war.

Ein Bürgerwindpark der besonderen Art

In dem Eifelörtchen mit den rund 16.000 dort lebenden Menschen war alles von Grund auf anders. Hier wurden Projektierer und Flächenbesitzer, die Stawag Stadtwerke Aachen AG und die Gemeinde, sich schnell einig. Über den Wald als Standort und über die umfassende Beteiligung der Kommune, die neben der üblichen Gewerbesteuer auch vom Gewinn der Stawag etwas abbekommt, eine Pacht für die Flächen erhält und darüber hinaus 0,2 Cent je erzeugter kWh Strom kassiert. Allein die sieben Vestas-Turbinen spülten der Gemeinde pro Jahr einen „hohen sechsstelligen Betrag“ in die Kasse, sagt Frank Brösse, Geschäftsführer der Stawag-Tochter Stawag Energie.

Simmeraths Bürgermeister Bernd Goffart (CDU) kann gar nicht genug von den Windenergieanlagen bekommen. 22 drehen sich auf Gemeindegebiet, sie erzeugen mit zwei Biogasanlagen und weiteren Solarkraftwerken mehr Strom als Simmerath verbraucht (187 Prozent des Bedarfs). Im laufenden Haushalt sind aus der Windkraft 2 Millionen Euro Einnahmen eingeplant. Wenn der Windpark im Ortsteil Lammersdorf Ende des Jahres um zwei Vestas V150 (5,6 MW) auf neun Anlagen gewachsen ist und weitere Turbinen auf anderen Flächen hinzukommen, könnten es laut Bernd Goffart bald 4 Millionen Euro werden.

Geld, durch das Simmerath sich niedrige Grund- und Gewerbesteuern leisten kann. Das, so Bernd Goffart, „macht unseren Windpark zu einem Bürgerwindpark“. Die Beteiligung erfolge indirekt. Auch lockten die niedrigen Abgaben neue Betriebe und mehr Menschen an, die in die Gemeinde ziehen möchten. Allein, die drei Gewerbegebiete stießen an ihre Grenzen und es dauere viel zu lang, neue ausweisen zu können.
 
Im Windpark (von links) Frank Brösse (Stawag Energie), Tim Grüttemeier (Städteregionsrat Aachen), Kanzler Olaf Scholz (SPD), NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Simmeraths Bürgermeister Bernd Goffart (beide CDU).
(Zum Vergrößern auf das Bild klicken)
Quelle: Volker Stephan

Kanzler Olaf Scholz formulierte es auf seine Weise: Der Windpark stehe dafür, dass das von seiner Regierung ausgerufene „Deutschland-Tempo“ mit vier bis fünf neuen Windanlagen pro Tag zu schaffen sei. Hendrik Wüst hatte zuvor mit Verweis auf NRWs aktuellen Spitzenplatz bei den Genehmigungen im ersten Halbjahr - 178 Anlagen mit 909 MW - davon gesprochen, sein Land sei „Tempomacher beim Deutschland-Tempo“. Überhaupt sei Nordrhein-Westfalen „in der Spur“: mit dem am 24. August im Landtag zu beschließenden Wegfall des 1.000-Meter-Abstandes von Windturbinen zu Gebäuden sowie dem Erreichen des vom Bund vorgegebenen Windkraft-Flächenziels von 1,8 Prozent schon 2025 (statt 2032).

Olaf Scholz konterte mit feiner Klinge, er nehme wahr, dass Nordrhein-Westfalen nach weniger guten Jahren – gemeint war die CDU-FDP-Koalition 2017 bis 2022 – nun zu den windkraftfreundlichen Ländern im Norden aufschließe. Zur Wahrheit gehört, dass der Windpark in Simmerath wohl kaum unter Schwarz-Gelb das Licht der Welt erblickt hätte: Er ist bereits 2016 in reinem, nicht geschädigtem Nutzwald entstanden. CDU und FDP hatten den Wald zur Tabuzone erklärt.

Stawag auf dem Weg zur ersten Milliarde kWh

Für Gewerbegebiete wie Windkraftausbau gelte es, so Scholz, „Mut auf allen Ebenen“ zu beweisen. Er bezog dies auf das Anwenden der von seiner Regierung verabschiedeten Gesetze, die bestehende Ausbauhemmnisse beseitigten. Örtlichen Behörden, die oft in Genehmigungsverfahren stecken bleiben, wünschte er den Mut, schneller zu entscheiden. Oft würden zusätzliche Gutachten verlangt, die nicht vorgeschrieben seien.

Das war Wasser auf die Mühlen des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE NRW). Dessen Geschäftsführer Christian Mildenberger (CDU) nutzte eine kurze Gesprächsrunde im Windpark, um vom Bund weiteren Bürokratieabbau zu fordern. Genehmigungen zögen sich nach wie vor in die Länge, schlechtestes Beispiel dafür seien „absurde“ Auflagen für Schwertransporte (wir berichteten).
 
Machen gerne Geschäfte miteinander: Simmeraths Bürgermeister Bernd Goffart (CDU) und Frank Brösse (rechts), Geschäftsführer der Stawag Energie, im Windpark Simmerath (NRW)
Quelle: Volker Stephan

Der Geschäftsführer von Stawag Energie, Frank Brösse, durfte schließlich vor Scholz und Wüst das geschmeidige Verfahren in Simmerath mit dessen „großer Akzeptanz und Transparenz“ lobpreisen. Sein Unternehmen kennt dies auch anders. Über die Jahre ist der Anlagenbestand der Stawag deutschlandweit zwar auf 85 Anlagen in 25 Windparks gewachsen, die einen Stromertrag von 550 Millionen bis 600 Millionen kWh pro Jahr erbringen.

Für das Stawag-Ziel, bis 2030 den Strombedarf Aachens (1 Milliarde kWh) bilanziell zu decken, braucht es aber weiteren Zubau. Der ist auch in Planung, stockt jedoch in anderen Gebieten. Im Hochsauerland etwa möchte die Stawag sieben Anlagen errichten, das Waldwind-Projekt in Finnentrop (NRW) hat allerdings nach zwölf Jahren immer noch keine Genehmigung. Zwölf Jahre, das ist fast viermal so viel Zeit, wie in Simmerath von den Flächenverträgen bis zum Netzanschluss vergangen ist.

Dienstag, 22.08.2023, 17:04 Uhr
Volker Stephan
Energie & Management > Windkraft Onshore - In Simmeraths Märchenwald fordert der Kanzler mehr Mut
Kanzler Olaf Scholz und NRW-Regierungschef Hendrik Wüst im Dialog. Quelle: Volker Stephan
Windkraft Onshore
In Simmeraths Märchenwald fordert der Kanzler mehr Mut
Bundeskanzler Scholz besucht einen Vorzeige-Windpark in der Eifel, der in dem von ihm propagierten Deutschland-Tempo entstanden ist. Binnen dreieinhalb Jahren, ganz ohne Widerstände.
Waldbaden mit dem Kanzler. Während es in Berlins Ampel dauerrumort und längst auch Gewerkschaften und Teile der SPD ein Einlenken beim Industriestrompreis fordern (siehe separate Meldung), entspannt Olaf Scholz im Vorzeige-Windpark Simmerath-Lammersdorf. Für gute Nachrichten, beste Laune und Schönwetter-Stimmung muss der Sozialdemokrat ausgerechnet in die Arme seines möglichen Rivalen und Nachfolgers im Kanzleramt, Hendrik Wüst (CDU).

Und der NRW-Ministerpräsident ist an diesem Vormittag guter Gastgeber und sagt nichts zum Industriestrompreis, jedenfalls nichts, was zur stattlichen Abordnung von Presse, Funk und Fernsehen an diesem Vormittag des 22. Augusts durchdringen würde. Dabei hatte Wüsts Stellvertreterin, Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), Scholz’ Besuch in der Eifel gerade erst eine leicht vergiftete Grußbotschaft vorausgeschickt. Einen günstigeren Strompreis für die unter enormem Kostendruck stehende energieintensive Industrie abzulehnen, worin Scholz und Finanzminister Christian Lindner (FDP) vereint sind, zeuge vom „destruktiven Handeln“ des Kanzlers, so Neubaur.
 
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, links) zu Besuch im Windpark Simmerath-Lammersdorf auf Einladung von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). (Zum Vergrößern bitte Bild anklicken)
Quelle: Volker Stephan

Nein, weil auch kaum Pressefragen erlaubt sind, dient das Flanieren im Fichtenforst allein der Erbauung sowie dem allgemeinen Bekenntnis zur Bedeutung der erneuerbaren Energien und zu deren schnellerem Ausbau. Simmerath bei Aachen steht für all dies. Als sei er ein Märchenwald, entstand im Lammersdorfer Unterholz binnen dreieinhalb Jahren ein Windpark mit sieben Anlagen. Dreieinhalb Jahre! So lange ziehen sich häufig allein die Rechtsstreitigkeiten hin, wenn ein Windpark ins Visier von Naturschützern oder Bürgerinitiativen geraten war.

Ein Bürgerwindpark der besonderen Art

In dem Eifelörtchen mit den rund 16.000 dort lebenden Menschen war alles von Grund auf anders. Hier wurden Projektierer und Flächenbesitzer, die Stawag Stadtwerke Aachen AG und die Gemeinde, sich schnell einig. Über den Wald als Standort und über die umfassende Beteiligung der Kommune, die neben der üblichen Gewerbesteuer auch vom Gewinn der Stawag etwas abbekommt, eine Pacht für die Flächen erhält und darüber hinaus 0,2 Cent je erzeugter kWh Strom kassiert. Allein die sieben Vestas-Turbinen spülten der Gemeinde pro Jahr einen „hohen sechsstelligen Betrag“ in die Kasse, sagt Frank Brösse, Geschäftsführer der Stawag-Tochter Stawag Energie.

Simmeraths Bürgermeister Bernd Goffart (CDU) kann gar nicht genug von den Windenergieanlagen bekommen. 22 drehen sich auf Gemeindegebiet, sie erzeugen mit zwei Biogasanlagen und weiteren Solarkraftwerken mehr Strom als Simmerath verbraucht (187 Prozent des Bedarfs). Im laufenden Haushalt sind aus der Windkraft 2 Millionen Euro Einnahmen eingeplant. Wenn der Windpark im Ortsteil Lammersdorf Ende des Jahres um zwei Vestas V150 (5,6 MW) auf neun Anlagen gewachsen ist und weitere Turbinen auf anderen Flächen hinzukommen, könnten es laut Bernd Goffart bald 4 Millionen Euro werden.

Geld, durch das Simmerath sich niedrige Grund- und Gewerbesteuern leisten kann. Das, so Bernd Goffart, „macht unseren Windpark zu einem Bürgerwindpark“. Die Beteiligung erfolge indirekt. Auch lockten die niedrigen Abgaben neue Betriebe und mehr Menschen an, die in die Gemeinde ziehen möchten. Allein, die drei Gewerbegebiete stießen an ihre Grenzen und es dauere viel zu lang, neue ausweisen zu können.
 
Im Windpark (von links) Frank Brösse (Stawag Energie), Tim Grüttemeier (Städteregionsrat Aachen), Kanzler Olaf Scholz (SPD), NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Simmeraths Bürgermeister Bernd Goffart (beide CDU).
(Zum Vergrößern auf das Bild klicken)
Quelle: Volker Stephan

Kanzler Olaf Scholz formulierte es auf seine Weise: Der Windpark stehe dafür, dass das von seiner Regierung ausgerufene „Deutschland-Tempo“ mit vier bis fünf neuen Windanlagen pro Tag zu schaffen sei. Hendrik Wüst hatte zuvor mit Verweis auf NRWs aktuellen Spitzenplatz bei den Genehmigungen im ersten Halbjahr - 178 Anlagen mit 909 MW - davon gesprochen, sein Land sei „Tempomacher beim Deutschland-Tempo“. Überhaupt sei Nordrhein-Westfalen „in der Spur“: mit dem am 24. August im Landtag zu beschließenden Wegfall des 1.000-Meter-Abstandes von Windturbinen zu Gebäuden sowie dem Erreichen des vom Bund vorgegebenen Windkraft-Flächenziels von 1,8 Prozent schon 2025 (statt 2032).

Olaf Scholz konterte mit feiner Klinge, er nehme wahr, dass Nordrhein-Westfalen nach weniger guten Jahren – gemeint war die CDU-FDP-Koalition 2017 bis 2022 – nun zu den windkraftfreundlichen Ländern im Norden aufschließe. Zur Wahrheit gehört, dass der Windpark in Simmerath wohl kaum unter Schwarz-Gelb das Licht der Welt erblickt hätte: Er ist bereits 2016 in reinem, nicht geschädigtem Nutzwald entstanden. CDU und FDP hatten den Wald zur Tabuzone erklärt.

Stawag auf dem Weg zur ersten Milliarde kWh

Für Gewerbegebiete wie Windkraftausbau gelte es, so Scholz, „Mut auf allen Ebenen“ zu beweisen. Er bezog dies auf das Anwenden der von seiner Regierung verabschiedeten Gesetze, die bestehende Ausbauhemmnisse beseitigten. Örtlichen Behörden, die oft in Genehmigungsverfahren stecken bleiben, wünschte er den Mut, schneller zu entscheiden. Oft würden zusätzliche Gutachten verlangt, die nicht vorgeschrieben seien.

Das war Wasser auf die Mühlen des Landesverbands Erneuerbare Energien (LEE NRW). Dessen Geschäftsführer Christian Mildenberger (CDU) nutzte eine kurze Gesprächsrunde im Windpark, um vom Bund weiteren Bürokratieabbau zu fordern. Genehmigungen zögen sich nach wie vor in die Länge, schlechtestes Beispiel dafür seien „absurde“ Auflagen für Schwertransporte (wir berichteten).
 
Machen gerne Geschäfte miteinander: Simmeraths Bürgermeister Bernd Goffart (CDU) und Frank Brösse (rechts), Geschäftsführer der Stawag Energie, im Windpark Simmerath (NRW)
Quelle: Volker Stephan

Der Geschäftsführer von Stawag Energie, Frank Brösse, durfte schließlich vor Scholz und Wüst das geschmeidige Verfahren in Simmerath mit dessen „großer Akzeptanz und Transparenz“ lobpreisen. Sein Unternehmen kennt dies auch anders. Über die Jahre ist der Anlagenbestand der Stawag deutschlandweit zwar auf 85 Anlagen in 25 Windparks gewachsen, die einen Stromertrag von 550 Millionen bis 600 Millionen kWh pro Jahr erbringen.

Für das Stawag-Ziel, bis 2030 den Strombedarf Aachens (1 Milliarde kWh) bilanziell zu decken, braucht es aber weiteren Zubau. Der ist auch in Planung, stockt jedoch in anderen Gebieten. Im Hochsauerland etwa möchte die Stawag sieben Anlagen errichten, das Waldwind-Projekt in Finnentrop (NRW) hat allerdings nach zwölf Jahren immer noch keine Genehmigung. Zwölf Jahre, das ist fast viermal so viel Zeit, wie in Simmerath von den Flächenverträgen bis zum Netzanschluss vergangen ist.

Dienstag, 22.08.2023, 17:04 Uhr
Volker Stephan

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